Reaktionen der Bevölkerung zu Handel und Versorgung
6. Juni 1989
Hinweise auf beachtenswerte Aspekte der Reaktion der Bevölkerung zur Um- und Durchsetzung der ökonomischen Strategie der SED und zu Problemen in den Bereichen Handel/Versorgung und Dienstleistungen [Bericht O/222]
Vorliegenden Hinweisen aus den Bezirken und der Hauptstadt der DDR, Berlin, zufolge nehmen Meinungsäußerungen aus allen Teilen der Bevölkerung zur Um- und Durchsetzung der ökonomischen Politik der SED und zu bestimmten Erscheinungen in den Bereichen Handel/Versorgung und Dienstleistungen einen anhaltend breiten Raum im Stimmungsbild ein.
Nach wie vor überwiegen die Zustimmung zur ökonomischen Politik der Partei und die Bereitschaft, sich durch entsprechende Arbeitsleistungen für ihre Durchsetzung zu engagieren.
In diesem Zusammenhang wird von Werktätigen häufig unter Hinweis auf die komplizierte volkswirtschaftliche Situation in einigen anderen sozialistischen Staaten und auf die damit verbundenen Auswirkungen im sozialpolitischen Bereich argumentiert, es sei in der DDR wesentlich besser gelungen, eine den konkreten Bedingungen unseres Landes entsprechende Wirtschaftsstrategie zu entwickeln und diese – trotz auch bei uns vorhandener vielfältiger Probleme – wirksamer umzusetzen.
Generell ist festzustellen, dass insbesondere Arbeiter in Großbetrieben und Genossenschaftsbauern, Handwerker sowie Angehörige der wissenschaftlich-technischen Intelligenz in dem Bemühen, an der Beseitigung von Hemmnissen und Schwachstellen mitwirken zu wollen, aber auch aus wachsender Sorge darüber, dass jahrelang angehäufte und sich gegenwärtig weiter zuspitzende Probleme in der Volkswirtschaft die Verwirklichung der ökonomischen Ziele ernsthaft gefährden könnten, in ihren Arbeitskollektiven und auf Versammlungen zunehmend kritischer auftreten und mit Nachdruck Veränderungen fordern. Bei solchen Problemen, die durch eigene Einflussnahme nicht gelöst werden können, nehmen diesbezügliche Reaktionen an Schärfe zu, werden offen Unverständnis, Zweifel und Skepsis am Vermögen zentraler und territorialer staats- und wirtschaftsleitender Organe, positive Veränderungen herbeiführen zu können, geäußert.
Diese Reaktionen zeigen sich gleichfalls in Eingaben von Bürgern – zunehmend auch in Form von Kollektiveingaben – an territoriale und zentrale Partei- und Staatsorgane.1
In breitem Umfang wurden darüber hinaus die in diesem Zusammenhang die Bürger bewegenden Probleme auf Einwohnerversammlungen bzw. Wählerforen in Vorbereitung der Kommunalwahlen angesprochen und von den Kandidaten Antwort auf aufgeworfene Fragen verlangt.2
Von den sich in diesem Sinne äußernden Bürgern wird immer wieder auch direkt Bezug genommen auf den 40. Jahrestag der Gründung der DDR und die Frage aufgeworfen, woran es liege, dass in einem sozialistischen Staat seit Langem auch zentral bekannte Probleme trotz diesbezüglicher zentraler Orientierungen und Aufgabenstellungen nicht verändert und gelöst werden, sondern sich im Gegenteil eher weiter ausweiten und verschärfen und auch für die Bevölkerung immer stärker spürbar werden.
In bestimmtem Umfang haben Äußerungen u. a. von Arbeitern, Angestellten und Angehörigen der wissenschaftlich-technischen Intelligenz in Großbetrieben sowie von selbstständigen Handwerkern und Gewerbetreibenden zugenommen, der Sozialismus habe sich als unfähig erwiesen, seine ökonomischen Probleme aus eigener Kraft zu lösen. Er biete darüber hinaus auch keine gangbaren Lösungswege für die Befriedigung der Bedürfnisse seiner Bürger an.
