Inoffizielle Tagung der »Gossner Mission« in Berlin
23. September 1968
Einzelinformation Nr. 1054/68 über eine inoffizielle Tagung der »Gossner Mission« der DDR vom 9. bis 11. September 1968 in Berlin
Wie in unserer Einzelinformation Nr. 876/68 vom 21.8.1968 berichtet wurde, plante die »Gossner Mission«1 der DDR für die Zeit vom 9. bis 13.9.1968 in Berlin eine internationale Arbeitstagung mit ökumenischen Gästen.
Diese Veranstaltung sollte unter dem Titel »Zur Welteinheit berufen« stehen und die bisher größte im Rahmen des sogenannten Dialogs zwischen Marxisten und Christen sein, die von der »Gossner Mission« organisiert wurde.
(Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen waren zu dieser Tagung neben einer Anzahl von Personen aus dem kapitalistischen Ausland eine Reihe von ČSSR-Bürgen eingeladen worden, die im Rahmen der kirchlichen Gruppe »Neue Orientierung« bei den Ereignissen in der ČSSR2 aktiv als »Reformer« in Erscheinung getreten waren. Außerdem waren von dem als Referent dieser Tagung vorgesehenen Prof. Dr. Blum3/London an die vorgesehenen Teilnehmer der Tagung sogenannte Thesen verschickt worden, die eine Vermischung zwischen Erkenntnissen des Marxismus mit Bestandteilen der Konvergenztheorie darstellten.)
Aufgrund dieser bekannten Fakten war seitens staatlicher Dienststellen mit dem Organisator dieses ökumenischen Treffens und Leiter der Geschäftsstelle der »Gossner Mission«, Pfarrer Bruno Schottstädt4/Berlin (Sch. ist gleichzeitig leitender Mitarbeiter der »Prager Christlichen Friedenskonferenz)5, eine Aussprache geführt worden, in deren Ergebnis die Veranstaltung in dieser Form untersagt wurde. Schottstädt erklärte in dieser Aussprache, dass Prof. Dr. Blum/London trotzdem anreisen werde, da er die Einladung bereits angenommen habe und diese nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Mit Prof. Blum werde deshalb seitens der »Gossner Mission« in kleinem Kreise eine nur »zwanglose Diskussion« stattfinden.
Dem MfS wurde jedoch streng vertraulich bekannt, dass die Tagung der »Gossner Mission« der DDR entgegen den mit dem Staatsapparat getroffenen Vereinbarungen in der Zeit vom 9. bis 11.9.1968 in den kircheneigenen Räumen der »Gossner Mission« Berlin, Göhrener Straße 11, durchgeführt wurde. Die »Tagung« wurde – wie das auch ursprünglich vorgesehen war – von Schottstädt geleitet und stand unter dem Thema »Zur Welteinheit berufen«.
An dieser Tagung nahmen u. a. teil:
aus der DDR
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Pfarrer Bruno Schottstädt, Berlin, Leiter der »Gossner Mission«;
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Dr. Schicketanz,6 Magdeburg;
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Superintendent Heinemann-Grüder,7 Gramzow;
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Pastorin Tischhäuser,8 Lübbenau;
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Pfarrer Koppehl,9 Friedland;
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Pfarrer Kunzendorf,10 Brandenburg;
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Prediger Müller, Potsdam;
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Generalsuperintendent Jacob,11 Cottbus;
als Gast:
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Carl Ordnung,12 Berlin, vom Hauptvorstand der CDU.
aus Westdeutschland/Westberlin
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Pastorin Reichelt, Westberlin;
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Pfarrer Bäumlin,13 Westberlin (Schweizer Bürger);
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Pastor Schliephak, Wolfsburg;
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Pfarrer Schmidt, Hannover;
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Pfarrer Schulz, Sozialakademie Friedewald.
aus der VR Polen
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Pfarrer Zipfel;
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Dr. Bogatzki, Warschau (Jesuitenpater).
aus der ČSSR
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Pfarrer Bednacik, Brno (B. hielt sich zurzeit der Maßnahmen der Warschauer Paktstaaten und seitdem in der DDR auf.)
aus Großbritannien
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Prof. Blum, London (B. ist Psychologe. Er hat 1938 Deutschland verlassen, ist in die USA emigriert und soll dort Forschungsaufträge für die Regierung der USA durchgeführt haben. Nach einigen Jahren ist er nach England übergesiedelt und soll dort im Auftrage der britischen Regierung bestimmte Forschungen durchführen.)
