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BRD-»Grüne« in der DDR

13. Mai 1983
Information Nr. 176/83 über das demonstrative Auftreten von fünf führenden Vertretern der »Grünen« der BRD in der Hauptstadt der DDR, Berlin, am 12. Mai 1983

Am 12. Mai 1983, gegen 11.50 Uhr, traten an der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz fünf – in der Folgezeit als führende Vertreter der »Grünen« identifizierte – Personen für ca. 3 bis 4 Minuten (bis zum Einschreiten von Kräften der DVP) mit zwei von ihnen mitgeführten Transparenten (Größe 2,30 × 1,35 m) mit den Aufschriften:

  • »Die Grünen | Schwerter zu Pflugscharen«1

  • »Die Grünen | Jetzt anfangen: Abrüstung in Ost + West«

in Erscheinung.2

Zu diesem Zeitpunkt herrschte auf dem Alexanderplatz reger Personenverkehr; es kam zu einer Ansammlung von ca. 80 Personen, die sich nach etwa fünf Minuten (Zuführung der demonstrativ Aufgetretenen) sofort wieder auflöste.

Vor diesem Auftreten hatten sich vier dieser Personen vom fünften Teilnehmer vor einem Transparent mit der Losung »Wir unterstützen die Friedensvorschläge der Sowjetunion«3 fotografieren lassen.

Wie die Überprüfungen ergaben, handelte es sich bei den Zugeführten um die Mitglieder der Fraktion der »Grünen« des BRD-Bundestages

  • Bastian, Gert4 (60), General a. D.,

  • Kelly, Petra5 (35), führende Vertreterin der »Grünen«,

  • Vogt, Roland6 (42), gehört zum radikalen Flügel der Friedensbewegung der BRD,

  • Potthast, Gabriele7 (27), Stellvertreterin des Parlamentarischen Geschäftsführers der Fraktion der »Grünen«

sowie den Bundesgeschäftsführer der »Grünen«

  • Beckmann, Lukas8 (32), kommt aus der »Menschenrechtsbewegung«, früher aktiv bei Amnesty International mitgewirkt.

Die Genannten waren am 12.5.1983, gegen 10.40 Uhr, auf der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße erschienen und nach reibungsloser Abfertigung (einschließlich Durchführung des Mindestumtausches; drei von ihnen, die nur im Besitz eines Personalausweises der BRD waren, wurde eine Identitätsbescheinigung ausgestellt) um 11.10 Uhr auf Visum zum Tagesaufenthalt in die Hauptstadt der DDR eingereist. Die Zollkontrolle beschränkte sich auf die Befragung nach Mitführung genehmigungspflichtiger und einfuhrverbotener Gegenstände, was von ihnen verneint worden war.

Bei ihrer Zuführung zu Funkstreifenwagen der VP und zum Präsidium der Volkspolizei Berlin sowie der vorangegangenen Aufforderung, ihre Handlungen zu unterlassen und sich auszuweisen, verhielten sie sich provozierend.

Sie setzten sich auf den Boden und weigerten sich, zur Klärung des Sachverhalts mitzukommen. Während Bastian, Kelly und Vogt ihren Widerstand dann aufgaben, mussten Beckmann und Potthast untergehakt zum Funkstreifenwagen geführt werden.

Bei dem Gespräch im PdVP, das zuerst von einem Major der Kriminalpolizei geführt wurde, wurde ihnen zunächst erklärt, dass sie zugeführt wurden, weil ihr Handeln und Auftreten nicht mit den gesetzlichen Bestimmungen der DDR übereinstimmt, abgesehen davon, dass den Angehörigen der Deutschen Volkspolizei zum Zeitpunkt ihres Einschreitens nicht bekannt war, um welche Personen es sich handelte.

Die Zugeführten beriefen sich auf die angeblichen Freiheiten in der BRD und forderten, das gleiche auf dem Gebiet der DDR in Anspruch nehmen zu können. Der Major der Kriminalpolizei entschuldigte sich, falls sich die Zugeführten ungerecht behandelt fühlen. Dabei trat Bastian schlichtend und vermittelnd auf und bemerkte, dass dies für das Einschreiten staatlicher Organe normal sei.

Schon in den ersten zehn Minuten nach Rückgabe ihrer Dokumente wurde ihnen erklärt, dass keine Gründe mehr bestehen, sie festzuhalten. Das Gespräch wurde in der weiteren Folge durch einen leitenden Mitarbeiter des MfS geführt, der als Oberstleutnant Schmidt und Beauftragter des Präsidenten der Volkspolizei Berlin auftrat.