Den absoluten Schwerpunkt bilden kritische Meinungsäußerungen zu solchen Problemen in der Volkswirtschaft, die die Erfüllung von Planaufgaben nachhaltig negativ beeinflussen. Dabei geht es vorrangig um den technisch und moralisch verschlissenen Zustand von Grundmitteln, insbesondere von Maschinen/Anlagen, Stallgebäuden und Transporttechnik, in Betrieben/Kombinaten und Produktionsgenossenschaften.
In Bereichen mit derartigen Erscheinungen beschäftigte Leitungskader, Angehörige der wissenschaftlich-technischen Intelligenz, Genossenschaftsbauern, Arbeiter und Meister schätzen ein, dass dadurch elementare Voraussetzungen für die Erzielung des geplanten Leistungszuwachses in der Volkswirtschaft fehlen.
In zunehmendem Maße müssten auftretende Unzulänglichkeiten und Störungen im Produktionsprozess durch zusätzliche physische Leistungen der Werktätigen und zum Teil auch unter Inkaufnahme grober Verletzungen der geltenden Bestimmungen des Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutzes sowie von Verkehrs- und Betriebssicherheit kompensiert werden. Verbreitet ist die Auffassung, dass der geforderte Leistungszuwachs in der Volkswirtschaft nur auf Kosten der Arbeiter und Genossenschaftsbauern erreicht werde.
Von Werktätigen der Landwirtschaft wird in diesem Zusammenhang des Öfteren die Feststellung getroffen, dass die Arbeiterklasse ihre Bündnispflicht gegenüber den Genossenschaftsbauern nur unzureichend erfülle. Sie argumentieren, es sei endlich an der Zeit, von der Partei- und Staatsführung gegebene Versprechen zur Stabilisierung der Ausrüstung mit modernen Landmaschinen sowie der Versorgung mit Ersatzteilen für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte einzulösen.
Fehlende Ersatzteile beeinträchtigten in unvertretbar hohem Maße die Einsetzbarkeit und Betriebssicherheit von Ernte- und Landmaschinen. Es sei ihnen unverständlich, so äußern sie sich weiter, dass die DDR in zahlreiche Nationalstaaten moderne Technik exportiere, obwohl der Bedarf im eigenen Land nicht gedeckt werden könne.
Eng damit im Zusammenhang stehend werden immer wieder kritische Diskussionen über die zentrale Forderung nach Einführung von Schlüsseltechnologien im Bereich Landwirtschaft geführt. Mit einem gewissen Sarkasmus wird z. B. von Genossenschaftsbauern der LPG (T) die Auffassung vertreten, man solle erst einmal veraltete Stallanlagen rekonstruieren und damit die Arbeitsbedingungen verbessern, ehe man überhaupt über Schlüsseltechnologien spricht.
Weitere Probleme, die sich nach Meinung der Werktätigen gravierend hemmend in der Volkswirtschaft auswirken, sind u. a.
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Mängel in der Leitung und Organisation von Produktionsprozessen (u. a. nicht ausreichende bzw. diskontinuierliche Bereitstellung von Materialien und Hilfsmitteln, ungenügend entwickelte Kooperationsbeziehungen, zum Teil auch mit RGW-Partnern, unökonomischer Transportaufwand durch territorial weit voneinander getrennte Bearbeitungsstufen) sowie
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Unzulänglichkeiten/Inkonsequenz bei der Anwendung und Durchsetzung des Leistungsprinzips auf allen Leitungsebenen.
Leitende Kader, Arbeiter und Angestellte in Großbetrieben vertreten die Auffassung, dass der leistungsabhängige Lohnanteil insgesamt zu gering sei, um das Erbringen überdurchschnittlicher Arbeitsleistungen zu stimulieren. Arbeiter empfinden vor allem den Leistungszwang für mittlere leitende Kader als nicht ausreichend. Häufig fehle diesen Kadern das erforderliche Engagement zur Lösung der gestellten Aufgaben, zeigten sich bei ihnen mangelnde Flexibilität und zum Teil auch fachliche Unzulänglichkeiten und Unfähigkeit, sich neuen Erfordernissen anzupassen.
