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Kirchliche Veranstaltung Dresden

20. Oktober 1989
Information Nr. 469/89 über eine kirchliche Veranstaltung in Dresden mit beabsichtigter Teilnahme von BRD-Vertretern

Nach vorliegenden Hinweisen findet am 21. Oktober 1989 (Beginn: 14.00 Uhr) in der Trinitatiskirche in Dresden eine bereits vor ca. acht Wochen geplante, als »Wahlseminar« deklarierte Veranstaltung statt. Gegenstand der Diskussion sollen das Wahlrecht/Wahlgesetz der DDR und »Wahlfälschungen« sein.1

Initiator ist der Pfarrer der Kirche, Albrecht2 (hat Verbindungen u. a. zu Vertretern des »Neuen Forums«3), unterstützt vom »Friedenskreis« Johannstadt.4 Kirchlicherseits wird mit ca. 300 Teilnehmern (entspricht dem Fassungsvermögen der Kirche) gerechnet.

Wie in diesem Zusammenhang weiter bekannt wurde, ist mit einer Teilnahme von etwa fünf bis zehn Abgeordneten bzw. Mitarbeitern der FDP-Fraktion des Bundestages der BRD (Angehörige einer Reisegruppe von ca. 40 Personen) zu rechnen. Streng internen Hinweisen zufolge, hatte ein Mitarbeiter der FDP-Fraktion sich bei einem Vertreter der Kirche über den Charakter der Veranstaltung erkundigt. Dabei seien auch Überlegungen dahingehend ausgetauscht worden, dass sich teilnehmende FDP-Vertreter zum Wahlgesetz und zu Wahlpraktiken der BRD äußern und auch ihre Gedanken zu der in der Kirche geführten Diskussion zum Ausdruck bringen könnten.

Der sich ebenfalls zu dieser Zeit in Dresden aufhaltende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Mischnick,5 trifft sich zwar kurz vor der Veranstaltung mit der Reisegruppe im Hotel Bellevue, mit seiner Teilnahme an der kirchlichen Veranstaltung wird jedoch nicht gerechnet; er absolviert ein gesondertes Programm.

  1. Zum nächsten Dokument Reaktionen der Bevölkerung auf 9. Tagung des ZK der SED

    21. Oktober 1989
    Hinweise über die Reaktionen der Bevölkerung auf die 9. Tagung des ZK der SED am 18. Oktober 1989 [Bericht O/230]
  2. Zum vorherigen Dokument Mindestumtausch 9.–15.10.

    18. Oktober 1989
    Information Nr. 460/89 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 9. Oktober 1989 bis 15. Oktober 1989

  1. Die »Wahlen zu den Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen, Stadtbezirksversammlungen und Gemeindevertretungen«, kurz: Kommunalwahlen, fanden am 7.5.1989 statt. Das offizielle Ergebnis lautete: 98,85 % Zustimmung für den Wahlvorschlag der Nationalen Front (Einheitsliste) bei einer Wahlbeteiligung von 98,77 %. Bürgerrechtlern, die die unfreien Wahlen schon vorab kritisierten, gelang es, Manipulationen und Wahlfälschungen in zahlreichen Wahlbüros aufzudecken und öffentlich zu machen. Das angesprochene »Wahlseminar« war von den Pfarrern Rudolf Albrecht und Hanno Schmidt organisiert worden. Die rund 250 Teilnehmer, die aus unterschiedlichen Bürgerrechtsgruppen kamen, diskutierten Wahlsysteme anderer Länder und erarbeiteten Vorschläge für eine Reformierung des »DDR-Wahlsystems«.

  2. Rudolf Albrecht, Jg. 1942, evangelischer Theologe, 1968–80 Gemeindepfarrer in Ziegenhain, 1980–96 Gemeindepfarrer in Dresden, engagiert in der kirchlichen Friedensbewegung, Mitarbeit beim Referat Friedensfragen der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, 1975 Gründer und Initiator des Meißner Friedensseminars.

  3. Das »Neue Forum« (NF) war in seiner Breitenwirkung das bedeutendste Oppositionsbündnis der DDR. Am 9./10.9.1989 unterzeichneten 30 Bürgerrechtler den Aufruf zur Gründung des NF »Die Zeit ist reif – Aufbruch 89«. Darin forderten sie eine Diskussion und Überwindung grundlegender Gesellschaftsprobleme in der DDR und beantragten am 19.9.1989 in elf Bezirken die Zulassung als Vereinigung. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits 3 000 Personen den Gründungsaufruf unterschrieben. Als das Innenministerium den Antrag zwei Tage später ablehnte und das »Neue Forum« als »staatsfeindliche Plattform« bezeichnete, dessen Anliegen der Verfassung der DDR widersprächen, löste das eine Welle der Solidarisierung mit den Bürgerrechtlern aus. Auf vielen Demonstrationen wurde die Zulassung des NF gefordert. Nach der Einreichung eines erneuten Zulassungsantrags und einer Aussprache zwischen Jens Reich, Sebastian Pflugbeil und SED-Politbüromitglied Günter Schabowski wurde das NF am 8.11.1989 zugelassen. Bis Ende 1989 unterzeichneten circa 200 000 Menschen den Gründungsaufruf der Organisation, die Ende des Jahres gut 10 000 Mitglieder hatte. Vgl. Mitteilung des Ministers des Innern. In: ND v. 21.9.1989, S. 2. Die Gründungserklärung des »Neuen Forums« »Die Zeit ist reif – Aufbruch 89« v. 9./10.9.1989 ist abrufbar unter: www.hdg.de (letzter Abruf: 27.2.2019). Siehe auch: Anlage 2 der Information 416/89.

  4. Der »Ökumenische Friedenskreis« Dresden-Johannstadt wurde 1983 u. a. von Johannes Pohl gegründet. Der Kreis setzte sich für einen zivilen Friedensdienst ein, veranstaltete Friedensseminare und war wesentlich an der Aufdeckung der Fälschungen der Kommunalwahlen im Mai 1989 im Raum Dresden beteiligt. Vgl. Urich, Karin: Die Bürgerbewegung in Dresden 1989/90. Köln 2001, S. 55–56.

  5. Wolfgang Mischnick, Jg. 1921, FDP-Politiker, 1957–94 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1961–63 Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, 1968–91 Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, 1987–95 Vorsitzender der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.