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Desertion und Flucht mit Lkw

2. Juli 1964
Einzelinformation Nr. 538/64 über eine Desertion mit schwerem Grenzdurchbruch im Abschnitt Greven des Bereichs der Grenzkompanie Gallin/Wittenburg

Am 30.6.1964, gegen 11.30 Uhr, wurde durch den Grenzposten der Kompanie Gallin festgestellt, dass durch das Tor 5 der Minensperre im Abschnitt Greven des Bereichs dieser Kompanie ein schwerer Grenzdurchbruch mittels Lkw in Richtung Westdeutschland verübt wurde. Wie die Feststellungen weiterhin ergaben, durchquerte das aus der Ortschaft Greven gekommene Fahrzeug die Boize, fuhr danach in Richtung des Galliner Waldes weiter, durchbrach dort das Tor 5 der Grenzsperre und überfuhr die vorhandenen zwei Schlagbäume sowie den seit der Frühjahrsbestellung zugeschütteten Kfz-Graben.

Wie die Untersuchungen ergaben, handelte es sich bei dem Fahrzeug, das sich noch gegen 11.00 Uhr in der Ortschaft Greven aufgehalten hatte, um den Lkw SIS-150, polizeiliches Kennzeichen VA [Nr.], der Dienststelle des LSK/LV Banzin, Kreis Hagenow. Gefahren wurde der Lkw von dem Deserteur Ufw. [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1943, in der NVA seit 17.10.1960, Kfz-Gruppenführer und Waffenkammerverwaltung in der Dienststelle Banzin/Hagenow der LSK/LV (3. LVD).

[Name 1] hatte am 30.6.1964, gegen 9.00 Uhr, mit Genehmigung seines Kompaniechefs mit dem Lkw die Dienststelle Banzin verlassen, um angeblich in der Werkstatt der LPG Dodow1 Reparaturen an seinem Lkw vorzunehmen, was ihm am 29.6.1964 aufgrund dienstlicher Maßnahmen verwehrt worden war. Als [Name 1] gegen Mittag noch nicht wieder zurück war, nahm der Kompaniechef an, dass [Name 1] in der LPG, mit der seitens der Dienststelle Banzin ein Patenschaftsvertrag besteht, sein Mittagessen einnimmt. Der Kompaniechef schenkte aus diesem Grunde der Abwesenheit des [Name 1] keine besondere Aufmerksamkeit. Erst nachdem das Grenzregiment Wittenburg in der Kompanie der LSK/LV Banzin telefonisch Rückfrage hielt, ob ein Fahrzeug dieser Kompanie vom Typ SIS unterwegs sei und mitteilte, dass mit diesem Fahrzeug ein Grenzdurchbruch erfolgte, erfuhr die Kompanie Banzin auf diese Weise von der Desertion des Ufw. [Name 1]. Das Grenzregiment Wittenburg rief die Kompanie Banzin an, weil es selbst aufmerksam gemacht wurde, dass [Name 1] sich vor dem Durchbruch in der Ortschaft Greven bei einem Bürger nach dem Weg zur Grenze erkundigt hatte.

Im Verlauf der sofort eingeleiteten Untersuchung in der Kompanie Banzin wurden eine Reihe Fakten bekannt, die auf eine organisierte Vorbereitung der Desertion durch [Name 1] hinweisen. So wurde z. B. festgestellt, dass [Name 1] bereits 14 Tage zuvor mit seinem Lkw eine Probefahrt nach Wittenburg durchführte und er dabei von der festgelegten Fahrtroute abwich, was die Vermutung zulässt, dass er bereits damals seinen Fluchtweg aufklärte.

