3. Tagung XI. Landessynode der Ev.-Luth. Kirche Mecklenburgs
8. April 1989
Information Nr. 167/89 über die 3. Tagung der XI. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs
Die genannte Tagung fand in der Zeit vom 16. bis 19. März 1989 in Schwerin statt und behandelte insbesondere die Tagesordnungspunkte: Bericht des Landesbischofs Stier,1 Schwerin, Berichte der Kirchenleitung und des Oberkirchenrates, Wahl der synodalen Mitglieder der Kirchenleitung der Landeskirche Mecklenburgs und der Synodalen für die VI. Legislaturperiode der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR (Konstituierung der VI. Synode des BEK im Februar 1990).
Alle drei vorgetragenen Berichte beinhalteten überwiegend innerkirchliche und theologische Probleme. Sie enthielten jedoch auch eine Reihe Aussagen zu gesellschaftspolitischen Fragen.
Landesbischof Stier äußerte sich u. a. zum Problem Kirche und Gruppen.2 Im Wesentlichen begrüßte er die Existenz der Gruppen »innerhalb und am Rande der Landeskirche«, da sie »oft genug die Finger auf Wunden in Kirche und Gesellschaft legten und besonders wach und sensibel im Blick auf jeden Machtmissbrauch und jede Verletzung der Menschenwürde in Staat und Kirche« seien. Er forderte von den Christen und Kirchen, Tabus zu durchbrechen und »die eingespielte Praxis zu hinterfragen, wenn sie ungut ist«.
Ausführlich befasste sich Stier mit der am 30. November 1988 erlassenen Reiseverordnung von Bürgern der DDR nach dem Ausland.3 Er bewertete sie, gemessen an den Festlegungen im Abschlussdokument des KSZE-Folgetreffens in Wien4 und an den vor dem Inkrafttreten der Reiseverordnung praktizierten Verfahrensweisen im Reiseverkehr, als enttäuschend für viele Bürger. Gleichzeitig sprach er die Erwartung aus, dass in absehbarer Zeit großzügigere Regelungen im Sinne einer Erweiterung der Reiseverordnung erlassen werden.
An anderer Stelle seines Berichtes begrüßte Stier die einseitigen Abrüstungsinitiativen der Staaten des Warschauer Vertrages.5 Wörtlich erklärte er dazu: »… Auch wenn es im Blick auf das militärische Bedrohungspotenzial insgesamt nur kleine Schritte sein mögen, die in Abrüstungsverträgen vereinbart worden sind und die jetzt zusätzlich und einseitig von den Warschauer Vertragsstaaten angekündigt worden sind, so ist doch die neue qualitative Richtung in der Abrüstungsdebatte und der Abrüstungsschritte wahrzunehmen und zu würdigen.«
Im Bericht des Oberkirchenrates an die Synodaltagung waren die Berichte des kirchlichen Pressedienstes der Landeskirche, der »Arbeitsgruppe Frieden« (AGF)6 und der Evangelischen Studentengemeinde Rostock integriert. Beachtenswert sind die darin enthaltenen Aussagen zu gesellschaftspolitischen Fragen.
Ausführlich und zum Teil mit statistischen Angaben untermauert wurde darin dargelegt, dass im Laufe des Jahres 1988 durch das Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrates der DDR wiederholt inhaltliche Änderungen und Streichungen in der »Mecklenburgischen Kirchenzeitung« und im »Amtsblatt« verfügt worden seien. Als schwerwiegender staatlicher Eingriff in Ausgaben kirchlicher Presseerzeugnisse wurde insbesondere die Nichtzulassung einiger Ausgaben des »Amtsblattes« hervorgehoben.7
Ferner wurde betont, die Tätigkeit der »Arbeitsgruppe Frieden« (Vorsitzender dieser Arbeitsgruppe ist der hinlänglich bekannte Heiko Lietz)8 sei staatlicherseits durch die Nichtgenehmigung von Einreisen ausländischer Gäste zur Teilnahme an dem sogenannten Friedensseminar »Konkret für den Frieden VII.« in Greifswald9 sowie durch Verhängung von Ordnungsstrafmaßnahmen gegen das von der Arbeitsgruppe ohne Genehmigung herausgegebene sogenannte Informationsblatt »Friedensnetz«10 behindert gewesen.
Im Bericht der Kirchenleitung wurde u. a. sinngemäß hervorgehoben, in der Gesellschaft der DDR bestehe ein Widerspruch dahingehend, dass bezogen auf das Zusammenleben der Menschen und das Leben in der sozialistischen Gemeinschaft zwar offiziell auf Kollektivität orientiert werde, tatsächlich aber »eine Tendenz des Rückzuges ins Eigene, des Strebens nach Erfüllung eigener Wünsche und Bedürfnisse und damit des Nachlassens sozialen Denkens und Handelns« feststellbar sei. Das führe dazu, dass von der Kirche »Freiräume« gefordert würden, weil in der Gesellschaft das Gespräch über Fragen, die von vielen als dringend angesehen werden, kaum oder gar nicht möglich sei.
