Vorkommnisse an der Staatsgrenze West
1. November 1961
Bericht Nr. 679/61 über [Vorkommnisse an der Staatsgrenze West]
Die dem amerikanischen Monopolkapitalismus und seinen aggressiven Verbündeten bereits mehrfach und unwiderlegbar nachgewiesenen Bestrebungen, einen heißen Krieg gegen die Staaten des sozialistischen Lagers vom Zaune zu brechen, sind abermals in eindeutiger Weise bestätigt worden.
Der amerikanische Experte für psychologische Kriegsführung und Militärberater Kennedys, Edmund Taylor1, weist dabei – ganz offensichtlich unter dem Eindruck der politisch-moralischen Einheit und der militärischen Stärke des sozialistischen Lagers – offen darauf hin, dass das Hauptmittel die politische und psychologische Kriegsführung sein müsse.
Taylor hat dazu einen detaillierten Plan über die derzeitigen Aufgaben, Maßnahmen und Methoden der psychologischen Kriegsführung ausgearbeitet.
Danach sollen unter Einbeziehung der in den aggressiven Kriegspakten zusammengeschlossenen Kräfte, besonders der westdeutschen Ultras, alle für psychologische Kriegsführung geeignete Faktoren ausgenutzt und eine Untergrundbewegung geschaffen, die Öffnung der Staatsgrenze um Westberlin erzwungen und konterrevolutionäre Putsche in den sozialistischen Ländern, besonders in der DDR, organisiert werden.
Wie Taylor wörtlich erklärte, solle im Ergebnis dieser feindlichen Handlungen eine Situation geschaffen werden, die als »… einzig annehmbare Alternative zu dem Beginn eines Krieges durch uns (die USA) selbst …« führen muss.
Diese Pläne und die im Einzelnen vorgesehenen Maßnahmen und Methoden stellen eine krasse Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder und eine grobe Missachtung aller völkerrechtlichen Normen dar.
Im Besonderen sollen Provokationen an den Grenzen, speziell an der Staatsgrenze der DDR um Westberlin, Zerstörungen der Grenzsicherungsanlagen, Zersetzung der Sicherungskräfte, Organisierung von Einzel- und Massenfluchten, Sabotage- und Diversionshandlungen, Streiks und eine verstärkte Ausnutzung der westlichen Rundfunkstationen und andere Beeinflussungsmittel für diese feindlichen Handlungen organisiert werden.
Durch die Untersuchungen des MfS wird nachgewiesen, dass diese Pläne und Methoden bereits in starkem Maße und in organisierter Form von Westberlin aus praktiziert werden.
Neben den westlichen Besatzungsmächten, vor allem den amerikanischen und englischen, treten dabei besonders die Westberliner Stupo und Bereitschaftspolizei und in großem Umfange von ihnen sowie von den Senatsdienststellen, Agentenzentralen und durch Presse und Rundfunk aufgeputschte und verhetzte Westberliner Bürger auf.
Zum überwiegenden Teil handelt es sich um Jugendliche und Rowdys, die meist in organisierten Gruppen Provokationen verüben.
Allein in der Zeit vom 13. August bis 20. Oktober 1961 inszenierten diese genannten Personenkreise nahezu 600 provokatorische Handlungen verschiedensten Charakters nur von Westberlin aus. (Auf die ebenfalls sehr zahlreichen provokatorischen Akte an der Staatsgrenze West der DDR soll in diesem Bericht nicht eingegangen werden.)
Eine der Hauptmethoden dieser Provokation stellen die besonders schwerwiegenden gegen das Leben und die Sicherheit der Sicherungskräfte gerichteten und auch bereits mehrere Verletzte fordernden Anschläge mit Schusswaffen und verschiedenen Explosionskörpern, mit Steinen und anderen Wurfgeschossen dar. Hinzu kommen eine Vielzahl von Drohungen mit Schusswaffen, die oft mit provokatorischen Grenzverletzungen verbunden sind und die eindeutig auf das Hervorrufen von bewaffneten Grenzzwischenfällen hinzielen.
Insgesamt erfolgten über 250 Grenzprovokationen mit diesen vorgenannten Methoden, wobei die Provokateure in 53 Fällen von der Schusswaffe Gebrauch machten und dabei meist (über ⅔ aller Fälle) deutsche Waffen wie MPi, Karabiner, Pistolen, Gaspistolen und KK-Waffen benutzten.
Am 4.10.1961, gegen 20.20 Uhr z. B. eröffnete die Stupo in der Bernauer Straße das Feuer auf die Posten der DDR, als diese versuchten, den tätlichen Widerstand des Grenzverletzers Bernd Lünser bei seiner Festnahme auf dem Dach des Grenzhauses Bernauer Straße 43 zu brechen.2 Durch ca. zehn gezielte Schüsse der Stupo wurde dabei der Volkspolizeiwachtmeister Peter schwer verletzt und nur durch das auf dem Dach angebrachte Schutzgitter vor einem Sturz auf die Straße und damit vor dem sicheren Tod bewahrt.3 Der organisierte Charakter dieser Provokation wird daraus ersichtlich, dass ca. 50 bis 60 uniformierte Stummpolizisten4 und Feuerwehrleute auf Westberliner Gebiet anwesend waren, die den Grenzverletzer fortwährend aufhetzten, in ein ausgebreitetes Sprungtuch der Feuerwehr zu springen. Da Peter aufgrund seiner Verwundung den Grenzverletzer nicht mehr daran hindern konnte, sprang dieser vom Dach, verfehlte jedoch das Sprungtuch der Westberliner Feuerwehr und blieb tot auf der Straße liegen. An der Aufforderung zu springen, beteiligten sich gleichzeitig ca. 500 aufgeputschte Westberliner Zivilisten, die außerdem gegen die Posten hetzten.
Am 14.8.1961, gegen 20.30 Uhr wurden vom Westberliner Eternit-Werk am KP Rudower Chaussee drei MPi-Feuerstöße auf das Gebiet des demokratischen Berlin abgegeben.
Am 1.9.1961, gegen 10.50 Uhr bedrohte eine Westberliner Zivilperson in der Lindenstraße in Anwesenheit der Stupo unseren Posten mit einer Pistole und gab anschließend einen Schuss auf ihn ab, ohne dass die Stupo eingriff. Von der Späthbrücke aus wurden am gleichen Tage um 21.33 Uhr unsere Posten mit KK-Gewehr beschossen.
Angehörige der Westberliner Bereitschaftspolizei schossen am 14.10., gegen 0.30 Uhr an der Gleimbrücke mit einer KK-Pistole auf das Gebiet des demokratischen Berlin und zerstörten dabei zwei Ampeln der Straßenbeleuchtung.
Ein Angehöriger der Westberliner Bereitschaftspolizei beschoss am 22.9., gegen 13.30 Uhr unsere Posten in der Bernauer Straße 7/8 mit einer Gaspistole, als unsere Grenzposten den Grenzdurchbruch einer Frau zu verhindern versuchten. Ein Projektil schlug dabei in eine Wohnung im Haus Bernauer Straße 8 ein und setzte sie in Brand.
Am 19.9., gegen 20.20 Uhr beschossen in der Britzer Allee drei Westberliner Jugendliche unter Aufsicht der Stupo unsere Posten mit sechs Schuss aus KK-Gewehr und bewarfen sie anschließend mit Steinen.
Am gleichen Tage, gegen 23.30 Uhr wurden unsere Posten in der Reinhardtstraße durch zahlreiche Pistolenschüsse beschossen, von [denen] ca. sechs bis sieben Schuss in die Grenzmauer einschlugen und Wm. [Name 1] durch abspringendes Gestein am Gesicht verletzt wurde. Verletzungen erlitten ferner Uwm. [Name 2] am 24.8. (Wilhelmsruher Damm) durch Beschuss mit KK-Gewehr seitens provozierender Westberliner Jugendlicher, Wm. [Name 3] (KP Provinzstraße/Wilhelm-Külz-Straße) am 1.10. durch KK-Beschuss, VP-Mstr. [Name 4] während einer Kontrollfahrt mit einem H3A am 23.9., gegen 23.40 Uhr in der Nähe des KP Karpfenteichstraße und in zahlreichen anderen Fällen.
