Direkt zum Seiteninhalt springen

Wirtschaftliche Schäden durch Brände, Havarien und Explosionen

21. November 1988
Information Nr. 493/88 über einige bedeutsame Probleme zum Schadensgeschehen durch Brände, Havarien und Explosionen in der Volkswirtschaft der DDR

Dem MfS vorliegende Erkenntnisse über die bisherige Entwicklung des Schadensgeschehens in der Volkswirtschaft der DDR im Jahre 1988 weisen darauf hin, dass nach wie vor keine prinzipielle Verbesserung der Lage auf diesem Gebiet erreicht werden konnte.1

Ungeachtet der in einzelnen Territorien und Bereichen, in einer Vielzahl von Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen erreichten Fortschritte bezüglich der konsequenten Umsetzung der durch den Generalsekretär des ZK der SED, Genossen Erich Honecker, auf der Beratung mit den 1. Sekretären der Kreisleitungen2 erhobenen Forderungen und Aufgabenstellungen bei der zielgerichteten Durchsetzung und Gewährleistung der sozialistischen Gesetzlichkeit, einer hohen Ordnung, Disziplin, Sicherheit und Wachsamkeit im Rahmen der Organisierung des vorbeugenden Brand-, Havarie- und Objektschutzes konnte der Umfang des allgemeinen Schadensgeschehens nicht reduziert werden.

So ereigneten sich in der Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1988 nach vorliegenden Hinweisen in der Volkswirtschaft 467 Vorkommnisse (außer Verkehrswesen) mit einem Schadensumfang (Sachschaden auf der Grundlage der Feststellungen der Staatlichen Versicherung der DDR) von ca. 75,5 Mio. Mark, davon

  • 337 Brände – 42,1 Mio. Mark Schaden,

  • 115 Havarien – 32,3 Mio. Mark Schaden,

  • 15 Explosionen – 1,1 Mio. Mark Schaden.

Nicht einbezogen in diese Summe sind die in der Regel weitaus höheren Folgeschäden (insbesondere durch Produktionsausfälle hervorgerufene ökonomische Auswirkungen und Verluste in allen Phasen des Reproduktionsprozesses).

Großschadensfälle (ab 1 Mio. Mark Sachschaden) bilden dabei den Hauptanteil an der Gesamtschadensentwicklung. (So wurden allein durch 8 Großschadensfälle insgesamt Schäden in Höhe von ca. 49,9 Mio. Mark verursacht.) Diese Entwicklung ist bereits seit mehreren Jahren festzustellen.

Die Schwerpunkte im Vorkommnisgeschehen sind vor allem die Bereiche der Chemischen Industrie (ca. 40,2 Mio. Mark Sachschaden), der Kohle- und Energiewirtschaft (ca. 7,2 Mio. Mark Sachschaden) und der Landwirtschaft (ca. 11,2 Mio. Mark Sachschaden).

Bestimmte Bereiche der Chemischen Industrie und der Kohle- und Energiewirtschaft sind insbesondere aufgrund des technischen Zustandes verschiedener Produktionsanlagen, die z. T. vor 40 Jahren und noch weiter zurückliegenden Zeiträumen errichtet wurden, häufiger als andere Industriezweige von Bränden, Havarien und Störungen betroffen. Die normative Nutzungsdauer derartiger Anlagen ist weit überschritten. Durchgeführte Rekonstruktions- bzw. Reparatur- und Instandhaltungsmaßnahmen können nur bedingt zur Stabilisierung der Produktionsprozesse beitragen. Sie reduzieren sich lediglich oftmals nur auf zur Aufrechterhaltung der Produktion notwendige Maßnahmen. Diese Bereiche bilden im Vorkommnisgeschehen bereits über Jahre hinweg den Schwerpunkt.

Wie die geführten Untersuchungen ergaben, wirkt sich nach wie vor eine Reihe von Erscheinungen und Bedingungen – insbesondere aus subjektiven Faktoren resultierende – hemmend auf die Gewährleistung bzw. Herausbildung dauerhaft wirksamer Sicherheits- und Schutzregime in allen Bereichen der Volkswirtschaft aus.

Sie begünstigen auf vielfältige Art und Weise immer wieder die Entstehung von Bränden, Havarien und Störungen, beeinflussen damit in wesentlichem Maße den Umfang des Vorkommnis- und Schadensgeschehens in negativer Hinsicht und setzen zugleich Ausgangspunkte für das Entstehen neuer Gefahren- und Verlustquellen.

