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Konferenz der evangelischen Bischöfe und Kirchenleitungen der DDR

[ohne Datum]
Einzelinformation Nr. 1393/68 über die Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR am 9. Dezember 1968 und über die Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen der DDR am 10. Dezember 1968 in der Hauptstadt der DDR Berlin

Dem MfS wurden über beide o. g. Zusammenkünfte, die vertraulichen Charakter hatten, folgende Einzelheiten bekannt:

Die Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR fand turnusgemäß am 9.12.1968 in Berlin statt. Anwesend waren alle evangelischen Bischöfe und der Sekretär der Konferenz, Konsistorialrat Stolpe.1 Vertreter aus den Kirchenkanzleien der »Evangelischen Kirche in Deutschland« und die Ratsmitglieder der »EKD« in der DDR, die sonst ebenfalls bei diesen Sitzungen anwesend waren, nahmen erstmalig nicht teil. Die Konferenz begann um 19.00 Uhr und war gegen 21.00 Uhr beendet.

Zur Tagesordnung standen folgende Probleme:

  • 1.

    Diskussion über die Strukturdebatte in der evangelischen Kirche der DDR,

  • 2.

    Auswertung der Teilsynode der VELKD (Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirchen Deutschlands) in der DDR und Probleme der Verselbstständigung der VELKD in der DDR,

  • 3.

    Entwurf eines Protestbriefes an den Staatsratsvorsitzenden, Genossen Walter Ulbricht.2

Die Leitung der Konferenz hatte der Vorsitzende der Bischofskonferenz der DDR, Landesbischof Beste3/Schwerin.

Konsistorialrat Stolpe legte den Bischöfen zur Strukturdebatte eine schriftliche Vorlage zur »Auswertung der Stellungnahmen der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR zum Entwurf eines Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR« sowie einen vertraulichen Bericht »Vergleichende Übersicht der Stellungnahmen der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR zum Entwurf einer Ordnung des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR« vor. Er betonte, dass diese Vorlagen lediglich zur persönlichen Information der Bischöfe bestimmt seien und nicht weitergegeben werden dürften.

(Bekanntlich war der Entwurf der »Ordnung des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR« gemäß einer Festlegung während einer sogenannten Informationstagung aller Landeskirchen der DDR vom 2. bis 4.10.1968 in Halle an alle leitenden Geistlichen der evangelischen Kirchen der DDR gesandt worden. Während der Tagung in Halle waren die Meinungsverschiedenheiten über den Entwurf der »Ordnung« so groß gewesen, dass die einzelnen Landeskirchen aufgefordert wurden, nach entsprechenden Beratungen schriftlich zu diesem Entwurf Stellung zu nehmen. Inzwischen sind die Stellungnahmen aller Landeskirchen beim Geschäftsführer der »Strukturkommission«, Konsistorialrat Stolpe, eingegangen. Siehe dazu auch unsere Information Nr. 1299/68 vom 27.11.1968).

Konsistorialrat Stolpe erklärte auf der Grundlage der oben erwähnten zwei schriftlichen Vorlagen, die Stellungnahmen der einzelnen Landeskirchen seien inhaltlich sehr unterschiedlich.

Aus den Stellungnahmen der Landeskirchen würden sich insgesamt 118 Anregungen und Änderungsanträge ergeben, die, da sie redaktioneller Art seien, in der Strukturkommission geklärt würden. Bei weiteren ca. 15 Vorschlägen aus den Bereichen der Landeskirchen handele es sich jedoch um grundsätzliche Fragen, zu deren Klärung für die Weiterarbeit der Strukturkommission ein Votum der Konferenz der evangelischen Bischöfe erforderlich wäre (Fragen der Richtlinienkompetenz, Wahl der Anzahl der Mitglieder für die Konferenz, Einsatz von Kommissionen entweder durch Synode oder Konferenz, Amtsdauer der gewählten Gremien, Wahl der Vorsitzenden der Konferenz, usw.).

Konsistorialrat Stolpe erklärte weiter, es sei jedoch in allen Stellungnahmen zum Ausdruck gekommen, dass die Bildung eines »Bundes evangelischer Kirchen in der DDR« unbedingt notwendig sei.