Außerdem wurden in einer Vielzahl von Fällen die Sicherungsposten der DDR mit Luftgewehren beschossen, wobei für die Organisiertheit auch dieser provokatorischen Handlungen typisch ist, dass sie meist mit Zusammenrottungen größerer Gruppen im Zusammenhang stehen und oft unter Absicherung und Duldung seitens der Stupo erfolgten.
Das Gleiche trifft auch für eine weitere Hauptmethode der Grenzprovokationen, für das Bewerfen unserer Posten mit Steinen und Ziegelsteinen, für das Beschießen mittels Katapulten, gleichfalls unter Verwendung von Steinen, aber auch von verschiedenen metallischen Gegenständen wie Krampen u. Ä. zu.
Auch bei diesen in über 150 Fällen nachweisbaren Provokationen kam es zu zahlreichen Verletzungen von Sicherungskräften und zu Zerstörungen von Grenzsicherungseinrichtungen wie Beleuchtungsanlagen, Fenster u. a.
Am 24.9. wurden gegen 20.00 Uhr die Posten am KP Karpfenteichstraße und Dammweg von ca. 20 Westberliner Jugendlichen mit Luftgewehren beschossen und mit Steinen beworfen. Ein Posten wurde dadurch verletzt und musste ambulant behandelt werden.
Ebenfalls mit Luftgewehr und Steinen beschossen wurden die Posten in der Britzer Allee am 27.9. gegen 20.00 Uhr.
Allein am 26.9. wurden unsere Posten in drei Fällen (gegen 0.50 Uhr Stubenrauchstr., gegen 20.15 Uhr Wilhelmstraße und 21.10 Uhr Dammweg) durch zahlreiche Schüsse aus Luftgewehren gefährdet.
Aus einer Ansammlung von ca. 150 Westberliner Jugendlichen heraus wurden am 7.10., gegen 22.30 Uhr am KP Chausseestr. unsere Posten mittels Luftgewehr und Katapulten beschossen.
Am 16.10., gegen 4.20 Uhr schossen Stupos in der Gleimstraße mit Luftgewehr in das demokratische Berlin und zerstörten dadurch mehrere Straßenlampen.
Allein am 2. und 3.10.1961 wurden in neun Fällen Sicherungsposten durch Steine und andere Gegenstände beworfen:
Am 2.10., 15.00 Uhr, in der Kopenhagenerstr. und gegen 15.10 Uhr in der Kiefholzstraße bewarfen je 15 Westberliner Personen unsere Posten mit Flaschen.
Gegen 21.30 Uhr versuchten in der Nähe der Radarstation Rudow ca. 20 Jugendliche die Grenzsicherungsanlagen zu zerstören und bewarfen die Posten mit Steinen.
Mit Katapulten beschossen gegen 23.30 Uhr ca. 30 Westberliner Jugendliche die Posten und Beleuchtungseinrichtungen am KP Alexandrinenstraße und zertrümmerten einen Scheinwerfer.
Angehörige der Stupo bewarfen gegen 23.55 Uhr unweit der Bernauer/Ecke Eberswalder Straße unsere Posten mit Steinen und versuchten Grenzsicherungsanlagen zu zerstören.
Am 3.10. um 15.20 Uhr bewarfen am Hornkleepfad ca. 30 Jugendliche unsere Posten mit Steinen und zerstörten die Grenzsicherungsanlagen. Diese Provokationen werden aus einem US-Hubschrauber heraus gefilmt.
Um 15.50 Uhr wurden an der Wilhelmstraße die Posten aus einer Ansammlung von ca. 70 Personen heraus mit Steinen beworfen.
Gegen 18.45 Uhr provozierten 20 Westberliner Jugendliche die Posten an der Alexandrinenstraße, versuchten den Draht zu durchschneiden und bewarfen die Posten mit Steinen.
Ebenfalls um 18.45 Uhr bewarfen am Dankmarsteig ca. 40 bis 50 Jugendliche, die gegen 18.00 Uhr durch vier Stupo, einen Zöllner und einen Zivilisten eingewiesen worden waren, die Posten mit Steinen.
Am 10.9., 19.10 Uhr, wurden aus einer sich am KP Gartenstraße zusammenrottenden Ansammlung von ca. 200 Personen unsere Posten mit Steinen beworfen.
Um 22.10 Uhr des gleichen Tages bewarfen ca. 30 Jugendliche von der Wildenbruchstraße aus die Posten mit Ziegelsteinen und an der Ruppiner Straße wurden unsere Posten am 5.10., 20.10 Uhr, mit einer Eisenstange beworfen.
Ca. zehn Westberliner Jugendliche drückten am 28.9., 19.00 Uhr, an der Rudower Straße sechs Pfähle der Grenzsicherung ein und bewarfen die Posten bei ihrem Auftauchen mit Steinen.
Die Organisiertheit auch dieser Provokationen wird besonders durch eine Reihe weiterer Beispiele deutlich, wo Angehörige der Stupo und andere Kräfte nicht nur diese Provokationen dulden, sondern dazu auffordern und sich selbst beteiligen:
So wurden am 18.9., gegen 20.30 Uhr 40 Jugendliche an der Bernauer Straße von Angehörigen der Stupo aufgehetzt, Steine nach unseren Posten zu werfen, was sie auch ausführten.
Angehörige der Westberliner Bereitschaftspolizei forderten am 24.8. um 15.50 Uhr gegenüber dem 9. Kompaniebereich (14. GB) sogar Kinder von 12 bis 14 Jahren auf, die zu Grenzarbeiten eingesetzten Luftschutzangehörigen mit Steinen zu bewerfen, was die Kinder dann auch durchführten.
Am 31.8., gegen 21.40 Uhr bewarfen am Potsdamer Platz (Stresemannstraße) zehn Westberliner Jugendliche die Posten mit Steinen. Anweisungen dazu erhielten sie aus einem Fahrzeug Opel-Kapitän [Kennzeichen].
Vom Turm der am Bethaniendamm auf Westberliner Gebiet stehenden Kirche wurden unsere Posten am 25.9., 18.50 Uhr, mit Steinen beworfen. Die Stupo unterhielt an dieser Stelle eine B-Station.
In vielen Fällen kam es auch bei diesen Provokationen zu Verletzungen von Angehörigen der Sicherungskräfte, u. a., um nur einige anzuführen, am
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29.8., 10.00 Uhr, KP Kieler-Straße,
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1.9., 20.00 Uhr, KP Chausseestraße,
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21.9., 2.00 Uhr, KP Elsenstraße,
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29.9., 18.00 Uhr, KP Arkonastraße,
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5.10., 20.10 Uhr, KP Ruppiner Straße.
Weitere provokatorische Handlungen stellt das Werfen verschiedener Explosionskörper dar.
Am 7.10. legten im Bereich Altglienicke gegen 20.45 Uhr Westberliner Jugendliche Brände auf dem Territorium der DDR durch Werfen mehrerer Brandsätze, und am 26.9., gegen 20.15 Uhr wurde versucht, den zwischen Kopenhagener-/Klemkestraße eingesetzten Bagger von Westberliner Gebiet aus durch Werfen von zwei Brandflaschen außer Betrieb zu setzen.
In der Nähe des KP Hornkleepfad/Altglienicke warfen am 1.10., gegen 17.15 Uhr 10 bis 15 Westberliner Jugendliche eine selbst angefertigte Brandfackel auf das Gebiet der DDR und sicherten den Brandherd mit Steinwürfen ab, um ein Löschen zu verhindern.