Er wies nochmals auf die Umstände ihrer Zuführung hin. Die Kelly, die wegen Kreislaufstörungen (herzkrank) ärztlich versorgt werden musste, trat aggressiv und herausfordernd in Erscheinung und brachte immer wieder ihren Gesundheitszustand zur Sprache. Bastian bat, eine von den Zugeführten verfasste Erklärung9 dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR zu übergeben. In diesem Zusammenhang gab es zwischen ihnen unterschiedliche Auffassungen über die Form der Übergabe (über Volkspolizei oder durch sie persönlich). Sie entschlossen sich zur Übergabe über die Volkspolizei und erbaten eine Kopie der Erklärung, die ihnen übergeben wurde. Bastian ersuchte dann um Vermittlung eines Gesprächs mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR bzw. einem seiner Beauftragten oder um die Herbeiführung eines Telefongesprächs mit dem Staatsrat, wobei er durch die Kelly inspiriert und unterstützt wurde. Offenkundig war Bastian daran gelegen – wie er sich ausdrückte – die »ganze Angelegenheit beizulegen«.

Bastian wurde gebeten, seine Anliegen auf dem allgemein üblichen Weg zu klären, was er zustimmend zur Kenntnis nahm. Vogt bezog im Allgemeinen eine scheinbar einsichtige Haltung und versuchte immer wieder, den Gesprächsführenden in politische Diskussionen zu verwickeln, ohne provozierend zu sein.

Seine wesentlichen Anliegen waren Fragen der Rüstungsbegrenzung in Ost und West, des Umweltschutzes und des Friedenskampfes.

Ihm wurde vom Standpunkt prinzipieller Auffassungen der DDR geantwortet, wobei insbesondere auf die neuen Abrüstungsvorschläge10 des Generalsekretärs der KPdSU, Genossen Juri Andropow,11 und die Erklärungen des Generalsekretärs des ZK der SED, Genossen Erich Honecker,12 sowie auf den Vorschlag des schwedischen Ministerpräsidenten Palme13 und die Haltung der Reagan-Administration verwiesen wurde.

Dabei wurde hervorgehoben, dass es darauf ankomme, in der BRD gegen die Stationierung der neuen Mittelstreckenraketen und Cruise Missiles zu demonstrieren und nicht bei uns.14 Das wurde von Vogt und Bastian zustimmend entgegengenommen. Trotzdem brachte Bastian zum Ausdruck, dass die »Grünen« beabsichtigen, ihre Aktion in ähnlicher Form in der DDR zu wiederholen.

Daraufhin wurde ihnen entgegnet, dass es dann zu ähnlichen Schwierigkeiten kommen könne.

Besonders Beckmann trat während des Gesprächs politisch-aggressiv auf. Er forderte entschieden – assistiert von der Kelly, die provozierend erklärte, dass in der DDR Friedenskämpfer inhaftiert seien – die Freiheit der Demonstration in der DDR. Dem wurde unter Hinweis auf die sozialistische Gesetzlichkeit und die Verurteilung auf der Grundlage unserer sozialistischen Rechtsordnung entgegengetreten.

Auch hier versuchte Bastian zu schlichten. Er deutete an, dass ihm nichts daran liegt, nach Rückkehr in die BRD diese Sache »hochzuspielen«.

Durch den Gesprächsführenden wurde auf den Abschluss des Gesprächs gedrängt, das gegen 13.45 Uhr beendet wurde. (Das gesamte Gespräch wurde durch den Gesprächsführenden beherrscht und im Wesentlichen auch bestimmt. Es wurde in einer ruhigen, sachlichen und höflichen Form geführt, was auch Bastian und Vogt bekundeten.) Den BRD-Bürgern wurde erklärt, dass die DDR mit Aufmerksamkeit ihren Kampf in der BRD verfolgt. Sie wurden mit besten Wünschen für ihre weitere Tätigkeit und ihren Kampf gegen die Hochrüstung in der BRD mit Handschlag verabschiedet.

Auf ihre Bitte wurden sie mit Pkw der Volkspolizei zu ihrem Kraftfahrzeug, welches auf dem Mittelstreifen der Karl-Marx-Allee geparkt war, gefahren.