Durch den Ufw. [Name 2], den Ofw. [Name 3] und den Uffz.-Schüler [Name 4] wurde ferner bekannt, dass der [Name 1] sich am 23.6.1964 und am 26.6.1964 bei Versorgungsfahrten nach Boizenburg in der dortigen Elbe-Werft gegen Barzahlung Stahlplatten besorgte. [Name 1] hatte dazu erklärt, diese Platten solle er für die LPG Banzin besorgen. Wie jedoch nach seiner Desertion durch die Westpresse bekannt wurde,2 hatte [Name 1] mit diesen Stahlplatten das Fahrerhaus des Lkw gegen Einschüsse gepanzert. Vom Uffz.-Schüler [Name 4] war [Name 1] außerdem am 28.6.1964 beim Kofferpacken angetroffen worden. Auf die Frage, weshalb er seinen Koffer packe, hatte [Name 1] erklärt, dass er in den nächsten Tagen auf Urlaub fahre. Da er einige Sachen nicht mehr in den Koffer bekam, schenkte [Name 1] dem [Name 4] einen Wintermantel und eine Jacke, mit der Begründung, dass er diese nicht brauche, weil er genug davon habe. Von all diesen Feststellungen haben die Genannten keine Meldung erstattet. Durch die Überprüfung in der Kompanie wurde ferner festgestellt, dass sich [Name 1] am 27.6.1964 im Geschäftszimmer des Hauptfeldwebels einen Dienstauftrag angeeignet haben muss, um seine Fahrt ins Grenzgebiet abzudecken.

Bei der Überprüfung der Waffenkammer wurde außerdem ein Fehlbestand von

  • 4 Pistolen (M),

  • 1 MPi,

  • 84 Schuss Pistolenmunition,

  • 80 Schuss MPi-Munition,

  • 4 Nebelhandgranaten,

  • 2 Nebelkörper,

  • 1 Petschaft L 1874

festgestellt.

Wie durch die Westpresse bekannt wurde,3 hat [Name 1] die Waffen und die Munition mit nach Westdeutschland ausgeführt.

[Name 1] war seit April 1961, mit einer Unterbrechung von Herbst 1961 bis Juli 1962, wo er zur Kompanie Puttgarden abkommandiert war, in der Kompanie Banzin als Kraftfahrer eingesetzt. Aufgrund guter Leistungen wurde er am 7.10.1962 zum Stabsgefreiten befördert und am 26.11.1962 mit dem Leistungsabzeichen der NVA ausgezeichnet. Seit Januar 1963 arbeitete er als Gewehrgruppenführer und zusätzlich seit Herbst 1963 als Kfz-Gruppenführer. Seine Beförderung zum Unteroffizier erfolgte am 1.3.1963 und zum Unterfeldwebel am 1.3.1964. Aufgrund seiner guten Entwicklung in der Kompanie Banzin wurde [Name 1] ab Januar 1963 als Funktions-Uffz. auf dem Gebiet Waffen und Munition eingesetzt. Er hat ständig für eine gute Ordnung auf dem Waffengebiet gesorgt und gesellschaftlich positiv mitgearbeitet. Mängel und Schwächen wurden von ihm in Versammlungen offen angesprochen. Mit Ausnahme seines schlechten Verhältnisses zu seiner Stiefmutter waren bis zum Zeitpunkt seiner Desertion über [Name 1] keine negativen Fakten bekannt. Die Dienstzeit des [Name 1] geht im Herbst 1964 zu Ende. Ein Motiv für die Handlung des [Name 1] konnte bisher nicht ermittelt werden.

Begünstigt wurde die Desertion des Grenzdurchbruchs dadurch, dass

  • die Angehörigen der Kompanie Banzin über ihre Feststellungen keine Meldung erstatteten.

  • sich die Kompanie-Leitung vom allgemein guten Auftreten des [Name 1] täuschen ließ.

  • der Kfz-Graben an der Grenze entgegen den bestehenden Weisungen teilweise zugeschüttet war.

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    3. Juli 1964
    Einzelinformation Nr. 544/64 über die Grenzverletzung WD/DDR durch den Angehörigen der amerikanischen Besatzungsmacht in Westdeutschland [Name, Vorname] am 2. Juli 1964

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    30. Juni 1964
    Einzelinformation Nr. 530/64 über die Entgleisung eines Wagens des Personenzuges PS 2254 auf dem Bahnhof Schönfließ, Kreis Oranienburg, am 27. Juni 1964