Verschiedenartige Sprengstoffkörper wurden am 14.8., gegen 22.35 Uhr am KP Elsenstraße, am 19.8., 20.55 Uhr, am KP Stubenrauchstr., am 26.9., 15.05 Uhr, zwischen Jacob- und Alexandrinenstr. und am 28.9., gegen 23.10 Uhr in der Puschkinallee von Westberliner Gebiet aus geworfen.
Von zwei englischen Soldaten wurde am 16.9., gegen 12.15 Uhr am Potsdamer Platz ein mit Tränengas gefüllter Plastikbehälter geworfen, und von Insassen eines Funkstreifenwagens der Stupo wurde am KP Chausseestraße am 28.8., gegen 20.30 Uhr ein als Zigarettenschachtel getarnter Explosivkörper geworfen.
Außerdem wurden in mehreren Fällen Tränengaskörper gegen unsere Posten angewandt.
Aus einem mit drei Mann besetzten Jeep der US-Armee wurden am 5.9.1961 gegen 0.55 Uhr an der Heidelberger/Ecke Sützhaynerstr. (Treptow) und aus dem gleichen Fahrzeug gegen 1.00 Uhr an der Heidelberger/Ecke Treptower Straße je zwei Tränengaskörper geworfen.
Eine auf die weitere Forcierung der provokatorischen Tätigkeit, besonders der bisher angeführten provokatorischen Handlungen gerichtete Methode sind die fast täglich in den Westberliner Zeitungen erscheinenden Verherrlichungen von Provokationen.
Die Provokateure werden dabei zu Helden gestempelt und die feindlichen Handlungen der Stupo und der Besatzer gerechtfertigt. Durch ausführliche Schilderungen und Illustrationen der angewandten Methoden werden dabei die für weitere, noch umfangreichere Provokationen gewünschte Atmosphäre geschaffen und Anleitungen zur Durchführung von Provokationen gegeben.
Z. B. verherrlichte die »BZ« vom 23.9. auf mehreren Seiten und durch Bilder dokumentiert die Anwendung und Bedrohung der Grenzsicherungskräfte mit Schusswaffen und Tränengas durch die Stupo am 22.9. in der Bernauer Straße.5
In den Ausgaben der »Nachtdepesche«, der »BZ« und der »Bildzeitung« vom 5.10. wird voller Genugtuung ausführlich auf den Mordanschlag gegen den Wm. Peter am 4.10. hingewiesen.6
In der »BZ« vom 6.9., um noch einige dieser Beispiele anzuführen, wird das provokatorische Vorgehen amerikanischer Besatzer mit Tränengasbomben gegen die Sicherungskräfte begrüßt.7 In der »BZ« vom 15.8. und 28.8. und in der »Bildzeitung« vom 27.9. wird das Bewerfen der Sicherungskräfte mit Steinen und das Beschießen mit Katapulten8 und in der »BZ« vom 27.9. die Bedrohung mit Waffen durch die Stupo verherrlicht.9
Neben der aufputschenden und organisierenden Rolle sind viele dieser Veröffentlichungen jedoch gleichzeitig das Eingeständnis und der mit eindeutigen Fotoaufnahmen angetretene Beweis für die Vielzahl der angeführten Provokationen gegen die DDR, ihren organisierten Charakter und der Rolle Westberlins als Provokationszentrum der Bonner Ultras.
Ebenfalls als Schwerpunkt sind die ernsthaften und besonders von amerikanischen Besatzern (75 % aller bekanntgewordenen Fälle) zahlreich angewandten Bedrohungen unserer Posten mit Waffen anzusehen. In den meisten Fällen sind diese Bedrohungen mit Beschimpfungen und provokatorischen Grenzverletzungen verbunden.
Am 2.9.1961, um 15.30 Uhr gingen im Abschnitt der 5. Kompanie der 13. GB gegenüber Groß-Ziethen zwei amerikanische Armee-Angehörige in Stellung und richteten ihre Waffen auf unsere Kontrollstreife. Angehörige der amerikanischen MP zielten am 4.9.1961, gegen 14.10 Uhr mit MPi und Karabiner an der Heinrich-Heine-Straße auf unsere Posten. Am 14.9., gegen 16.15 Uhr fuhr ein amerikanischer Jeep am KP Stubenrauchstraße/Johannisthal, hielt vor der Grenze, und die Insassen zielten mit MG auf unsere Posten.
Nachdem bereits mehrere Male unsere Posten von der Enklave Steinstücken aus von amerikanischen Besatzern mit MPi bedroht wurden, u. a. am 27.9., 18.00 Uhr, und am 8.10., 10.00 Uhr, kam es z. B. am 9.10. zu folgenden ganz offen systematisch begangenen Provokationen:
Gegen 9.20 Uhr wurde die Kontrollstreife (Uffz. [Name 5] und Soldat [Name 6]) durch einen Sergeanten der drei ständigen US-Besatzer in der Enklave Steinstücken mit hetzerischen und beleidigenden Äußerungen provoziert. Weil sich unsere Kontrollstreife jedoch nicht provozieren ließ, erschienen kurze Zeit später gegen 10.00 Uhr alle drei amerikanischen Besatzungskräfte der Enklave unmittelbar an der Drahtsperre und versuchten, sie durch Stockschläge zu beschädigen. Einer der amerikanischen Besatzer überkletterte einen Teil der Sicherungsanlage und begab sich 3 m auf das Territorium der DDR, während ein anderer zum gleichen Zeitpunkt seine MPi durchlud und sie auf die 7 m entfernt stehende Kontrollstreife (Gefr. [Name 7] und Gefr. [Name 8]) richtete. Außerdem begleiteten sie ihre Provokationen mit hetzerischen Äußerungen und Spucken. Die gleiche Provokation wiederholten sie unmittelbar danach an einer anderen Stelle gegenüber der Kontrollstreife [Name 9] und Uwm. [Name 10], wobei ein amerikanischer Besatzer 5 m das Gebiet der DDR betrat.
Anschließend gegen 11.00 Uhr provozierte der US-Sergeant abermals die an der Steinstraße/Ecke Rote-Kreuz-Straße zu Grenzarbeiten eingesetzten Feldwebel [Name 11] und Gefr. [Name 12] durch hetzerische Äußerungen und Spucken.
Als ähnliche Methode zur Heraufbeschwörung von Zwischenfällen werden sog. Scheinangriffe angewandt. In den Abendstunden des 25.8. wurden am KPP Heinrich-Heine-Straße dreimal von amerikanischen Besatzern solche Scheinangriffe gegen unsere Posten vorgetragen. Dabei bedrohten sie, in Zugstärke vorgehend, die Posten mit aufgepflanztem Bajonett. Ähnliche Scheinangriffe wurden auch an anderen KPP durchgeführt, u. a. am KPP Invalidenstraße durch englische Besatzer.
Aus der Vielzahl weiterer, vor allem von amerikanischen Armeeangehörigen und Stupo begangener provokatorischer Grenzverletzungen sollen nur einige typische angeführt werden.
Am 31.8. verletzten an der Straße Heiligensee/Hennigsdorf zwei mit Karabinern und Pistolen bewaffnete Stupos mehrere Meter das Territorium der DDR und führten in provozierender Form Beobachtungen durch.
Am 2.9. überfuhr am KPP Invalidenstraße ein englischer SPW um ca. 8 m die Grenze und verließ erst aufgrund nachdrücklicher Aufforderungen durch unsere Posten das Gebiet des demokratischen Berlins.
Am GKA Heerstraße verletzte am 10.9., 20.45 Uhr, ein Jeep der englischen MP die Grenze, wobei ein englischer Soldat einen Schuss aus seiner MPi in Richtung DDR abgab.