Zu Beginn der »Tagung« erklärte Schottstädt in offensichtlicher Verärgerung, die Zusammenkunft müsse unbedingt als »intern« betrachtet werden; sie müssten sich »noch mehr als bisher nach außen abschirmen«. Er wies darauf hin, es sei durch »das Eingreifen staatlicher Stellen« im Augenblick nicht möglich, die Tagung in der geplanten Form durchzuführen; deshalb wäre das Treffen um zwei Tage verkürzt worden. Nach außen solle der Anschein erweckt werden, als handele es sich um das zufällige Zusammentreffen von Mitarbeitern der »Gossner Mission«, zu dem dann noch einige Freunde hinzugekommen seien. Schottstädt äußerte weiter vor dem gesamten Forum, er sei bereit, jedem Teilnehmer noch persönlich Auskunft darüber zu geben, warum die Tagung in dieser Form durchgeführt werden müsse.
Schottstädt wiederholte dann diese Äußerungen im Verlauf der »Tagung« sinngemäß noch des Öfteren, wobei er stets die »Schwierigkeiten«, die vom Staatsapparat gemacht würden, betonte. In diesem Zusammenhang erwähnte er, dass 35 Personen aus dem »Osten« nicht hätten anreisen dürfen.
Auch bei Beendigung der »Tagung« wies Sch. darauf hin, er habe das Treffen »unter Zwang« zeitlich kürzen müssen, wobei er alle Teilnehmer zur »Vorsicht« mahnte, damit Inhalt und Zusammenkunft überhaupt den staatlichen Organen nicht bekannt werden.
Prof. Blum/London hielt am ersten Tag der »Tagung« sein Hauptreferat »Auf dem Wege zu einem neuen Weltbewusstsein«. (In unserer Einzelinformation Nr. 876/68 vom 21.8.1968 sind die von Blum vorher an die Teilnehmer der Tagung versandten »Thesen«, in denen Elemente der Konvergenztheorie enthalten sind, angeführt.)
In seinem Referat führte Blum u. a. aus: »Bei den Marxisten besteht ein Mangel an Differenzierung in ihrem Denkvermögen. Sie haben keine Definitionen. Die Christen müssen versuchen, in ihrer eigenen Weltanschauung das Höchste zu erreichen, um mit den Marxisten erfolgreich ins Gespräch kommen zu können. Die christlichen Kader müssen so geschult werden, dass sie für eine kämpferische Auseinandersetzung mit den Marxisten die Voraussetzungen besitzen. Der Christ hat eine längere Tradition und kann auf eine bessere Schulung aufbauen als der aus dem Proletariat kommende Marxist. Für diesen Dialog mit den Marxisten muss bei den Christen eine neue Form des Weltbewusstseins geschaffen werden. Nirgends steht geschrieben, dass der Marxismus prädestiniert ist, den Weltkommunismus zu schaffen. Es kann ja auch ein theologischer oder ein buddhistischer Weltkommunismus sein. Die Christen müssen sich bemühen, in der Auseinandersetzung mit den Marxisten vom kleinsten Arbeiter an der Werkbank bis zum höchsten Funktionär eine gewisse Unsicherheit hineinzutragen, damit ihnen klar wird, dass sie nicht prädestiniert sind, den Weltkommunismus aufzubauen. Die Christen müssen eine gewisse Zeit kollaborieren, um, nach einer Zeit des Zusammenmarschierens mit den Marxisten die Weiche umzustellen auf das eigentliche Endziel: Die Errichtung des theologischen Kommunismus.
