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Tagesbericht

29. Dezember 1953
Informationsdienst Nr. 2057 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die Viererkonferenz steht im Vordergrund aller Diskussionen und nimmt immer breiteren Raum ein (näheres s. Anhang).

Die Aktivität bei der Unterstützung des neuen Kurses hält, begünstigt durch die letzten Maßnahmen der Regierung, weiter an. Auch zweifelnde Stimmen werden vereinzelt wieder laut.

Die Kraftfahrer des Braunkohlenwerkes Edderitz, [Kreis] Köthen, [Bezirk] Halle, schlossen sich der 100 000-Kilometer-Bewegung1 an.

Neben 28 Produktionsverpflichtungen in der Garage des Wismut-Objektes Rudolstadt/Gera verpflichteten sich 21 Kumpel, der Kampfgruppe2 der Garage beizutreten, um den Feinden der DDR energisch entgegentreten zu können.

Bei den Wismut-Kumpels hat der beabsichtigte Bau von Eigenheimen3 großen Anklang gefunden. Beim FDGB in Johanngeorgenstadt/Karl-Marx-Stadt liegen bereits 750 Meldungen vor.

Ein Labortechniker aus dem RFT Rundfunkwerk Dresden sagte: »Wir wollen erst mal abwarten, ob das, was die Zeitungen schreiben, auch eingehalten wird.«

Waggonmangel wird aus dem Walzwerk Kirchmöser/Potsdam gemeldet. Fertigprodukte stauen sich, weil die Reichsbahn nur 50 % der benötigten Waggons zur Verfügung stellt. Andere Betriebe mahnen dringend ihre Blechlieferungen an und klagen über Produktionsausfälle, weil Kirchmöser kein Blech liefert. Die Stimmung unter den Arbeitern ist nicht gut, denn sie rechnen mit der Stilllegung des Werkes.

Ernste Mängel in volkseigenen Konfektionsbetrieben: Die Berliner Handelsorgane mussten im Monat November größere Mengen Konfektionsware an die Lieferbetriebe zurückschicken wegen schlechter Verarbeitung. Davon entfallen auf das Kleiderwerk Güstrow 1 450 Mäntel, auf die Halleschen Kleiderwerke 500 Hosen, 150 Anzüge und 100 Mäntel, auf den Betrieb Kleidermacher Dresden 120 Mäntel und auf das Bekleidungswerk Zwickau 220 Mäntel.

Handel und Versorgung

Versorgung im Allgemeinen hat sich durch gute und reichliche Warensortimente gebessert, welches sich positiv auf die Stimmung der Bevölkerung gegenüber dem neuen Kurs auswirkt.

Geschäftsfrau aus Strausberg/Frankfurt/Oder: »Jetzt braucht keiner mehr nach dem Westen zu fahren, denn bei uns bekommt man jetzt auch alles zu kaufen, was man haben will. Hoffentlich bleibt es so, dann werden auch alle Menschen zufrieden sein und es hat keiner etwas zu meckern.«

Mangel an4 Winterbekleidung wurden aus einigen Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt gemeldet.

Landwirtschaft

Mangel an Ersatzteilen für Traktoren und landwirtschaftliche Maschinen wird aus den MTS des Bezirkes Cottbus berichtet, welches teilweise das Winterreparaturprogramm gefährdet. So z. B. kann die MTS Neupetershain/Cottbus ihr Winterreparaturprogramm nicht erfüllen, wenn nicht schnellstens Ersatzteile für Traktoren, Pflüge und Mähbinder eintreffen.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Über die Aburteilung der Verrätergruppe Berija5 wurden nur vereinzelt Stimmen bekannt. Einwohner aus Grevesmühlen/Rostock: »Ich habe diesen Prozess eingehend verfolgt. Dass solche Verbrecher solange in solchen Stellungen sitzen konnten zeigt uns, dass wir wachsamer sein müssen. Ich halte die Strafe für angebracht, die diese Verbrecher erhalten haben.«

Verstärkte Aktivität der Kirche zeigt sich im Kreis Aschersleben/Halle. Hier versuchte der Superintendent der evangelischen Kirche in Aschersleben immer hartnäckiger zu fordern, in der Untersuchungshaftanstalt Gottesdienst abhalten zu können. Gleichfalls versuchte ein Pfarrer in Ascherleben die Genehmigung zu erhalten, in Gaststätten kirchliche Weihnachtsfeiern durchführen zu können.

