Gespräche des FDP-Politikers Graf Lambsdorff mit Kirchenvertretern
8. Februar 1988
Information Nr. 71/88 über das Gespräch von Lambsdorff mit leitenden Vertretern der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg am 4. Februar 1988
An dem Gespräch, das von dem Mitglied des Bundesvorstandes und der Bundestagsfraktion der FDP, Dr. Otto Graf von Lambsdorff, mit leitenden Kirchenvertretern am Nachmittag des 4. Februar 1988 im Konsistorium der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg geführt wurde, nahmen Bischof Forck, Konsistorialpräsident Stolpe, Propst Furian, Präses Becker, Rechtsanwalt Schnur und der Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Bräutigam, teil. Über den Gesprächsverlauf wurde – nach vorliegenden internen Informationen – Folgendes bekannt:
Lambsdorff habe zunächst seinen Eindruck über das Gespräch mit Genossen Honecker vermittelt und dabei betont, dass alle von ihm gestellten Fragen beantwortet wurden.
In Wiederholung seiner Presseerklärung brachte Lambsdorff zum Ausdruck, er gehe davon aus, dass die DDR nicht an einer Verschlechterung der Beziehungen im »deutsch-deutschen Verhältnis« interessiert ist. Ihm sei von Genossen Honecker mit Bestimmtheit deutlich gemacht worden, dass die Rechtsordnung der DDR – unter Bezugnahme auf die Ereignisse der jüngsten Zeit – unantastbar ist und Provokationen wie zum 17. Januar nicht hingenommen werden. Genosse Honecker habe auch Details (intensive Vorbereitungen für die Provokation) genannt.
Lambsdorff habe eingeschätzt, es sei deutlich geworden, dass die Führung der SED nicht in der Lage sei, mit einem »Potenzial von Opponenten« umzugehen. Er erinnerte daran, dass die Analyse der BRD-Regierung zutreffe, wonach das Potenzial, welches sich hier in der DDR rühre, fast vergleichbar sei mit »linken« Kräften und Teilen der Grünen in der BRD, jedoch mit dem wesentlichen Unterschied, dass in der DDR Radikalität und Gewaltmaßnahmen unterbleiben. Lambsdorff habe nachdrücklich erklärt, dass die Bundesregierung in keiner Weise eine Anheizung der Geschichte wolle. Er habe auch gespürt, dass Genosse Honecker deutlich gemacht hat, man möge sich nicht einmischen; die DDR bringe die Sache auf ihre Art und Weise schnell zur Lösung.
Lambsdorff habe im Gespräch nicht bestätigt, dass eine Entlassung der Personen in die DDR erfolgt, sondern zum Ausdruck gebracht, dass eine konsequente Rechtsanwendung gegenüber dem Täterkreis erfolgen wird, wenn sich andere Lösungen nicht abzeichnen.1
Weiter sei von ihm betont worden, dass Genosse Honecker auf das positive Wirken der Kirchen, insbesondere von Bischöfen, hingewiesen hat. Bräutigam ergänzte dazu, Genosse Honecker habe deutlich das Signal gesetzt, dass es der Regierung und der Parteiführung in keiner Weise um eine Verschlechterung des Verhältnisses von Staat und Kirche gehe. Er, Bräutigam, habe deutlich verspürt, dass die Kirche jedoch aufpassen müsse, nicht zu einer Opposition in diesem Staat zu werden, weil dann Grundlagen des Dialogs verlassen würden.2
Bräutigam habe eindeutig erklärt, das Grundinteresse von Genossen Honecker sehe er darin, dass die »deutsch-deutschen Beziehungen« ein Ergebnis guter Bemühungen beider Seiten sind und dann auch »Vorteile für die Menschen eintreten«.
Weiter sei Lambsdorff von Genossen Honecker über den großen Umfang von Besuchsreisen, auch über Reisezahlen, informiert worden. Auf eine Frage von Lambsdorff, warum trotzdem in der DDR das »Ausreiseproblem« so akut stehe, habe Stolpe ausgeführt, dass dies sehr unterschiedliche Gründe seien. Er, Stolpe, gehe davon aus, dass »diese Gesellschaft noch sehr unbeweglich ist«, dass sie »mit verschiedenen Problemen zu stark umgehe« und auch feststehe, dass eine neue Generation aus der Nachkriegsentwicklung gekommen ist, die es nicht mehr verstehe, »eingesperrt« zu sein und sich auch »nicht mehr an die Kette legen lassen« will, um gehorsam das Schüler-Lehrer-Prinzip einzuhalten. Dies sei auch gegenwärtig bei den Veranstaltungen in den Kirchen sichtbar geworden, zu denen ein »Großteil« von Menschen gekommen sei, der die DDR verlassen wolle und vom Staat nicht gehört werde. Der Staat verschiebe einfach Problemfelder und wundere sich dann, wenn dieser Personenkreis zur Kirche abdriftet und dann im Umkehrschluss der Kirche feindliches Verhalten vorgeworfen wird. Er selbst sei der Überzeugung, dass der Staat sich endlich dazu entscheiden müsse, für den Personenkreis, der nicht in der DDR verbleiben will, vernünftige Verfahrensregelungen auch dahingehend zu treffen, den Menschen einen bestimmten Zeitraum zu benennen, wann sie die DDR verlassen können, oder dass tatsächlich solche ernsthaften Gründe belegt werden, die den Sicherheitsinteressen der DDR widersprechen.
