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Situation der 3. Kompanie der II. Grenzabteilung (1. Grenzbrigade)

25. April 1963
Einzelinformation Nr. 263/63 über die Situation in der 3. Kompanie der II. Grenzabteilung – 1. Grenzbrigade –

Bezug nehmend auf die Hinweise über die 3. Kompanie der II. Grenzabteilung, 1. Grenzbrigade,1 teilen wir folgende Fakten mit:

Auch vom MfS wurde im Verlaufe der Absicherungs- und Abwehrarbeit die 3. Kompanie der II. Grenzabteilung als ein Schwerpunkt angesehen, weil in der Vergangenheit besonders dort deutliche Auswirkungen der politisch-ideologischen Diversion,2 wie Kontaktaufnahmen und Fahnenfluchten, festzustellen waren.

Begünstigend auf diese Situation wirkte sich aus, dass der Abschnitt der 3. Kompanie (Bernauer Straße) vom Gegner wegen der dort günstigen territorialen Möglichkeiten verstärkt zur Einflussnahme auf unsere Grenzsicherungskräfte benutzt wird.

Hinzu kommt, dass seit dem 13.8.19613 der Kompanie-Chef der 3. Kompanie dreimal und der Politstellvertreter viermal wechselten und der derzeitige Kompanie-Chef Oberleutnant Händel4 erst seit Anfang dieses Jahres, der Politstellvertreter Oberleutnant Wiesner5 seit ca. vier Wochen in ihren Dienstleistungen eingesetzt sind.

Auch die Tatsache, dass sich die 3. Kompanie zu einem großen Teil aus Angehörigen der ehemaligen Berliner Polizeibereitschaften zusammensetzt, wirkt sich ungünstig auf die Gesamtsituation in der Kompanie aus.

Deshalb wurde diese Einheit auch verstärkt vom MfS abgesichert. Dabei wurden am 18.1.1963 Kontaktaufnahmen von sechs Grenzsoldaten ermittelt (Aneignung und Aufbewahrung von Genussmitteln und Druckerzeugnissen, die von Westberliner Polizeikräften und Zivilisten über die Grenzsicherungsanlagen geworfen wurden).

Im Verlaufe dieser Untersuchungen wurden durch das MfS weitere 20 Kontaktaufnahmen festgestellt, wenn diese auch nicht in einer solchen aktiven Form wie bei den ersten sechs erfolgten. Bei fünf der erstgenannten sechs Kontaktaufnahmen handelte es sich um Grenzsoldaten, die erst kurze Zeit in der Einheit Dienst versahen. Zwei von ihnen, bei denen Westzeitungen gefunden wurden, kamen im Rahmen des Parteiaufgebotes6 nach Berlin.

Neben der kurzen Dienstzeit wirkte sich begünstigend aus, dass durch die Vorgesetzten nur eine ungenügende Kontrolle der eingesetzten Posten erfolgte.

In Übereinstimmung mit den Kommandeuren der II. Grenzabteilung und der 1. Grenzbrigade wurden dazu folgende Maßnahmen durchgeführt: Die sechs erstgenannten Grenzsoldaten wurden in die Reservegrenzabteilung versetzt. Der 3. Zug wurde neu formiert und alle Fälle der Kontaktaufnahme wurden differenziert und sehr gründlich ausgewertet.

Zum Beispiel erfolgten bereits am 24. und 25.1.1963 spezielle Auswertungen mit dem Mannschafts- und Unterführerbestand der 3. Kompanie und mit dem Offiziersbestand der II. Grenzabteilung.

Ferner waren die Kontaktaufnahmen Gegenstand mehrerer Dienst- und Parteiversammlungen. In diesen Auseinandersetzungen wurde darauf hingewiesen, dass weitere Kontaktaufnahmen bekannt sind, ohne konkrete Namen zu nennen. Damit sollte erreicht werden, dass sich alle NVA-Angehörigen der 3. Kompanie angesprochen fühlen und in eine breite und offensive Auseinandersetzung mit einbezogen werden.

Ferner wurden diese Kontaktaufnahmen vom zuständigen Militärstaatsanwalt in Foren, verbunden mit einer Erläuterung des MStG, ausgewertet und eine Gruppe von Offizieren der 1. Grenzbrigade mehrere Tage in der II. Grenzabteilung und in der 3. Kompanie zur Überprüfung eingesetzt.

Unabhängig davon wurden bei den der Kontaktaufnahme überführten Grenzsoldaten vom MfS die notwendigen operativen Sicherungsmaßnahmen eingeleitet.

Offensive politisch-ideologische Auseinandersetzungen wurden auch in jedem Falle des durch operative Hinweise bekannt gewordenen Abhörens westlicher Rundfunkstationen eingeleitet. Hinweise über konzentriertes oder gar organisiertes Abhören gibt es jedoch nicht.

Trotz dieser eingeleiteten Erziehungs- und Absicherungsmaßnahmen gelang es dem Gefreiten [Name 1, Vorname], am 28.2.1963 fahnenflüchtig zu werden. ([Name 1] wurde im Rahmen des Parteiaufgebots am 3.11.1962 vom MSR 22 zur 3. Kompanie II. Grenzabteilung versetzt).

Durch die vom MfS eingeleitete Untersuchung und die differenziert durchgeführte Auswertung der Fahnenflucht in mehreren Parteiversammlungen, gelang es, in den folgenden Tagen weitere vier Fahnenfluchten innerhalb der 3. Kompanie zu verhindern.

Nach Absprache und in Übereinstimmung mit den Kommandeuren der 2. Grenzabteilung und der 1. Grenzbrigade wurde am 8.3.1963 die 3. Kompanie aus dem Schwerpunktabschnitt Bernauer Straße abgezogen und in einen weniger gefährdeten Abschnitt der II. Grenzabteilung eingesetzt.

