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Auseinandersetzungen am Ausländerinstitut der FDGB-Hochschule (1)

3. Dezember 1965
Einzelinformation Nr. 1078/65 über Vorkommnisse am Ausländerinstitut der Deutschen Gewerkschaften »Fritz Heckert« in Bernau am 1. und 2. Dezember 1965

Am 1.12.1965 fand am Ausländerinstitut der Hochschule der Deutschen Gewerkschaften »Fritz Heckert«, Bernau,1 eine theoretische Konferenz der afrikanischen Studenten zu einigen Fragen in Afrika statt, an der von den dort studierenden 120 afrikanischen Studenten ca. 80 teilnahmen.

Nach Behandlung der theoretischen Fragen, während der von den afrikanischen Studenten positive Diskussionen geführt und Zustimmungserklärungen zur offiziellen Konzeption abgegeben wurden, erläuterte der stellv. Fakultätsleiter des Ausländerinstituts, Genosse Franz Mayer, den afrikanischen Studenten die Anordnung Nr. 3 der Direktion zur inneren Sicherheit und Ordnung an der Hochschule der Deutschen Gewerkschaften. Bei dieser Anordnung Nr. 3 handelt es sich um Hinweise zu der bisher bestehenden Schulordnung zur Einhaltung der Disziplin und Ordnung.

Die Anordnung Nr. 3 legt erneut fest, dass sich alle Besucher der Studenten des Ausländerinstituts bei Betreten des Objektes an der VP-Wache anmelden und ihren DPA hinterlegen müssen und dass nur die offiziellen Räume des Instituts (Clubraum und Kantine) nicht aber die Wohnräume der Studenten aufgesucht werden dürfen. In der Vergangenheit bestand durch Nichteinhaltung dieser Vorschrift keine ausreichende Kontrolle bzw. wurden vornehmlich weibliche Personen durch Übersteigen der Zäune unkontrolliert in das Objekt gebracht. Diese Anordnung sieht weiter vor, dass während der Unterrichtszeit von 8.00 bis 17.00 Uhr aufgrund verschiedener Vorkommnisse in der Vergangenheit der Ausschank starkprozentiger alkoholischer Getränke in der Kantine untersagt ist. Weiter wurde festgelegt, dass zur Außenbewachung des Objektes durch den Objektschutz der VP Wachhunde eingesetzt werden. Diese Maßnahme ist deshalb gerechtfertigt, weil die Außenkontrolle nur von einem VP-Angehörigen erfolgen kann.

Nach der Erläuterung dieser Anordnung wurde die theoretische Konferenz etwa gegen 22.00 Uhr ohne besondere Vorkommnisse beendet.

Anschließend fanden sich die einzelnen Länderdelegationen in ihren Zimmern zusammen und führten die Diskussionen über die Anordnung 3 fort. Dabei stellte sich heraus, dass ein Teil der Studenten, offensichtlich z. T. durch Sprachschwierigkeiten sowie durch die nur kurzen Erläuterungen des stellv. Fakultätsleiters Genossen Mayer bedingt, diese Anordnung falsch verstanden hatten. So nahmen einige Studenten an und verbreiteten auch diese Meinung, dass überhaupt keine Besuche mehr empfangen werden dürfen. Der Einsatz von Wachhunden wurde z. T. so ausgelegt, dass diese Maßnahme aus rassistischen Erwägungen eingeleitet wurde und sich gegen die Afrikaner im Allgemeinen richten würde. Zum anderen wünschten jedoch auch einige afrikanische Studenten die Beibehaltung der bisher nur losen Ordnung über den Besucherverkehr im Objekt sowie den uneingeschränkten Alkoholausschank in der Kantine.

Während der Diskussionen in der Nacht vom 1. zum 2.12.1965 trat insbesondere ein nigerianischer Student mit einem selbst ausgearbeiteten »12-Punkte-Programm« in Erscheinung, das u. a. als wesentlichste Forderung enthielt, ein sog. Komitee aus offiziellen Vertretern der afrikanischen Studenten zu bilden, das sämtliche Belange der afrikanischen Studenten vor der Direktion vertreten solle. (Hinweise über weitere Forderungen, die in diesem »Programm« erhoben wurden, liegen noch nicht vor.)

In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass derartige Meinungen über die Bildung eines »Komitees« bereits seit längerer Zeit, insbesondere von negativ eingestellten Studenten, vertreten wurden. Mit einem derartigen »Komitee« hofften sie die Studenten, die von den Organisationen dieser Heimatländer als offizielle Delegationsleiter benannt wurden und positive Ansichten vertreten und für die Erfüllung des Verbandsauftrages eintreten, auszuschalten.