Am 24.12.1953 sprach Dr. Dibelius6 in Schönfließ und Fürstenberg/Frankfurt/Oder. Er versuchte erst, in der Kulturhalle des Eisenhüttenkombinates »J. W. Stalin« sprechen zu dürfen, was aber infolge Reparaturarbeiten und einer Weihnachtsfeier für Kinder des Betriebes abgelehnt wurde. Dibelius brachte in seiner Ansprache zum Ausdruck, dass in Stalinstadt eine Stadt und ein Kombinat gebaut werden, aber keine Kirchen. So etwas gebe es in Deutschland nur einmal. Im Gebet wurden die »Gefangenen« gesegnet. Weiterhin wurde die Hoffnung ausgesprochen, dass alle »Flüchtlinge und Heimatvertriebenen« bald wieder in ihre Heimat zurückkönnen. Bei der Eröffnung sagte ein Pfarrer aus Stalinstadt,7 dass sie sich in Knechtschaft befinden würden und bald wieder frei sein wollten.8

Organisierte Feindtätigkeit

Flugblätter geringer in den Bezirken Dresden, Magdeburg und Karl-Marx-Stadt, stärker in den Bezirken Potsdam und Frankfurt/Oder.

In Merzdorf/Cottbus wurden am 26.12.1953 der Bürgermeister und der Parteisekretär von einem Banditen überfallen. Am 25.12.1953 wurde in Meißen/Dresden eine Philipp-Müller-Gedenktafel zerstört. Am gleichen Tage wurde in Schwarzberg/Karl-Marx-Stadt festgestellt, dass das dortige sowjetische Ehrenmal (Steinsäule mit Sowjetstern) umgeworfen worden ist.

Die Ehefrau des Dr. Graber aus Zingst, der im Herbst 1953 verhaftet worden ist und in der Haft Selbstmord verübte, verbreitet im Ort das Gerücht, ihr Mann sei von der Staatssicherheit totgeschlagen worden. Dieses Gerücht wird im Ort geglaubt.9

Der RIAS forderte in einer Sendung am 23.12.1953 über die Berufsausbildung im Schiffsbau die Verlängerung der Lehrzeit und ruft die Jugendlichen auf: »Führt in Zukunft in allen Elternversammlungen, bei jeder Betriebsjugendveranstaltung und in den Berufsschulen das Gespräch über die Verlängerung der Lehrzeit noch energischer. Sagt, dass ihr eine Verfügung erwartet, die die Verkürzung der Lehrzeit allgemein rückgängig macht.«

In einer Sendung am 22.12.1953 über Kulturpolitik ruft RIAS die Intellektuellen auf: »Das Regime der Parteibürokraten, die die schöpferische Freiheit der Künstler durch Anweisung der Kunstkommission zu ersetzen versucht, muss verschwinden. Ein 17. Juni der Intellektuellen ist möglich.«

In einer Sendung am 23.12.1953 über die Regierungsverordnung vom 10.12.195310 fordert RIAS Folgendes: »Bei passender Gelegenheit sollte man vor versammelter Mannschaft einen SED-Funktionär, der die BGL kommandieren will, Lektionen aus der Verordnung erteilen. Den FDGB muss man mit allen bisher unerfüllten Forderungen überschwemmen.«

Vermutlich organisierte Feindtätigkeit

Am 26.12.1953 brannte in der Baustofffirma Hock in Teltow/Potsdam eine Baracke nieder. Darin befand[en] sich der Kulturraum, Umkleide- und Büroräume. Der Betrieb steht unter Treuhandverwaltung, hatte sein Jahressoll bereits im Oktober erfüllt und soll in den nächsten Tagen in Volkseigentum übernommen werden. Es wird deshalb Brandstiftung vermutet.

