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Vorbereitung des Aktionstages Rumänien

2. November 1988
Information Nr. 458/88 über die Vorbereitung eines »Europäischen Aktionstages – Rumänien« und in diesem Zusammenhang geplante Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte in der DDR

Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen bereiten politisch-negative Kräfte im westlichen Ausland aus Anlass des 1. Jahrestages der Arbeiterunruhen in Brasov/SR Rumänien [Kronstadt in Siebenbürgen] am 15. November 1988 einen sogenannten Europäischen Aktionstag – Rumänien als Solidaritätstag mit der rumänischen Bevölkerung vor. Dieses Vorhaben basiert auf einem Beschluss des 7. Konvents der Bewegung für »Europäische Nukleare Abrüstung« in Lund/Schweden (29. Juni bis 2. Juli 1988).

In Umsetzung dessen entwickelten vor allem Führungskräfte der Feindorganisationen »Europäisches Netzwerk für den Ost–West-Dialog« und der ihm angeschlossenen »Initiative Ost–West-Dialog« in Westberlin sowie der nach den Ereignissen vom 17. Januar 1988 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, in Westberlin gebildeten »Initiative Freiheit für Andersdenkende« weitergehende politische Aktivitäten. So wurde von diesen u. a. ein entsprechender »Aufruf« (Text als Anlage 1) erarbeitet und während einer sogenannten Internationalen Menschenrechtskonferenz im August 1988 in Krakow/VR Polen bekannt gemacht. Auf dessen Grundlage werden besonders in politischen Kreisen der BRD und Westberlins weitergehende Unterstützungs- und Solidarisierungsinitiativen entwickelt und Unterschriften gesammelt.

Insbesondere Kräfte der genannten Feindorganisationen nutzten darüber hinaus ihre bestehenden Kontakte und Verbindungen zu Kräften des politischen Untergrundes in der DDR, vor allem zu solchen der feindlich-negativen Personengruppierung »Initiative Frieden und Menschenrechte«1 in der Hauptstadt Berlin, um diese zu parallelen Aktionen in der DDR zu inspirieren. In dieses Vorgehen wurden gezielt die hinlänglich bekannten Freya Klier und Regina Templin einbezogen. Intensive Bestrebungen wurden ferner unternommen, um sogenannte Basisgruppen und Einzelpersonen in der DDR als Unterzeichner des genannten Aufrufes zu gewinnen.

Bis auf den wegen seiner verfestigten feindlich-negativen Haltung bekannten Werner Fischer, der sein Einverständnis gab, als Unterzeichner genannt zu werden, wurde dieses Ansinnen mit der Begründung abgelehnt, keine staatlichen Maßnahmen gegen Unterzeichner provozieren zu wollen.

Im Ergebnis dieser intensiven Einflussnahme gegnerischer Elemente auf feindlich-negative DDR-Bürger bekannten sich vor allem Mitglieder der »Initiative Frieden und Menschenrechte« dazu, in der DDR eigenständige Aktivitäten zu organisieren. Zu diesem Zweck wurde von ihnen ebenfalls eine Erklärung erarbeitet (Text als Anlage 2) und ab dem 13. Oktober 1988 unter Gleichgesinnten verbreitet. (Über diese Erklärung der »Initiative Frieden und Menschenrechte« informierte der Westberliner Sender »Hundert, 6« bereits am 13. Oktober 1988 und die Westberliner Tageszeitung »BERLINER MORGENPOST« sowie weitere Medien am Folgetag.)

In dieser Erklärung wird der DDR u. a. »Billigung« bzw. »offene Zustimmung« des politischen Kurses der SR Rumänien unterstellt, und es werden Forderungen erhoben, der »rumänischen Politik entgegenzuwirken«. Aufgerufen wird zu einer umfassenden Solidarisierung mit der rumänischen Bevölkerung.