Die Begriffe Idealismus und Materialismus haben überhaupt keine Bedeutung mehr; zwischen ihnen besteht kein Gegensatz. Dies haben die Marxisten noch nicht erkannt. In einer Zeit, in der die Materie durch die Atomspaltung in Energie umgewandelt wird, bleibt letzten Endes nur die Energie übrig und nicht die Materie.«
Zur Kybernetik erklärte Blum, sie würde morgen schon eine Teilfunktion des menschlichen Denkens übernehmen. Hier verwischt sich die Grenze vom Anatomischen zum Mechanischen. Die ungeheure Kraft des mechanischen Denkens könnte autoritär genutzt werden zur Manipulierung und zur Kontrolle der Menschen. Der Mensch als Roboter sei das »Ziel diktatorisch östlich gelenkter Vermassung«.
Die Kybernetik fordere eine neue Gesellschaftsordnung; es sei abzusehen, dass diktatorische Bestrebungen schon im Gange seien, den Menschen der Maschine unterzuordnen. Es müssten neue Formen der Verfügungsmacht über das Eigentum geschaffen werden.
In der Diskussion zum Referat von Prof. Blum wurde dessen Ausführungen vorbehaltlos zugestimmt (u. a. durch Superintendent Heinemann-Grüder/Gramzow, Generalsuperintendent Jacob/Cottbus, Pfarrer Schottstädt/Berlin, Dr. Schicketanz/Magdeburg).
So führte z. B. Heinemann-Grüder aus, das Historisch-Spezifische im System des Antagonismus werde gegenwärtig ins Gegenteil verkehrt. In diesem Sinne würde man sich nicht schämen, in der Presse zu veröffentlichen, die Israelis seien die Nachfolger der Judenmörder von gestern. Das System idealdenkender Marxisten würde den Christen die letzte Öffnung zur Einigung mit dem Marxismus verschließen.
Generalsuperintendent Jacob/Cottbus, der gleichzeitig auf die Bedeutung der IV. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala14 einging, erklärte u. a., der ererbte Festungsstandpunkt der Kirchen sei aufgegeben worden. Jeder Christ müsse auf seinem Platz mit Andersdenkenden in Kontakt treten, nur so komme man zum Ziel. Der Marxismus sei überholt. An den Christen würde es liegen, wer zum Regler im kybernetischen System wird. Die Kirche brauche ein »Neues Verständnis des Menschen«. Sie dürfe es nicht mehr nur den Marxisten und Humanisten überlassen, Anwalt dieser Welt zu sein. Die Christen würden in aller Welt in der Konkurrenz mit den Marxisten am Ende Sieger sein. Die Einheit der Menschen allein sei das Ziel der Kirche; das würde sie sich von den Marxisten nicht rauben lassen. Die Kirche werde herausgefordert und würde Opfer bringen müssen. Die Christen würden das Leben dafür gern hingeben; sie seien zum persönlichen Einsatz für den Glauben aufgerufen.
Kontaktmöglichkeiten müssten zwischen Nationen und Rassen gesucht und geschaffen werden. Wo die Wahrheit nicht geachtet werde, da würde die Kirche sprechen. Die Furcht vor Revolutionen und ein Beibehalten des Status quo würde uns alle zugrunde richten. Die Kirche allein trage die Verantwortung für diese Welt, sie müsse heraus aus der Zone des Schweigens. Die Kämpfer der christlichen Sache und Erneuerung müssten damit in der Ortsgemeinde beginnen. Das Band, das die Kirche mit der Gemeinde verbinde, müsse gerade unter dem »Druck der Marxisten« gefestigt werden, gleich mit welchen Mitteln.
Um des neuen Menschen willen müssten Regierung und Gewerkschaft zur Rechenschaft aufgefordert werden. Die Christen sollten sich davor hüten, dass man sie in ein »geistiges Ghetto« sperrt. Sie sollten die »Vernebelungstaktik der CDU« erkennen. Die Schwerpunkte von Spannungen und Konflikten in unserer Gesellschaft müssten die Christen besser kennenlernen. Die ČSSR hat die Spannungen und Konflikte in ihrer Gesellschaft erkannt und das einzig Richtige getan. Die Kirche müsste zu einer »Überwindung des provinziellen Denkens« der Gemeindeglieder kommen. Es müsse zu einer »Bewusstseinsumbildung bei allen Christen« kommen. Jeder Christ habe Anlass genug, sich auf seinem kleinen Platz – im Betrieb, im Büro, in der Landwirtschaft – täglich für die Humanität im christlichen Sinne und für die Unterdrückten, auch im eigenen Lande, einzusetzen.
