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Gegen die Kommunalwahlen (7. Mai) gerichtete, feindliche Aktivitäten

25. April 1989
Information Nr. 215/89 über gegen die Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 gerichtete Aktivitäten feindlicher, oppositioneller Kräfte in der Hauptstadt der DDR, Berlin

Am Abend des 21. April 1989 fand im Evangelischen Gemeindezentrum »Heinrich Gruber« in Berlin-Hohenschönhausen auf Initiative des »Friedenskreises Weißensee«1 und des »Grün-ökologischen Netzwerkes Arche«/Berlin2 eine Veranstaltung unter dem Thema »Zur Wahrnehmung der staatsbürgerlichen Rechte hinsichtlich der Kommunalwahlen 1989 –Kontrolle der Wahl durch den Bürger« statt, an der ca. 160 Personen teilnahmen.

Ausführlich erläuterte der hinlänglich bekannte Diakon Mario Schatta,3 Berlin, (»Friedenskreis Weißensee«) unter Bezugnahme auf die Verfassung der DDR und das Wahlgesetz4 die wahlrechtlichen Bestimmungen, verbunden mit entsprechenden Hinweisen auf das Wahlverhalten, die allen Anwesenden mittels eines Ormigabzuges schriftlich übergeben wurden (Wortlaut siehe Anlage). Außerdem verlas er Auszüge aus der von 46 Personen unterzeichneten »Erklärung« bekannter feindlicher, oppositioneller Kräfte aus personellen Zusammenschlüssen in der Hauptstadt der DDR (vgl. Information des MfS Nr. 182/89 vom 21. April 1989).5

Schatta ist Mitunterzeichner dieser Erklärung. In diesem Zusammenhang bekundete er erneut seine Nichtteilnahme an der Wahl.

Im Anschluss daran wurde das Projekt einer »flächendeckenden Kontrolle der Wahllokale« im Stadtbezirk Berlin-Weißensee durch den »Friedenskreis Weißensee« erläutert.

Es werden alle Interessenten aufgefordert, sich in den Nachmittagsstunden des 7. Mai 1989 im Stephanus-Stift Berlin einzufinden, um vorgefertigte Formulare entgegenzunehmen, die nach getroffenen Feststellungen bei der Stimmenauszählung in den Wahllokalen ausgefüllt und unverzüglich den Organisatoren übergeben werden sollen. Außerdem sollen über »Wahlbehinderungen« aller Art »Gedächtnisprotokolle« gefertigt werden. Die Auswertung diesbezüglicher »Erkenntnisse« ist auf einer Veranstaltung am 19. Mai 1989 im Evangelischen Gemeindezentrum »Heinrich Gruber« vorgesehen.

An der Zusammenkunft nahmen fünf in der DDR akkreditierte westliche Korrespondenten teil. Ein ARD-Team fertigte vor dem Gemeindezentrum Bild- und Tonaufnahmen an.

Anlage zur Information Nr. 215/89

[Abschrift eines Informationsblattes des Weißenseer Friedenskreises]

Der Weißenseer Friedenskreis

Zur Wahrnehmung der staatsbürgerlichen Rolle hinsichtlich der Kommunalwahlen 1989

Kontrolle der Wahl durch den/die Bürger/in

Zur praktischen Vorbereitung auf den 7.5.1989

Gesetzliche Grundlagen bezüglich der Kommunalwahl:

  • 1.

    Verfassung der DDR (vom 6.4.1968, in der Fassung vom 7.10.1974) Artikel 81–856

  • 2.

    Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen (vom 4.7.1985, GBl. I Nr. 18, S. 213)

  • 3.

    Gesetz über die Wahlen zu den Volksvertretungen der DDR

– Wahlgesetz – (vom 24.6.1976, GBl. Nr. 22, S. 30 ff.) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Wahlgesetzes vom 28.6.1979 (GBl. I Nr. 17, S. 139)

Wichtige Zitate aus dem Wahlgesetz:

§ 30, Abs. 1: »Für jeden Wahlbezirk ist durch den Rat der Stadt, des Stadtbezirkes bzw. der Gemeinde ein Wahllokal einzurichten. Die Wahllokale werden gleichzeitig mit der Einteilung der Wahlbezirke bekannt gegeben.«