Bemerkenswert ist, dass vor allem von Arbeitern und Meistern in Industriebetrieben, Genossenschaftsbauern und Landarbeitern sowie Mitarbeitern von Handelseinrichtungen, selbstständigen Handwerkern und Gewerbetreibenden im eigenen Arbeits- und Freizeitbereich auftretende Hemmnisse und Mängel als zum Teil symptomatisch für die Situation in der Volkswirtschaft der DDR insgesamt angesehen werden.
Das wirke sich, so schätzen progressive Kräfte ein, zunehmend negativ auf das gesellschaftliche und berufliche Engagement der Werktätigen aus. Häufig sind diese Probleme auch Anlass für spontane, emotional stark geprägte Meinungsäußerungen, die Skepsis bis hin zu Zweifel an der Realisierbarkeit zentraler Aufgabenstellungen zum Ausdruck bringen.
Vorliegenden Hinweisen zufolge äußern sich Angehörige der wissenschaftlich-technischen Intelligenz, Wissenschaftler in Lehre und Forschung, leitende Kader in der Volkswirtschaft sowie Mitarbeiter staatlicher Organe seit geraumer Zeit in breiter gewordenem Umfang kritisch und zum Teil mit Anzeichen von Ermüdung und Resignation zu diesen Problemen. Dabei wird immer häufiger die Forderung erhoben, in absehbarer Zeit zentrale Entscheidungen zu treffen und wirksame Maßnahmen einzuleiten, um die Planung und Leitung der Volkswirtschaft effektiver und flexibler zu gestalten. Bisher praktizierte Methoden seien ihrer Meinung nach nicht ausreichend, die Arbeitsproduktivität in geplantem Umfang zu steigern und damit den notwendigen Leistungsschub in der Volkswirtschaft zu erreichen.
Sie argumentieren u. a., dass
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verantwortliche Kader in zentralen Partei- und Staatsorganen aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht mehr flexibel genug reagieren würden,
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zur Verfügung stehende Fonds und Ressourcen keine Gewähr bieten für eine planmäßige proportionale Entwicklung der Volkswirtschaft,
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in der Volkswirtschaft Bürokratismus und Berichtswesen ein nicht mehr zu vertretendes Ausmaß erreicht hätten, das sich spürbar negativ auf die Arbeit mit und in den Kollektiven und die Organisation von Produktionsprozessen auswirke,
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zentral getroffene Entscheidungen über Reduzierungen finanzieller und materieller Fonds für wissenschaftlich-technische Forschungsgeräte sowie die Zurückstellung von Bau- und Rekonstruktionsmaßnahmen im Bereich Forschung und Entwicklung in Kombinaten, Einrichtungen und Universitäten von Kurzsichtigkeit zeugen und zu erheblichen Nachteilen für die Volkswirtschaft der DDR führen. Der »allgemeine Verschleiß« der wissenschaftlich-technischen Basis müsse zwangsläufig eine weitere Vergrößerung des Abstandes zur Weltspitze nach sich ziehen.
In diesem Zusammenhang wird von genannten Personenkreisen festgestellt, dass sich der wissenschaftlich-technische und technologische Rückstand der Volkswirtschaft der DDR im Vergleich zu hochentwickelten kapitalistischen Industriestaaten in den letzten Jahren spürbar vergrößert habe und weiter im Anwachsen begriffen sei. Die DDR habe bereits errungene Positionen auf dem Weltmarkt aufgeben müssen.
In derartigen Gesprächen und Meinungsäußerungen wird in zunehmendem Maße auch mit Sorge auf mögliche negative Auswirkungen von Entwicklungsprozessen in anderen sozialistischen Ländern auf die Gestaltung der Zusammenarbeit und damit auch auf die planmäßige Entwicklung in der DDR verwiesen. Die DDR müsse sich ihrer Meinung nach auf eine wachsende Unberechenbarkeit und Unsicherheit in den wirtschaftlichen Beziehungen einstellen. Vielfach wird dabei auch der Standpunkt vertreten, dass es offensichtlich keine gemeinsame ökonomische Strategie der sozialistischen Staaten mehr gebe. Jedes Land orientiere sich ausschließlich an seinen eigenen volkswirtschaftlichen Interessen; man könne bereits jetzt absehen, dass Schwierigkeiten in der Gestaltung der Kooperationsbeziehungen sich in einem Maß auswachsen werden, dass die Frage stehe, wie lange die DDR diese Entwicklungsphase werde »durchstehen« und das Erreichte sichern können.
