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Lage in der DDR (20) 6.–7.11.

7. November 1956
Information Nr. 313/56 – Betrifft: Die Lage in der Deutschen Demokratischen Republik (eingegangenes Material vom 6.11.1956, 20.00 Uhr, bis 7.11.1956, 5.00 Uhr)

Die Lage in der Industrie

Karl-Marx-Stadt: Am 6.11.1956 konnte in sämtlichen Stollen und Bleierzgruben Freibergs wegen Stromabschaltung von 16.30 Uhr bis 20.00 Uhr nicht gearbeitet werden. Die Energie-Bezirksinspektion erklärte, dass das gesamte Stromnetz der DDR stark überlastet sei und Freiberg mit 4 mk1 auskommen müsste.

Potsdam: Im Industriewerk Ludwigsfelde drohten die Autogenschweißer dem Arbeitsdirektor mit Arbeitsniederlegung, wenn sie keine 10 % Erschwerniszulage erhalten.

Berlin: Im VEB INEX – Abteilung Elektrotechnik herrschte am 6.11.1956, gegen 12.02 Uhr, absolute Arbeitsruhe. Offensichtlich handelt es sich um die westliche Sympathiekundgebung in Bezug auf die Ereignisse in Ungarn.2

Die Lage in der Landwirtschaft

Frankfurt/O.: In der Gemeinde Wiesenau, [Kreis] Fürstenberg, kam in Unterhaltungen bei fast sämtlichen Einwohnern zum Ausdruck, dass vorwiegend Westsender gehört werden und dass man gegen die Sowjetunion ist. Ein Teil der Bauern bedauert, dass sie bereits Sollablieferungen gemacht haben. Ein Bauer äußerte: »Wenn es bei uns losgeht, bin ich sofort dabei. Die Kommunisten werden dann aufgehängt.« Am 4.11.1956 wurde ein Mitglied der LPG Bad Saarow auf dem Heimweg von der Gaststätte auf der Straße von fünf Personen misshandelt und mit einer Traktorkurbel niedergeschlagen. Darauf wurde versucht, ihn mit dem Traktor zu überfahren, während die fünf Personen äußerten: »Mit dieser Bande machen wir es genauso wie in Ungarn.«

Neubrandenburg: Der Parteisekretär der LPG Klein Wüstenfelde zieht sich von der politischen Arbeit zurück. Zu einem Melker äußerte er hierzu: »Du weisst ja, was in Polen und Ungarn los ist. Wenn es bei uns auch so kommt, lasse ich mich doch nicht totschlagen.«

Gera: Aus dem Kreis Zeulenroda wird berichtet, dass verschiedene Großbauern – besonders tierische Produkte – nicht abliefern wollen. Sie hoffen, dass in der DDR ein Engpass an Lebensmitteln eintritt, da Ungarn seine Lieferungen nicht einhalten konnte und dadurch die Preise steigen.

Potsdam: Am 31.10.1956 wurden vom Brigadier und vom Traktoristen des MTS-Stützpunktes Dahlewitz, [Kreis] Zossen, im Kulturhaus das »Deutschlandlied«3 und das »Afrikalied«4 gesungen. Vorher pöbelte der Brigadier ein SED-Mitglied an »er solle seinen ›Bonbon‹ abnehmen.«5

Dresden: Am 5.11.1956 verweigerten zehn Schüler der Fachschule für Landwirtschaft Zittau die Arbeit. Sie sollten Kartoffeln lesen, die schon eine Woche liegen. Dabei könnten sie nichts lernen. 13.00 Uhr wurde die Arbeit wieder aufgenommen.

Versorgung

Frankfurt/O.: In Freienwalde, Stalinstadt, Fürstenberg und Frankfurt/O. wurden Hamstereinkäufe – besonders an Fetten – festgestellt. In der Konsumverkaufsstelle Frankfurt/O., Sophienstraße kauften die Frauen bis zu fünf Pfund Schmalz. Im Kreis Freienwalde hat sich der Umsatz von Fett und Margarine verdreifacht. Bei Anhalt dieses Umsatzes hat der Kreiskonsum nur noch für zwei bis drei Tage Vorrat. In Stalinstadt und Fürstenberg wurden vom Konsum 15 t Mehl angefordert, da Hamstereinkäufe getätigt würden.

Gera: Aus den Kreisen Rudolstadt und Stadtroda wird ebenfalls über Hamstereinkäufe von Mehl, Teigwaren, Öl, Fleisch- und Gemüsekonserven berichtet.

