Selbsttötung eines evangelischen Pfarrers (Bezirk Magdeburg)
15. November 1976
Information Nr. 790/76 über die Selbsttötung eines evangelischen Pfarrers aus [Ort], Bez[irk] Magdeburg
Am 10. November 1976, gegen 8.30 Uhr wurde durch Suchkräfte der Deutschen Volkspolizei der seit den Abendstunden des 9. November 1976 vermisste [Name], geboren [Tag] 1928, wohnhaft gewesen: [Adresse], tätig gewesen als Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde [Ort 1], verheiratet, drei Kinder im Alter von 11, 13 und 16 Jahren, im Waldstück [Bezeichnung] am Ortsausgang [Ort 2] mit einer Wäscheleine an einem Baum erhängt aufgefunden.
Die gerichtliche Obduktion der Leiche ergab als Todesursache Tod durch Erhängen. (Der Tod trat in den Abendstunden des 9. November 1976 ein.) Der Pkw des [Name des Pfarrers] war verschlossen und ordnungsgemäß am Ortsausgang [Ort 2] ca. 300 m vom Tatort entfernt, abgestellt. Die erhobenen Befunde an der Leiche, am Tatort sowie am und im Pkw begründen hinreichend einen Selbstmord.
Die gemeinsam mit der DVP durch das MfS in diesem Zusammenhang geführten Untersuchungen ergaben Folgendes:
[Der Pfarrer] befand sich am 9. November 1976 mit seiner Ehefrau und zwei Kindern anlässlich des 70. Geburtstages seiner Schwiegermutter in [Ort 2]. Im Verlaufe eines Kurzbesuches des [Pfarrers], den dieser am gleichen Tage allein seinem ebenfalls in [Ort 2] wohnhaften Onkel abstattete, wurde [der Pfarrer] mit dem in [Ort 2] ortsbekannten Sachverhalt seiner Täterschaft beim sexuellen Missbrauch von in [Ort 2] ansässigen Knaben konfrontiert. Obwohl er die von seinem Onkel und dessen Ehefrau erhobenen Anschuldigungen nicht bestätigte, verließ er sichtbar beeindruckt deren Wohnung.
Wie durch Zeugenaussagen bestätigt wird, erwarb [der Pfarrer] nach diesem Besuch bei der BHG [Ort 2] die als Strangwerkzeug benutzte Wäscheleine. (Über sein Verhalten bis zur Ausführung des Selbstmordes liegen gegenwärtig keine Angaben vor.)
Im Zusammenhang mit den von [Name des Pfarrers] begangenen kriminellen Handlungen sind folgende Umstände bemerkenswert:
Im Verlaufe des 22. Oktober 1976 wurden vier Knaben im Alter von sieben bis acht Jahren im Stadtgebiet von [Ort 2] durch einen ihnen unbekannten Mann, der einen Pkw Trabant-Kombi benutzte, zu sexuellen Handlungen missbraucht. Zwei weitere Knaben wurden unter einem Vorwand zum Mitfahren aufgefordert.
Am 25. Oktober 1976 sind diese Sachverhalte der Kriminalpolizei des VPKA [Stadt] bekannt geworden. Die daraufhin einsetzenden Ermittlungen führten zur Verdächtigung des Predigers [Name] aus [Ort 1]. Im Ergebnis der weiteren Ermittlungen wurde bekannt, dass in der Zeit vom 20. März 1976 bis einschließlich 22. Oktober 1976 in [Ort 2] insgesamt acht männliche und zwei weibliche Kinder durch ein und denselben Täter gemäß § 148 (1) StGB sexuell missbraucht wurden. Weitere vier Knaben und ein Mädchen wurden zum Mitfahren angesprochen.
Die Täterschaft des Predigers [Name] ist zweifelsfrei durch die Wiedererkennung eines betroffenen Kindes in Verbindung mit seiner Mutter, durch Lichtbildvorlage sowie durch die gleichbleibende Arbeitsweise und den in allen Fällen benutzten Pkw Trabant bewiesen.
Bereits am 3. April 1968 zeigte eine in [Ort 3] wohnhafte Bürgerin den sexuellen Missbrauch ihrer beiden Mädchen durch den damals dort tätigen Pfarrer [Name] während des Religionsunterrichts an. Eine Strafverfolgung unterblieb, weil die Glaubwürdigkeit der Kinder angezweifelt wurde und [der Pfarrer] sich nicht zur Tat bekannte.
[Angaben zum Lebenslauf des Pfarrers]
[Der Pfarrer], der anfangs aus einer negativen Einstellung zur DDR kein Hehl machte und bis 1966 ständig als Nichtwähler in Erscheinung trat, bezog seit der Einschulung seines ältesten Kindes zumindest nach außen hin eine loyale Haltung gegenüber Staat und Gesellschaft der DDR.
Sowohl in der Gemeinde [Ort 2] als auch in [Ort 1], wo [Name] als Pfarrer tätig gewesen war, wurde die kriminelle Handlungsweise durch die Bevölkerung einmütig verurteilt.
Wie dem MfS weiterhin zuverlässig bekannt ist, vertreten Amtsträger der evangelischen Kirche, die von dem Sachverhalt der Selbsttötung des Pfarrers [Name] Kenntnis erhielten, die Meinung, dass diese »traurige Angelegenheit« für ihre Landeskirche nicht dienlich sei. Politische Spekulationen traten unter diesem Personenkreis und in diesem Zusammenhang nicht auf. (Am 10. November 1976 informierte der Hauptabteilungsleiter im Staatssekretariat für Kirchenfragen, Genosse Weise, Bischof Krusche über die Selbsttötung des Pfarrers [Name] und damit im Zusammenhang stehende Fragen. Bischof Krusche reagierte verständnisvoll und brachte zum Ausdruck, dass er durch diesen Hinweis in der Lage sei, entstehenden Gerüchten wirksam entgegentreten zu können.)
Propst [Name], der Vorgesetzte des [Pfarrers], hat den Kreisstaatsanwalt des Kreises [Stadt] ersucht, sich im Namen der Kirchenleitung des zuständigen Bereiches bei den Eltern der geschädigten Kinder entschuldigen zu dürfen. Es ist entschieden worden, dem Ersuchen stattzugeben. [Der Propst] hat vor, die Eltern in den nächsten Tagen in ihren Wohnungen aufzusuchen.
Die Trauerfeier für Pfarrer [Name] findet am 15. November 1976, 14.00 Uhr, in [Ort 2] statt. Danach erfolgt die Überführung der Leiche zum Krematorium [Stadt]. (Entsprechende Absicherungsmaßnahmen werden durchgeführt.)