Mord am Bürgermeister der Gemeinde Groß-Garbe
29. Juni 1964
Einzelinformation Nr. 523/64 über den Mord an den Bürgermeister der Gemeinde Großgrabe, Kreis Mühlhausen, Bezirk Erfurt, Genossen [Vorname Name 1]
Am 26.6.1964, gegen 6.45 Uhr, wurde der Bürgermeister der Gemeinde Großgrabe [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1902 in Zella-Mehlis, Beruf: Müller, wohnhaft in Großgrabe, [Straße, Nr.], Mitglied der SED seit 1945, in der Gemeinde Großgrabe durch den [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1908 in Körner Mitglied der LPG Typ III1 Großgrabe – Invalidenrentner, wohnhaft in Großgrabe, [Straße, Nr.], Mitglied der SED, durch Erschießen ermordet.
Der Bürgermeister [Vorname Name 1] hatte in seiner Gemeinde bei allen Bevölkerungsschichten einen guten Leumund und war beliebt. Er setzte in Großgrabe konsequent die Beschlüsse der Partei und Regierung durch. [Name 1] entstammte einer Arbeiterfamilie, besuchte die Volksschule und war später als Landarbeiter, Bergmann und Kraftfahrer tätig. Seit 1945 nahm er Funktionen wie Kaderleiter und Bürgermeister ein. Er gehörte vor 1933 der SAJ und seit 1924 der KPD an. Im Juni 1964 wurde er für 40-jährige Parteizugehörigkeit ausgezeichnet.
[Vorname Name 2] entstammt einer Bauernfamilie, war Landarbeiter und übernahm nach 1945 einen landwirtschaftlichen Betrieb von 20 ha mit Pachtland. 1954 trat er der LPG Typ III in Großgrabe bei, wurde jedoch kurze Zeit nach seinem Eintritt Invalidenrentner. [Name 2] gehörte von 1943 bis 1945 der NSDAP an. 1949 wurde er Mitglied der SED; bei der Parteiüberprüfung 1951 wurde er jedoch in den Kandidatenstand zurückversetzt. (Aus den Parteiunterlagen ist der Grund der Rückversetzung nicht ersichtlich.) 1954 wurde er erneut als Mitglied der SED aufgenommen; er beteiligte sich aber nicht am Parteileben.
[Name 2] ist unter den Einwohnern der Gemeinde Großgrabe unbeliebt; er wird als brutal, starrköpfig, spekulativ und als Eigenbrötler bezeichnet. Bei [Name 2] handelt es sich um einen [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben], was seit 1930 in verschiedenen Gutachten bestätigt wird. 1956 und 1958 wurde er klinisch behandelt und aufgrund seiner Krankheit 1957 Invalidenrentner. In den Gutachten über [Name 2] ist enthalten, dass [Name 2] äußerst empfindlich ist und mit moroser Stimmung reagiert, wenn er meint, dass seine Klagen nicht ernst genug genommen würden. Während seines Aufenthaltes in einer Krankenanstalt in Pfaffenrode im Jahre 1958 versuchte er aus diesen Motiven heraus einen Pfleger zu würgen. Ebenfalls 1958 ging er aus gleichen Motiven in einer Krankenanstalt gegen einen Patienten und einen anderen Pfleger mit Gewalt vor. Der Sohn des [Name 2] war ebenfalls [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben] und verübte 1957 Selbstmord [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]. Aus den ärztlichen Unterlagen ist ersichtlich, dass [Name 2] auch bei [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben] in keiner Weise geistig gestört und für seine Handlungen voll verantwortlich ist.
Zur Tatausführung wurde bisher Folgendes ermittelt: Durch [Name 2] wurde die Tat vorsätzlich verübt. Er benutzte dazu einen Trommelrevolver, russisches Modell 1915, (Herkunft bisher noch nicht bekannt), in dem sich vor der Tat vier Patronen befanden.
[Name 2] hatte sich am 26.6.1964 bereits gegen 4.00 Uhr an seinem Gartengrundstück – ca. 300 m vom Ortseingang entfernt gelegen – aufgehalten. Gegen 6.45 Uhr befand er sich vor seinem Hausgrundstück in der Bahnhofstraße. Zu dieser Zeit passierte der Bürgermeister [Name 1] gemeinsam mit dem Bürger [Name 3, Vorname] – der auf einem Kuhgespann Futter transportierte – die Bahnhofstraße. Nachdem beide den [Name 2] gegrüßt hatten, lief [Name 2] ca. 150 m hinter dem Fuhrwerk her und gab danach den ersten Schuss direkt auf den Bürgermeister ab. Dieser Schuss traf den Bürgermeister zwischen dem 7. und 8. Rippenwirbel, verletzte Herz und Lunge und blieb im Bauchfell stecken. (Nach ärztlichem Gutachten war dieser Schuss bereits tödlich.) Nachdem [Name 1] am Boden lag, gab [Name 2] einen zweiten Schuss auf ihn ab, der in den Hinterkopf eindrang. [Name 2] verübte unmittelbar danach Selbstmord, indem er sich in die rechte Schläfe schoss. Er verstarb gegen 8.10 Uhr im Krankenhaus.
Nach den bisherigen Ermittlungen zum Tatmotiv bildete sich [Name 2] im Laufe der Jahre ein, seine angeblichen persönlichen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten seien auf das Wirken des Bürgermeisters [Name 1] zurückzuführen. [Name 2] war mit einigen Entscheidungen des Bürgermeisters, die mit dem Vorstand der LPG – deren Mitglied [Name 2] war – kollektiv beraten worden waren und im Interesse der schnelleren Festigung der LPG lagen, nicht einverstanden. So gab es 1961 mit [Name 2] Differenzen, nachdem dieser ergebnislos zur Bereitstellung von zusätzlichen Saatkartoffeln aufgefordert worden war, obwohl die Voraussetzungen zur Ablieferung bestanden. 1963 und 1964 mussten wiederholt durch den Bürgermeister und Mitglieder des Vorstandes der LPG mit [Name 2] Aussprachen wegen der Übergabe von durch [Name 2] gepachteten Obstplantagen an die LPG geführt werden. Am 19.6.1964 war durch den LPG-Vorstand die genossenschaftliche Nutzung der Obstbaumanlagen beschlossen worden. Die Ermittlungen ergaben, dass der Bürgermeister [Name 1] in keiner Weise versucht hatte, aus persönlichen Gründen gegen [Name 2] vorzugehen.
Unter der Bevölkerung der Gemeinde Großgrabe herrscht starke Empörung über den Mord an Bürgermeister [Name 1].
Weitere Ermittlungen zur restlosen Klärung des Verbrechens werden gemeinsam durch das MfS, die Abt. K des VPKA Mühlhausen und die MUK/BdVP Erfurt geführt.