Anschließend fuhren sie zum Gebäude des Staatsrates der DDR, das sie nach Einholung von Auskünften durch diensttuende Posten gegen 14.56 Uhr betraten. Dort übergaben sie dem Leiter der öffentlichen Sprechstunde des Staatsrates eine Erklärung (Wortlaut siehe Anlage) mit der Bitte, diese dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR zuzuleiten. Im Zusammenhang mit der Übergabe der Erklärung wurde von Kelly und Beckmann der Wunsch der »Grünen« zum Ausdruck gebracht, mit der Staatsführung der DDR Gespräche über Frieden und Abrüstung führen zu können.

Ihnen wurde mitgeteilt, ihren Wunsch auf dem dazu üblichen Wege der Staatsführung der DDR offiziell zur Kenntnis zu bringen.

Kelly brachte weiterhin vor, dass sie den Vorsitzenden des Staatsrates deshalb aufsuchen wollten, weil sie daran gehindert worden seien, »auf dem Alexanderplatz friedlich für Abrüstung und Frieden zu demonstrieren«. Dieses Auftreten sei von den Sicherheitskräften verhindert und sie dabei »brutal behandelt« worden. Gegenüber den Frauen der Gruppe wäre man besonders brutal vorgegangen. Erst nachdem sie als Bundestagsabgeordnete erkannt wurden, sei die Behandlung höflich gewesen.

Die Kelly erklärte außerdem, dass sie sich mit den in Jena »kriminalisierten Bürgern« solidarisch erklären würden.15 Ihrer Auffassung nach müsste die Bewegung um Frieden und Abrüstung von unten her gefördert und solchen Bürgern das Recht gegeben werden, gewaltlos für die Umwandlung der »Schwerter zu Pflugscharen« aufzutreten.

Die »Grünen« würden Partner auch in der DDR suchen. Die von ihnen auf dem Alexanderplatz benutzten zwei grünen Stofftransparente, die sie zusammengefaltet bei sich hatten, wollten sie anfänglich der Erklärung beifügen, verlangten dafür aber eine Empfangsbestätigung, was abgelehnt wurde. (Sie führten diese Transparente wieder mit nach Westberlin zurück.)

Nachdem sie das Gebäude des Staatsrates um 15.28 Uhr verlassen hatten, fuhren sie mit ihrem Pkw unmittelbar zur Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße, wo sie um 15.47 Uhr eintrafen.

Bei der Ausreiseabfertigung führten sie die aus dem verbindlichen Mindestumtausch erworbenen 125 Mark der DDR wieder vor, die durch den Vogt auf dem bei der Staatsbank auf der Grenzübergangsstelle für ihn bestehendem Konto deponiert wurden. Die zollkontrollmäßige Abfertigung wurde – wie bei der Einreise – auf die Befragung beschränkt und ergab keine besonderen Feststellungen. Die Ausreise aller Personen nach Westberlin war 15.55 Uhr abgeschlossen.

Nachdem Bastian und die anderen vier Personen bereits über 30 Minuten aus der DDR nach Westberlin ausgereist waren, erschienen in der Zeit von 16.30 bis 16.33 Uhr im Westberliner Vorfeld an der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße fünf Pkw, denen insgesamt 30 Personen entstiegen. Während 15 Personen auf Westberliner Gebiet verblieben – darunter zwei Personen, die von einem dort befindlichen Podest aus Filmaufnahmen tätigten – begaben sich die anderen 15 Personen um 16.35 Uhr in den Fußgängereingang der Grenzübergangsstelle. Einer dieser Bürger erklärte einem dort Dienst versehenden Mitarbeiter der Passkontrolleinheit, dass sie eine Petition an den Staatsratsvorsitzenden der DDR zur Freilassung des Bundestagsabgeordneten Bastian und seiner Begleitung abgeben möchten. Sie kämen im Auftrag der zurzeit in Westberlin stattfindenden »Friedenskonferenz«16 und seien informiert worden, dass der Bundestagsabgeordnete Bastian und seine Begleitung am Alexanderplatz festgenommen worden wären.

Daraufhin wurde diesem mitgeteilt, dass sie sich einen Moment gedulden möchten, um die Übernahme der Petition zu klären. Der Sprecher übergab nach der Aufforderung, sich zu legitimieren, einen Diplomatenpass, der ihn als Bürger der BRD, Duve, Freimut17 (46) auswies.

Zu Duve ist bekannt, dass er Mitglied der SPD-Fraktion des BRD-Bundestages ist, Verbindungen zu feindlich-negativen Kräften in der DDR unterhält und am 17.4.1982 an den Trauerfeierlichkeiten für Havemann18 teilgenommen hatte.

