Bevölkerungsreaktionen zur Vorbereitung des X. Parteitages (3)
1. April 1981
Hinweise zur Reaktion der Bevölkerung der DDR (Erwartungshaltungen) im Vergleich mit Anträgen/Eingaben an die Antragskommission des X. Parteitages [Bericht O/94c]
Generell ist festzustellen, dass die besonders unter sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Fragen erfassten Anträge, Vorschläge und Hinweise von Bürgern der DDR von der allgemeinen Tendenz her mit den bekannt gewordenen Meinungsäußerungen und Reaktionen der Bevölkerung der DDR zu diesen Problemen übereinstimmen. Das bezieht sich vor allem auf solche Fragen und Probleme, die als sogenannte Erwartungshaltungen der Bevölkerung der DDR im Zusammenhang mit der Vorbereitung des X. Parteitages der SED diskutiert werden.
Grundsätzlich wird eingeschätzt, dass die erwähnten Erwartungshaltungen vom Spektrum und den Aussagen her sowohl in den offiziellen Anträgen/Eingaben an den X. Parteitag als auch in der Reaktion der Bevölkerung übereinstimmen. Es ist jedoch zu verzeichnen, dass sich, gemessen an den bekannt gewordenen Meinungsäußerungen der Bevölkerung der DDR, Unterschiede im Umfang der Reaktionen zu speziellen Fragen und Problemen abzeichnen.
In vorliegenden Einschätzungen der Reaktion der Bevölkerung wird hervorgehoben, dass Fragen der weiteren Rentenregelungen einen verhältnismäßig großen Raum einnehmen.
Der überwiegende Teil dieser Diskussionen wird von Rentnern selbst, aber im geringeren Umfang auch von anderen Bürgern aus allen Schichten der Bevölkerung geführt.
Die Diskussionen beinhalten Wünsche und Spekulationen hinsichtlich einer anlässlich des X. Parteitages der SED zu verkündenden Rentenerhöhung, insbesondere für Empfänger von Mindestrente.1 Begründet wird diese »notwendige« Maßnahme mit den höheren Lebenskosten in der DDR, die sich aufgrund von Preisveränderungen nicht nur in der mittleren und höheren Preisgruppe, sondern auch für lebensnotwendige Artikel des täglichen Bedarfs und im Rahmen des in der DDR erreichten Lebensstandards ergeben hätten, und die in keinem Vergleich mehr zu den gegenwärtigen niedrigen Rentensätzen stehen würden.
In geringem Umfang werden die »höheren« Rentensätze in der BRD angeführt, die dort den Rentnern trotz allgemein höherer Lebenskosten eine höhere Kaufkraft gewährleisten würden.2
Gleichfalls aus allen Bezirken der DDR und aus allen Bevölkerungsschichten, vornehmlich von Bürgern mittleren und fortgeschrittenen Alters, werden in größerem Umfang als aus der Eingabenpraxis ersichtlich, Meinungsäußerungen dahingehend bekannt, dass das Rentenalter für Frauen und Männer herabgesetzt werden sollte.3 Die Anzahl dieser Meinungsäußerungen ist beträchtlich, wobei insbesondere davon ausgegangen wird, dass die Werktätigen aufgrund der sich ständig erhöhenden Leistungsintensität früher verbraucht wären.
Einen größeren Umfang als aus der Eingabenpraxis ersichtlich nehmen nach vorliegenden Erkenntnissen aus allen Bezirken und der Hauptstadt der DDR auch Reaktionen und Meinungsäußerungen ein, wonach
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auftretende Probleme und Schwierigkeiten in der volkswirtschaftlichen Entwicklung stärker verdeutlicht werden sollten (dabei wird hingewiesen auf z. T. unkontinuierliche Planerfüllung, Plankorrekturen, Mängel in der Plankoordinierung, Stillstandszeiten, ungenügende Materialreserven und -zulieferungen);
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das Wohnungsbauprogramm weiter forciert werden müsste, da sonst die gestellten Ziele bis 1990 nicht erreicht würden;
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Maßnahmen getroffen werden sollten, die das Warenangebot in Qualität und Quantität sowie in allen Preisgruppen stabil gewährleisten;4
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ein gerechtes Verteilungssystem für solche Waren, die vorläufig in nicht ausreichender Menge zur Verfügung gestellt werden können, festgelegt und geschaffen werden müsste, (z. B. gerechtes, kontrollierbares Bestellsystem für Kühltruhen, Farbfernsehgeräte, Waschautomaten u. a.);5
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Festlegungen getroffen werden sollten, um Spekulationen, Unter-Ladentisch-Verkäufen u. a. negativen Erscheinungen im Handel konsequenter entgegenzutreten;
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ein strengeres Bewertungssystem für Arbeitsleistungen und -abrechnungen in allen wirtschaftlichen Bereichen eingeführt werden sollte, um mangelhafte Arbeitsdisziplin, Stillstandszeiten, Schluderei u. a. zu beseitigen;
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Arbeitskräfteumverteilungen aus Verwaltungen in die materielle Produktion notwendig wären;
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eine Herabsetzung des »Reisealters« für Reisen in das nichtsozialistische Ausland und eine Erweiterung der Möglichkeiten für Reisen von Nichtrentnern in das nichtsozialistische Ausland erfolgen sollten.6
Zu Fragen des Verkehrswesens sind aus den Reaktionen der Bevölkerung weitere Hinweise, Beschwerden, bis hin zur Verächtlichmachung, zu erkennen. Insbesondere aus Landgemeinden der Nordbezirke – aber auch aus anderen Bezirken – werden zunehmend Meinungsäußerungen bekannt, wonach insbesondere im Berufsverkehr Ausfälle (hauptsächlich Busverkehr) zu verzeichnen seien, die große Verspätungen sowie persönliche Belastungen für die Werktätigen nach sich ziehen würden. Die Ausfälle seien zurückzuführen auf Störanfälligkeit der Transportmittel.