Geplante Veranstaltungen am 17. Juni 1956 (1)
12. Juni 1956
Information Nr. 7/56 – Betrifft: 17. Juni
[Faksimiles der Verteilertabelle (Quelle: BStU, MfS, ZAIG 14381, Bl. 438–444)]
Durch offizielle und inoffizielle Informationen, die zum Teil noch nicht überprüft sind, wurde bekannt, dass westdeutsche und Westberliner staatliche Stellen und Organisationen beabsichtigen, Provokationen anlässlich des »17. Juni« durchzuführen.
I. In Westdeutschland
- 1.
Am 16. Juni werden entlang der D-Linie1 auf Weisung des Kuratoriums »Unteilbares Deutschland«2 Feuer und Fackeln abgebrannt. Gleichzeitig sollen Vertreter staatlicher Stellen Westdeutschlands vor den versammelten Personen sprechen. Besonders sind die oberen Schulklassen, Jugend- und Sportverbände sowie die Organisationen der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge sowie berufliche und ständische Organisationen zur Mitwirkung aufgefordert worden.
- 2.
Aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt wurde bekannt, dass die Teilnehmer an der Provokation am 17.6.1953, die sich in Westdeutschland aufhalten, eine Geldzuwendung erhalten sollen (noch nicht überprüft).
- 3.
Verschiedene Soldatenverbände Westdeutschlands sowie Angehörige bestimmter Einheiten der faschistischen Wehrmacht, schreiben Personen in der DDR an, um zu Zusammenkünften am 17.6.1956 in Westdeutschland einzuladen.
- 4.
In einem Falle wurde bekannt, dass von Westdeutschland aus ein geflüchteter ehemaliger KVP-Angehöriger im Gebiet der DDR wohnende, ehemalige KVP-Angehörige zu einer Zusammenkunft am 17.6.1956 in Westdeutschland einladet [sic!]. Aus dem Schreiben ist ersichtlich, dass derartige Zusammenkünfte bisher jährlich zweimal stattfanden, dieses Jahr jedoch nur einmalig am 17.6.1956 stattfinden sollen.
- 5.
Am 17.6.1956 soll im Plenarsaal des Bundestages eine »Feierstunde« stattfinden. Daran sollen neben dem Bundespräsidenten die Abgeordneten sowie das Diplomatische Korps teilnehmen. Ähnliche »Feierstunden« sollen auf Anweisung des Innenministers in allen Ländern Westdeutschlands stattfinden.
II. In Westberlin
- 1.
Ähnlich wie in Westdeutschland sollen auch in Westberlin entlang der Sektorengrenze, besonders auf erhöhten Punkten, am 16. Juni 1956 Feuer abgebrannt werden.
- 2.
Der »Stahlhelm«3 plant am 16. Juni 1956, 20.00 Uhr, in der 8. Grundschule in Berlin-Charlottenburg eine Filmveranstaltung, in der Hetzfilme gegen die DDR gezeigt werden sollen. Eingeladen sind Mitglieder mit ihren Angehörigen und Bekannten.
- 3.
Die »deutsch-französische Gesellschaft« Berlin e.V.4 veranstaltet am 16. Juni 1956 im Haus Gehrhus Berlin-Grunewald, Brahmsstraße 4–10,5 ein Frühlingsfest. Der Tag wurde gewählt aus Anlass des 17. Juni. Die Veranstaltung findet in Zusammenarbeit mit der Europa-Union6 statt.
- 4.
Die SPD beabsichtigt am 16. Juni 1956, 15.00 Uhr, im Rathaus Schöneberg ein »Sozialistisches Forum«7 mit dem Vortrag des Sekretärs der Sozialistischen Internationale Braatoy8 »Sozialistische Internationale und die Kommunisten« durchzuführen.9
- 5.
Am Vormittag des 17. Juni soll auf dem Friedhof an der Seestraße10 eine Kranzniederlegung stattfinden, bei der Vertreter der Parteien und Gewerkschaften sprechen.
- 6.
Vom DGB und der VOS11 wird beabsichtigt, am 17. Juni einen Gedenkmarsch durch Westberlin zu veranstalten. Der DGB fordert besonders die Bauarbeiter auf, daran teilzunehmen. Der Marsch soll vom Zoo zum Potsdamer Platz gehen.
- 7.
In verstärktem Maße sollen Handzettel und Flugblätter verteilt werden. Mehrere Tausend wurden bereits in S-Bahnzügen gefunden. Sie fordern »Freie Wahlen«, »Beseitigung der Normen und Beseitigung der Regierung der DDR«. Ferner ist der Abschuss von Flugblattraketen aus dem ehemaligen Gebäude der Marine-Akademie geplant. Es ist außerdem beabsichtigt, Personen im demokratischen Sektor Berlins unter den verschiedensten Tarnungen anzuschreiben und sie zu den Veranstaltungen am 17. Juni 1956 nach Westberlin einzuladen.
- 8.
