Reaktionen auf das Auftreten Wolf Biermanns in Westdeutschland
23. Dezember 1964
Einzelinformation Nr. 1139/64 über die Reaktion auf das Auftreten des Lyrikers Wolf Biermann in Westdeutschland
Über das Auftreten Wolf Biermanns1 in Frankfurt/M. und München2 und über die Reaktion der westdeutschen Teilnehmer an den Veranstaltungen mit Biermann sowie verschiedener, Biermanns Auffassungen nahestehender Künstler aus der DDR berichteten mehrere zuverlässige Quellen. (In der nachstehenden zusammenfassenden Darstellung dieser Reaktion in Westdeutschland wird auf die bereits aus der Westpresse bekannten Fakten und Spekulationen nicht mehr eingegangen.)
In Frankfurt war vom ASTA-Kulturreferat der Universität der Auftritt Biermanns (10.12.1964) durch Plakate und Handzettel bekannt gegeben worden. Biermann trat vor ca. 280 Studenten und älteren Personen auf. Zu seiner Begrüßung war u. a. (sinngemäß) bemerkt worden, dass B. trotz größter Schwierigkeiten nach Westdeutschland gekommen sei, um über die Verhältnisse in der DDR zu informieren und auszusagen. Er sei aus der SED zwar ausgeschlossen, aber trotzdem noch als Kommunist zu betrachten.
Biermanns gesamter Vortrag wurde in Frankfurt/M. auf Tonband aufgenommen. Außerdem wurden Filmaufnahmen gemacht. Wie übereinstimmend berichtet wird, wurde die Mehrzahl der Darbietungen Biermanns mit starkem Beifall aufgenommen. Auf sein Lied über »Villon«3 (aus dem Zyklus »Vier Porträts«)4 erhielt er besonders langanhaltenden Beifall und musste es mehrmals wiederholen. Als absoluter Höhepunkt wurde sein Lied »Warte nicht auf bessere Zeiten«5 (aus dem Zyklus »Laut die Wahrheit auszuschreien«) bezeichnet, für das er den stärksten Beifall erhielt. Biermanns Lieder »Soldatenmelodie«6 und »Mein Vaterland«7 erhielten dagegen nur sehr wenig Beifall. Bei seinen Liedern aus dem Zyklus »Die Buckower Balladen«8 gab es anfangs Missfallensäußerungen, die dann in starkem Beifall endeten. Mit seinen Versen »Ein deutscher Kommunist«9 habe er eine Art schwermütige Stimmung verursacht.
Biermann habe am Schluss des Vortrags erklärt, dass er »überglücklich« sei, was ihn sehr ermutige. Er sei froh, dass er in Westdeutschland die Freiheit habe, aufzutreten.
Bei der Fortsetzung des Vortrags und bei der Diskussion im »Voltaire-Club«10 (etwa 85 Teilnehmer) habe B. teilweise wieder starken Beifall erhalten. Hauptgegenstand der Diskussion sei die »Mauer« gewesen. B. habe dabei zum Ausdruck gebracht, dass beide Seiten – Westdeutschland und die DDR – am »Bau der Mauer schuld« seien. Er bejahe die »Mauer«, weil nun nicht mehr alle mit der Politik der DDR Unzufriedenen flüchtig werden könnten. Versuche zur Auslösung einer Diskussion über die »Ursachen der Republikflucht« seien gescheitert. Da die Diskussion nicht über allgemeine Aussagen hinausgegangen sei, sei sie abgebrochen worden. Bei dieser Veranstaltung habe Biermann – wie schon in der Westpresse erwähnt – geäußert, dass er wieder Mitglied der Partei werden wolle.
In Frankfurt sei »eingeschätzt« worden, dass die Masse der Zuhörer den Vortrag Biermanns »großartig« gefunden habe. Man habe sich darüber Gedanken gemacht, ob B. das alles auch in der DDR sagen könne.
