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Brand in Brikettfabrik Regis

11. Januar 1983
Information Nr. 27/83 über den Brand in der Brikettfabrik Regis des VEB Braunkohlenwerk Regis, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig, am 31. Dezember 1982

Am 31. Dezember 1982, gegen 21.20 Uhr, stellten in der Nachtschicht eingesetzte Betriebsangehörige nach Schichtübernahme im Rohkohlebunker 1/2 der Brikettfabrik Regis (alter Bunker) starke Rauchentwicklung und Brandgeruch fest und begannen in der Annahme, dass es sich um einen Glimmbrand von Rohkohleabrieb (Staub) handelt, mit der Brandbekämpfung.

Da diese jedoch erfolglos verlief, wurden gegen 21.55 Uhr über den Dispatcher des Betriebes die anwesenden Angehörigen der Betriebsfeuerwehr (fünf Mann) zum Einsatz gebracht, die den Brand jedoch ebenfalls nicht unter Kontrolle brachten.

Erst gegen 22.30 Uhr wurden weitere Feuerwehren angefordert. Vor deren Eingreifen gegen 22.40 Uhr kam es zu einer Aufflammung mit anschließender Verpuffung, wodurch drei Produktionsarbeiter Brandverletzungen 1. und 2. Grades erlitten (keine Lebensgefahr).

Durch diese Verpuffung weitete sich der Brand aus. Am 1. Januar 1983, gegen 4.15 Uhr, war das Feuer unter Kontrolle. Die Brandbekämpfungsmaßnahmen wurden am 2. Januar 1983 um 10.00 Uhr eingestellt.

Es entstand erheblicher Sachschaden an den Kohletransporteinrichtungen (Bänder, Übergabestationen), den elektrotechnischen Anlagen, Stahlkonstruktionen, maschinentechnischen Ausrüstungen und Bauwerken. Infolge der Zerstörung der ca. 70 m langen Hauptbandbrücke wurde die Rohkohleversorgung für die Brikettfabrik und das Industriekraftwerk vollständig unterbrochen.

Der eingetretene Sachschaden beträgt 2,65 Mio. Mark (Zeitwert – in Abstimmung mit der Staatlichen Versicherung). Für die Instandsetzung bzw. den Wiederaufbau der Anlagen und Gebäude werden ca. 10 bis 15 Mio. Mark veranschlagt. Bis zur Wiederinbetriebnahme der Brikettfabrik und des Industriekraftwerkes entsteht ein täglicher Produktionsausfall von 5 600 t Braunkohlenbrikett, 200 t Braunkohlenbrennstaub und 30 MW Elektroenergie. Insgesamt wird mit einem Produktionsausfall in Höhe von 11,9 Mio. Mark gerechnet.

Nach Einschätzungen des Ministeriums für Kohle und Energie treten hierdurch keine Auswirkungen auf die Versorgung der Industrie und der Bevölkerung ein.

Im Ergebnis der bisher geführten Untersuchungen durch eine Expertenkommission unter Leitung der Obersten Bergbehörde zur Klärung der objektiven Brandursache und Feststellung vorhandener begünstigender Bedingungen wurden folgende Feststellungen getroffen:

Der Brand entstand durch die Entzündung von Rohbraunkohlenstaub, der sich unterhalb des Transportbandes 20 im Rohbraunkohlebunker 1/2 auf einem Mauersims abgelagert hatte. Die über einen längeren Zeitraum erfolgten Ablagerungen führten zur vollständigen Bedeckung der Transportbandheizung (10 cm starke Rohrleitung), welche unterhalb des Transportbandes 20 verlief.

Die Transportbandheizung wurde mit Dampf gespeist, der die Rohrleitung in diesem Bereich auf ca. 130 bis 140° C aufheizte. Infolge dieser Temperaturen kam es zum relativ langsamen Erwärmen der die Rohrleitung umgebenden Staubablagerungen bis hin zum Aufglühen der Oberfläche des Staubkegels (Glimmbrand).

