Festnahme von Angehörigen einer Berliner Schleusergruppe
3. April 1964
Einzelinformation Nr. 276/64 über die Festnahme von Angehörigen einer Westberliner Schleusergruppe
Am 27.3.1964 wurden vom MfS am KPP Drewitz der Fahrer des Pkw-Kombi Opel Caravan (polizeiliches Kennzeichen B [Nr.]) [Vorname Name 1],1 21 Jahre alt, wohnhaft Berlin-Neukölln, [Straße, Nr.], Autoschlosser, zuletzt ohne Beschäftigung, und dessen Beifahrer [Vorname Name 2], 22 Jahre alt, wohnhaft Berlin SO 36, [Straße, Nr.], ohne Beruf, zuletzt Revolverdreher, und am KPP Juchhöh aufgrund der Aussagen Vorgenannter der Fahrer des Pkw Fiat 1500 (polizeiliches Kennzeichen B [Nr.]) [Vorname Name 3], 20 Jahre alt, wohnhaft Berlin-Neukölln, [Straße, Nr.], ohne Beruf, zuletzt Einschaler (reiste mit einem gefälschten westdeutschen Personalausweis unter den Namen Klaus Gutmann in das Gebiet der DDR ein), und der Fahrer des Pkw Ford 17 M (polizeiliches Kennzeichen B [Nr.]) [Vorname Name 4], 22 Jahre alt, wohnhaft Berlin-Neukölln, [Straße, Nr.], Feinblechner (reiste mit einem gefälschten westdeutschen Personalausweis unter dem Namen Karl-Heinz Kunkel in das Gebiet der DDR ein), festgenommen.
[Name 1] und [Name 2] hatten in ihrem Pkw insgesamt acht westdeutsche Personalausweise, mehrere beschriftete Durchreiselaufzettel für das Gebiet der DDR und Fälscherwerkzeuge versteckt.
Wie die bisherigen Untersuchungen durch das MfS ergaben, gehören alle vier Westberliner Personen seit Anfang 1964 einer Westberliner Menschenhändlerzentrale an,2 die Schleusungen mittels gefälschter westdeutscher Personalausweise und gefälschter Durchreisezettel über die Autobahnstrecke Berlin – Hof durchgeführt.
Die Schleuserorganisation wird von den Inhabern des privaten Reisebüros in Berlin-Neukölln, Weserstraße 213, Horst Dawid,3 geboren [Tag, Monat] 1933, wohnhaft Berlin-Neukölln, [Straße, Nr.], und Wolfgang Loeffler,4 geboren [Tag, Monat] 1925, wohnhaft Berlin-Britz, [Straße, Nr.], geleitet, die dem MfS bereits bekannt sind.
Löffler und Dawid sollen nach Aussagen der festgenommenen [Name 3] und [Name 4] Verbindungen zu einer amerikanischen Dienststelle in Westberlin – vermutlich P 9 (X 10)5 – unterhalten, der die von der Organisation geschleusten DDR-Bürger zugeführt werden. Zur Vorbereitung der geplanten Schleusungsaktionen beschaffte Löffler über einen westdeutschen Studenten Personalausweise Westdeutschlands zum Preise von je 400 WM, die danach mit falschen Personalien sowie mit dem Pass-Foto der zu schleusenden Personen versehen werden.
Seit Ende Januar 1964 wurden unter Teilnahme der Festgenommenen drei Schleusungen vorgenommen, bei denen insgesamt 22 DDR-Bürger nach Westdeutschland gebracht worden seien.
Die Schleusungen waren wie folgt organisiert worden: An den festgelegten Schleusungstagen reisten mehrere Angehörige der Schleuserorganisation mit Leihwagen über den KPP Drewitz ins Gebiet der DDR ein. Nach der Einreise wurden unter Vergleich der am KPP erhaltenen Laufzettel die von einem der Angehörigen der Organisation mitgeführten gefälschten Laufzettel mit den jeweils erforderlichen Stempeln versehen und mit dem verfälschten Personaldokumenten den zu schleusenden DDR-Bürgern übergeben.
Durch die am 26.3.1964 vorgesehene und auf den 27.3.1964 verschobene Schleusung – bei der die genannten Schleuser festgenommen wurden – sollten die DDR-Bürger [Vorname 1 Name 5], 21 Jahre alt, wohnhaft Berlin-Hohenschönhausen, [Straße, Nr.], Verkäuferin, mit ihrem zweijährigen Sohn [Vorname 2] (am 28.3.1964 festgenommen) und Prof. Dr. med. habil., Dr. phil. Wilhelm Katner,6 60 Jahre alt, wohnhaft Leipzig S 3, [Straße, Nr.], und seiner Ehefrau [Vorname 3], seinen drei Töchtern [Vorname 4] und [Vorname 5], beide 22 Jahre alt, Medizin-Studentinnen und Mannequins, und [Vorname 6], 14 Jahre alt, Schülerin, sowie mit dem Verlobten der [Vorname 4 Name 6], [Vorname Name 7], 24 Jahre alt, Assistenzarzt, nach Westdeutschland geschleust werden.
Prof. K. war bis 31.1.1962 Professor für Geschichte der Medizin an der Karl-Marx-Universität Leipzig und wurde wegen provokatorischer Äußerungen gegen führende Funktionäre und wegen unwissenschaftlicher Darlegungen fristlos entlassen. Er ist Mitglied der LDPD und war zuletzt leitender Arzt im Krankenhaus Löbnitz, [Kreis] Delitzsch, [Bezirk Leipzig].
Diese zu schleusenden Personen wurden am 26. und – da der Zeitpunkt verschoben wurde – am 27.3.1964 noch einmal von sogenannten Zubringern zum vereinbarten Treffpunkt gebracht, wo ihnen gegen 20.00 Uhr die gefälschten Dokumente übergeben werden sollten. Aufgrund der Festnahme der Schleuser verließen die zu schleusenden Personen nach zweistündiger Wartezeit den Treffpunkt.
Vom MfS wurden gegen alle beteiligten Personen Ermittlungsverfahren und alle notwendigen Maßnahmen zur weiteren Aufklärung dieser Schleusungen eingeleitet.