Die »Initiative Frieden und Menschenrechte« bereitet nach vorliegenden internen Hinweisen für den 15. November 1988 im Rahmen der diesjährigen »Friedensdekade« der Evangelischen Kirchen in der Gethsemanekirche im Stadtbezirk Berlin-Prenzlauer Berg einen »Rumänientag« vor. In Vorträgen und Diskussionsrunden, an denen sich Mitglieder der »Initiative« wie Bärbel Bohley, Werner Fischer und Gerd Poppe beteiligen wollen, sollen Themen zur Geschichte Rumäniens, den dort lebenden nationalen Minderheiten, der innenpolitischen Lageentwicklung und zum »Ceausescu-Clan« behandelt werden. Zur Unterstützung dessen sollen in der Kirche thematische Sichttafeln aufgestellt werden.2

Eine Kollektensammlung ist für die Unterstützung der rumänischen Bevölkerung gedacht. Die Organisatoren des »Rumänientages« fassten bereits den Beschluss die genannte Erklärung als »Protesterklärung« während der Veranstaltung zu verlesen und möglicherweise an die Botschaft der SR Rumänien in der DDR zu übergeben. Vorgesehen ist ferner ein kultureller Veranstaltungsteil, in dem Prosa und Lyrik jetzt in Westberlin lebender ehemaliger Rumäniendeutscher verlesen werden soll.

In Realisierung dieser geplanten Vorhaben, insbesondere zur Beschaffung aktueller Informationen zur Lage in Rumänien, von Bilddokumentationen usw., wurden bereits umfangreiche Aktivitäten entwickelt. So trat die Bohley in Kontakt mit »Amnesty International«, Fischer nahm Verbindung zu Mitgliedern der GRÜNEN in der BRD, der »Initiative Ost–West-Dialog« und zu dem ehemaligen DDR-Bürger Hirsch in Westberlin auf, während Annedore Havemann und andere gezielt in der DDR aufenthältige rumänische Staatsbürger abzuschöpfen versuchen.

Durch das MfS sind Maßnahmen zur umfassenden Aufklärung vorgenannter Aktivitäten feindlich-negativer Personen und insbesondere ihres Zusammenwirkens mit gegnerischen Kräften sowie zur vorbeugenden Verhinderung öffentlichkeitswirksamer provokatorisch-demonstrativer Handlungen eingeleitet.

Es wird vorgeschlagen, in den im Zusammenhang mit der »Friedensdekade« seitens der zuständigen staatlichen Organe mit kirchenleitenden Amtsträgern zu führenden Vorbeugungsgesprächen nachdrücklichst die staatliche Erwartungshaltung zum Ausdruck zu bringen, jegliche gegen die SR Rumänien gerichtete provokatorisch-demonstrative Handlungen zu unterbinden.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Information bestimmt!

Anlage 1 zur Information 458/88

[Abschrift]

Aufruf zu einem europäischen Aktionstag – Rumänien

»Es ist uns gleich, ob wir erfrieren oder erschossen werden.«

Am 15. November 1988 ist es ein Jahr her, dass Arbeiter in Brasov auf die Straße gingen. Sie protestierten gegen Hunger, Kälte, Repression und Personenkult.

Ceausescu führt seit Jahren Krieg gegen das Volk. Mit einer neuen Zerstörungswelle ist begonnen worden, weitere 8 000 Dörfer einzuebnen und ihre Bewohner zu kasernieren.

Die Ceausescu-Regierung beraubt die Menschen ihres Kulturraumes und treibt das Land in ökologische Katastrophen. Der staatlich verordnete Gebärzwang ist ein weiteres Beispiel für die Missachtung jeglicher Menschenrechte.

All das geschieht in Europa. Die meisten europäischen Regierungen und Politiker sehen unbeteiligt zu.

Wir rufen zu einem Aktionstag – Rumänien in Ost und West auf. Durch Demonstration, Informationsveranstaltungen, Appelle an die jeweiligen Regierungen, Proteste bei den rumänischen Botschaften, Unterschriftensammlungen usw. soll eine größere öffentliche Aufmerksamkeit für die Lage der Menschen in Rumänien erzielt werden.

Wir fordern die völkerrechtliche Ächtung der Ceausescu-Regierung.

Anlage 2 zur Information 458/88

[Abschrift]

Erklärung

Für den 15.11.1988 wurde zu einem Aktionstag Rumänien in Ost und West aufgerufen aus Anlass des 1. Jahrestages der Unruhen in Brasov. Dies ist uns auch ein Anlass für die folgende Erklärung.

Im Januar 1988 wurde dem rumänischen Präsidenten und Generalsekretär der RKP, Nicolae Ceausescu, anlässlich seines 70. Geburtstages von der DDR der Karl-Marx-Orden verliehen. In einer Zeit, da die Situation für die rumänische Bevölkerung immer unerträglicher wird, scheint die DDR den Kurs der rumänischen Führung zu befürworten.