Ein solches »Komitee« wurde von den afrikanischen Studenten, die nach der theoretischen Konferenz an den Diskussionen teilnahmen, in der Nacht vom 1. zum 2.12.1965 gewählt. Es besteht aus ca. zehn afrikanischen Studenten, die als negativ bekannt sind. Wortführer des »Komitees« sind die Studenten [Name 1, Vorname] aus Uganda, [Name 2, Vorname] aus Guinea, [Name 3, Vorname] aus Kenia, [Name 4, Vorname] aus Kenia und [Name 5, Vorname] aus Kenia.

Am Morgen des 2.12.1965 wurde auf Initiative des Studenten [Name 1, Vorname] aus Uganda vor Beginn des Unterrichtes vor dem Speisesaal ein »Meeting« durchgeführt. [Name 1] gab dort die Bildung des »Komitees« bekannt und erklärte, dass das »Komitee« von der Direktion fordern werde, die am Vortage bekannt gegebenen Maßnahmen der Anordnung Nr. 3 sofort rückgängig zu machen. Er forderte die afrikanischen Studenten auf, aus Protest gegen diese Anordnung solange den Unterricht nicht zu besuchen, bis die Direktion ihren Forderungen entsprochen habe.

Nach diesen Ausführungen kam es unter den anwesenden Studenten zur ersten Spaltung, wobei insbesondere die Studenten der Delegation der Mongolischen Volksrepublik sowie die arabischen und südafrikanischen Studenten eine positive Haltung einnahmen und gegen die von [Name 1] vorgetragenen Forderungen stimmten. Ein südafrikanischer Student, der sich offen gegen die Ausführungen von [Name 1] wenden wollte, wurde jedoch von den negativen Studenten an einer Diskussion gehindert.

Der Aufforderung [Name 1], nicht am Unterricht teilzunehmen, kamen ca. 80 Studenten – von insgesamt 120 – nach. Es wurde versucht, die Studenten, die sich in die Unterrichtsräume begeben hatten, gewaltsam herauszuholen, wobei es zu einem ersten Handgemenge kam.

Nach dem »Meeting« begab sich eine Reihe afrikanischer Studenten in die Empfangshalle, wo unter Anführung des Studenten [Name 4] aus Kenia handschriftliche Plakate, zum Teil von [Name 4] selbst gefertigt, angebracht wurden. In deutscher Schrift waren darauf »Parolen« gemalt, wie »Warum keine Besuche?«, »Warum Hunde?«. »Wir wollen demokratische Rechte oder zurück«. »Wir sind keine Spitzel« (letzteres Plakat wurde von den afrikanischen Studenten sofort wieder entfernt und vernichtet). Auf Initiative von [Name 4] wurden in der Empfangshalle »Streikposten« aufgestellt, die ein Entfernen dieser Plakate durch andere Studenten verhindert sollten.

Am Vormittag des 2.12.1965 tagte die Direktion der Hochschule der Deutschen Gewerkschaften und legte zunächst fest, um 13.00 Uhr des gleichen Tages mit den Delegationsleitern der afrikanischen Studenten zur Klärung der Vorkommnisse eine Besprechung durchzuführen. Die Forderung der afrikanischen Studenten, sofort eine Vollversammlung durchzuführen, wurde von der Direktion zunächst abgewiesen. Ein Teil der Delegationsmitglieder machte daraufhin die Teilnahme an dieser Besprechung davon abhängig, dass auch die Vertreter des »Komitees« hinzugezogen werden.

In der Direktionsbesprechung um 13.00 Uhr des 2.12.1965, an der die Delegationsleiter sowie die Vertreter des »Komitees« teilnahmen, wurde durch den Direktor der Hochschule, Prof. Dr. Kampfert,2 nochmals eine klare Erläuterung des Inhalts der Anordnung Nr. 3 gegeben. Da sich die Mitglieder des »Komitees« weigerten, die Gründe für ihr Verhalten darzulegen und die Hinzuziehung der übrigen Studenten verlangten, kam es zu der Festlegung, am Nachmittag des gleichen Tages eine Vollversammlung durchzuführen. An dieser Direktionsbesprechung nahm auch der stellv. Abteilungsleiter vom Bundesvorstand des FDGB, Abt. Internationale Verbindungen, Heinz Franke, teil.

Am 2.12.1965, in der Zeit von 15.00 bis 22.00 Uhr, erfolgte dann die in der Besprechung bei der Direktion vereinbarte Vollversammlung der afrikanischen Studenten. Von den 120 afrikanischen Studenten waren ca. 70 anwesend. Weiterhin nahmen Vertreter der Direktion und die Mitarbeiter des FDGB-Bundesvorstandes, Abt. Internationale Verbindungen, Genosse Heinz Franke, stellv. Abteilungsleiter, und Genosse Horst Köhler, Sektorenleiter Afrika, teil.