In wachsendem Maße werden in Meinungsäußerungen unterschiedlichster Personenkreise direkte Zusammenhänge zwischen der Lage in der Volkswirtschaft und auftretenden Problemen im Bereich Handel und Versorgung hergestellt. Vor allem an der bedarfs-, sortiments- und qualitätsgerechten Bereitstellung von Waren, insbesondere von Konsumgütern und Ersatzteilen, wird die Leistungskraft der Volkswirtschaft gemessen.
Sie wird immer mehr zum Kriterium für die Beurteilung der Attraktivität des Sozialismus im Vergleich zum Kapitalismus überhaupt.
Diese Position wird noch bekräftigt durch fortgesetzt angestellte Vergleiche zum Warenangebot und der Warenpräsentation in der BRD. Sich in diesem Sinne äußernde Personen verweisen dabei auf persönliche Eindrücke bei Besuchsreisen in die BRD und nach Westberlin. Häufig sind derartige Vergleiche Anlass und Ausgangspunkt für die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR und den Sozialismus überhaupt herabwürdigende Äußerungen.
Grundtenor diesbezüglicher Meinungen ist die Auffassung, das Versorgungsniveau der Bevölkerung habe sich trotz fortgesetzter zentraler Aufgabenstellungen und Orientierungen weiter verschlechtert. Waren, die noch vor Jahren zum normalen Angebot gehörten, sind heute nur noch mit »guten Beziehungen«, in Delikatläden3 oder durch den Austausch von sogenannten Mangelwaren zu bekommen. Man sei gezwungen, lange Lauf- und Wegezeiten zum Erwerb bestimmter Waren inkauf zu nehmen, auch wenn dafür ein beachtlicher Teil der Freizeit aufgewendet werden müsse. Besonders genannt werden Edelfleisch, fettarme Wurstsortimente, Schnittkäse, Obstkonserven, Frühgemüse sowie Ersatzteile für Pkw und technische Haushaltsgeräte, Kurzwarensortimente (Handarbeitsgarne, Wolle, Schirme), Untertrikotagen für Damen, Herren und Kinder, elektrische Haushaltsgeräte (Handstaubsauger, Luftfilterhauben), Gas- und Elektroherde.
Unter leitenden Kadern und Mitarbeitern von Handelseinrichtungen zeigen sich zunehmend »Ermüdungserscheinungen« bis hin zu resignierenden Haltungen, weil sie keine Einflussmöglichkeiten hinsichtlich einer spürbaren Verbesserung des Warenangebots sehen. Ständig vorhandene Lieferrückstände der Industrie sowie mangelnde Qualität der gelieferten Waren wirken sich hier entscheidend negativ aus.
Leitungskader verweisen darüber hinaus auf eigene Erfahrungen, wonach Signale über diesen Zustand von der Basis »nach oben« nicht gefragt bzw. direkt unerwünscht seien. Ihrer Auffassung nach wären die Beziehungen zur Industrie nach wie vor zu starr, um seitens der Handelsorgane wirksameren Einfluss auf die Warenproduktion ausüben zu können. Die Industriebetriebe, so schätzen genannte Personenkreise weiter ein, orientierten sich zu einseitig an der Erfüllung der Exportaufgaben. Für den Binnenhandel würden immer mehr Waren geliefert, die bedingt durch Qualitätsmängel oder Nichtberücksichtigung von Modetrends im Ausland nicht absetzbar sind.