Im Gebiet der 14. Kompanie (Drewitz-Autobahn) rotteten sich am 24.9., 18.20 Uhr, auf Westberliner Seite 15 Jugendliche zusammen, von denen fünf in provokatorischer Haltung die Grenzsperre um 10 m überschritten.
Während einer Ansammlung von ca. 60 Zivilpersonen am 1.10., 16.45 Uhr, am KP Staaken fuhr eine männliche Person mit den Fahrrad auf das Gebiet der DDR und versuchte durch provokatorische Äußerungen unsere Sicherungskräfte zu unüberlegten Handlungen hinzureißen und die Westberliner Zivilpersonen aufzuputschen.
Am 3.10. betrat ein Stupo am KP Katharinenstraße in offen provokatorischer Absicht 25 m das demokratische Berlin.
Absoluter Schwerpunkt der provokatorischen Grenzverletzungen ist jedoch der KP Friedrichstraße, wo fast täglich mehrmals in provokatorischer Absicht besonders Angehörige der US-Armee, bewaffnet und teils mit Fahrzeugen die Grenze verletzen.
Am 4.9., zwischen 7.00 und 17.00 Uhr erfolgen 33 solcher Grenzverletzungen durch amerikanische Soldaten. In mehreren Fällen legten dabei US-Soldaten ihre Waffen auf die Posten der DDR an oder bedrohten sie mit der Faust.
Allein in der Zeit von 7.15 bis 8.05 Uhr wurden vier derartige Provokationen durchgeführt – um 7.15 [Uhr] durch zwei mit MPi bewaffnete amerikanische Soldaten, kurz darauf durch einen Stupo-Helfer, um 7.20 [Uhr] abermals durch zwei amerikanische Armeeangehörige und um 8.05 [Uhr] durch zwei Fahrzeuge der amerikanischen Militärpolizei.
Auch diese massierten Handlungen beweisen, dass es sich nicht um Pflichtverletzungen einzelner Soldaten der US-Armee, sondern um gesteuerte Provokationen handelt.
Beschädigungen von Grenzsicherungsanlagen
Seit dem 13.8. bis 20.10. wurden unsere Grenzsicherungsanlagen in nahezu 100 Fällen von Westberliner Gebiet aus beschädigt oder zerstört. In der Hauptsache handelt es sich dabei um das Zerschneiden von Sicherungsdrähten, Umreißen von Grenzpfosten, Beschädigungen und Zerstören von Grenzmauern und die Zerstörung von Beleuchtungsanlagen unmittelbar an der Grenze.
Ein großer Teil dieser Vorkommnisse sind organisierte Provokation, die z. T. durch Besatzer und Westberliner Polizeiangehörige mit organisiert, geduldet oder gedeckt werden. Dabei wird das Ziel verfolgt, unsere Posten zu unüberlegten Handlungen zu provozieren und Grenzdurchbrüche zu erleichtern.
In mehreren Fällen beteiligten sich die Besatzer und Stupo selbst aktiv an den Provokationen, indem sie unsere Sicherungsanlagen beschädigten und zerstörten oder den Versuch dazu unternahmen.
Einen Schwerpunkt bildet die Enklave Steinstücken, wo die eingesetzten amerikanischen Besatzer ständig unsere Posten provozieren und Grenzdurchbrüche aktiv unterstützen. Wiederholt wurden unsere Posten durch diese Besatzer beschimpft, mit Waffen bedroht, vor ihnen ausgespiehen und vor ihren Augen die Grenzsicherungseinrichtungen beschädigt. Am 22.10. rissen zwei US-Soldaten an der Grenze Teltowerstr. (Steinstücken) einen Stützpfeiler der Drahtsperre weg, in der Absicht, unsere in der Nähe stehenden Posten zu provozieren.
Ähnliche Provokationen wurden auch von den französischen Besatzern bekannt: Z. B. rückten in der Nacht zum 19.9. 20 mit Sturmgepäck ausgerüstete französische Soldaten bis an die Grenzmauer vor und schlugen die Fenster der Postenwohnungen im Grenzgrundstück Bernauer Str. 41 ein.
Besonders aktiv beteiligen sich die Stupo und die Westberliner Bereitschaftspolizei an diesen Provokationen.
Z. B. wurde am 23.9.1961 in der Bernauer/Eberswalder Straße durch die Stupo mittels Luftgewehr unsere Straßenbeleuchtung unmittelbar an der Grenze beschossen, wodurch vier Lampen zerstört wurden. Am 26.9. schlugen Stupos in den Grenzhäusern Bernauer Str. 42 und 43 die Türscheiben ein und brachen mehrere Steine aus der Sicherungsmauer aus. Am gleichen Tage bewarfen Westberliner Bereitschaftspolizisten unsere Posten mit Steinen und brachen in der Brunnenstraße 15 Steine aus der Grenzmauer heraus. In drei Fällen zerschnitten Stupos am 30.9.1961 zwischen Kopenhagener- und Klemkestr. den Draht des Grenzzaunes.
In mehreren Fällen wurden jugendliche Rowdys und andere Provokateure durch die Stupo zu Provokationen ermuntert und durch passive Haltung unterstützt. Oftmals werden auch eine größere Anzahl Jugendlicher mit Lkw unmittelbar an die Grenze gefahren, wo sie im Schutze der Westpolizei randalieren und unsere Sicherungseinrichtungen beschädigen. In den meisten Fällen gebot die Stupo dem verbrecherischen Treiben erst dann Einhalt, wenn durch unsere Sicherungskräfte Gegenmaßnahmen (Einsatz von Nebelkerzen und Wasserwerfer) erfolgten.
Bereits am Vormittag des 13.8. kam es am KP Köpenicker Str. zu einer Ansammlung von ca. 200 Westberlinern, die versuchten, unsere Drahtsperren wegzureißen, ohne dass die Stupo ernsthaft dagegen einschritt.
Diese Provokationen nahmen in der Folgezeit immer mehr zu und halten gegenwärtig an der gesamten Staatsgrenze nach Westberlin in verstärktem Maße an.
Wie an anderen Stellen der Grenze, wurden am 1.10.1961, gegen 16.00 Uhr zwischen der Gleim- und Bernauer Straße ca. 50 Westberliner Jugendliche mit zwei Lkw in Begleitung eines SPW an die Grenze gefahren, wo sie sich auf Anweisung entlang der Grenze verteilten und die Posten und Sicherungseinrichtungen mit Steinen bewarfen.
Einen besonderen Schwerpunkt bildet der Raum Rudow, wo von Jugendlichen wiederholt organisierte Provokationen durchgeführt wurden. Z. B. wurden am 17.9. am Hornkleepfad (Rudow) mehrere Westberliner mit Lkw an die Grenze gefahren, die unsere Sicherungskräfte mit Steinen bewarfen und die Grenzsicherungseinrichtungen zu zerstören versuchten. Am 2.10. versuchten an der Radarstation Rudow 20 Westberliner Rowdys unsere Grenzsicherungsanlagen zu zerstören, wobei sie die Posten mit Steinen bewarfen.
Am 3.10. wurden ca. 50 Westberliner Jugendliche durch vier Stupo und einen Zöllner am Dankmarsteig (Rudow) eingewiesen, die unsere Posten und Sicherungsanlagen mit Steinen bewarfen.
Für die Vielzahl provokatorischer Beschädigungen der Grenzsicherungsanlagen durch Westberliner Jugendliche zum Zwecke der Erleichterung von R-Fluchten ist charakteristisch, dass diese Jugendlichen meistens von Angehörigen der Stupo gedeckt, gefördert und direkt unterstützt werden.
Diese Tatsachen werden u. a. auch in Meldungen der Westberliner Zeitungen »BZ« vom 14.10. und »Bildzeitung« vom 21.9. zugegeben.10 Z. B. zerschnitten am 18.10. an der Damm11/Ecke Uhlandstraße (Rosenthal) zehn Westberliner Jugendliche den Draht auf der Grenzmauer. Dabei wurden sie durch einen Stupo gedeckt, der unsere Posten mit der Pistole bedrohte.