Der Direktor der Hochschule, Prof. Dr. Kampfert, erläuterte einleitend nochmals die Anweisung der Direktion über die Fragen der Sicherheit und Ordnung an der Hochschule. Dabei hob er u. a. hervor, dass diese Maßnahmen sich keinesfalls gegen die Studenten richten, sondern in ihrem eigenen Interesse liegen würden.

Von den »Sprechern« der afrikanischen Studenten wurde jedoch im Verlaufe der Diskussion weiter gegen diese Maßnahmen Stellung genommen. In diesem Zusammenhang wurden folgende Forderungen erhoben:

  • 1.

    Die Direktion der Hochschule soll die Vertreter des »Komitees« als offizielle Verhandlungspartner der afrikanischen Studenten in allen Fragen anerkennen.

  • 2.

    Die Anordnung der Direktion, dass alle Besucher nur die offiziellen Räume der Hochschule – Kantine und Clubräume –, nicht aber die Zimmer der Studenten betreten dürfen, solle sofort aufgehoben werden.

  • 3.

    Der Einsatz von Wachhunden zur Verstärkung des äußeren Wachschutzes – also zur Außensicherung des Objektes – solle sofort rückgängig gemacht werden, da er gegen ihre »persönliche Freiheit« gerichtet sei.

  • 4.

    Die Anordnung, starkprozentige alkoholische Getränke erst nach Unterrichtsschluss in der Kantine auszuschenken, solle ebenfalls aufgehoben werden.

Aus der Diskussion war allgemein zu erkennen, dass die unter Pkt. 2–4 angeführten Forderungen im Wesentlichen zum Anlass genommen wurden und als äußerer Vorwand dienten, um die Forderung nach offizieller Anerkennung des »Komitees« durchzusetzen.

Als Haupträdelsführer traten dabei die Studenten [Name 1, Vorname] aus Uganda und [Name 2, Vorname] aus Guinea auf. Sie versuchten immer wieder die Stimmung »anzuheizen« und die Studenten auf die vorgenannten Forderungen festzulegen und sie entsprechend in Schach zu halten. Studenten, die sich gegen dieses Verhalten aussprachen bzw. die nicht eindeutig diese Forderungen unterstützten, wurden mit Schlägen bedroht. Ein Student aus Südafrika, der zur Vernunft und zur Weiterführung des Studiums aufgerufen hatte, wurde gewaltsam vom Tisch gerissen und mit Worten wie z. B. »Du bist ein weißer Verräter« beschimpft. Die Haupträdelsführer wurden dabei besonders von den Studenten [Name 3, Vorname], [Name 4, Vorname] und [Name 5, Vorname], alle aus Kenia, unterstützt.

An dieser Vollversammlung nahmen auch die dem Lehrgang angehörenden asiatischen und arabischen Studenten teil, die sich bereits beim »Meeting« gegen dieses Verhalten ausgesprochen und die Teilnahme am »Streik« abgelehnt hatten. Diese Studenten (Mongolische VR, arabische Staaten und Südafrikaner) hatten diszipliniert ihren Unterricht durchgeführt. Sie sprachen sich auch in der Vollversammlung gegen die vorgenannten Forderungen aus und verurteilten das Verhalten der anderen Studenten, die mehr oder minder die Forderungen der angeführten »Sprecher« unterstützten.

Nach einer Pause gegen 22.00 Uhr wurden vom Direktor der Hochschule, Prof. Dr. Kampfert, folgende Vorschläge unterbreitet:

  • 1.

    Die Diskussion über die aufgeworfenen Fragen wird am 3.12.1965 um 11.00 Uhr mit den Delegationsleitern fortgesetzt.

  • 2.

    Nach Erzielung eines gemeinsamen Standpunktes wird eine erneute Vollversammlung durchgeführt.

  • 3.

    Am 3.12.1965 wird der Unterricht planmäßig fortgesetzt.