Den größten Raum während der gesamten »Tagung« nahmen »Diskussionen« über die Entwicklung in der ČSSR ein. Charakteristisch dabei ist, dass sich alle Diskussionsteilnehmer gegen die Maßnahmen der fünf Warschauer Vertragsstaaten wandten und die Entwicklung in der ČSSR vor dem 21.8.1968 befürworteten.
Diese »Debatte« war von Schottstädt bereits am ersten Tag der Zusammenkunft eingeleitet worden, indem er ausführte: »Unsere engsten Verbindungen, unsere Herzen schlagen für die ČSSR.« Es wäre das Möglichste getan worden, die Brüder des »neuen Kurses« in der ČSSR zu unterstützen. »Wir haben Reisen gemacht, wir haben diskutiert, wir sind ständig bei ihnen gewesen. Umso mehr trifft uns dieser Schlag.« 1968 sei das »Jahr der Menschenrechte«. Fehlende Informationsfreiheit werde aber zum Gespenst, wenn man sie von der Basis der Rede- und Versammlungsfreiheit aus sehen würde. »Wir müssen zum Anwalt der Welt werden, zum Mund der Stummen. Die Gefahr einseitiger Information wächst ungeheuerlich. Unsachliches Gerede führt uns jedoch zu keiner Lösung.«
Im Verlaufe der Tagung äußerte Schottstädt weiter, mit Panzern könne man nicht überzeugen; das würde sich nur der Marxismus einbilden. Die alten Schlagworte der Marxisten seien bedeutungslos geworden. Die ČSSR sei ein total verletztes Volk. Das sei das Ergebnis des Einmarsches der Truppen. Die DDR sei der beste Handelspartner innerhalb des Ostblocks mit Westdeutschland. Die ČSSR wäre auf dem Wege gewesen, der DDR Konkurrenz zu machen. Man müsse den Einmarsch der Truppen auch unter diesem wirtschaftlichen Gesichtspunkt sehen. Das schlimmste für die Christen in der DDR sowie für die »Brüder« in der ČSSR sei, dass es die gleichen Uniformen wie vor 30 Jahren gewesen seien. Das sei »beschämend und erschreckend«.
Die Kirche müsse verhüten, dass sie zu »im System versinkenden Brüdern« werde. Diskutieren müsse man mit den Marxisten zu ihrer Auflockerung, zu ihrer Umwandlung. Zuerst müsse man mit solchen diskutieren, die aus der SED ausgeschlossen wurden; dann mit solchen, die insgeheim den »neuen Kurs« in der ČSSR befürworten und dann erst mit überzeugten Marxisten. »Wir wollen Vorturner des neuen Kurses werden. Ich möchte Vorturner von Walter Ulbricht15 werden.«
An einer anderen Stelle dieser »Diskussion« erklärte Schottstädt: »20 % unserer Studenten aus der DDR waren glücklicherweise schon einmal in der ČSSR. Alle sind für den neuen Kurs. Das wird den Marxisten auf den Hochschulen demnächst zu schaffen machen. Politisch und moralisch hat die ČSSR gewonnen, das ist unser aller Meinung. Die DDR paktiert mit nationalistischen oder feudalistischen arabischen Staaten. Welch ein Wahnsinn! Der Sündenfall des Marxismus ist seine Verbindung mit der Politik.« In der jüngsten Vergangenheit seien mehrere Jugendgruppen aus dem Ausland bei der »Gossner Mission« in Berlin gewesen. Sie könnten sehr wohl zwischen Sozialismus und Sozialismus des neuen Kurses unterscheiden. Das hätte ihnen die »Gossner Mission« beigebracht.
