Prozess zu gewaltsamen Übergriffen von Jugendlichen in Oranienburg
30. März 1988
Information Nr. 162/88 über die geplante Durchführung einer gerichtlichen Hauptverhandlung vor erweiterter Öffentlichkeit gegen negativ-dekadente Jugendliche
Die Ermittlungsverfahren gegen die neun Jugendlichen und Jungerwachsenen (Alter zwischen 17 und 24 Jahren, Facharbeiter, ein Lehrling, eine Person ist wegen vorsätzlicher Körperverletzung vorbestraft), die gemeinschaftlich sowie z. T. als Alleintäter handelnd seit September 1987 im Kreisgebiet Oranienburg Widerstand gegen staatliche Maßnahmen leisteten sowie Rowdytum, Körperverletzung und weitere kriminelle Straftaten begingen, wurden abgeschlossen.
Die Untersuchungsergebnisse wurden dem Staatsanwalt zur Anklageerhebung übergeben.
Im Verlaufe der Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass sich die Genannten Anfang 1986 zu einer losen Gruppierung zusammenschlossen und seit Ende 1986 Verbindung zu gleichartigen Personenkreisen in der Hauptstadt der DDR unterhielten, darunter zu solchen Personen, die zwischenzeitlich als Teilnehmer der unter Mitwirkung Westberliner Skinheads am 17. Oktober 1987 begangenen Gewalttätigkeiten im Bereich der Berliner Zionskirche zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden.
Inspiriert durch diese Kontakte gingen sie im Jahre 1987 verstärkt dazu über, ihren Lebens-vorstellungen entsprechende gewalttätige Verhaltensweisen westlicher Skinheads nachzuahmen. Dabei traten sie bei Tanzveranstaltungen als Gruppierung durch provozierendes und aggressives Verhalten und einen unter der Bezeichnung »Sturzsaufen« betriebenen übermäßigen Alkoholgenuss in Erscheinung.
Seit Sommer 1987 kam es ihrerseits zu einer Zunahme provokatorischer Verhaltensweisen gegenüber anderen Bürgern, wobei die Beschuldigten als Gruppierung überfallartig vorgingen. Dabei war ihr brutales Handeln vor allem durch Anspringen der Personen sowie gezielte Fußtritte und Faustschläge gegen Kopf und Körper der Geschädigten gekennzeichnet.
Ihren Höhepunkt erreichten die Ausschreitungen dieser Personen in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November 1987, als sie im Anschluss an eine Diskoveranstaltung in einer Gaststätte in Velten/Oranienburg sich der ordnungsgemäßen Schließung des Lokals widersetzten und eine schwere tätliche Auseinandersetzung mit zwei Angehörigen sowie einem freiwilligen Helfer der Deutschen Volkspolizei, die über Notruf 110 durch die Gaststättenleiterin herbeigerufen worden waren, provozierten. Im Verlauf der Auseinandersetzung hatte ein VP-Angehöriger, nachdem die Beschuldigten die beiden VP-Angehörigen in brutaler Weise misshandelt hatten, drei Warnschüsse aus seiner Dienstwaffe abgegeben. Ein Angehöriger der Deutschen Volkspolizei war schwer, der andere leicht verletzt worden.
Außerdem wurde festgestellt. dass vier der Genannten verbrecherischen Diebstahl persönlichen Eigentums begingen, indem sie von 1985 bis 1987 im Kreisgebiet Oranienburg – mit unterschiedlicher Tatbeteiligung handelnd – insgesamt 15 Mopeds im Gesamtwert von ca. 32 000 Mark entwendeten.
Durch die von den Beschuldigten begangenen Straftaten wurden die öffentliche Ordnung beeinträchtigt, das Zusammenleben der Bürger gestört und mehrere Bürger in ihrer Gesundheit und ihrem persönlichen Eigentum geschädigt.
Ausgehend von den im Verlaufe der Untersuchungen getroffenen Feststellungen ist vorgesehen, vor der Strafkammer des Kreisgerichts Oranienburg eine gerichtliche Hauptverhandlung vor erweiterter Öffentlichkeit durchzuführen, wobei die Beweisaufnahme im Zeitraum vom 25. bis ca. 29. April 1988 und die Urteilsverkündung Anfang Mai 1988 erfolgen sollten. Der zur Hauptverhandlung zu ladende Teilnehmerkreis soll sich zusammensetzen aus verantwortlichen Mitarbeitern der Bezirksleitung Potsdam und der Kreisleitung Oranienburg der SED, des Zentralrates sowie der Bezirks- und Kreisleitung der FDJ, der Abteilungen Inneres, Jugend und Volksbildung des Rates des Kreises Oranienburg, Vertretern der Betriebspartei- bzw. Grundorganisationen der SED und der FDJ aus Großbetrieben des Territoriums, leitenden Mitarbeitern der Abteilungen Kriminal- und Schutzpolizei des VPKA Oranienburg sowie ausgewählten Leitern von Jugendklubs aus Potsdam und dem Kreis Oranienburg.
Außerdem ist vorgesehen, durch die Teilnahme von Redakteuren der Zeitungen »Junge Welt« und »Märkische Volksstimme«, von »Jugend-Radio DT 64« sowie der Zeitschriften des MdI »Die Volkspolizei« und »Bereitschaft« eine gezielte und einheitliche Berichterstattung sowie Auswertung in diesen Medien zu gewährleisten.1
Den unterschiedlichen Tatbeitrag der Beschuldigten berücksichtigend, ist seitens des Staatsanwaltes vorgesehen, im Ergebnis der Hauptverhandlung Freiheitsstrafen von einem Jahr bis sechs Jahren sowie Verurteilungen zu Schadensersatzleistungen zu beantragen.2