Nichtanerkennung der ostdeutschen biochemischen Arbeitsgemeinschaft
4. September 1965
Einzelinformation Nr. 783/65 über Bestrebungen westdeutscher Kreise zur Unterminierung der internationalen Anerkennung der Arbeitsgemeinschaft Biochemie der DDR
Aus dem MfS vorliegenden internen Materialien gehen interessante Einzelheiten über Bestrebungen westdeutscher Kreise hervor, die darauf gerichtet sind, die Aufnahme der Arbeitsgemeinschaft Biochemie der DDR1 in die »International Union of Biochemistry« (IUB)2 zu verhindern.3 Offensichtlich wird dabei versucht, Prof. Dr. Dr. Mothes4 (Halle) für diese Zwecke auszunutzen.
Wie bekannt wurde, wandte sich Prof. Dr. Dr. h.c. Th. Bücher5 (Physiologisch-chemisches Institut der Universität München) Mitte August d. J. in einem Schreiben an den Präsidenten der »IUB«, Prof. Dr. Severo Ochoa.6 In diesem Schreiben wies er darauf hin, dass er von Prof. Dr. Klenk7 von dem Antrag und Schriftwechsel der Arbeitsgemeinschaft Biochemie der DDR zur Aufnahme in die »IUB« Kenntnis erhalten habe. Die westdeutsche »Gesellschaft für Physiologische Chemie«, die derzeit »Gesamtdeutschland« in der IUB vertrete, habe auf ihrer letzten Mitgliederversammlung in Mosbach Prof. Dr. Mothes (Halle) als zweiten Vertreter »Deutschlands« (als Nachfolger des ausgeschiedenen Prof. Lehmann8) für die »General Assembly« der IUB gewählt und seine Nominierung beschlossen. Das Recht der Nominierung stehe derzeit noch der westdeutschen »Gesellschaft für Physiologische Chemie e.V.« zu.
Prof. Dr. Bücher teilte weiter mit, dass er sich, bevor diese Nominierung offiziell ausgesprochen wird, brieflich an Prof. Dr. Frunder,9 Jena (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Biochemie in der Gesellschaft für Experimentelle Medizin der DDR), gewandt und um das Einverständnis der Arbeitsgemeinschaft Biochemie der DDR zur Nominierung von Prof. Dr. Mothes ersucht habe. Prof. Dr. Mothes erscheine für die Nominierung als zweiter »deutscher« Vertreter in der IUB »besonders geeignet«. Die genaue Bezeichnung der Arbeitsgemeinschaft Biochemie der DDR sei ihm, Bücher, von Prof. Dr. Frunder zugeleitet worden. Die Formulierung sei gelegentlich einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Biochemie der DDR in Magdeburg mit führenden Mitgliedern, u. a. Herrn Rapoport,10 besprochen worden. Bestrebungen der IUB zur Revision ihrer Statuten brachte Prof. Dr. Bücher in seiner zustimmenden Erklärung mit den Bemühungen von westdeutscher Seite in Verbindung, die »unglückliche Abkapselung« der Wissenschaftler in der DDR zu durchbrechen. Die Mitgliedergesellschaften der IUB sollten in den Statuten ausdrücklich verpflichtet werden, sich für den »wissenschaftlichen und persönlichen Kontakt« ihrer Mitglieder mit denen anderer Länder voll einzusetzen.