In der Führungs- und Leitungstätigkeit wird den Fragen hoher Arbeits- und Produktionssicherheit, der technologischen Ordnung und Disziplin, den Erfordernissen des Brand- und Havarieschutzes noch nicht in erforderlichem Umfang entsprochen.

In diesem Zusammenhang wurden folgende subjektiv begründete Fehlverhaltensweisen als wesentliche begünstigende Bedingungen für Brände, Havarien und Störungen festgestellt:

  • Nichtbeachtung/Nichteinhaltung gesetzlicher Bestimmungen und betrieblicher Vorschriften zur direkten Gewährleistung der Anlagen- und Produktionssicherheit,

  • Verstöße gegen die Bestimmungen über die Durchführung und Kontrolle von Schweiß- und Brennschneidearbeiten,

  • Verstöße gegen Bestimmungen der technischen Sicherheit und technologischen Disziplin (Vor allem auf die Berufserfahrung vertrauend und auf maximales Produktionsergebnis ausgerichtet erfolgen z. B. oftmals kaum oder nur ungenügende Kontrollen in Betrieb befindlicher Anlagen, werden Reparaturen bzw. Instandhaltungsarbeiten an neuralgischen sicherheitstechnischen Einrichtungen, an Armaturen und an registrierenden Geräten nicht oder in ungenügender Qualität durchgeführt, wird eine exakte Registrierung und Bewertung von Messwerten vernachlässigt. Die Folgen bestehen im Eintreten durchaus vermeidbarer permanenter Gefährdungssituationen.),

  • Nichtbeachten von Vorschriften bei Arbeiten an Energieversorgungs- und elektrischen Anlagen (Nichtbeherrschung des Schaltregimes; unvorschriftsmäßig ausgeführte Schachtarbeiten usw.),

  • Unaufmerksamkeit, Gleichgültigkeit sowie Nachlässigkeit beim Betreiben von Maschinen und Anlagen (u. a. Verletzung von Aufsichtspflichten bei Kesselanlagen),

  • Verstöße gegen elementarste Grundforderungen der Arbeitsdisziplin (u. a. Verletzung des Verbots der Konsumierung von Alkohol am Arbeitsplatz),

  • Vernachlässigung/Unterschätzung von Schutz- und Sicherheitserfordernissen, insbesondere Gleichgültigkeit gegenüber gebotenen Maßnahmen der Kontrolle und Überwachung zur Beseitigung von Mängeln (u. a. vorbeugende Feststellung/Beseitigung von technischen Defekten bzw. Verschleißzuständen an Maschinen und Anlagen; Maßnahmen zur Verhinderung von Vorkommnissen durch Wärmestrahlung, -stau, Selbstentzündung, Reibungswärme und Funkenflug),

  • Nichtgewährleistung grundlegender Erfordernisse des Objektschutzes und der Verschlusssicherheit, die die Begehung von Straftaten (Brandstiftungen) bzw. Brandlegungen durch Kinderhand erleichtern.

Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf folgende Vorkommnisse verwiesen:

  • Nichteinhaltung der technologischen Disziplin war die Ursache für ein Vorkommnis im VEB Kombinat Chemische Werke Buna Schkopau/Merseburg/Halle (September 1988). Im Rahmen eines Großversuches zur Kautschukherstellung wurden ungerechtfertigt eigenmächtige Änderungen der von der Forschung vorgegebenen Rezeptur vorgenommen, in deren Folge chemische Reaktionen eintraten, die letztlich zur Verpuffung mit Brandfolge führten (Sachschaden ca. 80 000 Mark). Eine Beschädigung/Zerstörung von angrenzenden Produktionsanlagen konnte verhindert werden.

  • Mängel und Missstände bei der Gewährleistung von Ordnung, Sicherheit und Brandschutz führten im Januar 1988 im Bereich Aluminium-Gießerei des VEB Chemiekombinat Bitterfeld zu einem Brand, wodurch ein Sachschaden von ca. 220 000 Mark und ein Produktionsausfall von ca. 1,6 Mio. Mark eintraten. Die Ursache für den Brand war nicht ordnungsgemäß entfernter, mit Kühlöl getränkter Aluminiumstaub, der sich durch verspritztes flüssiges Aluminium entzündete.

  • Subjektives Fehlverhalten begünstigte ein Vorkommnis im VEB Braunkohlewerk Cottbus, Großtagebau Jänschwalde im Januar 1988. Durch die unberechtigte Fahrbefehlerteilung einer Stellwerkerin kam es zur Flankenfahrt zwischen einem Kohlevoll- und Kohleleerzug, wobei vier Waggons entgleisten und das Betriebsgleis zeitweilig gesperrt werden musste. Es entstand Sachschaden von 90 000 Mark.