Auch in seinem Schlusswort hielt Schottstädt seine Haltung aufrecht, wiederholte sinngemäß seine »Anschauungen« und betonte: »Wir wollen uns überall einschalten, um mitzumischen. Es kommt darauf an, die Kontakte zu einigen marxistischen ›Freundfunktionären‹ auszubauen und die Arbeit bezüglich der Kontakte zum FDGB, den Parteileitungen und Massenorganisationen zu verstärken.«
Nach Schottstädts Vorstellungen, die er im Schlusswort formulierte, sollen die nächsten Schritte der »Gossner Mission« in Auswertung dieser »Tagung« so aussehen, dass Theologen in die Betriebe delegiert werden mit dem Auftrag, sich so zu qualifizieren, um entsprechend Einfluss in ihrem Arbeitsbereich nehmen zu können.
Schwerpunktmäßig sollen dabei solche Betriebe ausgewählt werden, die auf technischem Gebiet eine führende Rolle spielen, wie z. B. die Datenverarbeitung. Diese Theologen sollen für ihren Einsatz von der »Gossner Mission« bezahlt werden.
Im Verlaufe der »Tagung« wurde durch Schottstädt ein von Prof. Hromadka16/Prag (Präsident der »Prager Christlichen Friedensversammlung«) an den Botschafter der Sowjetunion in der ČSSR gerichtetes Schreiben verlesen, mit dessen Inhalt sich Schottstädt gleichzeitig identifizierte. Dieser Brief richtet sich gegen die Hilfsmaßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten. Das Schreiben war durch Carl Ordnung/Berlin (Hauptvorstand der CDU) zum Verlesen zur Verfügung gestellt worden. Carl Ordnung äußerte in einem »Diskussionsbeitrag«, dass völkerrechtlich keine Begründung für den »Einmarsch der Truppen in die ČSSR« vorhanden gewesen sei.
Mit dieser vorherrschenden Meinung, die den gesamten Verlauf der »Tagung« charakterisierte, identifizierten sich in entsprechenden »Diskussionen« besonders
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Dr. Schicketanz/Magdeburg (Die Partei allein übe die Macht aus. Nach außen hin würde diese »brutale Idee« durch kleine Anhängsel verschönert und schmackhaft gemacht. Die Macht sei damit in einen unkontrollierbaren Apparat verlegt worden);
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Prediger Müller/Potsdam (»Fest steht, dass große Teile des tschechischen Volkes für den Sozialismus sowjetischer Prägung auf lange Jahre hinaus verloren sind. Das ist das Positivum.«);
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Superintendent Heinemann-Grüder/Gramzow (»Aufgabe der Christen ist es, das politische Leben offenzuhalten.« Die Christen hier müssten täglich Zeugnis ablegen »gegen die Gewalt, die hier praktiziert wird«.)
Ähnliche »Auffassungen« vertraten ausländische Gäste sowohl in offener als auch in versteckter Form. So äußerten
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Pfarrer Zipfel und der Jesuit Bogatzki, beide aus der VR Polen, ihre große Empörung zu den Maßnahmen in der ČSSR und behaupteten, dass in den kirchlichen Kreisen in ganz Polen diese Empörung über den Einmarsch der Truppen zum Ausdruck gekommen sei.
