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Meuterei auf einem Küstenschutzboot der DGP

25. August 1961
Einzel-Information Nr. 481/61 über Meuterei auf dem Küstenschutzboot G-423

Am 24.8.1961 brach gegen 17.45 Uhr auf dem auf Patrouille vor Anker liegenden Küstenschutzboot G-423 der 17. Grenzbereitschaft der 6. Brigade der Deutschen Grenzpolizei, Bootsgruppe Rostock, eine Meuterei aus. Von den Meuterern wurde die Besatzung gezwungen, den westdeutschen Hafen Travemünde anzulaufen, wo die Meuterer von Bord gingen. Der Bootsbesatzung gelang es, das Boot wieder nach Wismar zu bringen.1

Im Einzelnen nahm die Angelegenheit folgenden Verlauf:

G-423 lag am 24.8. ab 10.00 Uhr auf der Höhe von Brook (Lübecker Bucht) mit der Aufgabe des Schutzes der Seewege der DDR vor Anker. Die Besatzung bestand aus zwölf Mann unter Kommandant Obermstr. [Name 1], der den in Urlaub befindlichen Bootskommandanten vertrat.

Gegen 17.45 Uhr versammelte sich die Mannschaft im Achterdeck zum Abendessen. Auf Wache befand sich am Oberdeck nur der Obermatrose [Name 2]. Im Maschinenraum befand sich der Maschinist Obermatrose [Name 3]. Nach Beginn des Abendessens löste der Obermatrose [Name 4] den Obermatrosen [Name 2] auf Wache ab. Kurz darauf begaben sich Obermatrose [Name 5] und Obermatrose [Name 6] kurz nacheinander ebenfalls an Deck.

Wiederum kurz darauf erschien am Niedergang zum Achterdeck der Obermatrose [Name 6] mit vorgehaltener MPi, gab einen Warnschuss in den Fußboden ab und erklärte sinngemäß, dass es sich bei dem Boot nunmehr um ein westdeutsches Fahrzeug handle und dass er gegen jeden, der sich dem widersetzen wolle, von der Waffe Gebrauch machen werde. Er gab bekannt, dass das Boot Kurs auf Travemünde nehmen werde.

Alle noch im Achterdeck befindlichen Angehörigen der Mannschaft waren unbewaffnet. Nach den vorliegenden Berichten glaubten sie anfangs nicht an den Ernst der Situation. Das änderte sich, als der Obermatrose [Name 7] einen Schritt auf [Name 6] zu machte, worauf [Name 6] drei Schuss aus seiner MPi abgab und mit einem Schuss [Name 7] leicht am linken Fuß verletzte. Die Besatzungsangehörigen im Achterdeck protestierten, ließen sich jedoch von [Name 6] in Schach halten.

[Name 6] wurde darauf von [Name 4] abgelöst, der sich ebenfalls mit einer MPi im Achterdeck postierte. [Name 6] begab sich in den Maschinenraum, wo er den Maschinisten [Name 3] mit der Waffe zwang, die Fahrt in Richtung Travemünde aufzunehmen. Zeitweilig bediente [Name 6] dabei selbst eine der beiden Maschinen des Bootes. Der Meuterer [Name 5] übernahm dabei offensichtlich an Deck die Führung des Schiffes.

Das Boot fuhr unbehelligt in den Hafen von Travemünde ein und legte mithilfe von Zivilisten dort an. Unter Mitnahme einer Pistole gingen die drei Meuterer über eine westdeutsche Schute, die neben dem Boot lag, von Bord.

Die im Achterdeck verbliebenen Mannschaftsangehörigen kamen an Deck. Der Kommandant gab sofort Befehl zum Losmachen und Wenden. Mit voller Kraft lief das Boot unbehelligt aus dem Hafen von Travemünde aus. Beim Auslaufen wurde die Ankunft von drei Kraftwagen im Hafengelände beobachtet. Der Obermatrose [Name 8] ergriff eine von den Meuterern zurückgelassene MPi und legte auf die Meuterer an. Die Waffe war jedoch durch Ladehemmung blockiert. Der Kommandant gab Befehl, keine weiteren Aktionen gegen die zurückgebliebenen Meuterer zu unternehmen. Da sich das Boot noch in westdeutschen Hoheitsgewässern befand, wurden alle Funkunterlagen vernichtet.

Der Aufenthalt des Bootes in Travemünde dauerte ungefähr 5 min. Um 19.12 Uhr meldete das Boot die Meuterei durch Funkspruch. Um 19.30 Uhr meldete es, dass Wismar angelaufen werde. Um 19.45 Uhr wurde nach Funkspruch die Einlaufgenehmigung für Wismar erteilt. Um 21.30 Uhr legte das Boot in Wismar an.

Erst gegen 20.15 Uhr meldete eine Küstenbeobachtungsstation der Volksmarine an der Staatsgrenze West, dass das Boot G-423 Kurs auf Travemünde genommen und vor Travemünde Flaggenwechsel durchgeführt habe. Nach den vorliegenden Berichten stand das Boot ständig unter der Beobachtung der Station.

Die gesamte Bootsbesatzung wurde in Wismar sofort zum Standort der 6. Grenzbrigade gebracht. Untersuchungsmaßnahmen sind eingeleitet.

Kurze Charakterisierung der Meuterer:

Obermatrose [Name 6], geboren [Tag, Monat] 1941 in Leipzig, wohnhaft Leipzig-West, Jugendwohnheim, Dienststellung Koch. Fachlich gut, jedoch politisch uninteressiert; nicht Mitglied der FDJ; öfter durch flegelhaftes Verhalten gegenüber den Vorgesetzten aufgefallen; Freundin an der DHfK in Leipzig, die ihm telegrafisch mitteilte, dass sie vorzeitig entbunden habe.

Obermatrose [Name 4], geboren [Tag, Monat] 1940 in Danzig, wohnhaft Wismar, Spiegelberg 27, Dienststellung Rudergänger; fachlich gut; sonst nicht weiter hervorgetreten.

Matrose [Name 5], geboren [Tag, Monat] 1943 in Dubí, wohnhaft Kargow, Kreis Waren, Dienststellung Artillerie-Gast; guter Waffentechniker; sonst nicht weiter hervorgetreten; leicht beeinflussbar.

Offensichtlich kann [Name 6] als der Rädelsführer bezeichnet werden. Es wurde beobachtet, dass er sich an Land in Travemünde als der Anführer der Meuterer ausgab.

Der Matrose [Name 5] befand sich erst 3 Monate an Bord des Schiffes. Trotzdem verwaltete er den Schlüssel zur Waffenkammer.

Auch der Kommandant war zum Zeitpunkt der Meuterei unbewaffnet. Es wird gemeldet, dass es keine klaren Anweisungen darüber geben soll, ob der Kommandant ständig eine Waffe bei sich zu tragen hat.

Es handelt sich bei G-423 um ein Boot älteren Typs, das schon mehrmals generalüberholt wurde.

Bei diesen Angaben handelt es sich um die Ergebnisse der bisherigen ersten Untersuchungen.

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    25. August 1961
    [Bericht] Nr. 486/61 über die Situation aufgrund der Schutzmaßnahmen der DDR

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    25. August 1961
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