§ 32: »Im Wahllokal sind Wahlkabinen aufzustellen, die es dem Wähler ermöglichen, die Stimmzettel unbeobachtet für die Abgabe vorzubereiten!«

§ 33: »Die Wahllokale sind am Wahltag von 7.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. Die Wahlkommission der Republik ist berechtigt, davon abweichende Regelungen zu treffen.«

§ 34, Abs. 1: »Die Wahlhandlung wird vom Wahlvorstand geleitet.« Abs. 3: »Vor Beginn der Stimmabgabe hat sich der Vorsitzende des Wahlvorstandes in Gegenwart von Wählern davon zu überzeugen, dass die Wahlurnen leer sind. Die Wahlurnen sind zu versiegeln und dürfen bis zum Abschluss der Stimmabgabe nicht geöffnet werden.«

§ 36, Abs. 1: »Zutritt zum Wahllokal hat jeder Bürger.« Abs. 2: »Personen, die die Wahlhandlung stören, können vom Wahlvorstand aus dem Wahllokal verwiesen werden.«

§ 37, Abs. 1: »Die Auszählung der Stimmen erfolgt im Wahllokal. Sie ist öffentlich und wird vom Wahlvorstand durchgeführt.« Abs. 2: »Nach Öffnen der Wahlurnen sind die Stimmzettel zu zählen. Die Anzahl der abgegebenen Stimmen wird anhand der Wählerlisten und der vorhandenen Wahlscheine festgestellt.«

§ 38, Abs. 2: »Nach der Auszählung der insgesamt abgegebenen Stimmzettel wird die Zahl der gültigen Stimmen und der auf den Wahlvorschlag entfallenen Stimmen ermittelt. Über die Gültigkeit der Stimmen entscheidet der Wahlvorstand.« Abs. 3: »Nach der Feststellung der Anzahl der gültigen Stimmen für den Wahlvorschlag ermittelt der Wahlvorstand die Anzahl der für jeden Kandidaten abgegebenen Stimmen.«

§ 43, Abs. 1: »Gegen die Gültigkeit der Wahl in einem Wahlkreis oder zu einer Volksvertretung kann binnen 14 Tagen nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses vom Nationalrat bzw. von den zuständigen Ausschüssen der Nationalen Front7 der DDR bei der jeweiligen Volksvertretung Einspruch eingelegt werden.« Abs. 2: »Die Volksvertretung entscheidet über den Einspruch.« Abs. 3: »Wird die Wahl in einem Wahlkreis oder zu einer Volksvertretung für ungültig erklärt, werden innerhalb von 90 Tagen in dem betreffenden Wahlkreis bzw. zu der betreffenden Volksvertretung Neuwahlen durchgeführt.«

§ 48, Abs. 1: »Die demokratische Vorbereitung und Durchführung der Wahlen wird durch den Staatsrat gewährleistet.«

Tipps:

  • Bei der Auszählung (Kontrolle) der Wahlergebnisse ist es wichtig, nicht provokativ aufzutreten und sich auch nicht provozieren zu lassen. (Achtung § 36, Abs. 2 des Wahlgesetzes) Dabeisein ist entscheidend.

  • Auszählung ist dann sinnvoll, wenn folgende fünf Dinge erfasst sind:

    1. Absolute Zahl der Wahlberechtigten

    2. Ja-Stimmen für den Vorschlag NF

3. Gegenstimmen

4. Ungültige Stimmen

5. Nichtwähler

  • Unbedingt vor 18.00 Uhr im Wahllokal sein (wenn möglich spätestens 17.00 bis 17.30 Uhr).

  • Beim Versuch der Zutrittsverweigerung der Wahllokale: berufen auf §§ 36, Abs. 1 und 37, Abs. 1 des Wahlgesetzes (Anfertigen eines Gedächtnisprotokolls).

  • innerkirchlich –

  1. Zum nächsten Dokument Reaktionen der Bevölkerung auf Vorbereitung der Kommunalwahl

    26. April 1989
    Hinweise zur Reaktion der Bevölkerung im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 [Bericht O/216]

  2. Zum vorherigen Dokument Grenzüberschreitender Reise- und Transitverkehr I. Quartal 1989

    25. April 1989
    Information Nr. 197/89 über den Umfang des grenzüberschreitenden Reise-, Touristen- und Transitverkehrs im I. Quartal 1989