Am 2.10. versuchten drei Westberliner Jugendliche, die von einem Funkstreifenwagen der Stupo gedeckt wurden, am KP Karpfenteichstraße den Grenzzaun zu zerschneiden, um den Versuch eines Grenzdurchbruches zu begünstigen, der zu gleicher Zeit erfolgen sollte, jedoch verhindert wurde.
Aufgeputschte Jugendliche waren es auch, die am 24.9. am KP Dammweg von Westberlin aus den Grenzzaun zerschnitten und dadurch einer Frau mit Kind die Flucht ermöglichten.
Ferner wurden am 21.8. zwischen der Jacob- und Alexandrinenstr. von Westberliner Gebiet aus sechs Eisenstäbe aus der Betonmauer herausgebrochen und am 29.8. in der Nähe derselben Stelle in einer Länge von 15 m die beiden obersten Steinschichten der Grenzmauer heruntergerissen.
Am 19.9. rissen 30 Westberliner Provokateure an der Grenze Elsen- und Treptower Str. den Grenzzaun in einer Länge von 100 m nieder und belästigten die zu Reparaturarbeiten an den Sicherungsanlagen eingesetzten Pioniereinheiten, ohne dass die Stupo dagegen einschritt.
Der organisierte Charakter dieser Provokationen geht auch daraus hervor, dass die Täter bei ihren Handlungen von Westberlin aus zu propagandistischen Zwecken gefilmt wurden. Z. B. randalierten am 18.9. an der Grenze Wilhelmstraße ca. 50 Westberliner Jugendliche. Sie beschimpften unsere Posten und versuchten die Grenzmauer niederzureißen. Bei diesen Handlungen wurden sie von Westberlin aus gefilmt.
Am 2.10. bewarfen ca. 30 Jugendliche vom Kiesberg (Rudow) aus unsere Posten mit Steinen, zerschnitten die Drahtsperre und ließen alte Autoreifen gegen unsere Sicherungsanlagen rollen. Diese provokatorischen Handlungen wurden von einem amerikanischen Hubschrauber gefilmt.
Zu schweren Zerstörungen der Grenzsicherungseinrichtungen kam es vor allem im Bezirk Potsdam an der Grenze DDR–Westberlin. Die bisher festgenommenen Täter waren Jugendliche, die Banden in Westberlin angehörten und von den Rädelsführern zu diesen organisierten Provokationen angestiftet wurden. Z. B. wurde am 8.10. der Westberliner [Name 13] aus Rudow festgenommen, der mit noch weiteren vier Jugendlichen umfangreiche Zerstörungen unserer Grenzsicherungsanlagen durchführte. Angeführt wurde die Bande von dem Westberliner [Name 14] aus Rudow.
Eine schwere Grenzprovokation wurde am 5.10. im Raum Großziethen in der Nähe des Grenzbereichs Rudower Wäldchen festgestellt.12 Dabei wurden auf 250 m Länge der auf zwei Pfahlreihen errichtete Stacheldrahtzaun total zerstört und 123 Betonsäulen der ersten und zweiten Pfahlreihe umgebrochen. Bereits am Tage vorher wurden im gleichen Kompaniebereich 25 m der Grenzsicherungsanlagen zerstört.
Am 8.10. gelang es, durch entsprechende Maßnahmen zwei der Täter festzunehmen. Dabei handelt es sich um die Westberliner Jugendlichen [Name 15] und [Name 16], beide aus Berlin-Buckow I. Sie gehörten einer Westberliner Bande von ca. 20 Personen an, die von einem [Name 17], wohnhaft Berlin-Steglitz, geleitet wird und Zerstörungen der Grenzsicherungseinrichtungen durchführt.
Der Raum Groß Glienicke und Großziethen muss ebenfalls als Schwerpunkt der Zerstörungen von Grenzsicherungsanlagen angesehen werden. Z. B. wurden am 15.10. in Groß Glienicke, hinter dem Objekt der DGP, 22 Felder des Drahtzaunes (ca. 120 m Länge) von westlicher Seite aus durchschnitten.
Am gleichen Tage wurden im Raum Schönefeld/Großziethen sechs Drähte von Westberlin aus zerschnitten.
Besonders umfangreich waren auch die gezielten Provokationen zur Verhetzung und Aufwiegelung der Bevölkerung des Grenzgebietes, zur Zersetzung der Grenzsicherungskräfte und zur Förderung der Flucht der Bevölkerung sowie der Desertion von Angehörigen der Sicherungskräfte nach Westberlin.
Neben der verbreiteten Methode der mündlichen und schriftlichen Hetze gegen Repräsentanten der DDR und gegen die Sicherungsmaßnahmen an der Grenze zur DDR durch aufgeputschte Jugendliche und andere Elemente, wurde in einer Reihe von Fällen in mündlicher und schriftlicher Form offen zum Widerstand und zum Bürgerkrieg aufgerufen.
Dabei traten insbesondere in Westberlin existierende Agentenzentralen durch Werfen von Flugblättern sowie die vom Westberliner Senat organisierten und beauftragten Lautsprecherwagen in Erscheinung. So forderte z. B. am 23.8., gegen 22.00 Uhr am KP Markgrafenstraße ein Lautsprecherwagen des Westberliner Senats, um den sich ca. 600 aufgeputschte Westberliner versammelt hatten, die Bevölkerung des demokratischen Berlins wörtlich auf, »sich vom Kommunismus zu befreien«.
An der Grenze zum Bezirk Potsdam wurden am 13.9. Flugblätter des FDP-Ostbüros über die Grenze geworfen, in denen die Bevölkerung der DDR zum »Widerstand« aufgefordert und – offensichtlich zum Zwecke näherer Anleitung dazu – um Zuschriften an die Deckadresse Vallentin, Bln.-Charlottenburg 9, Lych-Allee, ersucht wurde.13
Die auf die Zersetzung der Sicherungskräfte zielenden Provokationen waren in zahlreichen Fällen bisher ebenfalls darauf gerichtet, bestimmte »Widerstandsaktionen« auch in den Reihen der Sicherungskräfte auszulösen, in der Erwartung, dass derartige »Aktionen« auch auf die Bevölkerung übergreifen werden. Zu diesem Zweck wurden durch Agentenzentralen und Geheimdienste, durch Angehörige der Stupo und durch das berüchtigte, nach Eingeständnis der Westpresse, vom Westberliner Senat organisierte »Studio am Stacheldraht«,14 neben den täglichen Aufforderungen zur Desertion, auch in massierter Form Aufrufe an die Angehörigen der Sicherungskräfte zum Ungehorsam gegenüber ihren Vorgesetzten und zum Mord an ihren Offizieren verbreitet.
Das sog. Studio am Stacheldraht verbreitete z. B. am 26.9. in einem massierten Einsatz folgenden, zu terroristischen Handlungen auffordernden Aufruf: »Schlagt doch eure Offiziere zusammen und kommt in die ›Freiheit‹. Diese Offiziere waren früher sowieso in der gelben und braunen Uniform der Nazis. Beseitigt doch den Terror, Ihr habt doch die Waffen!«
Während eines weiteren, aus den täglichen Sendungen dieses »Studios« besonders hervorgetretenen massierten Einsatzes am 9.9. wurden die Angehörigen der Deutschen Grenzpolizei aufgefordert, ihren Offizieren den Gehorsam zu verweigern und fahnenflüchtig zu werden.