In München verliefen die Vorbereitungen und die Veranstaltung selbst ähnlich wie in Frankfurt. Ausrichter war hier die SDS-Gruppe11. Biermanns Auftreten war unter der Überschrift angekündigt worden: »Mein Parteiabzeichen ist mein Käfig«. In München nahmen ca. 225 Personen an der Veranstaltung und etwa 500 Personen an der Fortsetzung des Vortrags und der Diskussion teil.
Wie berichtet wird, sei B. in München mit seinen ersten Liedern aus dem Zyklus »Die Buckower Ballade« beim Publikum nicht richtig angekommen. Einiges sei den Teilnehmern unglaubwürdig erschienen. Der Beifall habe sich hier aber ebenfalls sehr gesteigert, insbesondere bei den Liedern »Villon«, »Krähen«,12 »Ballade vom Panzersoldaten«13 usw., sodass Biermann mehrere Lieder habe wiederholen müssen.
Bei der Fortsetzung der Veranstaltung in einer Münchner Gaststätte sei das Auftreten Biermanns von den dort Anwesenden als eine »Sensation mit politischem Affekt« aufgenommen worden. Die Diskussion sei so eingeschätzt worden, dass die Veranstaltungsteilnehmer in ihrer negativen Haltung zur DDR gestärkt worden seien.
Am Vortage (10.12.) sei auf einer Veranstaltung in München Prof. Kantorowicz14 als »Widerstandskämpfer« gegen die DDR gefeiert worden. Biermann habe dazu ausgeführt, er bedauere es, dass Kantorowicz »republikflüchtig« geworden sei. Er sei ein »Dummkopf«, er hätte in der DDR weiter wirken müssen.
Biermann äußerte nach seiner Rückkehr, dass er sein Auftreten in Westdeutschland als einen Erfolg betrachte. Man habe ihn zu einer USA-Tournee eingeladen und ihm außerdem ein achtwöchiges Gastspiel in München angeboten. Von München aus habe er nach Prag telegrafiert, dass er ab 30.12. mit ca. 20 Freunden aus München in Prag weilen, mit ihnen dort Silvester feiern und selbst bis zum 5.1.1965 in Prag bleiben wolle.
Vor Antritt seiner Reise nach Westdeutschland habe er zum Ausdruck gebracht, dass er die Reise benutzen wolle, um im Westen die Position der DDR zu »verteidigen«. Nach der anfänglichen Ablehnung der Reisegenehmigung habe B. erklärt, dass er keine »Schimpflieder« mehr geschrieben habe, nun würde es aber wieder einen Anfang geben.
Die Reise Biermanns nach Westdeutschland (und nach Österreich) sei von dem mit Biermann in Verbindung stehenden Personenkreis (Prof. Cremer15 und Ehefrau, Dr. Bunge16/Akademie der Künste, Brigitte Soubeyran17/Deutsches Theater und Stefan Hermlin18) sehr aufmerksam verfolgt worden. Dieser Personenkreis habe ebenfalls die Reise Biermanns als einen großen Erfolg bezeichnet. Biermann habe in diesem Kreis berichtet, dass er in Westdeutschland wie ein Star gefeiert worden sei.
Von den genannten Personen sei in diesem Zusammenhang geäußert worden, wenn es in der DDR darüber andere Meinungen gebe, sei der Ausgangspunkt dafür auch in der DDR zu suchen. Sie würden es bedauern, dass in der DDR wohl auch in Zukunft an den Gedichten Biermanns und an seinem Auftreten Kritik geübt würde. Es gebe in der DDR Leute, die ein »falsch gesetztes i-Pünktchen suchen« würden. Man müsse sich jedoch damit abfinden. Dieser Kreis habe Biermann empfohlen, seine Anerkennung in Westdeutschland nicht dazu zu benutzen, um durch unüberlegte Forderungen sein ungehindertes öffentliches Auftreten in der DDR erzwingen zu wollen.
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