Diese Feststellungen zur Brandentstehung werden dadurch erhärtet, dass im betreffenden Bereich bereits mehrmals Glimmbrände aufgetreten waren (letztmalig am 25. Dezember 1982).

Der Ausbruch und die Ausbreitung des Brandes sowie das Ausmaß der eingetretenen Zerstörungen sind durch grobe Verstöße gegen Ordnung, Disziplin und Sauberkeit wesentlich beeinflusst worden. Die gesamte Brikettfabrik Regis wies zum Zeitpunkt des Brandes einen katastrophalen Sauberkeitsgrad auf. In den Anlagen wurden nach dem Brand teilweise noch Kohlenstaubablagerungen von 25 bis 45 cm Höhe festgestellt.

Obwohl die bestehenden Festlegungen zur Mindestbesetzung der Schichten in der Brikettfabrik Regis eine Sollstärke von 1: 10 für den Bereich Rohkohleaufbereitung vorsehen, wurden diese Anlagen am 31. Dezember 1982 in der Mittelschicht (13.15 bis 21.15 Uhr) mit einem Arbeitskräftebestand von 1: 6 gefahren. Für die Rohbraunkohlebunker 1/2 und 3/4 war entgegen dem Plan der Mindestbesetzung – je eine Arbeitskraft – bereits seit 20. Dezember 1982 je Schicht insgesamt nur eine Arbeitskraft eingesetzt. Trotz dieser erheblichen Unterbesetzung verließ die Mehrzahl der Arbeitskräfte in der Mittelschicht am 31. Dezember 1982 etwa ab 15.00 Uhr mehrfach für längere Zeit, zum Teil für Stunden, die Anlagen und nahm erhebliche Mengen alkoholischer Getränke zu sich, sodass die Anlagen teilweise über einen längeren Zeitraum unbeaufsichtigt waren.

Darüber hinaus wurden einige Anlagen weit vor Schichtschluss durch das Personal verlassen, wodurch bei Schichtschluss bzw. Schichtbeginn keine ordnungsgemäße Übergabe der Anlagen vor Ort erfolgte.

Der amtierende Schichtmeister der Mittelschicht unternahm nichts, um den Pflichtverletzungen zu begegnen. Er führte am 31. Dezember 1982 gegen 18.15 Uhr den letzten Kontrollgang im Bereich Rohkohleaufbereitung durch.

Wie die bisherigen Untersuchungen außerdem zeigen, haben die leitenden Kader des Braunkohlenwerkes Regis die aufgezeigten Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen geduldet und die Weisungen des Ministers für Kohle und Energie, die in Auswertung der Brände in den Brikettfabriken Zipsendorf, Deuben II und Phönix zur Erhöhung der Arbeits- und Produktionssicherheit erlassen wurden, zum Teil falsch interpretiert bzw. unterlaufen.

So hatte der Minister für Kohle und Energie am 15. Dezember 1982 alle Generaldirektoren seines Verantwortungsbereiches angewiesen, detailliert vorgegebene Maßnahmen bis zum 16. Dezember 1982 durchzusetzen und darüber Vollzug zu melden.

(Unter anderem war bis auf Widerruf ein durchgängiger Leitungsdienst mit dem Schwerpunkt der permanenten Kontrolle zur Einhaltung von Ordnung, Disziplin, Sauberkeit und der technologischen Fahrweise der Anlagen in allen Betrieben zu organisieren.)

Von dieser Weisung wurde am 15. Dezember 1982 auch der amtierende Betriebsdirektor des Braunkohlenwerkes Regis, Genosse Netz,1 Direktor für Produktion, informiert.

(Der Betriebsdirektor, Genosse Wendler,2 war zu diesem Zeitpunkt im Einsatzstab Zipsendorf tätig.)

Genosse Netz meldete am 16. Dezember 1982 fernschriftlich Vollzug.