Ähnliche Aufrufe zu provokatorischen und terroristischen »Aktionen« wurden in mündlicher und schriftlicher Form in einer Vielzahl von Fällen auch durch Angehörige der Stupo verbreitet. So endet z. B. ein Flugblatt der Stupo, das an die Sicherungskräfte der DDR und an die Bevölkerung an der Grenze gerichtet war, mit folgendem Aufruf: »Lasst Euch nicht ins Bockshorn jagen, vertraut auf Euer Gefühl zur Freiheit des einzelnen Menschen. Lasst Euch nicht in die Schablone Eures Systems pressen.«
Eine weitere Methode, die Grenzsicherungskräfte der DDR in Gegensatz zu ihren Vorgesetzten und in Widerspruch zu ihren dienstlichen Pflichten zu bringen, sind die Versuche zur Beeinflussung mittels mündlicher und schriftlicher Drohungen. Im Wesentlichen erstreckten sich diese Versuche bisher auf die Androhung von späteren Gerichtsverfahren bei exakter Dienstausübung, die Aussetzung sog. Belohnungen für Hinweise über Angehörige der Sicherungskräfte, die vorbildlich ihren Dienst verrichten und andere Versuche.
Diese Drohungen wurden überwiegend ebenfalls in Form mündlicher »Warnungen«, in Flugblättern, in aufgestellten großen Sichttafeln und mit anderen Mitteln ausgesprochen oder verbreitet.
Das »Studio am Stacheldraht« z. B. drohte am 31.8. in massierten Sendungen allen Posten »mit Gerichtsverfahren«, wenn sie bei Grenzverletzungen exakt ihren dienstlichen Pflichten nachkommen. Anfang September wurde auf Flugblättern und an der Grenze in Westberlin aufgestellten großen Sichttafeln verbreitet, dass der Westberliner Polizeipräsident 10 000 DM West »Belohnung« für Hinweise über einen Angehörigen der Grenzsicherungseinrichtungen ausgesetzt habe, der seinen dienstlichen Pflichten gewissenhaft nachgekommen war.
Diese Handlungen sollen jedoch nicht nur der Beeinflussung, Verletzung, Aufwiegelung, Zersetzung und Einschüchterung der Grenzsicherungskräfte der DDR sowie der Organisierung von Desertionen dienen, sondern offensichtlich auch den Zweck verfolgen, die Grenzsicherungskräfte der DDR davon abzuhalten, auf die von Westberlin aus unternommenen Provokationen zur Förderung der Flucht von Bürgern der DDR zu reagieren.
Besonders intensiv sind im Zusammenhang mit allen bisher aufgeführten Provokationen auch die Versuche, durch unmittelbare Kontaktaufnahme die Grenzsicherungskräfte der DDR zur Desertion zu verleiten. Im Berichtszeitraum gab es weit über hundert solcher Versuche. Darunter sind nicht wenige, wo die Angehörigen der Grenzsicherungskräfte aufgrund ihrer positiven Haltung zur DDR anschließend von Angehörigen der Stupo, des Westzolls sowie daran beteiligten aufgeputschten Jugendlichen und Zivilisten mit Steinen beworfen oder mit Waffen bedroht wurden.
Dies war z. B. schon am 19.8. der Fall. An diesem Tage versuchten an der Grenze zum Bezirk Potsdam fünf Westberliner Jugendliche die dort diensttuenden Posten zur Desertion nach Westberlin aufzufordern. Da die Posten auf diese Provokation jedoch nicht eingingen, sondern weiterhin ihren Dienst versahen, wurden sie von diesen Jugendlichen mit Steinen beworfen.
In einem anderen Fall am 20.9. waren es ebenfalls drei aufgeputschte Westberliner Jugendliche, die unsere Posten an der Queckenstraße aufforderten, nach Westberlin zu kommen. Da die Posten auch hier ihre positive Haltung zur DDR durch vorbildliche Dienstausübung zu erkennen gaben, wurden sie von den Jugendlichen mit Gaspistolen bedroht.
Dass sich auch die Stupo an derartigen Handlungen aktiv beteiligt, beweist ein, aus einer Reihe ähnlicher Beispiele herausgegriffener Vorfall vom 16.10. An diesem Tage versuchten Angehörige der Stupo die Grenzposten am Potsdamer Platz zur Desertion aufzuhetzen. Als die Posten darauf nicht reagierten, wurden sie von den Stupos mit Steinen beworfen.
Der organisierte Charakter dieser Provokationen wird aber besonders dadurch bewiesen, dass die in Westberlin existierenden Geheimdienste und Agentenzentralen, unterstützt von der Stupo und dem Westzoll, Deserteure und andere Elemente dazu einsetzen, mit den Grenzsicherungskräften Kontakt aufzunehmen und sie zur Desertion zu verleiten.
Zu diesem Zweck sind diese Deserteure – obwohl ständig von Mitarbeitern der Geheimdienste und Agentenzentralen begleitet – mit Schusswaffen und besonderen Ausweisen ausgestattet, die es ihnen ermöglichen, sich trotz Kontrollen der Stupo im Grenzgebiet aufzuhalten.
So trat z. B. wiederholt (u. a. am 28.8., 31.8., 5.9., 6.9. usw.) ein Deserteur an verschiedenen Kontrollpunkten und Grenzabschnitten an der Staatsgrenze/Außenring um Westberlin in Erscheinung und forderte die Posten oder Streifen auf, nach Westberlin zu desertieren. Dieser Deserteur gibt sich als ehem. Offiziersschüler der NVA aus und wird ständig von in Zivil gekleideten Personen begleitet, die sich jedoch im Hintergrund halten. Wie am 5.9. und 6.9. an den Grenzabschnitten Spandauer Straße–Heuwegsperre–Seegefelder Weg festgestellt werden konnte, ist dieser Deserteur mit Pistole bewaffnet und mit Ausweispapieren versehen, die es ihm ermöglichen, sich im Grenzgebiet aufzuhalten, während andere Personen nach erfolgter Kontrolle durch die Stupo aus dem Grenzgebiet verwiesen werden.
In ähnlicher Weise traten auch andere Deserteure in Erscheinung. Absoluter Schwerpunkt derartiger Provokationen sind die Abschnitte am Außenring der Staatsgrenze um Westberlin.
In welchem Maße die Geheimdienste, Agentenzentralen und andere Dienststellen in Westberlin daran interessiert sind, Angehörige der Sicherungskräfte zur Desertion zu verleiten, beweist auch die Tatsache, dass in einer Reihe von Fällen den Angehörigen der Sicherungskräfte der DDR durch die Abwerber Geldsummen in Höhe von 1 000 bis 7 000 DM-West geboten wurden, wenn sie der Aufforderung zur Desertion nachkommen.
Ein derartiges Angebot über eine Summe von 3 000 DM-West wurde – um nur eines zu nennen – u. a. am 29.9. einem Stabsgefr. der Sicherungskräfte durch einen Angehörigen des Betriebsschutzes des Eternit-Werkes/Westberlin unterbreitet.
Weitere, bisher jedoch nur in Einzelfällen in Erscheinung getretene Methoden zum Verleiten zur Desertion, waren von Rowdygruppen gebildete Sprechchöre, die die Posten aufforderten, nach Westberlin zu kommen sowie den Posten zugeworfene fingierte Telegramme und anonyme Briefe mit gleicher Aufforderung.
Grenzdurchbrüche
In der Zeit vom 13.8. bis 20.10.1961 wurden an der Staatsgrenze nach Westberlin 356 Grenzdurchbrüche mit 597 Personen festgestellt. Vom 1.9. bis 20.10. konnten 333 Grenzdurchbrüche verhindert und 537 Beteiligte festgenommen werden.
Es muss aber angenommen werden, dass die Zahl der Grenzdurchbrüche wesentlich höher liegt, da nur ein Teil der Durchbrüche festgestellt wurde und das Grenzsicherungssystem in der ersten Zeit noch eine Reihe Lücken aufwies, die ein illegales Verlassen der DDR ermöglichten.
