Bundesaußenminister Schröder zu Passierscheinverhandlungen
18. Februar 1964
Einzelinformation Nr. 123/64 über die Einmischung Schröders in die Passierscheinverhandlungen
Von dem westdeutschen Journalisten Stehle,1 von dem bekannt ist, dass er dazu benutzt wird, bestimmte Auffassungen führender politischer Kreise Westberlins und Bonns an die zuständigen Organe der DDR heranzutragen, wurde einer zuverlässigen Quelle über ein Gespräch berichtet,2 dass Stehle mit Mende3 über die Einmischung Schröders4 in die Passierscheinverhandlungen gehabt habe. Mende habe Stehle mit dem Inhalt eines sogenannten Memorandums5 von Schröder bekannt gemacht, das für die ablehnende Haltung der Bonner Regierung zu den Vorschlägen der DDR in der Passierscheinfrage größte Bedeutung besitze.
Nach Schröders Memorandum, das er Bundeskanzler Erhard6 zugeleitet habe, sei es jetzt dem Westberliner Senat möglich, in den Verhandlungen mit der DDR hinter den Status des Abkommens vom 17.12.19637 zurückzugehen. Dafür seien folgende Bedingungen herangereift: Die Regierung der DDR stehe »unter dem Druck der sowjetischen Regierung«, die eine »gewisse Freizügigkeit in ganz Berlin« wünsche. Einige andere sozialistische Länder würden dadurch auf die DDR »Druck ausüben«, indem sie selbst an ihren Grenzen eine »gewisse Freizügigkeit« einführten. Außerdem habe die Einflussnahme der Politik der Bonner Regierung auf verschiedene sozialistische Länder dazu geführt, dass offene Differenzen vor allem zwischen der ČSSR und Rumänien einerseits und der DDR andererseits aufgebrochen seien. Schließlich habe sich der »Druck der Bevölkerung« der DDR auf die Regierung der DDR hinsichtlich der »Gewährung von Freizügigkeit« ebenfalls »verstärkt«.8
Diese Bedingungen seien im Dezember vergangenen Jahres noch nicht im gegenwärtigen Maße vorhanden gewesen. Zum jetzigen Zeitpunkt seien bei entsprechender Verhandlungsführung unter diesen Bedingungen »größere Zugeständnisse« von der DDR zu erreichen. Schröder habe in seinem Memorandum auch vorgeschlagen, die in den Verhandlungen zwischen Wendt9 und Korber10 von Seiten der DDR geäußerten »Erwartungen« bezüglich einer Änderung der Verhältnisse in Westberlin zum Anlass zu nehmen, um die Verhandlungen gegebenenfalls an diesen angeblich »unannehmbaren Bedingungen« scheitern zu lassen.
Schröder habe in seinem Memorandum dargelegt, dass das Abkommen vom 17.12.1963 eindeutig ein Zugeständnis des Westens an die DDR gewesen sei, auch wenn in Bonn öffentlich erklärt wurde, es habe sich um kein Zugeständnis gehandelt. Aus diesem Grunde müsse eine Wiederholung des Abkommens vom vorigen Jahr unter allen Umständen vermieden und das westliche Zugeständnis durch »unbedingte Härte« korrigiert werden. Stehle erklärte dazu, Mende habe ihm gegenüber mehrfach betont, dass er sich sowohl mit Schröder als auch mit Erhard darüber einig sei, eine Wiederholung des Weihnachtsabkommens auf keinen Fall zu genehmigen.
Stehle teilte in anderem Zusammenhang mit, Bahr11 habe ihm davon berichtet, dass Schröder innerhalb seiner Partei kritisiert worden sei, weil er durch das Berliner Abkommen eine »Durchlöcherung« der Bonner Politik gegenüber der DDR zugelassen habe. Schröder habe sich mit dem Argument verteidigt, es sei bei der Passierscheinübereinkunft nicht um außenpolitische Fragen gegangen, sondern zuständig sei das Innenministerium gewesen, da die DDR formell als »Teil Gesamtdeutschlands« betrachtet werden müsse.
Über ein Gespräch mit dem Leiter der sogenannten Treuhandstelle für den Interzonenhandel Leopold12 in Westberlin berichtete Stehle, Leopold habe die Auffassung vertreten, er hätte beim Abschluss des Berliner Abkommens »günstigere Bedingungen« für Westberlin erzielen können. Es habe jedoch an der notwendigen Koordinierung sowohl mit Mende und seinem sogenannten Kreditangebot, das sich fälschlicherweise nur auf Konsumgüter bezogen habe, als auch mit dem Westberliner Senat gefehlt. Deshalb sei auch die Frage des Saldenausgleichs im innerdeutschen Handel unabhängig von der Passierscheinfrage gelöst worden. Nach Meinung Stehles ist Leopold dennoch für sogenannte Kreditangebote an die DDR, um ein »wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis« zu schaffen. Er stehe damit im Gegensatz zu Mende, der jetzt die Auffassung vertrete, der DDR müsse »der Brot- bzw. Maschinenkorb höher gehängt« werden.
Stehle teilte noch mit, nach der Zusage Staatssekretär Wendts, mit ihm ein Pressegespräch für die Zeitschrift »Stern« zu führen, beabsichtige die Zeitschrift, sich in ihren nächsten Ausgaben für den Abschluss eines neuen Passierscheinabkommens einzusetzen. Von der Chefredaktion der »Zeit« sei er mit einem Artikel über die »Wandlungen der ökonomischen Auffassungen« in der DDR anhand der Materialien des 5. ZK-Plenums13 beauftragt worden.14
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