Ermittlungen zur Zeitschrift »Der dritte Weg«
21. Juni 1961
Einzel-Information Nr. 321/61 über das Renegatenzentrum »Der dritte Weg«
Aufgrund der vom MfS angestellten Ermittlungen und Überprüfungen konnte über das Renegatenzentrum »Der dritte Weg«,1 über seine Hintermänner, Finanzierung usw. eine Reihe von Einzelheiten in Erfahrung gebracht werden. Dieses Feindzentrum setzt sich aus Renegaten und Verrätern zusammen, die zeitweise wichtige Funktionen in der DDR bekleideten und jetzt versuchen, revisionistische Theorien in der DDR zu verbreiten und ihre Verbindungen in die DDR für die Zersetzungsarbeit und für Spionagezwecke ausnutzen. Diesen Zwecken dient vor allem die in die DDR eingeschleuste Hetzschrift »Der dritte Weg«2 (hergestellt in der Druckerei Oster & Seffen in Köln, Niederichstraße), mit der vor allem schwankende Elemente, besonders Intellektuelle, im feindlichen Sinne und unter Vortäuschung einer »Opposition in der SED« beeinflusst werden sollen.
Nach den bis jetzt vorliegenden Informationen gehört das »Bundesamt für Verfassungsschutz« zu den Auftraggebern und Hintermännern des feindlichen Zentrums. Eine bestimmte, allerdings noch nicht näher aufgeklärte Rolle spielt auch das sog. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. Zur Finanzierung der Hetzschrift tragen das »Bundesamt für Verfassungsschutz« und bestimmte reaktionäre Kreise im DGB bei. Über die Art und Weise der Einflussnahme des SPD-Ostbüros3 sind keine näheren Einzelheiten bekannt.
Zu den Mitgliedern des Zentrums und zugleich Mitarbeitern der Hetzschrift gehören Heinz Zöger, Heinz Lippmann, Rudolf Schröder, Gerhard Zwerenz, Dr. Joseph Schölmerich,4 Hermann Weber, Fritz Schenk und andere.
Im Einzelnen ist über diese Personen Folgendes bekannt:
Der für den Inhalt der Hetzschrift verantwortlich zeichnende Heinz Zöger gilt als der führende Kopf der Gruppe. Er wurde am 19.11.1915 in Leipzig geboren und wohnt in Kasbach über Linz/Rhein. Es handelt sich um den früheren Chefredakteur des »Sonntag«, der nach Verbüßung seiner 2½-jährigen Zuchthausstrafe (Harich-Anhänger) im September 1959 republikflüchtig wurde. Zöger erhielt unmittelbar nach seiner Republikflucht von bestimmten Gewerkschaftskreisen den Auftrag, die Wirksamkeit des »dritten Weges« auf die verschiedenen Personenkreise in der DDR zu analysieren.
Bei Heinz Lippmann (geboren am 24.10.1921 in Berlin, wohnhaft in Köln-Lindenthal, [Straße, Nr., Telefonnummer] handelt es sich um den früheren Sekretär des Zentralrates der FDJ, der mit einem größeren Geldbetrag republikflüchtig wurde. Lippmann, bekannt durch sein Auftreten als »Belastungszeuge« in Prozessen gegen Bürger der DDR und gegen fortschrittliche westdeutsche Bürger, ist Agent des Bonner Verfassungsschutzes. Er trat während der Vorbereitung der VII. Weltfestspiele in Wien besonders aktiv in Erscheinung. Er fungiert im Verräterzentrum faktisch als eine Art Geschäftsführer. Von ihm bzw. einer Sekretärin wird die Hetzschrift zusammengestellt, korrigiert sowie der Druck und später auch der Versand organisiert. Lippmann verwahrt alle die Hetzschrift betreffenden Unterlagen. Er selbst schreibt in der Hetzschrift unter dem Pseudonym »Bernhard Bergen« und »Peter Altenberg«.
Bei Rudolf Schröder (geboren 23.6.1911 in Köln, wohnhaft Schneidhain über Königstein/Taunus, [Straße, Nr.]) handelt es sich um einen ehemaligen Lehrer an der Kreuzschule in Dresden. Er wurde mit seiner Ehefrau im Herbst 1959 republikflüchtig. Unter der Adresse Rudolf Schröder, Köln-Deutz, Postschließfach 30, wird gegenwärtig die Hetzschrift »Der dritte Weg« herausgegeben. Schröder arbeitet ebenfalls an der Hetzschrift mit.