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Pfarrer Bednacik/Brno/ČSSR bedankte sich bei den Teilnehmern der »Tagung« und besonders bei Schottstädt für die »Hilfe«, den »neuen Kurs« durchzusetzen. Bednacik erklärte u. a.: »Wir wollen einen menschlichen Sozialismus. Wir wollen keinen unmenschlichen Sozialismus, wie ihr ihn habt. Sie und Ihre Brüder haben durch Reisen und Unterstützung geholfen, den neuen Kurs durchzusetzen. Wir danken Ihnen. Wir wollen, glaubt es mir, Brüder, auf dem Boden des Sozialismus bleiben. Jede andere Behauptung ist lächerlich.«
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In einer Bibellesung hob Pfarrer Bäumlin/Westberlin u. a. den biblischen Text hervor: »Wir wollen einreißen die Mauer, die da errichtet wurde … Wir wollen zerbrechen den Zaun, der den Leib voneinander scheidet. Wir wollen neue Menschen haben. Wir haben den Gedanken von der Welteinheit nicht vom Evangelium aufgegeben, sondern aus der Not. Wir wollen nicht resignieren bei eventuellen großen Rückschlägen. Alle Schranken, die die Völker voneinander trennen, sind revidierbar.«
Während der »Tagung« wurden, jeweils von mehreren Teilnehmern interpretiert, solche »Probleme« und »Beispiele« hochgespielt wie
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das »Verbot« des Kirchentages der Landeskirche Berlin-Brandenburg (man müsse sich der »Gewalt« beugen);
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die »Verhaftung« von zwei Söhnen Prof. Havemanns,17 wobei die Inhaftierten als »unschuldige Opfer« bezeichnet wurden;
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die Zurücknahme einer Kanzelabkündigung von Bischof Jänicke18/Magdeburg auf Einwirkung des Staatsapparates.
Superintendent Heinemann-Grüder/Gramzow führte im Verlaufe der »Tagung« weiter aus, er habe Pastor Niemöller19 aus Westdeutschland für November 1968 zur 800-Jahrfeier nach Gramzow eingeladen. Die Einreise Niemöllers sei jedoch vom Staatsapparat abgelehnt worden mit der Begründung, dass man in der momentanen Situation einen so überzeugten Pazifisten wie Pastor Niemöller nicht einreisen lassen könne. Niemöller habe durch seine Gespräche mit Wehrdienstverweigerern bei seinen bisherigen Besuchen in Gramzow auf Jugendliche Einfluss genommen. Wörtlich: »So etwas geschieht bei uns mit einem Lenin-Preisträger.« (Inoffiziell wurde dem MfS bekannt, dass Niemöller beabsichtige, am 3.11.1968 nach Gramzow und am 4.11.1968 nach Magdeburg zu fahren. In Magdeburg wolle er nachmittags ein »abgedecktes Gespräch« mit Bausoldaten führen und abends offiziell vor der »Jungen Gemeinde«20 sprechen. Am 9.11.1968 wolle er an der Einweihung der Synagoge in Karl-Marx-Stadt teilnehmen.)
Diese illegale Tagung der »Gossner Mission« wurde am 11.9.1968 von Schottstädt mit den Worten: »Brüder, spiegelt an eurem Platz wider, was wir uns hier erarbeitet haben« beendet.
Es wird eingeschätzt, dass sich diese Funktionärskonferenz der »Gossner Mission«, die unter Leitung von Pfarrer Bruno Schottstädt/Berlin stand, gegen die staatlichen und kirchlichen Interessen in der DDR konstituierte.
Das MfS schlägt aufgrund der angeführten Fakten vor, die Zweckmäßigkeit folgender Maßnahmen zu prüfen:
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Die »Gossner Mission« nicht mehr als offizielle kirchliche Organisation zu behandeln;
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Abbruch aller Kontakte und Verbindungen zur »Gossner Mission« und zu ihrem Leiter, Schottstädt, durch alle staatlichen Organe und gesellschaftlichen Organisationen (wie z. B. durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen, den Magistrat von Groß-Berlin, den Friedensrat, den Nationalrat der Nationalen Front (Westabteilung und Arbeitsgruppe Christen), die CDU (Carl Ordnung)).
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Ausreiseanträge des Leiters der »Gossner Mission« und seiner engeren Mitarbeiter in das sozialistische und kapitalistische Ausland sollten nicht mehr genehmigt werden. Gleichermaßen sollte bei Einreiseanträgen kirchlicher Personen aus dem sozialistischen und kapitalistischen Ausland verfahren werden, die aus kirchlichen oder privaten Gründen zu Besuchen der »Gossner Mission« und ihres Leiters, Schottstädt, in die Hauptstadt der DDR einzureisen beabsichtigen.
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Es sollte verhindert werden, dass der Leiter der »Gossner Mission«, Schottstädt, wie vorgesehen als Ehrengast an dem bevorstehenden Parteitag der CDU vom 2. bis 5.10.1968 teilnimmt.
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