Den absoluten Schwerpunkt von Meinungsäußerungen zur Versorgungslage bildet das hinsichtlich des Umfangs, der Sortimentsbreite und Qualität als völlig unzureichend empfundene Warenangebot bei
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Konsumgütern, insbesondere bei Schlafraum-, Küchen-, Kinder- und Polstermöbeln, elektrischen Nähmaschinen, Tiefkühlschränken, Farbfernsehgeräten außer »Colortron«, hochwertigen Rundfunkempfängern und Radiorekordern sowie modischer Damen- und Herrenkonfektion einschließlich Freizeitbekleidung (Hosen, Blusen, Röcke, Kostüme), Damen- und Herrenschuhen, Untertrikotagen für Damen, Herren und Kinder,
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Sortimenten 1 000 kleine Dinge,
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Baustoffen und -materialien, u. a. Dach- und Isolierpappe, Badewannen, hochwertige Tapetensortimente, Zement, Armaturen,
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Heimwerkerbedarf, u. a. Werkzeuge (Äxte, Beile, Körner, Meißel, Feilen, Maurerwerkzeug), Verdünnung für Anstrichstoffe, geleimte Wandfarbe,
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kosmetischen Erzeugnissen, vor allem im Sortiment dekorativer Kosmetik (Lippenstifte, Nagellack, Lidschatten) und bei Hautcremes,
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Ersatzteilen für technische Haushaltgeräte (u a. Waschmaschinen und Kühlschränke) und Pkw.
Besonders umfangreiche und teilweise sehr scharfe und kritische Meinungsäußerungen gibt es in allen Bevölkerungskreisen zur Versorgung mit Pkw. (Wartefristen für den Neuerwerb zum Teil bis zu 18 Jahren werden als völlig unakzeptabel bezeichnet. Der technische Ausstattungsgrad von DDR-Pkw liege beträchtlich unter dem Niveau vergleichbarer ausländischer Pkw-Typen. Dies wird als Ausdruck des eklatanten Rückstandes der DDR-Automobilindustrie zum Weltstand bewertet; Preisentwicklungen bei »Trabant« und »Wartburg« werden als nicht gerechtfertigt angesehen.) Diese Situation begünstige, so wird geäußert, in entscheidendem Maße eine Ausweitung von Korruptions- und Schiebergeschäften mit Pkw. Die sogenannten Schwarzmarktpreise für gebrauchte Pkw betragen ca. 180 bis 200 % des Kaufpreises. Immer nachhaltiger wird gefordert, dass die Pkw-Probleme im Interesse der Bevölkerung schnell und wirkungsvoller geklärt werden. Von progressiven Kräften wird des Öfteren zum Ausdruck gebracht, dass viele Bürger die Lösung der »Pkw-Probleme« als Gradmesser einer erfolgreichen DDR-Wirtschaftspolitik ansehen. Vielfach wird offen bezweifelt, dass die DDR überhaupt in der Lage sei, diese, die Bürger bewegenden Probleme zu lösen.
Darüber hinaus stehen im Mittelpunkt ausnahmslos kritischer Meinungsäußerungen zu Versorgungsproblemen
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ein nicht durchgängig stabiles Warenangebot bei Nahrungsmitteln bis Ladenschluss, vor allem hinsichtlich der Qualität, Sortimente und des Frischegrades von Milch- und Milcherzeugnissen (Hart-, Schnitt- und Weichkäse), Fleisch- und Wurstwaren, von saisongerechtem Obst und Gemüse (Gurken, Salat, Radies, Blumenkohl), Dauerbackwaren (Zwieback, Waffeln, Gebäck), diätischen Erzeugnissen (u. a. Flachbrot, Kekse und Waffeln für Diabetiker sowie Diätsuppen) sowie von Hülsenfrüchten (Linsen und Bohnen) und kochfertigen Suppen, Soßen und Gerichten, Würzerzeugnissen,
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das Niveau der Handelskultur (u. a. Warenpräsentation, Beratung und Bedienung von Kunden, kundenfreundliche Öffnungszeiten),
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der bauliche Zustand von Einzelhandelsgeschäften, Probleme in der Einhaltung der Normen von Ordnung, Sauberkeit und Hygiene sowie die ersatzlose Schließung von Verkaufsstellen, insbesondere in Kleinstädten und ländlichen Gebieten,
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die nicht ausreichenden Möglichkeiten der gastronomischen Versorgung der Bevölkerung,
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die unzureichende Bereitstellung von Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln (vorwiegend Brillengläser und -gestelle, Zahnersatz) und Verbandstoffen für die Versorgung von Patienten im Gesundheitswesen.