Dresden: Am 3.11.1956 gab es im Staatlichen und Genossenschaftlichen Handel in Dresden kein Mehl mehr. In einer Verkaufsstelle in Jonsdorf,6 [Kreis] Zittau, wurde an einem Tage so viel Mehl gekauft, wie sonst in einer Woche.

Potsdam: In Hennigsdorf, [Kreis] Oranienburg, werden ebenfalls Angsteinkäufe getätigt, »da jetzt alles nach Ungarn geschickt wird.« (Gerücht)

Feindtätigkeit

a) Verbreitung von Flugblättern

Karl-Marx-Stadt: Am 5.11.1956 wurden in der Friedrich-Engels-Straße in Karl-Marx-Stadt 122 handgeschriebene Hetzzettel abgelegt. Der Inhalt richtet sich gegen die Regierung der DDR und die Sowjetunion. Die Volksarmee wird als Angriffsarmee bezeichnet. Außerdem wird aufgefordert Flugblätter zu schreiben und Streiks zu organisieren.

Schwerin: Am 6.11.1956 wurde in Güstrow am Schlossberg in einem Garten ein Flugblatt in Postkartengröße aus weißem Schreibmaschinenpapier gefunden. Der Aufdruck erfolgte mit 1000-fach-Stempel. Inhalt richtet sich gegen Partei und Regierung. Fordert Zulassung demokratischer Parteien und Abzug der sowjetischen Truppen.

Potsdam: In Stahnsdorf fand ein Angehöriger der Intelligenz ein selbstgefertigtes Flugblatt im Briefkasten seiner Wohnung, 15 × 8 cm groß, mit Schreibmaschine geschrieben. Es enthält Aufforderung, dem Beispiel Polens zu folgen, mit der Bemerkungen: »Weitergeben.« Am 6.11.1956 wurden aus Richtung Wannsee zwölf Ballons gesichtet, die in Richtung Kleinmachnow trieben. Am 4.11.1956 wurden in Falkensee von unbekannten Personen 200 Flugblätter (Handabzug) von unbekannten Personen verbreitet. Text: »Tod den mordenden Sowjet-Banditen.« Am 6.11.1956 wurden ca. 50 Flugblätter der NTS7 (deutsch-russisch) vor dem Objekt der Freunde,8 vor dem Haus des sowjetischen Kommandanten und gegenüber der Dienststelle des MfS gefunden.

Halle: Am 6.11.1956 wurden auf dem Güterbahnhof Halle 14 Flugblätter gefunden: »Länger leben, langsamer arbeiten.« »Freiheitsrat«

Berlin: Am 27.10.1956 und am 5.11.1956 wurde in der S-Bahn von Mahlsdorf – Neuenhagen – Strausberg einzelne Hetzblätter (Extrablatt des »Telegraf«) im Gepäcknetz und unter den Sitzen gefunden. Vermutlich wird die S-Bahn als Beförderungsmittel für Hetzschriften benutzt.

Rostock: Am 3.11.1956 wurde in Ahlbeck, [Kreis] Wolgast, an die Anschlagtafel ein handgeschriebener Hetzzettel mit der Losung: »Mit uns die Volksarmee für Ungarn und Ägypten, Nieder mit den Verbrechern, Freiheit für die Patrioten« angebracht. Die gleiche Losung wurde vor der Bürgermeisterei auf dem Bürgersteig mit ca. 30 cm großen Buchstaben geschmiert.

b) Schmierereien

Karl-Marx-Stadt: Am 5.11.1956 wurden im »Martin Hoop«-Werk in Zwickau an zwei Stellen Hetzlosungen gegen die SU mit Kreide angeschrieben. Am Haus Hohensteiner Straße 78 in Karl-Marx-Stadt wurde eine Hetzlosung mit Kreide gegen die SU angeschmiert (Größe: 55 × 65 cm).

Potsdam: Am 5.11.1956 wurde an einer Hauswand in Brück, [Kreis] Belzig, ein eingekratztes Hakenkreuz festgestellt.

Dresden: Im Bezirk Dresden wurden in der Zeit vom 1.11. bis 5.11.1956 Hetzlosungen angeschmiert, die sich gegen Partei, Regierung und gegen die SU richteten. Desgleichen wurden Schmierereien dieser Art in den Bezirken Leipzig, Cottbus und Halle festgestellt.

c) Anonyme Anrufe und Briefe

Frankfurt/O.: Am 5.11.1956 erhielt der Leiter der BHG in Manschnow,9 [Kreis] Seelow, aus dem MTS-Bereich Golzow, [Kreis] Seelow, einen anonymen Anruf, »dass er sich binnen 24 Stunden in der Hardtenbergstraße10 melden soll. Andernfalls würden andere Massnahmen eingeleitet.«

Karl-Marx-Stadt: Am 6.11.1956 wurden in Reichenbach 36 Briefe an Bürger festgestellt, die dazu aufriefen, eine in Reichenbach stattfindende Ärzteversammlung zu boykottieren. Die Versammlung wurde aufgefordert, sich mit Ungarn solidarisch zu erklären. Jeder Versammlungsteilnehmer würde registriert.