Einschätzung der Situation

Im Mittelpunkt der Diskussionen aller Bevölkerungskreise steht die Außenministerkonferenz. Die Mehrzahl der Bevölkerung blickt hoffnungsvoll nach Berlin. In den Betrieben wird der neue Kurs weiter aktiv unterstützt. Bis auf örtliche Mängel ist die Versorgung der Bevölkerung besser geworden. Das wirkt sich positiv auf die Stimmung aus. Unter Ausnutzung des Weihnachtsfestes hat die Kirche an manchen Orten ihre Aktivität verstärkt.

Anlage vom 29.12.1953 zum Informationsdienst Nr. 2057

Stimmung zur bevorstehenden Viermächtekonferenz

Die bekannt gewordenen Stimmen zur bevorstehenden Viermächtekonferenz11 aus der DDR und dem demokratischen Sektor von Groß-Berlin sind in der Mehrzahl positiv. Ein großer Teil erkennt die ehrlichen Bemühungen der SU zur Erhaltung des Friedens und zur Lösung des deutschen Problems an. Die Mehrzahl hofft auf eine erfolgreiche Konferenz und auf Beschlüsse, die uns einen baldigen Friedensvertrag sowie die Einheit unseres Vaterlandes bringen.

Hauer in Oberschlema, Wismut AG: »Bei den Bemühungen der SU zur Vorbereitung einer Viererkonferenz sieht man wieder einmal ihren großen Friedenswillen. Die Vorschläge werden immer wieder von der SU gemacht, um den Frieden in der Welt zu erhalten. Ich habe große Hoffnungen, dass es diesmal zu einem Ergebnis kommen wird.«

Parteiloser Einwohner aus Zepkow/Neubrandenburg: »Hoffentlich wird die Zusammenkunft für uns fruchtbringend. An der SU liegt es nicht. Wenn die westlichen Vertreter den guten Willen zur Verständigung mitbringen, denn an ihnen liegt es nur, dann werden wir bald ein einiges Deutschland haben. Auch müssen die Vertreter aus Ost- und Westdeutschland dazu gehört werden.«12

Leiter der Materialversorgung der Volkswerft Stralsund/Rostock: »Die SU hat nichts unversucht gelassen, um einen Friedensvertrag mit Deutschland zustande zu bringen. Auf der Konferenz muss doch endlich einmal ein einiges Deutschland geschaffen werden. Die Einheit Deutschlands würde eine große wirtschaftliche Entwicklung mit sich bringen.«

Bürgermeister aus Jöhstadt/Karl-Marx-Stadt (LDP-Kreisvorstandsmitglied): »Das Friedenslager wird mit der Viererkonferenz einen großen Erfolg erreichen. Jedem Menschen bei uns sowie in Westdeutschland müsste es doch klar sein, dass der, welcher durch Verhandlungen den Frieden erhält, nicht aggressive Pläne verfolgt. Ich verurteile auf das Schärfste die Störversuche Adenauers.«

Hausfrau aus Dresden: »Ich glaube an die Viererkonferenz und erwartete, dass sie eine große Entspannung bringt und dass es endlich zu einer Einigung kommen wird.«

Parteiloser Arbeiter aus Hohenseeden/Magdeburg: »Endlich ist es soweit, dass sie zur Konferenz zusammen kommen, um zu verhandeln. Es hat ja lange genug gedauert, bis die Westmächte sich dazu bereit erklärten. Es ist nur zu wünschen, dass diese Verhandlungen auch zu einem Erfolg führen.«

In mehreren Betrieben und einigen Dörfern wurden Versammlungen durchgeführt, wo über die Bedeutung der bevorstehenden Viererkonferenz gesprochen wurde. Die Anwesenden begrüßten die Initiative der SU und hoffen auf ein gutes Gelingen der Konferenz.

