Reaktionen westlicher Messevertreter anlässlich der Frühjahrsmesse
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Erste Reaktionen westlicher Messevertreter im Zusammenhang mit dem Rundgang der Partei- und Staatsführung der DDR anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1981 [Bericht O/97]
Dem Rundgang der Partei- und Staatsführung1 wurde seitens der Aussteller aus den kapitalistischen Industrieländern und den Entwicklungsländern wiederum eine hohe Aufmerksamkeit entgegengebracht.
Der Besuch von Informations- und Gemeinschaftsständen sowie einzelner Unternehmen sozialistischer Länder – insbesondere der Sowjetunion – wurde dahingehend gewertet, dass die DDR entsprechend dem erreichten Stand der ökonomischen Verflechtung dem Ausbau der Außenwirtschaftsbeziehungen mit diesen Ländern nach wie vor die entscheidende Bedeutung beimisst.
Große Beachtung fand der Besuch zahlreicher Informationsstände von Entwicklungsländern durch die Partei- und Staatsführung. Mit dieser optischen Hervorhebung der Entwicklungsländer unterstreiche die Partei- und Staatsführung ihre kluge und vor allem weitsichtige Politik. Neben der Fortführung der antiimperialistischen Solidarität seien die verstärkten Anstrengungen zum Ausbau der ökonomischen Beziehungen zu diesen Ländern immer offensichtlicher.
Der Besuch der Partei- und Staatsführung auf dem Messestand der Salzgitter AG wurde von den in Leipzig anwesenden Vertretern der BRD-Wirtschaft sowie den Journalisten mit besonderem Interesse zur Kenntnis genommen. Die Erwartungen betrafen vor allem Ausführungen des Genossen Erich Honecker zur Weiterentwicklung des Handels zwischen beiden deutschen Staaten unter Berücksichtigung der gegenwärtigen komplizierten und gespannten internationalen Lage.2
Diese Ausführungen hinterließen bei den auf dem Salzgitter-Stand anwesenden offiziellen Persönlichkeiten nach internen Hinweisen einen nachhaltigen Eindruck.
Der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Salzgitter AG und Parlamentarische Staatssekretär im Bonner Finanzministerium, Hähser, erklärte z. B., dass diese Ansichten zur unbedingten Sicherung des Friedens auch in der BRD-Regierung vertreten würden, ohne zu übersehen, dass es in der BRD Kräfte gäbe, die »das Rad der Geschichte zurückzudrehen versuchen«.
Nach dem Besuch der Partei- und Staatsführung erfolgten auf dem Stand der Salzgitter AG interne Auswertungen. Dabei betonte der Leiter der Treuhandstelle für Interzonenhandel, Rösch, die kluge Kombination des Genossen Honecker zwischen politischen Belangen und den wirtschaftlichen Fragen. Rösch äußerte des Weiteren, dass er von der Gesprächsführung und der vom Genossen Honecker verbreiteten Atmosphäre tief beeindruckt sei. Die präzise Klärung einer Vielzahl anstehender Fragen über den festgelegten Zeitfonds hinaus habe die Erwartungen der BRD-Seite weit übertroffen.3
Übereinstimmend wurde die außerordentliche Sachkenntnis der Genossen Honecker, Stoph und Sindermann hervorgehoben. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft der BRD, von Wuertzen, begrüßte in diesem Zusammenhang, dass die Staatsführung der DDR in dieser Weise auf das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten reagiert habe. Die Äußerungen des Genossen Erich Honecker seien für die Entwicklung der Gesamtbeziehungen zwischen der BRD und der DDR äußerst wichtig. Damit wären den Wirtschaftskreisen der BRD die Möglichkeiten zur Fortführung der Geschäftsbeziehungen in gewohnter Weise erhalten geblieben.
Vorstandsmitglieder und Direktoren der Salzgitter AG brachten in Auswertung des Standbesuches der Partei- und Staatsführung zum Ausdruck, dass im Interesse der Ausweitung der Geschäftsbeziehungen zur Förderung des DDR-Exportes mehr getan werden müsse.
Mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgten Vertreter anderer namhafter BRD-Konzerne den Rundgang der Repräsentanten der DDR.
So äußerte der Vertreter des Otto-Wolff-Konzerns, Eckermann, intern das besondere Interesse des Konzernvorstandes an Erklärungen der Partei- und Staatsführung zur weiteren Ausgestaltung der Handelsbeziehungen mit der BRD. Vor allem die auf der Leipziger Frühjahrsmesse sichtbar gewordenen Aktivitäten der japanischen Industrie sowie die bevorstehende Reise des Genossen Erich Honecker nach Japan4 »müssten in den entscheidungsvorbereitenden und -befugten Wirtschaftskreisen der BRD neu durchdacht werden«.
Seitens der Leitung des USA-Konzerns Dow Chemical wurde dem Besuch der Partei- und Staatsführung große Bedeutung beigemessen. Das zeigte sich insbesondere darin, dass anstelle des aus persönlichen Gründen verhinderten Leiters der Dow-Europazentrale, Popoff, der Vorsitzende des Aufsichtsrates, Barnes, zum Empfang der Partei- und Staatsführung nach Leipzig beordert wurde.5
Im Anschluss an diesen Besuch wurde durch Mitarbeiter des Konzerns hervorgehoben, dass »das Gespräch mit Genossen Erich Honecker sowohl politisch als auch wirtschaftlich beachtenswert sei«.