Der größte Teil der evangelischen Kirchenleitungen der DDR habe sich für die Auflösung aller »EKD«-Dienststellen und -organe in der DDR ausgesprochen bzw. ihre Umwandlung in Kirchendienststellen der DDR gefordert. Dieser Prozess könne allerdings nicht von heute auf morgen beendet sein. Damit hätten sich die Kirchenleitungen der evangelischen Landeskirchen der DDR weitgehend die Forderungen der Landeskirchen Thüringen zu eigen gemacht. Die Landeskirche Thüringen hatte in ihrer Stellungnahme gefordert, »… dass vor Inkraftsetzung der Ordnung des Bundes das künftige Verhältnis des Bundes zur EKD eindeutig geklärt wird«.

Stolpe führte aus, auf der Grundlage der Stellungnahmen solle bis zum 7.1.1969 eine dritte Vorlage erarbeitet werden, die dann gemeinsam von den Mitgliedern der Strukturkommission beraten werden soll.

Die Ausführungen von Konsistorialrat Stolpe wurden von den Bischöfen Schönherr4/Berlin-Brandenburg und Beste/Schwerin unterstützt.

Die Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR beschloss, dass Schönherr/Berlin-Brandenburg am 10.12.1968 auf der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen der DDR über die Strukturfragen berichten sollte.

Bei der Behandlung des 2. Tagesordnungspunktes machte Bischof Schönherr den drei lutherischen Bischöfen Mitzenheim,5 Noth6 und Beste den Beschluss der Synode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirchen (VELKD) in der DDR vom 30.11.1968 in Freiberg über die Verselbstständigung der evangelisch-lutherischen Kirchen der DDR zum Vorwurf. Dieser Beschluss käme einem »Dolchstoß« gleich, da die Evangelische Kirche der Union (EKU) von diesem Vorhaben der VELKD in der DDR nicht informiert gewesen sei. Dieser Beschluss würde den Bestrebungen der »EKD« (Bildung einer sogenannten Zwillingskirche) zuvorkommen und den Prozess zur Bildung eines »Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR« beschleunigen. Dieses Beispiel könne schnell Schule machen und zu unüberlegten Schritten führen. Es mache sich eine Mitteilung an alle Pfarrer über die Strukturfragen der »EKD« notwendig.

Bischof Beste erklärte dazu, dass der Präsident der EKU, Hildebrandt,7 in drei Konsultationen von dem Vorhaben informiert worden sei. Er müsse den Vorwurf zurückweisen. Eine eigene evangelische Kirche der DDR stehe auf der Tagesordnung und könne nicht umgangen werden.

Bischof Mitzenheim sagte, dass der Beschluss der VELKD in der DDR ein Beispiel sei, wie den Realitäten Rechnung getragen werden könne.

Zum 3. Tagesordnungspunkt legte Bischof Fränkel8/Görlitz den Entwurf eines von ihm entworfenen Schreibens an den Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Walter Ulbricht, zur Annahme durch die Bischöfe vor. (Das Schreiben richtet sich gegen Gerichtsverfahren gegenüber Bürgern, die im Zusammenhang mit den Hilfsmaßnahmen für die ČSSR9 eine »der Regierung widersprechende Auffassung bekundet« hätten.)

Fränkels Ausführungen dazu gipfelten in der Bemerkung: »Ich kann das Gerede von der politisch-moralischen Einheit nicht mehr hören. Auf uns kommt eine neue Welle des Kirchenkampfes zu wie zu Rosenbergs10 Zeiten.« Auf der Frühjahrssynode 1969 in Görlitz werde er darüber berichten.

Zu den Ausführungen Bischof Fränkels nahmen die Bischöfe Mitzenheim, Schönherr und Beste Stellung. Sie lehnten einen derartigen Brief an den Staatsratsvorsitzenden ab. Aufgrund dieser Stellungnahmen kam es zu keiner weiteren Diskussion und über die Annahme des Vorschlages wurde nicht abgestimmt. Fränkel beharrte trotz der Ablehnung seines Briefes durch die Mehrzahl der Bischöfe auf seinem Standpunkt und sandte diese Stellungnahme am 12.12.1968 als persönliche Eingabe an den Staatsrat ab.

Am 10.12.1968 fand die planmäßige Sitzung der »Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR« im »Haus der Kirche« Berlin-Weißensee statt.