Dazu muss auch bemerkt werden, dass in den ersten Tagen nach dem 13.8. – als Westberliner noch ungehindert das demokratische Berlin betreten konnten – ein großer Teil mit gefälschten Ausweisen nach Westberlin gelangte. In mehreren Fällen gelang es an den Kontrollstellen Personen festzunehmen, die einen 2. Westberliner oder westdeutschen Ausweis bei sich führten, um damit DDR-Bürger nach Westberlin zu schleusen.
Neben der organisierten Schleusung mit gefälschten Pässen,15 wurde in mehreren Fällen versucht, Bürger der DDR im Kofferraum von Fahrzeugen nach Westberlin zu schleusen. Dies wurde besonders an den KPP Friedrichstraße und Invalidenstraße festgestellt, wo mehrere Personen festgenommen wurden, die auf diese Weise das demokratische Berlin verlassen wollten. (Prozess vor dem Stadtbezirksgericht Berlin)
Weiter wurde bekannt, dass Westberliner CD-Fahrzeuge ebenfalls organisierte Schleusungen von DDR-Bürgern nach Westberlin durchführten. Diese Methode der Schleusung von Personen wurde auch mittels amerikanischer Busse, die zu Besichtigungsfahrten im demokratischen Berlin weilten, durchgeführt. Z. B. bestiegen am 25.9. am Ehrenmal in Treptow mehrere Jugendliche amerikanische Busse. Im Bus zogen diese Jugendlichen amerikanische Uniformjacken an und wurden so ungehindert nach Westberlin geschleust.
Als besonderer Schwerpunkt der Grenzdurchbrüche bildeten sich die unmittelbar an der Grenze gelegenen Häuser in der Bernauer-, Harzer, Boyen-, Waldemar- und Swinemünder Straße sowie die Friedhöfe in der Ackerstraße, Bahnhofstraße (Pankow) und der Friedhof Rosenthal heraus. Ein weiterer Schwerpunkt ist das S-Bahn-Gebiet Wilhelmsruh und Wollankstraße.
In vielen Fällen verließen die Grenzverletzer das demokratische Berlin durch die Fenster der in den angeführten Straßen befindlichen Grenzhäuser, wobei die Westberliner Polizei und Feuerwehr beim Grenzdurchbruch aktive Unterstützung und Hilfe leisteten.
Neben der Vielzahl der anderen Provokationen, wurde von Westberlin aus eine regelrechte Fluchtbewegung organisiert. Konkreter Ausdruck für diese Provokationen sind zahlreiche Beispiele, wo die Stupo, die Westberliner Feuerwehr und andere gegnerische Kräfte durch gewährten »Feuerschutz«, Aufhalten von Sprungtüchern, Bereitstellen von Einsatzwagen u. a. Handlungen die Flucht von Bürgern der DDR förderten bzw. begünstigten.
Z. B. wurde am 22.9.1961, gegen 13.30 Uhr die [Name 18] aus ihrer Wohnung Bernauer Str. 7 republikflüchtig, indem sie in ein von der Westberliner Feuerwehr aufgespanntes Sprungtuch sprang. Dieser Grenzdurchbruch wurde von einem Westberliner Bereitschaftspolizisten gedeckt, der einen unserer Posten, der die Grenzverletzung verhindern wollte, mit einer Gaspistole beschoss. Durch das Projektil des Gasgeschosses geriet der Teppich einer Wohnung in der Bernauer Str. 8 in Brand.
Am 12.9., 0.15 Uhr, wurde eine 69-jährige Frau durch die Westberliner Feuerwehr aus der 1. Etage der Bernauer Str. 23 auf Westberliner Gebiet geholt.
Am gleichen Tage gegen 9.20 Uhr sprang eine 56-jährige Frau aus dem 3. Stock der Harzer Str. 113 in das von der Westberliner Feuerwehr bereitgehaltene Sprungtuch.
In mehreren Fällen wurden Bürger der DDR von Westberlin aus in geradezu verbrecherischer Weise zum Grenzdurchbruch veranlasst und aufgefordert, wobei sie sich durch den Sprung aus Fenstern oder von Dächern z. T. schwer und in einigen Fällen tödlich verletzten.
Diese meist vorbereiteten und organisierten provokatorischen Handlungen wurden z. T. fotografiert, gefilmt und von der Westpresse sensationell aufgemacht zur Hetze gegen die DDR ausgenutzt.
Z. B. kam es am 4.10., gegen 20.30 Uhr in der Swinemünder Str. 24 zu einem Grenzdurchbruch, bei dem der Grenzverletzer durch den Sprung vom Dach ums Leben kam. Die eingesetzten Sicherungskräfte bemerkten auf den Dächern der Rheinsberger-Straße in Richtung Wolliner-Straße einen Grenzverletzer und nahmen die Verfolgung auf. Aufgrund der Hilferufe des Grenzverletzers breitete die Westberliner Feuerwehr ein Sprungtuch aus, während die Stupo das Feuer auf unsere Posten eröffnete und einen Wachtmeister schwer verletzte. Durch das ausgebreitete Sprungtuch der Westberliner Feuerwehr und die Aufforderung, vom Dach zu springen, sprang der Grenzverletzer auf die Straße, wo er neben dem Sprungtuch der Feuerwehr auf Westberliner Gebiet tot liegenblieb.
Die Organisierung und Unterstützung der Fluchtbewegung wird durch zahlreiche Artikel, Kommentare und Bilder in den Westzeitungen bestätigt, wo über Provokationen berichtet wird, die durch ihre Propagierung als Methode zu Grenzdurchbrüchen oder zur Unterstützung derselben angepriesen werden.
Z. B. berichtet die »BZ« vom 14.10. über die Unterstützung bei einem Grenzdurchbruch unter der Überschrift »Westberliner zerschnitten Draht und verhalfen zum Durchbruch – Stupo mit FStW transportiert Grenzverletzerin ab.«16
In anderen Artikeln der Westpresse wird darüber berichtet, dass Stupo und Besatzer unsere Posten mit Waffen bedrohten und dadurch Grenzdurchbrüche ermöglichten und die Grenzverletzer mit FStW abtransportierten. (»BZ« vom 14.9., 23.9., 27.9., 29.9. und 14.10)17
Die amerikanischen Besatzer begünstigen besonders die Grenzdurchbrüche nach der Enklave Steinstücken. Während die in der Enklave stationierten Besatzer ständig Grenzprovokationen und Zerstörungen an den Sicherungseinrichtungen durchführen, werden nach der Enklave Steinstücken durchgebrochene Grenzverletzer mit amerikanischen Hubschraubern nach Westberlin ausgeflogen.
Z. B. wurden am 27.9., gegen 18.00 Uhr sieben DDR-Bürger, die die Grenze nach Steinstücken durchbrachen, von zwei amerikanischen Hubschraubern aufgenommen und nach Westberlin ausgeflogen. (Die »BZ« vom 28.9. berichtete darüber unter der Überschrift: »Amerikanische Hubschrauber fliegen Flüchtlinge aus Steinstücken aus«.)18
Einen weiteren Schwerpunkt der Grenzdurchbrüche bildeten und bilden die Wasserwege, insbesondere die Spree in der Nähe des Osthafens.19
Allein in der Zeit vom 13.8. bis 1.10. verließen ca. 40 Personen das demokratische Berlin, indem sie die Spree oder den Teltowkanal nach Westberlin durchschwammen. In der Zeit vom 1. bis 20.10. gelangten noch fünf Personen auf dem Wasserweg nach Westberlin (3 Spree, 1 Teltowkanal, 1 Havel). In zwei Fällen konnten insgesamt drei Personen vor Erreichen des Westberliner Ufers gestellt und festgenommen werden.
Z. B. wurde in der Nacht zum 9.9. am EAW Treptow durch die Wasserschutzpolizei eine männliche Person in voller Taucherausrüstung aus der Spree gezogen, die schwimmend nach Westberlin gelangen wollte.