Lambsdorff habe seinen hohen Respekt vor der Arbeit der Kirche in der DDR bekundet. Gerade in einer komplizierten Situation sei spürbar geworden, dass die Kirche »gegenüber dem Staat ein wichtiger Faktor« sei, den die Regierung der DDR nicht ausschalten könne. Dies sei der Führung der DDR auch bewusst, weshalb nicht an einer Verschlechterung des Verhältnisses Staat – Kirche gedacht sei. Die Kirche dürfe sich aber auch nicht übernehmen und ihre eigenen Möglichkeiten überschätzen.
Lambsdorff sei – in Beantwortung einer von ihm gestellten Frage, was er gegenwärtig tun könne – gebeten worden, getroffene Entscheidungen über Ausreisen von Personen, wenn sie dies unbedingt wollen, zu unterstützen, was jedoch auch verlange, dass wie im Fall Krawczyk, Redlichkeit gegeben sein müsse (Nichteinhalten verbindlicher Zusagen und besondere Sperrfristen für Erklärungen). Lambsdorff habe u. a. bemerkt, dass Krawczyk nicht seine persönliche Sympathie habe.
Im Verlauf des Gespräches sei deutlich geworden, dass Lambsdorff die leitenden Vertreter der Kirche in keiner Weise zu einem schärferen Kurs ermuntert habe. Er vertrete die Auffassung, dass der Konflikt nur zwischen den betroffenen Partnern vernünftig geregelt werden könne; er werde auch der Bundesregierung entsprechende Empfehlungen geben. Spürbar sei jedoch, dass die Kirche und der Staat Überlegungen anstellen, wie sie mit einem kritischen Potenzial von Bürgern fertig werden und wie das gesamte Problem der Ausreiseproblematik in einer »besseren Analyse gefasst« werden könne, um damit Rückschlüsse für gesellschaftliche Entwicklungen zu ermöglichen.
Lambsdorff betonte in diesem Zusammenhang, dass er nicht ein Vertreter der sogenannten Deutsch-Aussiedlung ist. Er wende sich z. B. auch dagegen, dass aus der Sowjetunion und anderen Ländern Deutschstämmige herausgehen, zumal die BRD genügend eigene Probleme habe. Er sei der Auffassung, man müsse Möglichkeiten finden, in der »deutsch-deutschen Konstellation« nach produktiven Ergebnissen zu suchen, und er betonte zum Abschluss, er habe deutlich verspürt, dass Genosse Honecker das Ganze im Blick habe und er sich auch den Problemen der BRD nicht verschlossen zeige.3
Weitere vom Gesprächsverlauf bekannt gewordene Einzelheiten:
Lambsdorff habe im Gespräch seine Absicht durchblicken lassen, nach einem Weggang Bangemanns zur EG Bundeswirtschaftsminister zu werden.4 Die Kirchenvertreter hätten in diesem Zusammenhang Lambsdorff in der Erwartung hofiert, durch ihn zukünftig finanziell unterstützt zu werden. Konkret wurde Lambsdorff bereits angesprochen, Hilfe für den Wiederaufbau des Brandenburger Doms zu leisten.
Bereits vorher habe Stolpe in einem kurzen Zwiegespräch mit Lambsdorff betont, dass Genosse Günter Mittag die Kirche im Rahmen der Bautätigkeit unterstützt habe und es gut wäre, wenn Lambsdorff dies bei seinem Gespräch mit Günter Mittag mit vortragen würde, da die Kirchen nach wie vor größere Bauprobleme zu bewältigen hätten, die der Unterstützung bedürfen.
Außerdem habe Stolpe Lambsdorff eingeladen, den Brandenburger Dom wieder zu besuchen. (Lambsdorff habe sich dort von 1941 bis 1944 zur Ausbildung aufgehalten und auch die Restaurierung unterstützt.)
Lambsdorff wolle dieser Einladung nach Möglichkeit folgen. Er interessiere sich sehr für die Geschichte Preußens. Bischof Forck übergab ihm einen Bildband über die Geschichte Brandenburg-Preußen.
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