Potsdam: Am 3.11.1956 erhielt ein VP-Angehöriger aus Brandenburg einen anonymen, handgeschriebenen Brief. Inhalt richtet sich gegen Walter Ulbricht und Otto Grotewohl und forderte freie Wahlen.

Berlin: Das Ministerium für Volksbildung in Berlin erhielt eine Karte folgenden Inhalts: »Wir stellen dem Ministerium die ultimative Forderung, bereits im 7. Schuljahr mit dem Englisch-Unterricht zu beginnen. Sollte dieser Forderung der Werktätigen nicht entsprochen werden, legen wir in den Betrieben die Arbeit nieder.« Abs.: Die Arbeiter des Kirow-Werkes in Leipzig (Karte ist am 2.11.1956 in Leipzig abgeschickt).

Anonyme Briefe

Am 31.10.1956 wurde an die politische Redaktion von Radio Warschau ein gleicher anonymer Brief gesandt, wie er dem VEB Chemie Karl-Marx-Stadt11 und dem Studentenrat der Humboldt-Universität, Berlin, zugestellt wurde (Information 307/56). Der Inhalt richtet sich gegen die Regierung der DDR und verlangt die Absetzung der Genossen Ulbricht, Wollweber12 und Benjamin.13 Weitere Forderungen sind:

  • MfS mit den untergeordneten Organen aufzulösen.

  • SPD wieder zulassen.

  • Neuwahl der Vorstände aller Parteien

  • Abhaltung freier, geheimer Wahlen mit getrennten Listen nach dem Landtagswahlrecht v. 20.10.1946.14

Die vorgenannten Forderungen sollen bis 11.11.1956 erfüllt werden, andernfalls würde am 12.11.1956 ein Generalstreik durchgeführt und die Arbeit erst wieder aufgenommen, wenn die Regierung zurückgetreten sei. Unterschrift: Zentraler Lenkungsausschuss zur Errichtung der Demokratie, Berlin W 1,15 30.10.1956, Haus der Ministerien/0937. In dem beiliegenden Schreiben wird von der pol. Redaktion des Radio Warschau verlangt, dass sie diesen Hetzbrief in den deutschsprachigen Sendungen veröffentlichen soll.

d) Besondere Vorkommnisse

Neubrandenburg: In der Nacht zum 6.11.1956 wurde bei der SED-Kreisleitung Anklam mit einem Stein ein Doppelfenster eingeworfen. Weiterer Schaden entstand nicht. In der Nacht zum 6.11.1956 wurde am Sowjetischen Ehrenmal in Burg Stargard der metallene Sowjetstern zusammengebogen.

Potsdam

  • In der Nacht zum 6.11.1956 wurden in Brandenburg sechs handgeschriebene Plakate angebracht. Größe ca. 40 × 60 cm, aus grünem Papier, rot beschriftet. Text war unterschiedlich: »Brandenburger legt die Arbeit nieder.« – »Kampf für die Freiheit.« – »Nieder mit den Kommunisten.« – »Der Freiheitsstab«.

  • Am 1.11.1956 verendeten bei einem Großbauern in Betzin, [Kreis] Neuruppin, nach der Abendfütterung fünf Kühe und ein Jungrind.

  • Am 3.11.1956 entfernte ein Lohnabrechner (SED) aus dem »Karl-Marx-Werk« Babelsberg,16 Halle 46, einige Bilder, u. a. von Stalin und Bebel,17 angeblich auf Drängen seiner Kollegen.

  • Am 5.11.1956 wurde ebenfalls in der Halle 46 ein Bild von Stalin abgenommen.

  • Am 6.11.1956 – gegen 19.00 Uhr – wurde in Werder, [Kreis] Potsdam[-Land], eine Person festgenommen, die Flugblätter in das Objekt der Freunde warf.

Magdeburg: Am 3.11.1956 ist auf dem Bahnhof Halberstadt ein Personenzug auf einen Güterzug aufgefahren. Dabei wurde die Lok, der Packwagen und Personenwagen leicht beschädigt und vier Zivilpersonen leicht verletzt. Ursache: Der Güterzug in Richtung Magdeburg wurde zu früh angenommen und das Einfahrtsignal für den Personenzug nicht zurückgenommen.