Gleichzeitig wurden der Politstellvertreter Unterleutnant [Name 2] und der Zugführer des 3. Zuges Leutnant [Name 3] wegen ungenügender Erziehungsarbeit und unzureichender fachlicher und politischer Qualifikation abgelöst.

Am 6.4.1963 wurde der Gefreite [Name 4, Vorname] fahnenflüchtig. [Name 4] kam im Oktober 1962 ebenfalls im Rahmen des Parteiaufgebotes vom MSR 22 zur 3. Kompanie der 2. Grenzabteilung.

In der Untersuchung dieser Fahnenflucht wurde dem MfS bekannt, dass die Gefreiten [Name 5] und [Name 6] Kenntnis von der beabsichtigten Fahnenflucht hatten, jedoch keine Meldung darüber erstatteten. In Verbindung mit dem Kommandeur der II. Grenzabteilung Hauptmann Stehler7 wurden die Vorgenannten am 18.4.1963 fristlos aus der NVA entlassen und vom Militärstaatsanwalt zu zehn bzw. acht Monaten Gefängnis bedingt verurteilt.

Bereits am 10.4.1963 wurde in einer Mitgliederversammlung das Verhalten des [Name 5] behandelt und sein Ausschluss aus der SED beschlossen.

In der weiteren Auswertung dieser Vorkommnisse wurden auf Vorschlag des MfS, in Über-einstimmung mit der Leitung der II. Grenzabteilung, acht unzuverlässige Grenzsoldaten aus der 3. Kompanie zur Reserve-Grenzabteilung versetzt und die Einheit durch zuverlässige Kräfte ergänzt.

Zu den in den Hinweisen enthaltenen Feststellungen über den Soldaten [Name 7] liegt folgendes Untersuchungsergebnis vor:

Im Dezember 1962 erhielt das MfS erste Hinweise über negative Äußerungen des [Name 7].

Bereits zu diesem Zeitpunkt wurden Maßnahmen zur operativen Absicherung eingeleitet und der Einheitsleitung empfohlen, [Name 7] nur mit zuverlässigen Postenführern zum Grenzdienst einzusetzen.

Weiter wurden auf Vorschlag des MfS mehrere Aussprachen durch den Gruppen-, Zug- und Kompanie-Führer sowie den Parteisekretär der Kompanie und die Polit-Stellvertreter der Kompanie und der Grenzabteilung mit [Name 7] geführt. Da die erzieherischen Maßnahmen jedoch unwirksam blieben, wurde durch das MfS der Gefreite [Name 8] – als Mitglied der Partei – angesprochen mit dem Ziel, [Name 7] negativen Äußerungen offensiv entgegenzutreten und das Kollektiv zu veranlassen, sich von [Name 7] Verhalten zu distanzieren und erzieherisch auf ihn einzuwirken.

Diesen Auftrag führte [Name 8] in der Folgezeit offensiv durch, was auch in der Parteiversammlung am 10.4.1963 sowie in dem Forum am 19.4.1963 zum Ausdruck kam.

(Während des Kontaktes berichtete [Name 8] auch darüber, dass vor längerer Zeit durch [Name 7] ein Bild des Staatsratsvorsitzenden8 – in der »Jungen Welt« – durch Bemalen verunstaltet worden war.)

[Name 7] setzte jedoch trotz aller Erziehungsmaßnahmen seine negativen Äußerungen fort und wurde deshalb auf Vorschlag des MfS im Einverständnis mit der Einheitsleitung aus Sicherheitsgründen im Januar 1963 zum Stab der Grenzabteilung abkommandiert und im Stabsgebäude als Heizer eingesetzt.

Ungeachtet aller Hinweise und Ermahnungen zeigte [Name 7] auch beim Stab der Grenzabteilung keine Änderung in seinem Verhalten. Aufgrund der fortgesetzten Hetze wurde die operative Bearbeitung des [Name 7] aufgenommen. Da die Ergebnisse dieser Bearbeitung eine Festnahme jedoch nicht rechtfertigten, wurde das Verhalten des [Name 7] am 19.4.1963 in einem Forum vor der 3. Kompanie ausgewertet und [Name 7] am 20.4.1963 zum MSR 22 der 4. MSD versetzt.

Die genannten Maßnahmen zur Erziehung bzw. Bearbeitung des [Name 7] wurden im Zusammenwirken mit dem Einheitskommandeur und den Polit-Organen getroffen und entsprachen den Rechtspflegebeschlüssen9 des Staatsrates.

Zum Verhalten des Gefreiten [Name 8] in der Versammlung am 10.4.1963 wurde festgestellt, dass [Name 8] darauf hinwies, über das Verhalten des [Name 7] Meldung erstattet zu haben. Ein Ausschluss des [Name 8] aus der Partei stand in dieser Versammlung nicht zur Diskussion.

Die in den Hinweisen erwähnte Überprüfung durch die Brigade der Stadtkommandantur wurde nach unseren Feststellungen sehr sorgfältig und gründlich durchgeführt. Dienstplan und Urlaubsregelung standen deshalb besonders im Mittelpunkt, weil sie – vor allem zu diesem Zeitpunkt – Anlass für Unzufriedenheit und negative Diskussionen großen Ausmaßes in dieser Einheit waren.

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    [ohne Datum]
    Einzelinformation Nr. 273/63 über [einen führenden Militär] der 4. Grenzbrigade [Dienstgrad, Vorname Name 1], geb. am [Tag, Monat, Jahr] in [Ort]

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    18. April 1963
    Einzelinformation Nr. 252/63 über die Verbreitung chinesischer und albanischer Schriften in der DDR und in Westdeutschland