Die Tagesordnung umfasste folgende Punkte:

1. Bericht aus den Kirchen

2. Zwischenbericht der Strukturkommission

3. Gemeinsame Arbeitsvorhaben der kirchlichen Werke

4. Verschiedenes

Die Leitung lag in den Händen des leitenden Bischofs der DDR Beste/Schwerin. Bischof Beste richtete ein Willkommensgrußwort an den neugewählten Bischof Dr. Krusche,11 evangelische Landeskirche Magdeburg, der erstmalig an der Konferenz teilnahm.

Im Rahmen des ersten Tagesordnungspunktes beschwerte sich Bischof Fränkel/Görlitz aufgeregt darüber, dass in seinem Kirchensprengel Kirchenvertreter von staatlichen Stellen die Aufforderung erhielten, für die Nationale Front zu kandidieren. Fränkel forderte ein gemeinsames Vorgehen gegen derartige Forderungen.

Auch Oberkirchenrat Behm12/Berlin (Leiter der Geschäftsstelle der »EKD« in der DDR), forderte in seinen Ausführungen eine einheitliche Auffassung zu der Nichtbeteiligung von kirchlichen Vertretern im Rahmen der Nationalen Front. Behm äußerte wörtlich: »Die Kirchen sollen keine Vertreter in die Veranstaltungen der Nationalen Front entsenden und auch keine Funktionen übernehmen.«

Bischof Krummacher13/Greifswald stellte in seinen Ausführungen u. a. »eine Verschärfung des ideologischen Druckes in den Schulen« fest und empfahl, diese »Feststellungen« zentral zu sammeln und entsprechend auszuwerten.

Oberkonsistorialrat Heidler,14 Lutherisches Kirchenamt Berlin, berichtete über die in Freiberg stattgefundene Synode der VELKD in der DDR und den dort gefassten Beschluss, dass sie ab 1.12.1968 eine eigene selbstständige »Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche/DDR« (VELK/DDR) gebildet haben. Heidler führte wörtlich aus: »Wenn uns heute der Vorwurf gemacht wird, das hätte keiner gewusst und erwartet, dann kann ich hier nochmals versichern, dass dieser Beschluss (die Verselbstständigung) dem Präsidenten der Evangelischen Kirche der Union (EKU), Reinhold Hildebrandt, vor der Beschlussfassung zur Kenntnis gelangte und Präsident Hildebrandt nichts dazu gesagt hat. Der Beschluss von Freiberg ist ein objektiver Prozess, dem sich die anderen Kirchen in der DDR nicht verschließen können. Es ist keinesfalls eine Abkapselung gegenüber anderen Kirchen in der DDR

Heidlers Ausführungen wurden von Bischof Beste unterstrichen, indem er auf die Existenz von zwei deutschen Staaten und die sich daraus ergebenden Konsequenzen hinwies.

Diese Ausführungen ergänzte Bischof Noth/Dresden, der hervorhob, die »preußische Union« sei nicht »das Modell, in welchem sich die Kirche darstellen könne.«

Zum zweiten Tagesordnungspunkt – Strukturdebatte – ergriff Bischof Schönherr das Wort. Schönherr brachte den Teilnehmern der Konferenz eine Analyse über die Stellungnahmen der einzelnen Landeskirchen der DDR zu dem Entwurf eines »Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR« zur Kenntnis. Danach habe keine Landeskirche einem Zusammenschluss der Landeskirchen in der DDR widersprochen. Allerdings gäbe es unterschiedliche Auffassungen zu der inneren Gestaltung eines »Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR«. Ein Mangel im Entwurf sei die bisher ungeklärte Stellung der Bischofskonferenz im Rahmen eines Bundes.

Schönherr hob besonders hervor, dass keine Landeskirche eine klare juristische Absage gegenüber der »Evangelischen Kirche in Deutschland« gefordert habe. Damit versuchte er bewusst, die Eingaben der Landeskirchen Thüringen, Mecklenburg und Sachsen zu übergehen, die die Forderungen nach einer klaren juristischen Abgrenzung gegenüber der »EKD« in den Punkten – Auflösung der »EKD«-Geschäftsstellen in der DDR, – Völlige Aufhebung der Funktionen »Ratsmitglied« und »Synodaler« der »EKD« gefordert hatten.