  • Ca. 35 000 Nerzwelpen verendeten im Zeitraum April/Mai 1988 im VEB Industrielle Nerzproduktion Plau-Appelburg/Lübz bzw. im VEB Bölkow/Güstrow/Schwerin (Gesamtschaden ca. 1 Mio. Mark). Expertenuntersuchungen zufolge war ein noch nicht zugelassenes Präparat zur Bekämpfung von Fellschädlingen in ca. 10-facher Überdosis angewandt worden, ohne entsprechende Großversuche abzuwarten.

Insgesamt ist einzuschätzen, dass in den Führungs- und Leitungsprozessen den Fragen notwendiger hoher Arbeits- und Produktionssicherheit bzw. des allseitigen Schutzes wirtschaftlicher Objekte und Sachwerte noch nicht überall die erforderliche Beachtung beigemessen wird und Verhaltens- und Handlungsweisen zugelassen bzw. geduldet werden, die diesen grundlegenden Bedingungen für Effektivität und Stabilität wirtschaftlicher Tätigkeit diametral gegenüberstehen, wobei Mängel an persönlicher Verantwortung und unzureichende Konsequenz oder Bereitschaft zur Gewährleistung grundsätzlicher Erfordernisse und Bedingungen sicherer und geschützter Realisierung wirtschaftlicher Ziele und Aufgaben in diesem Zusammenhang das Hauptproblem darstellen.

Unverändert stoßen die Untersuchungen der Schutz- und Sicherheitsorgane sowie der entsprechenden Kontrolleinrichtungen immer wieder auf fehlende oder unvollständige Regelungen zu betrieblichen Arbeitsprozessen, oder bei vorhandenen richtigen Regelungen auf deren Nichtdurchsetzung in der Praxis, auf oberflächliche, formale oder nicht realisierte Arbeitsschutzbelehrungen, fehlende Vorgaben bzw. Handlungsvorschriften zum Verhalten bei außergewöhnlichen Betriebszuständen, Einsatz von nicht- bzw. nicht ausreichend qualifizierten Werktätigen, Vernachlässigung der Kontroll- und Aufsichtspflichten, unzureichende Auseinandersetzungen mit Schadensverursachern/Rechtsverletzern u. a.m.

Unabhängig von den vorgenannten, vielfältigen Erscheinungen verschärften sich die Probleme der Gewährleistung von Sicherheit, Ordnung und Disziplin – wie eingangs bereits am Beispiel der Bereiche der Chemischen Industrie und der Kohle- und Energiewirtschaft dargestellt – durch den wachsenden moralischen und physischen Verschleiß von Produktionsanlagen und Ausrüstungen, zumal von den verantwortlichen Leitern nicht in jedem Fall den daraus erwachsenden zusätzlichen Gefahren mit – wenn auch begrenzten – betrieblichen Möglichkeiten bzw. Maßnahmen Rechnung getragen wird bzw. die erforderlichen Maßnahmen zur Vorbeugung und Schadensabwendung von Bränden, Havarien und Explosionen aufgrund unzureichender materiell-technischer und personeller Voraussetzungen nicht im gebotenen Maße realisiert werden können.

Daraus resultierende Resignationserscheinungen sind zunehmend Quelle für Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit. Viele eingetretene Schadensfälle werden dann häufig einfach mit der Beschaffenheit der alten Technik erklärt. Dadurch werden die tatsächlichen, insbesondere subjektiven Ursachen betrieblicherseits nicht umfassend untersucht und beseitigt, sodass Bedingungen für das Eintreten gleichartiger Vorkommnisse bestehen bleiben.

Erschwerend für die Beherrschung und Überwindung von Brand- und Havariegefahren wirken zunehmende Fluktuationserscheinungen, die nicht nur auf ungünstige Arbeits- und Lebensbedingungen infolge schwerer körperlicher und z. T. gesundheitsschädigender Tätigkeit, sondern auch auf den Umstand zurückzuführen sind, dass am baulichen und technischen Zustand vieler Anlagen in absehbarer Zeit keine wesentlichen Verbesserungen zu erwarten sind.

Im Rahmen der vorbeugenden und schadensabwendenden Arbeit sind durch das MfS im engen Zusammenwirken mit der Deutschen Volkspolizei sowie mit den verschiedenen staatlichen und gesellschaftlichen Kontrollorganen umfangreiche Aufgaben und Maßnahmen, insbesondere zur Vorbeugung und Schadensabwendung durch aktive Einflussnahme auf den Prozess der weiteren Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit, von Disziplin, Ordnung und Sicherheit, realisiert worden. In diesem Zusammenhang gelang es, die überwiegende Mehrzahl der Vorkommnisse aufzuklären, eklatante Rechtsverstöße und andere begünstigende Bedingungen aufzudecken, zu beseitigen und einer Wiederholbarkeit vorzubeugen, die staatlichen Leiter bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung durch Auswertung eigener Erkenntnisse zielstrebig zu unterstützen und eine entsprechende Informationstätigkeit gegenüber Partei- und Staatsorganen zu gewährleisten.