Leipzig: In der Nacht zum 4.11.1956 wurde bei dem Parteisekretär der LPG »Karl Liebknecht« in Großlehna,18 [Kreis] Leipzig[-Land], eine Fensterscheibe eingeworfen und die Drohung ausgesprochen: »Dir geht es noch so wie den Ungarn.« In der Nacht zum 5.11.1956 wurde am Ortseingang Dösen, [Ortsteil von] Leipzig, ein 2,5 m lange rund 50 cm starker Baumstamm über die Straße gelegt.

Studenten und Schüler

Frankfurt/O.: Der überwiegende Teil der Studenten des 5. Semester, 3. Studienjahr der Forstfakultät Eberswalde diskutiert, »dass in Ungarn keine Konterrevolution sondern ein Aufstand der Arbeiter und Bauern gewesen sei.« An der gleichen Fakultät lehnt die Kulturgruppe der Studenten ein gemeinsames Auftreten mit den Freunden am 7.11.1956 ab, »da diese in Ungarn mit Waffengewalt eingegriffen haben und somit die ›Freiheitsbestrebungen‹ des ungarischen Volkes unterdrücken!«

Dresden: Am 6.11.1956 führten ca. 35 Studenten im Saal für quantitative Analysen an der TH Dresden (7. Semester) von 12.00 bis 12.03 Uhr drei Minuten Gedenkzeit durch.

Halle: Am 6.11.1956 wurde vor Schulbeginn am Fahnenmast der Oberschule Bitterfeld eine große schwarze Fahne mit dem ungarischen Emblem angebracht.

Cottbus: In der 2. Oberschule Cottbus wollten die Schüler der 10. Klasse am 6.11.1956, 10.00 Uhr, zwei Schweigeminuten durchführen, was vom Klassenlehrer abgelehnt wurde. In dieser Klasse sind elf Schüler Mitglied der Jungen Gemeinde.

Berlin: Die Studenten der Humboldt-Universität erwarten bis zum 9.11.1956 eine Änderung des Studienplanes, andernfalls wollen sie selbst Änderungen durchführen. (Aussprache eines Studenten mit der Heimpädagogin des Studentenwohnheimes Biesdorf). Besonders stark traten Studenten auf, die Mitglieder der »Jungen Gemeinde« sind. Sie fordern Studenten auf, mit nach dem Westsektor zu kommen. Ebenso äußern sie, dass die Studenten im 1. Studienjahr – Biologie – zu feige sind, zu protestieren. (Geräusche usw.)

Am 6.11.1956 fand am pathologischen Institut der Humboldt-Universität eine Versammlung statt, an der 400 Studenten teilnahmen. Es sprach der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin. Kein Student sprach zur Diskussion. Als eine Resolution angenommen werden sollte, verließen die Studenten den Saal. Die Studenten der vet. mediz. Fakultät protestierten gegen die Ausweiskontrolle, da Westberliner Studenten an einer Vollversammlung der vet. mediz. und philosoph. Fakultät der Humboldt-Universität teilnehmen wollten.

Die Lage in Westberlin

Inoffiziell wurde bekannt, dass die Polizeiangehörigen der Westberliner Inspektionen in der letzten Zeit öfter als gewöhnlich Scharfschießübungen durchführten, wobei mit Pistole, Karabiner, Mpi und LMG geschossen wird. Am 6.11.1956 wurde inoffiziell bekannt, dass unter den Westberliner Lebensmittelhändlern gegenwärtig eine Panik-Stimmung herrschen soll. »Man rechnet mit einem neuen Weltkrieg, wenn die sowjetischen Truppen in Ägypten eingreifen«19 und tätigt aus diesem Grunde Angsteinkäufe.

Anlage 1 zur Information Nr. 313/56

Anhang: Die Lage beim Gegner

Inoffiziell wurde bekannt, dass der Amerikaner und alle Agentenorganisationen seit dem XX. Parteitag20 planmäßige Aktionen in allen Volksdemokratien vorbereitet, mit dem Ziel, angesichts der vermeintlichen »Schwäche« der Sowjetunion die Volksdemokratien in das westliche Lager zu führen oder zu neutralisieren. Man habe schon immer Agenten in diese Länder geschickt, habe aber den Aufruf aller Volksdemokratien zur Rückkehr von Emigranten und Republikflüchtigen ausgenutzt, um aus dem Westen Provokateure dorthin zu schicken.

