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Spionage-Prozess gegen einen Molekularelektroniker

Juni 1977
Information über eine vorgesehene gerichtliche Hauptverhandlung gegen den wissenschaftlichen Mitarbeiter der Arbeitsstelle für Molekularelektronik Dresden, Ludwig Steinhäuser [Bericht K 1/78]

Es ist vorgesehen, Ende August 1977 vor dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichtes Dresden die gerichtliche Hauptverhandlung gegen den Steinhäuser, Ludwig, geb. am 30.1.1938, Beruf: Diplom-Physiker, zuletzt: wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsstelle für Molekularelektronik Dresden (AMD), jetzt: Institut für Mikroelektronik Dresden (IMD) wegen Sabotage, Spionage und des Versuchs des ungesetzlichen Verlassens der DDR unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor einem geladenen Personenkreis durchzuführen.

Steinhäuser stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und wurde nach Abschluss seines Physikstudiums an der Karl-Marx-Universität Leipzig 1963 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsstelle für Molekularelektronik Dresden eingestellt. In diesem Institut war er bis zu seiner Inhaftierung im August 1975 auf dem Gebiet der Schablonenherstellung für Festkörperschaltkreise tätig.

Seit seiner Studienzeit bezog Steinhäuser eine ablehnende Haltung zur gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR. Durch systematische Einflussnahme seines Schwiegervaters, Prof. Dr. [Vorname Name 1], der als ehemaliger Direktor des Theoretisch-Physikalischen Instituts der Universität Leipzig bereits 1959 bis zu seinem ungesetzlichen Verlassen der DDR im Jahre 1961 teilweise öffentlich seinen Hass gegen die Politik der SED zum Ausdruck brachte, entwickelte sich Steinhäuser zu einem Feind der DDR. Von [Name 1], der Verbindungen zum Bundesnachrichtendienst der BRD unterhält, wurde er in der Folgezeit zur Feindtätigkeit gegen die DDR angeworben. Entsprechend der von [Name 1] erhaltenen Aufträge sabotierte er besonders solche ihm zur eigenverantwortlichen Lösung übertragenen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben, die dazu dienen sollten, den dringend notwendigen Forschungsvorlauf für die Entwicklung und Produktion hochintegrierter Festkörperschaltkreise zu schaffen. Dabei hat er unter fortgesetzter Verletzung der ihm als wissenschaftlicher Mitarbeiter übertragenen Pflichten seine Erkenntnisse über den jeweiligen Stand der Technik, die er durch umfangreiches Literaturstudium hatte, nicht angewandt, unterließ die ausdrücklich geforderte und objektiv notwendige Zusammenarbeit mit Spezialisten, dokumentierte die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit und experimentellen Versuche nicht, zersplitterte vorhandene Forschungs- und Entwicklungskapazitäten, gestaltete keine seiner Forschungs- und Entwicklungsarbeiten reproduzierbar, vernichtete Ergebnisse von Versuchen und wies teilweise gefälschte Untersuchungsergebnisse aus.

Außerdem lieferte Steinhäuser entsprechend der erhaltenen Aufträge schriftlich, mündlich und zum Teil auch durch Filme Informationen über Tatsachen, Forschungsvorhaben und Forschungsergebnisse, die im wirtschaftlichen und politischen Interesse der DDR geheim zu halten waren, an den [Name 1] aus.

Anlässlich von Zusammenkünften mit [Name 1], die als Messebesuche, Urlaubsaufenthalte oder persönliche Besuche getarnt waren, übergab Steinhäuser des Weiteren umfangreiches Material, mit dem der in der Arbeitsstelle für Molekularelektronik Dresden erfolgte Nachbau hochintegrierter Schaltkreise aus nichtsozialistischen Staaten nachgewiesen werden kann, über technische Details über einen neu entwickelten sowjetischen Bildgenerator und dessen Einsatz in der Arbeitsstelle für Molekularelektronik sowie über ein in Zusammenarbeit mit sowjetischen Instituten im VEB Carl Zeiss neuentwickeltes Elektronenstrahlgerät, über wesentliche Teile der perspektivischen Konzeption der Mikroelektronik und damit im Zusammenhang stehende Forschungsvorhaben und -ergebnisse, über Prototypen hochintegrierter Schaltkreise und über die zur Durchsetzung einer beschleunigten Entwicklung erfolgte Konzentration der personellen und materiellen Entwicklungskapazitäten durch Um- und Neuprofilierung der Arbeitsstelle für Molekularelektronik Dresden.

Durch die von Steinhäuser durchgeführten Verbrechen trug er u. a. dazu bei, dass der objektiv notwendige Forschungs- und Entwicklungsvorlauf für die Produktion bestimmter hochintegrierter Schaltkreise gegenwärtig nicht vorhanden ist und der Gegner infolge des Verrats wirksame Maßnahmen zur Störung der planmäßigen Entwicklung der Mikroelektronik organisieren kann. Neben diesen noch in der Perspektive wirkenden Schäden verursachte Steinhäuser unmittelbare finanzielle Verluste in Höhe von 1 347 000 Mark.1

Im Verlaufe des Jahres 1975 traf Steinhäuser Vorbereitungen zum ungesetzlichen Verlassen der DDR. Unter aktiver Mitwirkung von [Name 1] war die Ausschleusung durch eine Menschenhändlerbande geplant. Dieses Vorhaben wurde durch seine Inhaftierung verhindert.

Aufgrund des hohen Geheimhaltungsgrades der zum Gegenstand der gerichtlichen Hauptverhandlung gehörenden Tatsachen über Forschungsarbeiten und -konzeptionen ist vorgesehen, daran nur Sicherheitsbeauftragte aus dem Bereich des Ministeriums für Elektrotechnik/Elektronik und der zuständigen VVB Bauelemente und Vakuumtechnik teilnehmen zu lassen.

Nach der gerichtlichen Hauptverhandlung gegen Steinhäuser ist vorgesehen, dem Institut für Mikroelektronik Dresden konkrete Maßnahmen zur Beseitigung der verbrechensbegünstigenden Umstände und zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit zu empfehlen. Mit diesen Maßnahmen, über deren Verwirklichung die Institutsleitung in angemessener Frist der Bezirksstaatsanwaltschaft Dresden Rechenschaft ablegen soll, ist zu gewährleisten, dass zukünftig Verbrechen derartigen Ausmaßes ausgeschlossen werden.

Dem Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik und der Leitung der VVB Bauelemente und Vakuumtechnik soll empfohlen werden, im Zusammenhang mit der im Institut für Mikroelektronik eingeleiteten Kaderanalyse bzw. Überprüfung Maßnahmen zu treffen, die gewährleisten, dass zukünftig die bestehenden Richtlinien der Kaderarbeit konsequent eingehalten werden und in allen wichtigen Struktureinheiten der Partei treu ergebene Genossen zum Einsatz kommen.

  1. Zum nächsten Dokument Reaktionen der Bevölkerung auf die Übersiedlung Manfred Krugs

    1. Juli 1977
    Information Nr. 435/77 über erste Hinweise zur Reaktion der Bevölkerung der DDR auf die Übersiedlung Manfred Krugs und die dazu erfolgte Pressemitteilung

  2. Zum vorherigen Dokument Sitzung der Berliner Bischofskonferenz in Erfurt

    29. Juni 1977
    Information Nr. 434/77 über wesentliche Aspekte der am 4./5.6.1977 in Erfurt durchgeführten Sitzung der »Berliner Bischofskonferenz«