Bericht des ČSSR-Botschafters in DDR über Lage in ČSSR
11. Dezember 1968
Einzelinformation Nr. 1351/68 über einen Bericht des ČSSR-Botschafters in der DDR, Kolář, über die Lage in der ČSSR und seine vorgesehene Abberufung
Wie dem MfS zuverlässig bekannt wurde, soll der Botschafter der ČSSR in der DDR, Kolář,1 im Januar 1969 von seinem Posten abgelöst und nach Prag abberufen werden. Sein Nachfolger soll Krajičír2 werden.
Krajičír war seit 1948 ununterbrochen in verantwortlichen Funktionen tätig, zeitweise als Minister und – bis März 1968 – als stellvertretender Ministerpräsident. Er ist zzt. Abgeordneter der Nationalversammlung. Seine Ehefrau, Leflerová,3 übt die Funktion eines stellvertretenden Präsidenten der Nationalversammlung aus.
Botschafter Kolář berichtete Ende November vor leitenden Diplomaten der ČSSR-Botschaft in Berlin über eine kurz vorher in Prag stattgefundene Besprechung der ČSSR-Botschafter in den sozialistischen Ländern. Nach Einschätzung unserer Quelle waren seine Ausführungen sehr pessimistisch gehalten. Sie waren faktisch eine Unterstützung der rechtsstehenden Kräfte der Botschaft.
Kolář erklärte u. a.:
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Die vom November-Plenum4 des ZK der KSČ5 verabschiedete Resolution stelle einen Kompromiss dar. Sie spiegele die Situation im ZK der KSČ wider, wo es tiefe Widersprüche gebe, besonders in der Einschätzung der Lage und der Nach-Januar-Entwicklung in der ČSSR.
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Die gegen die Massenmedien in der ČSSR eingeleiteten Maßnahmen seien ungerecht. Die Bewegung unter den Studenten sei positiv einzuschätzen; sie stelle eine Art dritte Kraft dar.
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Die Situation in der Armee und in der Miliz sei in Ordnung, während die Lage bei der Staatssicherheit nicht gut sei. Die Staatssicherheit sei zersetzt worden.
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Der »Klub 231«6 und die Sozialdemokraten7 würden neue und verstärkte Aktivitäten entwickeln.
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Die begonnene Wirtschaftsreform in der ČSSR werde fortgesetzt. Die Partei- und Staatsführung lasse sich da von niemandem reinreden, obwohl in führenden Kreisen angenommen werde, dass sich die wirtschaftliche Situation des Landes weiter verschlechtern und es zu einer Katastrophe kommen könne. Die Sowjetunion habe keine Einwände gegen die Durchsetzung der Wirtschaftsreform. Sie biete allerdings von sich aus keine Hilfe an, sondern sie helfe nur dann, wenn sie darum gebeten werde.
Kolář teilte mit, dass vom MfAA der ČSSR in Erwägung gezogen worden sei, wieder die Beziehungen zur DDR zu verbessern und eventuell eine Delegation des MfAA in die DDR zu entsenden.
Er habe davon abgeraten und erklärt, dass er nicht imstande sei, in dieser Richtung wirksam zu werden. Außerdem habe er vorgeschlagen, mit dem Besuch einer Delegation in der DDR noch zu warten.
Er habe von sich aus den Antrag gestellt, von seinem Posten abberufen zu werden. Daraufhin habe er die Auflage erhalten, bis zum 31.1.1969 in Berlin zu verbleiben.
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