Im Zusammenhang mit dem Warenangebot bei Konsumgütern werden in steigender Tendenz auch sehr kritische Diskussionen über die Preisentwicklung diesbezüglicher Erzeugnisse geführt. Vielfach wird in diesem Zusammenhang von einer »Preisexplosion« gesprochen, mit der Unzulänglichkeiten in der Wirtschaftsführung auf Kosten der Werktätigen »ausgebügelt« werden sollen.
Dazu wird argumentiert, dass
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trotz schlechter gewordener Qualität der Erzeugnisse – auch bei hochwertigen Konsumgütern – die Preise gestiegen seien. (Dabei werden vor allem genannt Möbel und Polsterwaren, Textilien – auch im Exquisitangebot4 – und Schuhe sowie Pkw.)
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im Ergebnis geringfügiger technischer Veränderungen bzw. ausgewiesener technischer Weiterentwicklungen, womit letztlich auch der erhöhte Preis begründet wird, zum Teil keine adäquate Erhöhung des Gebrauchswertes erkennbar bzw. vorhanden sei,
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die Entwicklung der Löhne und Gehälter den ständig wachsenden Preisen nicht standhalte, was sich in immer stärkerem Maße auch negativ auf die Erhaltung des erreichten Lebensniveaus auswirke.
Häufig wird mit großem Nachdruck die Frage gestellt, wann die Betriebe und Kombinate endlich ihre Versprechungen zur zusätzlichen Produktion von Konsumgütern für die Bevölkerung einlösen wollen.
Die öffentlich bekannt gemachten Verpflichtungen zur zusätzlichen Konsumgüterproduktion haben, so schätzen progressive Kräfte ein, in der Bevölkerung breite Erwartungshaltungen hinsichtlich einer durchgängigen Verbesserung des Warenangebots entstehen lassen. Jetzt sei verbreitet die Meinung festzustellen, man sei getäuscht worden; die Industrie habe den Wertumfang der zusätzlichen Produktion fast ausschließlich über Preissteigerungen realisiert, ohne dass mehr bedarfsgerechte Waren produziert worden seien.
In diesem Zusammenhang wird in breitem Umfang Bezug genommen auf diesbezügliche Veröffentlichungen in den Medien der DDR über die planmäßige Entwicklung in der Volkswirtschaft und die Erhöhung des Warenumsatzes im Handel. Sie werden vielfach als »Zweckpropaganda« bezeichnet und direkt angezweifelt. Der Widerspruch dieser zentral getroffenen Aussagen zu den Erfahrungen, die von den Werktätigen im eigenen Umfeld gesammelt werden, werde – so wird vielfach argumentiert – immer größer.
Vorliegenden Hinweisen zufolge haben Spekulationen und Gerüchte über bevorstehende Einschränkungen im privaten Reiseverkehr von DDR-Bürgern in die UVR bzw. im Urlauberaustausch zwischen Betrieben der DDR und der UVR unter breiten Bevölkerungskreisen weiter zugenommen.5 Verstärkt werden VPKÄ mit diesbezüglichen Anfragen von Bürgern, Betrieben und Einrichtungen konfrontiert bzw. wenden sich Werktätige um Auskunft an Partei- und Gewerkschaftsleitungen in ihren Betrieben.
Gerüchteweise wird verbreitet, dass
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Privatreisen in die UVR künftig nur noch auf Einladung möglich sein werden,
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der Urlauberaustausch mit Betrieben/Institutionen eingestellt werden solle,
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die Deutsche Reichsbahn die Fahrt ihrer Angehörigen auf Freifahrtschein bereits nicht mehr gestatte,
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es zentrale staatliche Entscheidungen gäbe, ab 1. Oktober 1989 Privatreisen von DDR-Bürgern in die UVR generell nicht mehr zu genehmigen.
Überprüfungen ergaben, dass es seitens staatlicher Organe/Einrichtungen keine derartigen Orientierungen gegeben hat.
Aufgrund des Umfangs und der Intensität solcher spekulativer Diskussionen und Meinungsäußerungen werden nachdrücklich entsprechende Mitteilungen in den Massenmedien der DDR erwartet.