Demonstration von Mitgliedern der KPD/ML auf dem Alexanderplatz (1)
21. November 1981
Information Nr. 606/81 über das demonstrative Auftreten von sieben Bürgern der BRD am 21. November 1981 auf dem Alexanderplatz in der Hauptstadt der DDR, Berlin
Am 21. November 1981, gegen 11.10 Uhr, ketteten sich vier von sieben namentlich bekannten BRD-Bürgern – auf Visum zum Tagesaufenthalt eingereist – an einen Fahnenmast auf dem Alexanderplatz an.1
Drei dieser Personen hielten diese Provokation fotografisch fest. Gleichzeitig wurden durch die Personen eine noch nicht konkret bekannte Anzahl von Hetzblättern verbreitet, in denen gegen die im Frühjahr 1981 erfolgte Festnahme von Angehörigen der »KPD-Sektion DDR«2 protestiert wird. Aufgrund der sofortigen Sicherstellung dieser Hetzblätter trat keine Öffentlichkeitswirksamkeit ein.
Die provokatorischen Aktivitäten wurden unmittelbar danach durch die Schutz- und Sicherheitsorgane unterbunden und die Personen festgenommen.3
Ca. 100 bis 120 Straßenpassanten konnten diese Aktion wahrnehmen. Die große Mehrheit hat sich von dieser Provokation distanziert.
Gegen die Täter wurden Ermittlungsverfahren gemäß § 215 StGB (Rowdytum) mit Haft4 eingeleitet.
Die Untersuchungen werden fortgesetzt.
Das in der Ablage der ZAIG überlieferte Flugblatt »Kommunistische Oppositionelle zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt« ist im Kopf des Dokuments nicht ausgewiesen, möglicherweise aber dennoch an die externen Empfänger mit versandt worden.
Anlage zur Information Nr. 606/81
Kommunistische Oppositionelle zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt
Bürger der DDR!
Wir, Mitglieder eines westdeutschen Solidaritätskomitees, haben uns heute, am 21.11.1981, auf dem Alexanderplatz angekettet. Warum? Wir haben uns nach gründlicher Überlegung zu dieser ungewöhnlichen Aktion entschlossen, weil wir meinen, dass es unbedingt notwendig ist, das Schweigen zu brechen, mit dem die Behörden der DDR die Verhaftung von acht bis zehn kommunistischen Oppositionellen, Bürgern der Hauptstadt Berlin, umgeben.
Warum schweigen Sie, Erich Honecker?
Angefangen vom Oktober letzten Jahres bis heute wurden acht bis zehn Bürger der DDR verhaftet. Drei von Ihnen wurden im September in zwei Prozessen zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Stellvertretend für alle Inhaftierten seien hier zwei Namen genannt: Manfred Wilhelm, bis zu seiner Verhaftung am 19.3.1981 Schlosser in der »ND«-Druckerei. Andreas Bortfeldt, Diplom-Mathematiker am Institut für Wasserwirtschaft in Berlin5 (Andreas Bortfeldt ist der Sohn des DEFA-Film-Autors Kurt Bortfeldt,6 der im Mai dieses Jahres starb.) Ihnen allen wird u. a. die Verbreitung von Schriften der KPD/Sektion DDR, die Mitarbeit an der Zeitung »Roter Morgen« – Ausgabe DDR u. Ä. vorgeworfen.7
In zahlreichen Ländern wissen die Menschen über diese Verhaftungen Bescheid. Amnesty International hat Manfred Wilhelm und Andreas Bortfeldt als Gewissensgefangene anerkannt. In Schweden, Dänemark, England, Italien, Japan wurde am 1.10.1981 vor den Botschaften der DDR gegen diese Verhaftungen protestiert. Portugiesische Parlamentsabgeordnete übergaben eine Protestnote. Fast 3 000 Teilnehmer der großen Friedensdemonstration am 10.10. in Bonn8 solidarisierten sich mit diesen politischen Gefangenen. Nur die Bürger der DDR wissen nicht Bescheid. Warum schweigen Sie über diese Verhaftungen, Erich Honecker? Warum prangert das »Neue Deutschland« nicht öffentlich die »Verbrechen«, der Inhaftierten an? Haben Sie vielleicht Angst vor dem Urteil, das die Werktätigen der DDR dann sprechen werden?
Ist es ein Verbrechen, Kommunist zu sein?
Nach Artikel 20 der Verfassung der DDR sind Gewissens- und Glaubensfreiheit gewährleistet.9 Nach Artikel 27 hat jeder Bürger das Recht, den Grundsätzen der Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern.10 Nichts anderes haben die Verhafteten getan.
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Sie haben zur Solidarität mit den streikenden Arbeitern in Polen aufgerufen, die Bildung freier Gewerkschaften begrüßt und zugleich von dem Versuch der katholischen Kirche und westlicher imperialistischer Kreise, die Bewegung auf ihre Gleise zu lenken, gewarnt. Ist die Solidarität mit den Arbeitern anderer Länder etwa kein Grundsatz der Verfassung der DDR?
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Sie treten im Interesse der Erhaltung des Friedens gegen den sogenannten Nachrüstungsbeschluss der NATO, gegen die Mitgliedschaft der BRD in der NATO, aber auch für den Beginn einseitiger Abrüstungsmaßnahmen durch die DDR, für den Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR, für die Erklärung der Neutralität durch die DDR ein. Muss man nicht zumindest darüber nachdenken, ob auf diese Weise der Frieden erhalten werden könnte?
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Sie haben die Verhältnisse in der DDR grundlegend kritisiert und für einen wahren Sozialismus gemäß den Lehren von Marx, Engels und Lenin gekämpft. Ist das nach den Grundsätzen der Verfassung der DDR etwa ein Verbrechen?
Haben Sie keine Argumente, Erich Honecker?
Den Inhaftierten wird »staatsfeindliche Hetze« vorgeworfen. Sie befinden sich zum Teil seit mehr als einem Jahr in U-Haft. Zu den Prozessen haben Bürger der DDR keinen Zugang. Haben Sie keine anderen Argumente, Erich Honecker, um auf die Kritiken der Genossen und Freunde der KPD zu antworten, als das Gefängnis? Als die Nachrichtensperre?
Freiheit für Manfred, Andreas und ihre Freunde!
Mitglieder der KPD, Sektion DDR und andere Bürger der DDR informieren seit Monaten über die Verhaftungen. Aber ihre Möglichkeiten sind begrenzt. Deshalb führen wir diese Solidaritätsaktion durch. Wir fordern, dass die Werktätigen der DDR wahrheitsgemäß über die Verhaftungen und ihre Hintergründe informiert worden. Wir fordern öffentliche Prozesse, zu denen die Bevölkerung der DDR und internationale Beobachter Zutritt haben!
Inhaftiert sind u. a.: Manfred Wilhelm, geb. [Tag, Monat] 1951, wohnhaft [Straße, Nr.], 1160 Berlin, Betriebsschlosser beim »ND«, und Andreas Bortfeldt, geb. [Tag, Monat] 1953, wohnhaft [Straße], 1180 Berlin, Diplom-Mathematiker, Vater von zwei Kindern.
Protestiert mit (anonymen) Briefen bei der Generalstaatsanwaltschaft von Berlin, Littenstraße 16/17, 1026 Berlin, und fordert die Freilassung unserer Freunde und Genossen!
Kontaktadresse des Solidaritätskomitees in der BRD: Horst-Dieter Koch, [Straße, Nr.], 4600 Dortmund.