Dr. Joseph Schölmerich wurde am 19.8.1913 geboren und wohnt in Kasbach über Linz/Rhein. Sch. wurde nach der Entlassung aus dem Strafgefangenenlager Workuta republikflüchtig. Wie Lippmann, trat auch Sch. in der Zeit vor und während der Weltfestspiele in Wien aktiv auf und versuchte, unter Jugendlichen der sozialistischen Länder revisionistische Tendenzen zu verbreiten. Sch. war der geistige Urheber für einen Vorschlag, mit dem SPD-Ostbüro zu einem Übereinkommen zu gelangen. (Ergebnisse sind nicht bekannt)
Hermann Weber war Chefredakteur der Zeitung »Junges Deutschland« und schreibt in der Hetzschrift »Der dritte Weg« gegenwärtig unter dem Pseudonym »Alfred Nagel«. Er führt außerdem Vortragsreisen durch.
Fritz Schenk, ehemaliger persönlicher Referent des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission Bruno Leuschner, wohnte nach seiner Republikflucht in Königstein bei Frankfurt/M., ist aber 1960 verzogen. Die neue Anschrift ist nicht bekannt. Wie berichtet wurde, brachte Schenk aufgrund seiner letzten Funktion in der DDR »wertvolles« Material mit nach Westdeutschland.
An der Hetzschrift arbeitet u. a. auch Carola Stern unter dem Pseudonym »Angelika Kauffmann« mit. Manfred Hertwig, verurteilt im Harich-Prozess, war ebenfalls Mitarbeiter der Hetzschrift, arbeitet aber jetzt bei der »Neuen Gesellschaft«, einer »Bildungseinrichtung« der SPD in Hamburg.
Nach vorliegenden Informationen soll die Auflage der Hetzschrift rund 1 000 Exemplare betragen. Es kann zzt. noch nicht eingeschätzt werden, ob die erhobenen Forderungen nach einer Erhöhung der Auflage verwirklicht wurden. Soweit bekannt ist, sind bei der Auflage von 1 000 Exemplaren 800 Exemplare für den Versand bzw. für die Einschleusung in die DDR vorgesehen. Durch operative Maßnahmen konnten davon im Durchschnitt etwa 300 bis 350 Exemplare je Ausgabe sichergestellt werden.
Die ersten Nummern der Hetzschrift (1959) wurden nur auf dem Postweg mit dem Absender Bernhard Bergen, Koblenz, in die DDR verschickt. Kurze Zeit später wurden verschiedene Organisationen als Absender angegeben und die Kuverts fast ausschließlich im Demokratischen Berlin in die Briefkästen geworfen. Neuerdings wurde bekannt, dass auch in Österreich für Empfänger in der DDR bestimmte Hetzschriften aufgegeben werden. In der letzten Zeit erfolgte eine stärkere Orientierung auf die Herstellung von Kurierverbindungen, um eine »bessere Verbreitung« der Hetzschrift in der DDR zu gewährleisten. Die Kuriere sollen gleichzeitig für Spionagezwecke ausgenutzt werden. Außerdem sei vorgesehen, in Westberlin »Stützpunkte« zu schaffen und von dort aus die feindliche Tätigkeit gegen die DDR zu organisieren. In verschiedenen Fällen wurden Empfänger der Hetzschrift zu Treffs nach Westberlin bestellt.
Bei dem Personenkreis in der DDR, der mit der Hetzschrift beliefert werden soll, handelt es sich in erster Linie um Rückverbindungen der Renegaten sowie um Personen, die den Renegaten aus ihrer Tätigkeit in der DDR bekannt sind. Dabei handelt es sich vorwiegend um Funktionäre der Partei und des Staatsapparates sowie um Intellektuelle und Lehrer.
Aus Gründen der Sicherheit der Quellen können die Angaben über die Auflagenhöhe und über die Sicherstellung von Hetzschriften, über die vorgesehene Einrichtung von »Stützpunkten« in Westberlin, über das Pseudonym von Weber sowie die Tatsache, dass Fritz Schenk zu den Mitarbeitern gehört, publizistisch nicht ausgewertet werden.