Die Kirchenleitung spreche sich – so heißt es in dem Bericht an anderer Stelle weiter – für die Praxis der Trennung von Staat und Kirche aus, halte aber den kontinuierlichen Dialog zwischen beiden Seiten für erforderlich, da Probleme der Christen und Nichtchristen nur gemeinsam zu lösen seien. Es wurde gefordert, »einen gemeinsamen innergesellschaftlichen Prozess des Nachdenkens, Umdenkens, des Veränderns des Lebensstils und der Bereitschaft, die weltweiten Aufgaben aktiv in Angriff zu nehmen, ingangzusetzen«.
In der Diskussion zu den Berichten wurden mehrfach insbesondere unter Hinweis auf die Reiseverordnung vom 30. November 1988 politisch negative Aussagen getroffen.
So führte der Jugenddelegierte Wittig,11 Rostock, an, dass sich die Rechtssicherheit der Bürger der DDR entgegen offizieller Verlautbarungen nicht erhöht habe. Der Synodale Zarft,12 Neustrelitz, bezeichnete die Reiseverordnung als für die Bürger der DDR unannehmbar, unwürdig und unvereinbar mit international geltenden humanistischen Grundsätzen.
Durch den mit politisch negativen Haltungen bereits früher in Erscheinung getretenen Synodalen Dr. Seite,13 Walow,14 wurde bezweifelt, ob unter den derzeitigen Bedingungen die vom Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR formulierte Aufforderung an die Christen zum Verbleib in der DDR überhaupt noch ihre Gültigkeit besitze. Darüber hinaus stellte er heraus, man müsse sich unter den heutigen Gegebenheiten fragen, »ob das Modell unserer Kirche so aufrechtzuerhalten ist: Kirche im Sozialismus.15 Was ist Sozialismus, wenn man bedenkt, was in unseren Nachbarländern passiert und was in unserem eigenen Land passiert?« Man könne sich heute nicht mehr nur auf den Weg vom 6. März 1978 berufen,16 inzwischen sei zu viel passiert. Dieser Herausforderung müsse sich die Kirche stellen.
Bezugnehmend auf den bevorstehenden IX. Pädagogischen Kongress17 informierte Oberkirchenrat Schwerin18 über eine vom Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR erarbeitete »Schulbuchanalyse«,19 in deren Ergebnis ein Schreiben mit »Änderungs- bzw. Ergänzungsvorschlägen« an die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR übergeben wurde. (Schwerin stellte dabei besonders solche in dem Schreiben enthaltenen »Vorschläge« heraus wie: Erziehung und Begleitung für Dialogfähigkeit in verschiedenen Lebensauffassungen, Urteilsfähigkeit in ethischen Fragen und Fähigkeit zum selbstständigen geschichtlichen Denken und Verstehen; Erziehung zur Publikationsfähigkeit und Fähigkeit zum kreativen Lernen.)
Schwerin unterstrich nachdrücklich, zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne sich noch jeder Bürger mit Hinweisen und Vorschlägen an der Vorbereitung des IX. Pädagogischen Kongresses beteiligen.
In Beantwortung einer Anfrage aus der Synode hinsichtlich möglicher Aktivitäten kirchlicher Amtsträger und Mitarbeiter der evangelischen Kirchen anlässlich der Kommunalwahlen am 7. Mai 198920 erklärte Landesbischof Stier, Pastoren könnten sich trotz Pfarrerdienstgesetz21 als Kandidaten aufstellen und sogar wählen lassen. Sie müssten aber dann auch in Rechnung stellen, dass dadurch »Konflikte und Vorhaltungen im Sinne einer eventuellen Vereinnahmung durch den Staat« nicht ausgeschlossen seien.
Die von der Synode im Ergebnis der Diskussion im Plenum und in den Ausschüssen verabschiedeten Beschlüsse enthielten u. a. eine politisch positive Bewertung der Abrüstungsinitiativen der Staaten des Warschauer Vertrages.
Im Gegensatz dazu wurde der DDR in einem weiteren Beschluss vorgeworfen, sie erfülle ihre im KSZE-Prozess eingegangenen Verpflichtungen insbesondere im humanitären Bereich bisher nicht im vollen Umfang. Vordergründig wurde in diesem Zusammenhang die Reiseverordnung vom 30. November 1988 als Rückschritt gegenüber der bisherigen Praxis angeführt und betont, sie habe bei großen Teilen der Bevölkerung der DDR zu Resignation und Verbitterung geführt. Es wurde zum Ausdruck gebracht, in der DDR müsste die Möglichkeit geschaffen werden, öffentlich über Ablehnungsgründe für Reiseanträge zu diskutieren.
Im weiteren Verlauf der Tagung wurden als synodale Mitglieder in die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs gewählt: Hildburg Enderlein22 (Klütz-Christinenfeld), Gabriele Jenge23 (Lützow), Karl-Christian Lange24 (Neukirchen), Hartmut Schenke25 (Alt-Karin) und Dr. Uwe Schnell26 (Rostock).
Als Delegierte für die Bundessynode (VI. Legislaturperiode der Synode des BEK in der DDR) wurden gewählt: Dr. Erhard Dörp27 (Laage), Rechtsanwalt Wolfgang Schnur28 (Rostock), Dr. Martin Kuske29 (Teterow) und Dr. Jens Langer30 (Rostock).
Unter diesen gewählten Synodalen befinden sich nach bisheriger Erkenntnis keine Personen mit generell ablehnenden Haltungen gegenüber der Politik der DDR. Im Wesentlichen werden durch diese Wahl die loyalen und realistischen Kräfte innerhalb der Kirchenleitung gestärkt.
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