Die dabei erreichten Ergebnisse (u. a. auch durch Einflussnahme auf die Einbeziehung eines breiteren Personenkreises in die vorbeugende Arbeit im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit) entsprechen den Aufgabenstellungen des Generalsekretärs des ZK der SED, Genossen Honecker, in seiner Rede vor den 1. Sekretären der Kreisleitungen der SED am 12. Februar 1988.

Für die weitere erfolgreiche Verwirklichung der Beschlüsse des XI. Parteitages der SED,3 insbesondere für die Erfüllung der Hauptaufgabe in ihrer Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, der Gewährleistung der notwendigen Dynamik, Stabilität und Effektivität der gesellschaftlichen Produktion, ist es jedoch in Anbetracht der hohen volkswirtschaftlichen Schäden und Verluste, die nach wie vor durch Brände, Havarien und Produktionsstörungen entstehen und hemmend auf den Zuwachs an verteilbarem Nationaleinkommen wirken, erforderlich, folgende Probleme noch stärker in den Mittelpunkt der Führungs- und Leitungstätigkeit auf allen Ebenen und in allen Zweigen der Volkswirtschaft zu stellen:

  • Die verantwortlichen Leiter und Funktionäre sollten sich im Kampf um die Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit, von Ordnung, Disziplin und Sicherheit in den einzelnen Verantwortungsbereichen noch konsequenter an die Spitze stellen und ihrer Verantwortung umfassend nachkommen; die Erfüllung dieser Forderung sollte noch mehr zur Grundlage ihrer Leistungsbewertung gemacht werden.

  • Das Niveau der politisch-ideologischen und moralischen Erziehung, der Haltung zur technologischen und Arbeitsdisziplin, zum Volkseigentum und zur Wahrnehmung persönlicher Verantwortung eines jeden Werktätigen sollte weiter gehoben werden.

  • Es sollte stärker darauf Einfluss genommen werden, ergebnisorientierte Aktivitäten der Werktätigen zur Erreichung dauerhafter vorbildlicher Ordnung und Sicherheit, technologischer Disziplin und hoher Erzeugnisqualität an jedem Arbeitsplatz im Rahmen des sozialistischen Wettbewerbs durch Anerkennung und Würdigung zu stimulieren sowie verallgemeinerungswürdige Beispiele breitenwirksamer zu propagieren.

  • Die Wirksamkeit von staatlichen und gesellschaftlichen Kontrollen vor Ort im Interesse der rechtzeitigen Aufdeckung und Beseitigung von Mängeln, Versäumnissen und anderen Hemmnissen zur Vermeidung von Schäden und Verlusten sollte insbesondere auch durch bessere Koordinierung entsprechender Maßnahmen mit Aufgaben der Schutz- und Sicherheitsorgane qualifiziert werden.

  • Die termingemäße Durchführung geplanter und bilanzierter Reparatur-, Instandhaltungs-, Rekonstruktions- und Modernisierungsmaßnahmen in hoher Qualität sowie maximal möglicher materiell-technischer und personeller Maßnahmen, die zur Beherrschung akut gefährdeter Grundfonds (besteht vor allem bei Anlagen, die mit Ausnahmegenehmigungen betrieben werden müssen) objektiv notwendig sind, sollte noch straffer kontrolliert werden.

Seitens des MfS werden in engem Zusammenwirken mit der Deutschen Volkspolizei und den anderen staatlichen sowie gesellschaftlichen Kontrollorganen auf der Grundlage zentraler Weisungen/Orientierungen weiterhin angemessene Maßnahmen zur Vorbeugung und Schadensabwendung durchgeführt.

  1. Zum nächsten Dokument Aktivitäten im Vorfeld des Kongresses Bildender Künstler

    21. November 1988
    Information Nr. 505/88 über einige beachtenswerte Aspekte im Zusammenhang mit dem X. Kongress des Verbandes Bildender Künstler der DDR (VBK) vom 22. bis 24. November 1988

  2. Zum vorherigen Dokument Statistik Einnahmen Mindestumtausch 7.11.–13.11.1988

    17. November 1988
    Information Nr. 506/88 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 7. November 1988 bis 13. November 1988