In diesem Fernschreiben heißt es u. a.: »… Im Ergebnis durchgeführter Inspektionen in den Brikettfabriken und Kraftwerken wurden bis auf die Brikettfabrik Regis keine wesentlichen Mängel auf dem Gebiet Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutz und Disziplin festgestellt … In der Brikettfabrik Regis sind infolge der Salzkohleverarbeitung und des Nichtbeherrschens des Verschleißes erhebliche Probleme in der verstärkten Verunreinigung durch undichte Fördermittel aufgetreten, dadurch erhöht sich die Brandgefahr für diesen Betriebsteil. …«

Trotz dieser Einschätzung der Lage und in Kenntnis der Weisung des Ministers, den Leitungsdienst bis auf Widerruf durchzuführen, erklärte der amtierende Leiter des VEB Braunkohlenwerk Regis, Genosse Netz, am 21. Dezember 1982 den Leitungsdienst für beendet. Maßnahmen zur umgehenden Beseitigung der im genannten Fernschreiben angeführten Mängel und Missstände wurden nicht eingeleitet.

In Auswertung einer Dienstberatung der Generaldirektorin des VE Braunkohlenkombinat Bitterfeld vom 23. Dezember 1982 beauftragte der Betriebsdirektor des Braunkohlenwerkes Regis, Genosse Wendler, am 24. Dezember 1982 den Direktor für Produktion, Genossen Netz, ab sofort einen durchgängigen Leitungsdienst zu organisieren.

Diese Weisung wurde durch Genossen Netz falsch weitergegeben, sodass kein durchgängiger Leitungsdienst im VEB Braunkohlenwerk Regis zum Einsatz kam. Die zentral angewiesenen Maßnahmen, die darauf abzielten, über die verstärkte Kontrolltätigkeit in allen Betrieben des Bereiches Kohle/Energie die Ordnung, Disziplin und Sauberkeit spürbar zu erhöhen, wurden somit im Braunkohlenwerk Regis nicht wirksam.

(Genosse Netz will nach vorliegenden Hinweisen die entsprechenden Weisungen dahingehend verstanden haben, dass sie nur während ausgerufener Einsatzstufen zu realisieren sind, was ab 21. Dezember 1982 jedoch nicht der Fall war.)

Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen zur Pflichtenlage und den Pflichtverletzungen ist die Einleitung von Ermittlungsverfahren erforderlich, um exakt zu prüfen, ob die Handlungen bzw. Unterlassungen des Betriebsdirektors Wendler, Heinz (59 Jahre/SED), des Produktionsdirektors Netz, Arthur (53 Jahre/SED), des Leiters der Mittelschicht [Name 1, Vornamen] (38 Jahre/SED), des amtierenden Schichtmeisters der Mittelschicht [Name 2, Vorname] (25 Jahre/parteilos) und der Bunkerwärterin der Mittelschicht [Name 3, Vorname] (29 Jahre/parteilos) strafbare Handlungen darstellen.

Die von der Kommission der Obersten Bergbehörde der DDR sowie der Branduntersuchungskommission der BdVP Leipzig bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse wurden am 10. Januar 1983 dem Staatsanwalt zur Beratung und Entscheidung vorgelegt.

  1. Zum nächsten Dokument Probleme »Rekonstruktion Grobblechstraße Ilsenburg«

    12. Januar 1983
    Information Nr. 28/83 zu einigen wesentlichen Problemen bei der Realisierung des Investvorhabens »Rekonstruktion Grobblechstraße Ilsenburg« im VEB Walzwerk Ilsenburg, [Kreis] Wernigerode, [Bezirk] Magdeburg

  2. Zum vorherigen Dokument Reaktion der Bevölkerung auf Abrüstungsvorschläge der UdSSR

    10. Januar 1983
    Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf die jüngsten Abrüstungsvorschläge der UdSSR und der Staaten des Warschauer Vertrages [O/113]