Ein aktueller »Höhepunkt« dieser Politik ist die »Systematisierungskampagne«, deren Ziel es ist, etwa 8 000 der derzeit 13 000 existierenden Dörfer niederzureißen, um dadurch landwirtschaftliche Nutzfläche zu gewinnen. Die Dorfbevölkerung soll in Satellitensiedlungen, sogenannten agroindustriellen Zentren, zusammengefasst werden. Dies soll nach offizieller Lesart die Probleme der Nahrungsmittelversorgung lösen.

Die Krise, die durch fehlgeleitete Industrialisierung, durch erhebliche Kredite und den daraus folgenden einseitigen Sparmaßnahmen verursacht wurde, soll nun durch die Zerstörung der noch intakten dörflichen Strukturen gelöst werden. Gerade in diesen Dörfern wird jedoch trotz verfehlter bürokratischer Planungs- und Verteilungspolitik die ohnehin mangelhafte Lebensmittelversorgung aufrechterhalten. Eine weitere, anscheinend gewollte Auswirkung des Programms ist die Zerstörung des Lebensraumes und der eigenständigen Kultur nationaler Minderheiten. Dies bewegt sich in einem offensichtlichen Zusammenhang zu der 1968 unter Ceausescu durchgeführten Gebietsverwaltungsreform, durch die unter anderen der bis dahin in Nordsiebenbürgen existierende autonome ungarische Bezirk verschwand.

Die Folgen lange praktizierter Misswirtschaft hat die rumänische Bevölkerung besonders in Form einer in Europa beispiellos schlechten Versorgungslage zu tragen, was durch das spontane Aufbegehren tausender Arbeiter im siebenbürgischen Brasov am 15.11.1987 besonders deutlich wurde.

Die Situation in Rumänien wird ebenfalls gekennzeichnet durch einen unübersehbaren Personenkult um Nicolae Ceausescu, der sich auch in teuren Repräsentationsbauten manifestiert, für die z. B. ganze Stadtviertel Bukarests, einschließlich kulturhistorisch wertvoller Gebäude, weichen mussten. Verletzungen individueller und politischer Grundrechte stehen in einem selbst für DDR-Bürger unvorstellbaren Ausmaß auf der Tagesordnung. Die Meldepflicht für Kontakte mit Ausländern, die Nichtveröffentlichung geltender Gesetze und die zwangsweise frauenärztliche Kontrolle zur Durchsetzung der »Vier-Kinder-Familien«-Politik können hier nur als einzelne Beispiele angeführt werden.

Eine stillschweigende Billigung oder gar offene Zustimmung zu diesem Kurs macht die DDR unserer Ansicht nach für die Verhältnisse in Rumänien mitverantwortlich. Die DDR-Regierung sollte deshalb durch Aktivitäten in internationalen Organisationen wie UNO- KSZE-Folgekonferenz und RGW dieser rumänischen Politik entgegenwirken.

Statt der Verleihung von Orden an die für die Innenpolitik in Rumänien Verantwortlichen sollte öffentlich über die wirkliche Situation in Rumänien informiert und eine öffentliche Diskussion geführt werden können. Auch die Beziehungen der DDR zu Rumänien dürfen davon nicht unberührt bleiben.

Bis deutliche Schritte zu einer innenpolitischen Normalisierung in Rumänien erkennbar werden, sind folgende Maßnahmen denkbar:

  • ein vorübergehendes Aussetzungen von Freundschaftsverträgen,

  • vorübergehende wirtschaftliche Sanktionen wie z. B. eine Importsperre für rumänische Waren, insbesondere für Lebensmittel.

Die rumänische Bevölkerung braucht unsere Solidarität! Wir rufen dazu auf, sich selbst über Rumänien zu informieren, Kontakte zu rumänischen Staatsbürgern zu suchen, mögliche konkrete Hilfe zu leisten und von unserer Regierung deutliche Schritte zu fordern!

Mitglieder der Initiative Frieden und Menschenrechte

Berlin, Oktober 1988

  1. Zum nächsten Dokument Vollversammlung des Arbeitskreises Solidarische Kirche

    2. November 1988
    Information Nr. 464/88 über die V. Vollversammlung des »Arbeitskreises Solidarische Kirche« (AKSK)

  2. Zum vorherigen Dokument Andacht in der Zionsgemeinde für die Relegierten der Ossietzky-Schule

    29. Oktober 1988
    Information Nr. 465/88 über die Durchführung einer sogenannten Informationsandacht im Jugendraum der Zionskirchgemeinde Berlin