Bei einer Kurzversammlung im Teerverarbeitungswerk Rositz/Leipzig äußerte ein Arbeiter: »Wir müssen den geschlossenen Willen der Volksmassen durch eine Vielzahl von Stellungnahmen der Viererkonferenz als Bekenntnis zur Einheit Deutschlands unterbreiten. Dies wird dann auch eine positive Auswirkung auf den Verlauf und das Ergebnis der Konferenz zeitigen.«

In einer Bauernversammlung in Olbernhau/Karl-Marx-Stadt wurde von allen Anwesenden eine Entschließung über die Viermächtekonferenz angenommen. Darin wird [sic!] die Einheit Deutschlands sowie ein gerechter Friedensvertrag gefordert.

Ein Teil der Bevölkerung hofft auf ein positives Ergebnis der Konferenz, hegt aber starke Zweifel auf ein gutes Gelingen, da bisher bei den Konferenzen nicht viel herausgekommen sei.

Arbeiter des VEB Lederfabrik Hirschberg/Gera (aus SED ausgeschlossen): »Die Außenminister brauchen gar nicht erst zusammenzukommen, es kommt ja dabei sowieso nichts heraus.«

Kumpel der Wismut AG in Rudolstadt: »Die Bemühungen der SU erkennen wir vollauf an, aber die anderen haben sowieso ihre eigene Meinung und da wird nichts groß herausspringen, was zur Einheit Deutschland führen könnte.«

Verwaltungsangestellter aus Zöblitz/Karl-Marx-Stadt: »Bei der Außenministerkonferenz wird es keine Einigung über die Einheit unseres Vaterlandes geben, dazu werden die Westmächte, besonders die USA, nicht einwilligen. Die Welt muss immer mehr erkennen, von wem die Friedensvorschläge kommen. Die USA werden wieder entlarvt werden und das Weltfriedenslager wird wachsen.«

Einwohner aus Erfurt: »Auf der Viererkonferenz wird für uns nicht viel herauskommen, man wird so wieder auseinandergehen, wie man zusammengekommen ist.«

Landwirt aus Güsen/Magdeburg: »Ich glaube nicht, dass auf dieser Konferenz eine Einigung zustande kommt, denn die Kapitalisten werden sich nicht ihre Fabriken und Bergwerke nehmen lassen.«

Negative Stimmen treten nur vereinzelt in Erscheinung. Diese richten sich im Allgemeinen gegen die SU oder die DDR. Bei einer Unterschriftensammlung für die Außenministerkonferenz haben sich in der Frauenklinik Jena nur die Stationshilfen und eine Schwester eingezeichnet. Sämtliche Ärzte und Schwestern haben eine Stellungnahme abgelehnt. Diese Einstellung ist auf das ablehnende Verhalten des Professors (Leiter der Universitäts-Frauenklinik)13 zurückzuführen. Dieser lehnte die Unterschrift mit folgenden Worten ab: »Ich bin Arzt und kein Politiker. Die Politiker mögen unterschreiben, ich nicht.« Die Ärzte erklärten sich nur dann zur Unterschrift bereit, wenn der Professor unterschriebe, und die Schwestern richten sich wiederum nach den Ärzten.

Arbeiter der Farbenfabrik Wolfen Bitterfeld, Werkstatt 5: »Wenn die Viererkonferenz immer wieder verschoben wird, wie jetzt vom 4. auf den 25.1.,14 dann wird eine Viererkonferenz überhaupt nicht stattfinden.«

Arbeiter aus dem VEB Gaselan Fürstenwalde/Frankfurt/Oder: »Wir können einen Krieg doch nicht verhindern. Bei Konferenzen werden die Arbeiter doch nicht gefragt, die Herren entscheiden ja sowieso, wie sie wollen.«

Arbeiter im VEB Waggonbau Niesky/Dresden: »Uns sollen die damit in Ruhe lassen. Mit diesen Dingen sollen sich die Oberen ihren Kopf einschlagen. Wir können ja sowieso an der ganzen Sache nichts ändern.«

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