Unmittelbar danach meldete sich der bisher als Haupträdelsführer in Erscheinung getretene [Name 2, Vorname] aus Guinea zu Wort und erklärte, dass er von der Forderung nach der offiziellen Anerkennung des »Komitees« Abstand nimmt und die Vorschläge des Direktors befürwortet. Eine Begründung für diese plötzliche Veränderung in seinem Verhalten gab er nicht. (Wie dazu bekannt wurde, hatte sich zwischenzeitlich die Mehrheit seiner Delegation gegen sein Auftreten gewandt, was offiziell dazu führte, dass er einen »Rückzieher« machte.) Durch diese Erklärung des [Name 2] brach unter den Studenten ein Tumult aus. Während eine Reihe von Studenten den [Name 2] zu verprügeln versuchte, riefen andere – besonders die genannten »Sprecher« – dazu auf, gegen die positiv auftretenden Studenten aus der Mongolischen VR, den arabischen Staaten und Südafrika vorzugehen, um ihnen die »afro-asiatische Einheit« beizubringen. In diesem Tumult beschimpfte auch ein bisher namentlich noch nicht bekannter Student aus Mali die Vertreter der Direktion der Hochschule und des Bundesvorstandes des FDGB als »Kolonialisten« und »Faschisten«.

In der vor dem Versammlungsraum befindlichen Empfangshalle rotteten sich die negativ aufgetretenen Studenten zusammen und begannen – u. a. mit Flaschen – auf die positiv in Erscheinung getretenen Studenten aus den vorgenannten Ländern einzuschlagen. Von den Lehrern und Studenten aus der DDR wurde sofort eine Sperrkette gebildet, um diese Studenten zu schützen und ein weiteres Umsichgreifen der Schlägerei zu verhindern.

In der Zwischenzeit wurden durch die Parteiorganisation die DDR-Studenten mobilisiert. Bevor jedoch diese Maßnahmen wirksam wurden, d. h. die Studenten versammelt waren, dehnte sich die Schlägerei in der Empfangshalle aus und griff auch auf die Straßen und andere Gebäude innerhalb des Objektes über.

Insgesamt wurden ca. zehn Studenten derart geschlagen, dass sie ambulant behandelt werden mussten. Darunter befanden sich auch zwei südafrikanische Studenten, die an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst studieren und sich besuchsweise an der Hochschule in Bernau aufhielten. Einer dieser Studenten erlitt einen Schädelbasisbruch und musste in das VP-Krankenhaus eingeliefert werden, die anderen Studenten wurden nach der ambulanten Behandlung wieder entlassen.

Da die Auseinandersetzungen auf das gesamte Gelände der Hochschule überzugreifen drohten, wurde kurz nach 22.00 Uhr Kampfgruppenalarm ausgelöst. Diese Kräfte, die durch ein herbeigerufenes Kommando des VPKA Bernau unterstützt wurden, räumten in kurzer Zeit die Straßen und besetzten die Gebäude. Die am negativsten aufgetretenen Studenten [Name 1] (der in der Öffentlichkeit bereits wiederholt Schlägereien inszeniert hatte), [Name 3], [Name 4] und [Name 5] wurden vorläufig isoliert. Vonseiten des FDGB besteht die Absicht, diese Personen von der Schule zu verweisen. Die südafrikanischen Studenten, die von den negativen Kräften besonders angegriffen wurden, sind vorübergehend bei Lehrern der Hochschule außerhalb der Hochschule außerhalb des Objektes einquartiert worden.

Nach diesen Maßnahmen herrschten wieder Ruhe und Ordnung im Objekt. Wie intern bekannt wurde, hat sich ein großer Teil der an diesen Vorkommnissen beteiligten Studenten inzwischen von diesem Verhalten distanziert. Am 3.12.1965 haben ca. 75–80 % der afrikanischen Studenten den Unterricht wieder aufgenommen. Geschlossen sind dem Unterricht lediglich die Delegationen aus Kenia, Uganda und Ghana ferngeblieben. Die Delegationen aus Kenia und Uganda verlangen erst die Rückkehr der o. g. Studenten, die wegen ihrer aktiven Beteiligung an diesen Vorkommnissen isoliert wurden. Die »Gründe« für das Fernbleiben der ghanesischen Delegation sind bisher noch nicht bekannt.

Wie weiter bekannt wurde, hat ein nigerianischer Student die Absicht geäußert, eine Resolution an die UNO und die OAU zu richten. (Entsprechende Maßnahmen zur Aufklärung und Verhinderung dieser Absicht wurden eingeleitet.) Die arabischen Studenten haben sich mit dem Anliegen an die Direktion der Hochschule gewandt, ihren Schutz sicherzustellen.

Vom MfS wurden die notwendigen Sicherungs- und Aufklärungsmaßnahmen eingeleitet.

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    3. Dezember 1965
    Einzelinformation Nr. 1079/65 über ein besonderes Vorkommnis mit Angehörigen der Sowjetarmee in Demen, [Bezirk] Schwerin, am 28. November 1965

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    3. Dezember 1965
    Einzelinformation Nr. 1077/65 über den weiteren Verlauf der Synode der »Evangelischen Kirche der Union«