Schönherr betonte, mit den Stellungnahmen der Landeskirchen würde sich später eine Strukturkonferenz beschäftigen. Es mache sich erforderlich, dass die evangelische Kirche eine Verlautbarung an alle Pfarrer über die Strukturdebatte herausgebe, damit die unterschiedlichen Auffassungen unter der Pfarrerschaft behoben würden. Dazu werde am 7.1.1969 eine Sitzung der Strukturkommission mit allen Bischöfen erfolgen, während der Entwurf entsprechend den eingegangenen Stellungnahmen überarbeitet und eine Verlautbarung an alle Pfarrer vorgelegt würde.

Abschließend fasste Bischof Schönherr zusammen und betonte, dass es bei dem Bund um keine »Superkirche«, sondern um eine föderative Zusammenarbeit ginge. Des Weiteren sei auch nicht beabsichtigt, eine »Superunion«, d. h. eine einheitliche Bekenntniskirche, zu schaffen. Der Beschluss der VELK/DDR stehe den Bestrebungen der Bildung eines Bundes nicht im Wege. Er persönlich halte es ebenfalls nicht für möglich, dass in der Perspektive die Organe der »EKD« in der DDR und des geplanten Bundes in der DDR nebeneinander bestehen können. Es könne dann nur noch eine geistige Nachbarschaft praktiziert werden. Eine endgültige Formulierung über das Verhältnis »EKD« – »Bund der evangelischen Kirchen in der DDR« sei noch offen, könne aber in die Präambel der 3. Fassung des Satzungsentwurfes eines Bundes aufgenommen werden. Bei der Ausarbeitung des neuen Satzungsentwurfes sei zu berücksichtigen, dass 118 Abänderungsvorschläge bei der Strukturkommission eingegangen seien. Dieser neue 3. Entwurf soll Ende Januar/Anfang Februar 1969 den Landeskirchen zugestellt und durch die Landessynoden auf den Frühjahrstagungen ratifiziert werden.

Anschließend an Schönherr nahm Bischof Mitzenheim das Wort. Er forderte eine klare Stellungnahme zur »EKD«. Mitzenheim bemängelte, dass die Juristen zur Strukturdebatte zu wenig eingesetzt seien. Die Juristen der einzelnen Landeskirchen sollten über den Entwurf ebenfalls eine Stellungnahme erarbeiten.

Bischof Noth verlangte einen schnelleren Abschluss der Strukturdebatte. Der Entwurf über den »Bund der evangelischen Kirchen in der DDR« sollte nicht so viel theologischen Ballast beinhalten; darauf komme es gegenwärtig nicht an. Es gehe um die Rechtsstellung des Bundes. Die einzelnen Kirchen müssten zusammenwachsen.

Zu den anderen Tagesordnungspunkten gab es nur theologische Bemerkungen.

Als westdeutscher Gast nahm Oberlandeskirchenrat Fritsch15/Hannover an der Konferenz teil. Er übermittelte Grüße der Kirchenkanzlei Hannover und von Bischof Lilje,16 der gegenwärtig wegen einer offenen Tbc im Krankenhaus liege. Fritsch teilte darüber hinaus den Anwesenden mit, dass die westdeutschen evangelischen Kirchen im Jahre 1968 3,5 Millionen D-Mark für die Aktion »Hunger in der Welt« gespendet hätten.

Bischof Beste wies zum Schluss der Sitzung der »Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR« auf den streng vertraulichen Charakter der Tagung hin. Er forderte vor allem von dem westdeutschen Gast Fritsch absolute Diskretion, damit keinerlei Informationen nach außen dringen.

Über Bischof Beste wurde dem MfS intern bekannt, dass er vor einiger Zeit eine Genf-Reise ausnutzte, um mit Bischof Scharf17/Westberlin und Bischof Dietzfelbinger18/München, Vorsitzender des Rates der »EKD« in Westdeutschland, eine Unterredung zu führen. Nähere Informationen darüber liegen bisher noch nicht vor.

Diese Information darf in Interesse der Sicherheit der Quellen nicht öffentlich ausgewertet werden.

Anlagen19

  1. Zum vorherigen Dokument Fortsetzungsausschuss der Berliner Konferenz katholischer Christen

    27. Dezember 1968
    Information Nr. 1391/68 über die 9. Sitzung des »Internationalen Fortsetzungsausschusses der Berliner Konferenz katholischer Christen aus europäischen Staaten« vom 7. bis 8. Dezember 1968 in Berlin