Als weiterer Schwerpunkt der Grenzdurchbrüche sind die Baustellen in unmittelbarer Grenznähe und die VEB Bergmann-Borsig und OLW Treptow zu sehen. Z. B. übersprangen am 24.8. eine männliche und eine Person in Maurerkleidung die Grenzmauer, nachdem sie mit einem Baufahrzeug an die Grenze gefahren waren. Am 9.9. betraten zwei männliche Personen in Arbeitskleidung die 1. Linie. Sie wurden nicht registriert und begaben sich zu einer Gruppe von Bauarbeitern. Dadurch konnten sie ungehindert das demokratische Berlin verlassen.
Diese und ähnliche Beispiele können auch von der Grenze an den Randgebieten der DDR nach Westberlin beliebig erweitert werden. Sie beweisen, dass durch Lücken in der Grenzsicherung noch immer die Möglichkeit besteht, durch Vortäuschen von Arbeiten in unmittelbarer Grenznähe, die Grenze nach Westberlin zu passieren.
Im Randgebiet von Potsdam bildet der Raum Klein-Machnow/Teltow/Stahnsdorf und Groß-Ziethen einen Schwerpunkt der Grenzdurchbrüche.
In mehreren Fällen gelang es den Grenzverletzern durch die Kanalisationsrohre nach Westberlin zu entkommen. Die Versuche, auf diese Weise die DDR zu verlassen, halten auch in der letzten Zeit noch an.
Z. B. versuchte am 12.10. eine Gruppe von elf Personen einen Grenzdurchbruch von Klein-Machnow, Wolfswerder 3 aus. Bei diesem Grundstück liegt ein Kanalisationsrohr, das nach Westberlin führt. Während es drei Personen gelang, auf diesem Weg das Westberliner Gebiet zu erreichen, konnten acht Personen beim Versuch festgenommen werden.
Ähnliche Beispiele liegen auch aus dem Stadtgebiet von Berlin vor. Am 24.10. entstiegen drei Personen in Westberlin in der Chausseestraße einem Kanalisationsschacht, den sie im Wirtschaftshof des Walter-Ulbricht-Stadions bestiegen hatten, wozu sie das Schutzgitter durchsägten. Am 22.10. wurde eine männliche Person in der Mohrenstraße (Mitte) gestellt, als sie sich vor einem geöffneten Kanalisationsdeckel aufhielt. Diese Person bestätigte, dass sie durch die Kanalisation nach Westberlin wollte.
Im Bezirk Berlin-Mitte wurden fünf Jugendliche festgenommen, die im Haus Stallschreiberstr. 32 einen unterirdischen Gang nach Westberlin graben wollten, um auf diesem Wege nach Westberlin zu gelangen.
Ein großer Teil der festgestellten Grenzdurchbrüche ist auch auf ungenügende Wachsamkeit und untaktisches Verhalten der Grenzsicherungskräfte – insbesondere der Bereitschaftspolizei – zurückzuführen. Z. B. gestattete der Ltn. der BP, Schulz, am 24.8. am KP Chausseestr. zwei DDR-Bürgern, sich direkt an der Grenze mit Westberlinern zu unterhalten. Diese Möglichkeit nutzten beide Personen zum Grenzübertritt aus.
In mehreren Fällen gelang es Grenzverletzern, trotz der eingesetzten Sicherungskräfte, zum Teil mittels Leitern und anderer Hilfsmittel, die Grenzmauer oder die Grenzzäune zu überqueren, ohne von den Posten bemerkt zu werden. (z. B. am KP Chausseestraße)
Als weitere Methode wurde festgestellt, dass die Grenzverletzer die Zeit der Postenablösung oder den Kontrollgang der Posten abwarten und so den günstigsten Zeitpunkt zum Grenzdurchbruch ausnutzen. Z. B. durchbrachen am 8. und 9.10. je eine Person die Grenze im Raum der 15. Kompanie (Steinstücken/Rote-Kreuz-Str.), nachdem sie vorher den Kontrollgang unserer Posten abgewartet hatten.
Bei einer Vielzahl wurden von den Grenzverletzern die Sicherungseinrichtungen beschädigt, um den Grenzdurchbruch zu ermöglichen. Ein großer Teil der Grenzdurchbrüche war vorher organisiert und mit Westberlinern abgesprochen. Dies wird dadurch bewiesen, dass in vielen Fällen die Stellen zum Durchbruch benutzt wurden, wo die Sicherungseinrichtungen zum Zweck der Erleichterung von Grenzdurchbrüchen bereits vorher von westlicher Seite aus zerstört oder beschädigt waren oder wo die Grenzverletzer bereits auf Westberliner Gebiet erwartet und man ihnen beim Durchbruch Hilfe leistete.
Z. B. durchbrach am 18.10. die Ärztin Dr. [Name 19], wohnhaft: Hohenneuendorf, [Straße, Nr.] (unmittelbar an der Grenze) mit ihrem Pkw und zwei weiteren Personen die Grenze nach Westberlin. Sie hatte beide Sicherungszäune sowie die S-Rolle zerschnitten, wobei sie vermutlich von westlicher Seite Unterstützung erhielt.
In mehreren Fällen gelang es Grenzverletzern durch das untaktische Verhalten der Sicherungskräfte, mittels Kraftfahrzeug gewaltsam die Grenze zu durchbrechen. So versuchte z. B. ein Lkw mit neun Insassen am 13.10. die Grenze bei Klein-Machnow zu durchbrechen. Während der Lkw in der Sicherungsanlage steckenblieb, gelang es den neun Personen, durch zu späten Waffengebrauch der Posten, nach Westberlin zu entkommen.
Lücken im Sicherungssystem
Im Raum Klein-Machnow/Wolfswerder reichen die Gärten bis an den Grenzzaun heran, und die Posten haben keine genügende Übersicht über das Grenzgelände. Eine ähnliche Lage ist auch in den Abschnitten Klein-Glienicke, Klein-Machnow und Teltow zu verzeichnen, wo die im Grenzgebiet geschlagenen Bäume und Sträucher den Sicherungsposten die Übersicht erschweren und den Grenzverletzern Deckung bieten.
Ein weiterer Mangel besteht z. T. in der Sicherung nach der Enklave Steinstücken. Hier bestehen die Hindernisse teilweise noch aus spanischen Reitern, die leicht überwunden werden können.
Im Abschnitt der 8. Kompanie in Niederneuendorf wurde am 8.10. die Wassergrenze von zwei Personen nach Westberlin durchbrochen. Die Grenze ist nicht pioniermäßig gesichert, und das Ufer ist ohne Kontrolle erreichbar.
Weitere Unzulänglichkeiten in der Grenzsicherung ergeben sich aus der ungenügenden Kenntnis des tatsächlichen Grenzverlaufs. So gibt es Gebiete, in denen die Grenzsicherungseinrichtungen einige Meter von der tatsächlichen Grenze entfernt auf DDR-Territorium errichtet wurden. In diesen Fällen besteht bei den Posten keine Klarheit über den tatsächlichen Grenzverlauf.
Wie das folgende Beispiel beweist, können sich aus dieser Unkenntnis ernsthafte Folgen ergeben:
In der Nacht zum 12.10. begaben sich an der Grenze nach Reinickendorf (Nähe S-Bahnhof Wilhelmsruh) fünf VP-Offiziere und ein Hundeführer in Verfolgung eines Fahnenflüchtigen auf Westberliner Gebiet. Sie nahmen an, sich noch im demokratischen Berlin zu befinden, da die Grenzabsperrung einige Meter von der tatsächlichen Grenze auf unserem Territorium liegt. Erst als Stupo eintrafen, zogen sie sich auf unser Gebiet zurück. Von der Stupo wurden ebenfalls Unklarheiten über den tatsächlichen Grenzverlauf geäußert.