Neben der Aufwertung des Konzerns habe der Standbesuch über die Beziehungen zur DDR hinausgehende Bedeutung. Andererseits seien mit dem Besuch die Bemühungen von Dow Chemical in den USA zur Entwicklung der Handelsbeziehungen DDR – USA anerkannt worden. In Reaktion auf die Äußerungen des Genossen Erich Honecker wurde die Bereitschaft erklärt, noch mehr für den Ausbau der Handelsbeziehungen zwischen der DDR-Seite und Dow Chemical zu unternehmen, unter anderem auch die Importe aus der DDR zu erhöhen, um damit gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Steigerung der Exporte in die DDR zu schaffen.
Vorliegenden Hinweisen zufolge hat die Delegation aus den USA Leipzig bereits am 15. März 1981 verlassen, um im Aufsichtsrat Bericht zu erstatten und die Ergebnisse einer ersten Auswertung zu unterziehen.
Bezug nehmend auf den Besuch der Partei- und Staatsführung bei Dow Chemical brachte der Leiter des Standes des BRD-Konzerns BASF auf der Leipziger Frühjahrsmesse, Böker, die Betroffenheit der anwesenden Vertreter der chemischen Industrie der BRD über die erstmalige Berücksichtigung eines Chemiekonzerns außerhalb der Fachmesse der chemischen Industrie zum Ausdruck.
Böker erklärte, dass über die Aktivitäten des amerikanischen Chemiekonzerns Informationen an die zuständigen Bundesbehörden gegeben werden. Es sei offensichtlich, dass durch die USA festgelegte Verfahrensregeln für Ausstellungen, unter anderem auch für den Messebesuch in Leipzig, durch einen namhaften USA-Konzern verletzt wurden und auch andere bedeutende internationale Konzerne die Grundsatzregeln nicht einhalten. Das sei insbesondere deshalb beachtenswert, weil durch die amerikanische Regierung unmittelbar vor Beginn der Leipziger Messe an führende Persönlichkeiten der Regierung der BRD eine Information übermittelt worden sei, wonach in den nächsten Monaten mit außerordentlicher Zurückhaltung gegenüber den RGW-Staaten operiert werden solle und keine individuellen Vorstöße zugelassen werden dürften.
Im internen Kreis zeigten sich der Vorstandsvorsitzende sowie der Leiter des IHZ-Büros des französischen Unternehmens Creusot Loire über die Ankündigung des Messestandbesuches durch Genossen Erich Honecker überrascht, da die Firma erhebliche Verzüge bei der Errichtung des Düngemittelwerkes Rostock zugelassen hat.6
Wie dazu intern weiter bekannt wurde, kündigte der Vorstandsvorsitzende von Creusot Loire in einer ersten Auswertung des Standbesuches an, dass seitens des Konzerns alles unternommen werden müsse, um die Terminverzüge bei der Realisierung des Düngemittelwerkes aufzuholen und darüber hinaus Voraussetzungen für eine bessere Einbeziehung von Exporterzeugnissen aus der DDR in die eigenen Exportlinien zu schaffen.
In Auswertung des Besuches der Partei- und Staatsführung auf dem japanischen Stand betonten die führenden Vertreter der japanischen Wirtschaft, dass mit dem Besuch der führenden Repräsentanten der DDR das Niveau der bereits weitgehend ausgeprägten Beziehungen zwischen beiden Staaten auch öffentlich dokumentiert worden sei.7
Obwohl sich Genosse Erich Honecker und seine Begleitung im Rahmen des Messerundganges nur wenige Minuten am Stand des österreichischen Unternehmens Voest-Alpine aufhielten, schätzten leitende Mitarbeiter des Konzerns diesen Besuch als eine hohe Ehre ein, da damit unter anderem die bestehenden Wirtschaftsbeziehungen DDR – Österreich entsprechend gewürdigt wurden und sich gleichzeitig das internationale Ansehen der Firma wesentlich erhöht habe.
Nach dem Besuch des Informationsstandes der VR Angola durch die Partei- und Staatsführung zeigte sich der Minister für Industrie der VR Angola, Genosse Ribero, außerordentlich befriedigt und brachte zum Ausdruck, dass der relativ lange Aufenthalt am Stand der VR Angola eine hohe politische Wertschätzung seines Landes und dessen Entwicklung darstelle.
Genosse Ribero äußerte, dass er noch am selben Tag die Partei- und Staatsführung der VR Angola vom erfolgreichen Verlauf des Besuches des Genossen Erich Honecker informieren werde.
Wie aus ähnlichen Reaktionen anderer Vertreter anwesender Entwicklungsländer zu entnehmen war, können die Äußerungen des Genossen Ribero bezüglich der Wertschätzung der Beziehungen der DDR zu diesen Ländern als repräsentativ aufgefasst werden.
Entgegen der allgemein positiven Reaktion auf den Messerundgang wurden Hinweise über die anwesenden britischen Vertreter bekannt, wonach diese sehr verärgert über den Verlauf des Rundganges seien. Z. B. hielt sich der Botschafter Großbritanniens in der DDR während des Messerundganges nicht am Stand Großbritanniens auf, weil kein Besuch des Standes seitens der Partei- und Staatsführung der DDR vorgesehen war. Britische Messevertreter vertraten intern die Meinung, dass die DDR offensichtlich bestrebt sei, immer mehr Handelsbeziehungen zu anderen führenden imperialistischen Staaten, vor allem zu Österreich und Japan, aufzunehmen, was letztlich zur Benachteiligung Großbritanniens führe.