Dem Duve wurde in Anwesenheit der Begleitpersonen vom amtierenden Leiter der Passkontrolleinheit mitgeteilt:

»Herr Duve, Sie sind offensichtlich einer Fehlinformation unterlegen, Herr Bastian und seine Begleitung sind gegen 11.00 Uhr normal als Besucher über unsere Grenzübergangsstelle eingereist und um 15.55 Uhr nach normaler Kontrolle mit ihrem Mercedes wieder nach Westberlin ausgereist. Es hat während dieses Aufenthaltes keine Probleme gegeben.«

Der Duve wiederholte zweimal die Bitte, diese Angaben bestätigt zu erhalten.

Er brachte nach nochmaliger mündlicher Bestätigung zum Ausdruck, dass er es bedauere, einer falschen Information gefolgt zu sein.

Dabei äußerte er, dass er es bedauert hätte, wenn ein Bundestagsabgeordneter seinen Aufenthalt am Alexanderplatz zu einer politischen Demonstration genutzt hätte.

Danach verließen er und die anderen Personen um 16.54 Uhr das Territorium der DDR und fuhren in Richtung Stadtinneres Westberlin.

Die auf der Grenzübergangsstelle erschienenen und die im Vorfeld wartenden Personen verhielten sich ruhig, diszipliniert und sachlich. An dem Gespräch mit Duve beteiligten sich keine weiteren Personen.

Die von Duve benannte Petition befand sich offenbar in einem von ihm sichtbar mitgeführten Briefumschlag, den er wieder mit nach Westberlin zurücknahm.

Veröffentlichungen in westlichen Massenmedien zum vorgenannten Sachverhalt entsprechen nicht den Tatsachen.19 Sie stellen eine üble Verleumdung der Sicherheitsorgane und ihrer korrekt durchgeführten Maßnahmen dar.

Anlage zur Information Nr. 176/83

Wortlaut der Erklärung

An Herrn Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker | mit der dringenden Bitte um Aushändigung (handschriftlich)

Erklärung

Im Bewusstsein der besonderen Verpflichtung beider deutscher Staaten für Frieden und Entspannung in Europa appellieren wir an die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, sich innerhalb des Warschauer Paktes und vor allem gegenüber der Sowjetunion genauso entschieden für Rüstungsverzicht und Abrüstung einzusetzen, wie wir dies von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, deren Bürger wir sind, innerhalb der NATO und gegenüber den USA ebenfalls fordern.

Wir sind überzeugt, dass beide deutsche Regierungen die Pflicht und auch die Möglichkeit haben, in den jeweiligen Bündnissen einer Entwicklung entgegenzutreten, die mit immer mehr Rüstung die Konfliktgefahr vergrößert und darum den entscheidenden Widerstand aller Deutschen in West und Ost herausfordern muss!

Wir sehen es als eine selbstverständliche Aufgabe beider deutscher Staaten und ihrer Regierungen an, dem Willen dieser Bürger entsprechend zu handeln und das Engagement aller um Frieden und Entspannung bemühten Menschen nicht nur nicht zu behindern, sondern in jeder nur möglichen Weise zu fördern und zu ermutigen.

Nur dann werden beide deutsche Staaten vor der Geschichte bestehen können.

Berlin, am 12. Mai 1983

Gaby Potthast | Gert Bastian | Lukas Beckmann | Petra K. Kelly | Roland Vog | Milan Horacek

Rückseite

Die Unterzeichner der umseitigen Erklärung nehmen die Entscheidung der Volkspolizei zur Kenntnis.

Sie protestieren energisch dagegen, dass sie durch die Volkspolizei daran gehindert wurden, ihren Appell zur Abrüstung in Ost und West den Bürgern der DDR auf dem Alexanderplatz in Berlin zu vermitteln.

Sie protestieren ebenso gegen das unangemessen harte Vorgehen der Polizei, vor allem gegenüber Frau Kelly und Frau Potthast. Die Unterzeichner bitten, diesen Protest an den Staatsratsvorsitzenden weiterzuleiten.

Für die Unterzeichner: Gert Bastian, Petra Kelly, Lukas Beckmann

PS. Wir haben kein Interesse an disziplinarischen oder sonstigen Maßnahmen gegen irgendeine der beteiligten Personen und Funktionsträger

Roland Vogt, Gert Bastian, Gaby Potthast

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    13. Mai 1983
    Information Nr. 177/83 über die Aktion der Bundestagsabgeordneten der Grünen am 12. Mai 1983 auf dem Alexanderplatz

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    11. Mai 1983
    Information Nr. 167/83 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 2. Mai 1983 bis 8. Mai 1983