Die SPD plant am 17. Juni, um 15.00 Uhr in der Waldbühne12 eine Kundgebung für Bewohner der DDR und des demokratischen Sektors von Groß-Berlin. Am gleichen Tage, um 19.00 Uhr, soll vor dem Schöneberger Rathaus eine Kundgebung mit anschließendem Fackelzug durchgeführt werden. Es sollen Carlo Schmid,13 Otto Suhr,14 Willy Brandt15 und Minister Kaiser16 sprechen und 60 Abgeordnete des Bundestages daran teilnehmen. Der Fackelzug soll sich von der Belziger Straße über die Monumentenbrücke zum Kreuzberg bewegen. An dieser Kundgebung soll auch der vom 14. bis 18. Juni in Berlin weilende Europarats-Ausschuss17 teilnehmen.
Die Flüchtlingslager18 sollen geschlossen an den Kundgebungen teilnehmen und Flugblätter verteilen. Die Teilnehmer erhalten fünf Westmark und einen Vesperbeutel. In den Flüchtlingslagern wurden alle Sanitäter aufgefordert, sich zu melden, die in der Lage sind, Erste Hilfe zu leisten.19
III. Demokratischer Sektor von Groß-Berlin
- 1.
Die KgU20 beabsichtigt am Wohnblock E-Nord in der Stalinallee ein Transparent mit der Aufschrift »Denkt immer daran, – hier begann es« in der Nacht zum 17. Juni anzubringen.21
- 2.
Mitgliedern der KgU und der einzelnen Ostbüros22 ist aufgetragen worden, durch Personen, die in Ostberlin arbeiten, festzustellen, ob neben den örtlichen Polizeieinheiten auch Kampfgruppen23 in Alarmbereitschaft liegen. Auch will man in Erfahrung bringen, ob die Volkspolizei verstärkten Streifendienst und Kontrollen an der Sektorengrenze durchführt (diese Information ist noch nicht überprüft.)
- 3.
Aus einer Mitteilung geht hervor, dass in den letzten Tagen vor dem Betrieb VEM-Starkstromanlagenbau Berlin in der Schlegelstraße ehemalige Werksangehörige erschienen, die wegen Teilnahme an der Provokation am 17.6.1953 entlassen wurden. Es ist bekannt, dass eine Reihe Werksangehörige sich mit diesen ehemaligen Betriebsangehörigen treffen. Da die entlassenen Personen Verbindung zum Ostbüro der SPD haben, wird vermutet, dass sie den Auftrag haben, Provokationen zum 17.6.1956 vorzubereiten (ist überprüft).
IV. Deutsche Demokratische Republik
- 1.
Vom Ostbüro der SPD ist beabsichtigt, zahlreiche Flugblätter und Schriften vorzubereiten, die an den Schwerpunkten der Provokation von 1953, u. a. im Leuna-Werk24 und in Jena, verbreitet werden sollen. Von der NTS25 wurden bereits Personen in der DDR angeschrieben und auf den 17. Juni hingewiesen.
- 2.
Vom UfJ26 sollen zahlreiche Angehörige von verhafteten Personen aufgefordert werden, den 17. Juni zum Anlass zu nehmen, Protesttelegramme und Protestbriefe an Volkskammerpräsident Dieckmann27 und Dr. Otto Nuschke28 zwecks Freilassung ihrer Angehörigen zu senden.
- 3.
In mehreren Bezirken wurden mittels Ballons Flugblätter verbreitet mit der Überschrift »Auf zum 17. Juni«.
- 4.
In Premnitz, Kreis Rathenow, wurde ein selbstgefertigter Zettel an eine Litfaßsäule geklebt, der »zum Kampf gegen den Kommunismus« aufforderte und gegen die KVP hetzte, die am 17.6.1953 auf die Bevölkerung geschossen habe.
- 5.
In mehreren Bezirken wurden selbstgefertigte Hetzschriften abgelegt mit dem Inhalt: »Freie Wahlen«, »Lohn- und Rentenerhöhungen« und der Aufforderung zum Streik. Unterschrift: Befreiungsrat SPD.29 Mit gleicher Unterschrift wurden in einigen Bezirken Postkarten an Gemeindeverwaltungen versandt, deren Inhalt zu Aktionen am 17.6.1956 auffordert und ähnliche Forderungen wie die selbstgefertigten Hetzschriften enthält.
- 6.
Dem VEB Greiling,30 Dresden, wurde ein Brief mit einer Zigarettenschachtel der Sorte »1. Mai« zugesandt. Auf dieser Schachtel stand: »Die Bevölkerung verlangt jetzt schon eine Zigarettensorte 17. Juni.«
- 7.
Im Bezirk Suhl plante die Kirche am 17.6.1956 ein Konfirmandentreffen durchzuführen, für das gedruckte Einladungen ausgegeben werden sollten.
- 8.
Es sind Hinweise vorhanden, dass Provokateure in volkseigenen Betrieben am 17.6.1956 eine sogenannte »Gedenkminute« vorbereiten und ferner versuchen, illegal Betriebsdelegationen nach Westberlin zu entsenden.