In Ungarn hätte man vom ersten Tag des Aufstandes an ca. 25 000 bis 30 000 Emigranten eingeschleust. In der ungarischen Armee habe man von jeher Vertrauensleute in großem Umfange gehabt. Nur so sei es möglich gewesen, die Dinge schnell voranzutreiben. Über den Zusammenbruch sei der Ami besonders erbost, da das wenig in die Präsidentenschaftswahlen passt.21 Auch in die DDR seien in den letzten Monaten zahlreiche Elemente aus Westdeutschland eingeschleust worden. (Ehemalige Republikflüchtige und westdeutsche Bürger).

Angesichts der Lage in Ungarn hat man Angst, dass es in Berlin oder der DDR zu Unruhen kommen könnte. Trotzdem sollen ca. 2 000 Leute in Bereitschaft stehen, um in »Ostberlin« eingesetzt zu werden. Diese sollen im Besitz von DPA sein bzw. mit solchen ausgestattet werden. Einige wären in den letzten Tagen an der Humboldt-Universität eingesetzt worden. (Vor allem ehemalige Studenten der Humboldt- oder anderer Universitäten).

»Anlage« 2 zur Information Nr. 313/56

Betrifft: Stimmung zu den Ereignissen in Ungarn

Die Diskussionen über die Neubildung der Regierung in Ungarn, das vorgeschlagene Regierungsprogramm und die Zerschlagung der Konterrevolution tragen fast ausschließlich positiven Charakter. Vorwiegend wird von Mitgliedern der SED, parteilosen Arbeitern und Angestellten diskutiert. Aus der Landwirtschaft und den bürgerlichen Kreisen sind bisher noch wenig Diskussionen bekannt. Die Argumente sind überall gleich. Weit verbreitet ist die Meinung, dass es höchste Zeit wurde, dem Blutvergießen ein Ende zu bereiten. Das Eingreifen der Sowjetarmee wird begrüßt. In diesem Zusammenhang wird die Frage gestellt, warum die Sowjetarmee nicht schon früher eingegriffen hat und warum erst so viel kostbares Arbeiterblut fließen musste. Es wird eine strenge Bestrafung der faschistischen Elemente gefordert. Die positive Haltung unserer Werktätigen kommt vor allem auch in den Geldsammlungen zur Unterstützung Ungarns zum Ausdruck.

Häufig wird erklärt, dass der Westberliner Senat die Kundgebung statt für Ungarn lieber für Ägypten hätte durchführen sollen. Einige Beispiele:

  • »Mehrere Kumpel aus dem Steinkohlenwerk ›Martin Hoop‹, Werk III, Dresden, äußerten: ›Wir begrüssen, dass in Ungarn endlich klare Verhältnisse geschaffen wurden und das Blutbad ein Ende nimmt. Wir wären bereit, in internationalen Brigaden nach Ungarn zu fahren.‹«

  • Der Kaderleiter des VEB Elektromotorenwerkes Grünhain, Kreis Schwarzenberg, [Bezirk] Dresden,22 sagte: »Wenn ich etwas in Ungarn zu sagen hätte, würde ich neben einen gehängten Kommunisten zehn Konterrevolutionäre aufhängen.«

  • Ein Arbeiter aus der MTS-Werkstatt Krölpa, [Bezirk] Gera, erklärte: »Es ist gut, dass die Arbeiter über die Konterrevolutionäre gesiegt haben. Sie hätten sich schon früher auf ihre Kraft besinnen müssen.«

  • Ein Arbeiter des VEB Mechanische Weberei Zittau sagte: »Er kann nicht verstehen, dass die sowjetischen Truppen nicht eher eingegriffen haben, dann wäre es nicht zu solchem Gemetzel gekommen.«

Die negativen Diskussionen sind sehr gering im Verhältnis zu den positiven. Hier macht sich der Einfluss der Westsender wieder bemerkbar. Hauptsächlich wird gegen die Sowjet-Union gehetzt. Argumente sind:

  • Der Russe muss Ungarn halten, denn sonst verliert er auch die andern sogenannten demokratischen Staaten. Es gärt schon in allen Volksrepubliken.

  • Wenn die »Russen« auch mit Waffen vorgehen, so können sie doch nur vorübergehend ihre Macht wiederherstellen. Das Volk aber wird weiter unzufrieden sein und so etwas nie vergessen.

  • Die Russen und die Amerikaner haben sich beide nichts vorzuwerfen, denn beide sind Aggressoren.

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    7. November 1956
    Information Nr. 314/56 – Betrifft: Feindtätigkeit und schädliche Tendenzen auf dem Gebiet der Presse und der kulturellen Einrichtungen

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    6. November 1956
    Information Nr. 312/56 – [Lage in der DDR]