Auf die geplante Veränderung des Status der IUB ging Prof. Dr. Bücher in einem Schreiben an Prof. Dr. Frunder (Mitte August) ebenfalls ein. Er betonte in diesem Zusammenhang, dass man von westdeutscher Seite die Notwendigkeit der Existenz einer zweiten wissenschaftlichen Gesellschaft im Bereich der Biochemie nicht anerkennt. Man wolle möglichen »Erschwerungen notwendiger wissenschaftlicher Kontakte« begegnen. Er selbst (Prof. Dr. Bücher) werde in dieser Hoffnung bestärkt durch die offenen Gespräche in Magdeburg mit führenden Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Biochemie der DDR. Weiter brachte Prof. Dr. Bücher seine »Enttäuschung« über die Haltung Prof. Dr. Frunders zur Frage der Beteiligung von Biochemikern aus der DDR an der Herbsttagung der westdeutschen »Gesellschaft für Physiologische Chemie« (6.–9.10.1965 in Westberlin) zum Ausdruck, wobei er sich auf ein Schreiben Prof. Dr. Frunders berief. Die westdeutschen Vertreter würden sich als Mitglieder der »European Federation of Biochemical Societies« verpflichtet fühlen, mit solchen Tagungen dem »wissenschaftlichen Austausch« und der Pflege »persönlicher Kontakte« zwischen allen Chemikern in Europa zu dienen. Es müsse erreicht werden, dass Biochemiker aus der DDR an der Westberliner Tagung teilnehmen, um die in Magdeburg eingeleitete »glückliche Entwicklung« zu fördern und die »Abkapselung« zu überwinden. Prof. Dr. Frunder solle schreiben, auf welche Weise bestehende Schwierigkeiten, die nur »formaler Natur« sein könnten, aus dem Wege zu räumen seien, und jeden bekannt gewordenen Zwischenfall im Interesse der Klärung und des Vermeidens künftiger Störungen mitteilen. Die Verantwortung und Organisation für diese Tagung obliege ausschließlich der westdeutschen »Gesellschaft für Physiologische Chemie« bzw. dem beauftragten Ortsvertreter Prof. Dr. Dr. Schütte.11 Die westdeutsche Seite habe weder ein Ministerium zu fragen noch räume sie politischen Ambitionen irgendeinen Einfluss ein. An der Tagung würden Biochemiker aus verschiedenen Ländern teilnehmen. Prof. Dr. Bücher versuchte weiterhin, Prof. Dr. Frunder von der »Freiheit und Unabhängigkeit« der Wissenschaft in Westdeutschland und von der »Harmlosigkeit« der Rolle des Bundesministeriums für »gesamtdeutsche Fragen« und des Bundesinnenministeriums zu überzeugen.
Weiter wurde uns in diesem Zusammenhang bekannt, dass Prof. Dr. Dr. Mothes (Halle) auf der Westberliner Tagung mit der vor einigen Jahren geschaffenen sog. Warburg-Medaille (bezeichnet als die höchste, von »deutschen« Biochemikern zu vergebende Ehrung) ausgezeichnet werden soll. Prof. Dr. Dr. Mothes wurde darüber informiert. Er werde den Festvortrag mit dem Thema »Zur Problematik der metabolischen Exkretion bei Pflanzen« halten. In der Laudatio für die Medaille soll besonders auf die Verdienste von Prof. Dr. Dr. Mothes auf dem Gebiet der Biosynthese der Alkaloide eingegangen werden. Prof. Dr. Bücher hat von diesem Vorhaben der Westdeutschen »Gesellschaft für Physiologische Chemie« Prof. Dr. Frunder informiert und ihn ersucht, die Ehrung für Prof. Dr. Dr. Mothes und ein im Rahmen der Tagung stattfindendes kleines Symposium über das Thema »Chemie der Entwicklung« als Anhaltspunkte bei der Auswahl der einzuladenden Biochemiker aus der DDR zu betrachten. Unabhängig davon wurden Prof. Dr. Dr. Mothes und der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Biochemie der DDR eingeladen. Wie ferner bekannt wurde, hat Prof. Dr. Bücher die Professoren Dr. Mothes (Halle) und Dr. Ernst Klenk (Direktor des Physiologisch-chemischen Instituts der Universität Köln und westdeutscher Vertreter in der IUB) über seinen Briefwechsel informiert und ihnen Durchschriften übersandt.
Die Information kann im Interesse der Sicherheit der Quelle nur intern ausgewertet werden.