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Tagesbericht

24. Dezember 1953
Informationsdienst Nr. 2055 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Allgemein sind die Diskussionen über die politischen Probleme durch die Vorweihnachtsstimmung zurückgegangen.

Über den Prozess gegen die Spionageorganisation Gehlen1 wird in geringerem Maße diskutiert. Die meisten Stimmen sind positiv. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass die Verbrecher eine schwere Strafe verdient haben und zum Teil die ausgesprochenen Strafen nicht hart genug sind. Des Öfteren wird betont, dass durch den Prozess die Gefährlichkeit dieser Verbrecher erst richtig erkannt wurde. Negative Diskussionen sind nur vereinzelt bekannt, wonach die Aussagen den Angeklagten vorgeschrieben waren.

Ein Hauer aus Oberschlema/Karl-Marx-Stadt: »Ich kann nicht verstehen, dass man mit solchen Spionen noch so viele Umstände macht. Wenn es nach mir ginge, müssten die Lumpen alle erschossen werden.«

Ein Arbeiter aus dem Stahlwerk Brandenburg/Potsdam: »Der Gehlen-Prozess hat mir klar bewiesen, dass die Agenten mit einer Raffinesse arbeiten, wie ich es so lange nicht glauben wollte. Diese Banditen müssen strengstens bestraft werden.«

Ein Arbeiter aus dem Elektrostahlgusswerk Leipzig: »Das waren keine Originalübertragungen im Rundfunk, wo die Angeklagten selbst gesprochen haben. Außerdem war ihnen vorgeschrieben, was sie sprechen sollten.«

Missstimmung herrscht bei den BS-Angehörigen des Thälmann-Werkes Suhl und des VEB Werkzeug-Union Steinbach-Hallenberg/Schmalkalden/Suhl über ihren Tariflohn von 265,00 DM Brutto, bei den Kollegen der Märkischen Ölwerke Wittenberge/Schwerin wegen schlechter Zuteilung von Bezugsscheinen für Arbeitsbekleidung.

Missstände treten im Abbau der Decke an der Förderbrücke des Braunkohlenwerkes »Franz Mehring«, Kreis Senftenberg/Cottbus, auf, wodurch bei jetzt eintretendem Frost eine 100%ige Belieferung der Brikettfabriken und des Synthesewerkes Schwarzheide nicht garantiert ist.

Schwierigkeiten in der Beschaffung von Rohstoffvorlaufmaterial für das 1. Quartal 1954 bestehen im VEB Patentpapierfabrik Penig/Karl-Marx-Stadt, wodurch die Produktion im 1. Quartal gefährdet ist.

Waggonmangel besteht bei den VEB Möbelwerken in Zeulenroda/Gera, wodurch eine große Stauung fertiger Möbel zu verzeichnen ist. Durch Benutzen notdürftiger Lagerräume besteht jetzt die Gefahr, dass sich die Möbel durch Feuchtigkeit verziehen. Des Weiteren besteht im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin« im Zementwerk die Gefahr, dass wegen Waggonmangel die Silos überfüllt sind und die Produktion vermindert werden muss.

Betriebsstörungen. Am 22.12.1953, gegen 5.20 Uhr, stieß auf dem Schacht Zobes, Auerbach/Karl-Marx-Stadt ein Förderkorb durch Versagen der Bremsen gegen die Seilscheibe, wodurch der Korb und die Seilscheibe schwer beschädigt wurden. Sachschaden: 20 000 DM. Am 21.12.1953 brannte im Eisenpanzer des Hochofens V im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin« ein Loch durch, obwohl die Wasserkühlung in Ordnung war. Ca. 25–30 t Eisen sind dadurch ausgelaufen. Sachschaden. ca. 450 000 DM.

Handel und Versorgung

In Görlitz/Dresden fehlen noch ca. 8 000 Weihnachtsbäume. Beim Verkauf musste das Schnellkommando der VP zur Sicherung eingesetzt werden.

Schwierigkeiten in der Versorgung der Werksküchen mit Kartoffeln werden aus dem Bezirk Frankfurt/Oder berichtet. In der Werksküche des VEB Bau Fürstenwalde werden [sic!] z. B. anstelle von Kartoffeln Brot ausgegeben.

In Stalinstadt/Frankfurt/Oder ist in den HO-Geschäften zzt. keine Margarine zu erhalten. In einigen Kreisen des Bezirkes Frankfurt/Oder sind keine Sicherungen vorhanden. Vielfach werden die alten geflickt, wodurch Ursachen für Brände und andere Schäden entstehen.

Möbelpreise sind von 15 bis 50 DM im Konsum Delitzsch/Leipzig angestiegen. Dazu erklären Angestellte der DHZ, dass die VEB Gewinnpläne zu erfüllen hätten. Soweit dies nicht erzielt wird, sind diese in der Lage die Kalkulation zu ändern. Auf der Leipziger Messe abgeschlossene Kundenaufträge können deshalb nicht erfüllt werden.

Landwirtschaft

Anlässlich des Geburtstages des Genossen Stalin2 wurden die MTS Lauterbach, die als Sieger im Wettbewerb aller MTS im Bezirk Karl-Marx-Stadt hervorging, mit der Sturmfahne ausgezeichnet und die Leistungen der Traktoristen und Arbeiter feierlich gewürdigt.

Aus dem Kreis Rochlitz wird berichtet, dass bei den VdgB-Wahlen verschiedentlich Bauern die Versammlung vor durchgeführter Wahl verließen. In Tauscha z. B. verließ ein Mittelbauer vorzeitig die Versammlung, dem mehrere Bauern folgten. In Elsdorf konnte die Wahl durch die geringe Anwesenheit nicht durchgeführt werden.

Über unzureichende Vergütung für Landabgabe durch die Erweiterung des Tagebaues »John Scheer« beschwerten sich die Bauern aus Tätzschwitz/Cottbus.

Über das neue Jagdgesetz3 diskutieren die Angestellten der Staatlichen Forstbetriebe in Waltersdorf/Dresden anerkennend. Unter anderem wurde aufgezeigt, dass oft mit Schrot und Karabinern auf Rehwild geschossen wurde (VP), ohne dass es den Revierförstern möglich war, die Personalien festzustellen.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Vereinzelte Diskussionen über die Ausgabe von 20,00 West-Mark oder Bettelpaketen im gleichen Wert4 werden aus den Bezirken Halle, Potsdam und Schwerin berichtet. So z. B. erklärt eine Frau aus Weißenfels/Halle, die zum Besuch ihrer Tochter in Westdeutschland weilte: »Ich wurde zum Rathaus Celle bestellt. Außer mir waren noch 20 Interzonenreisende aus der DDR anwesend. Alle erhielten dort ein Weihnachtsgeschenk in Form von 20 West-Mark, wofür nur eine Quittung über den Erhalt des Geldes unterschrieben wurde.« Ähnliche Diskussionen werden auch in den Anschlusszügen zu Interzonenzügen festgestellt.

Wie aus Freital/Dresden berichtet wird, erhielt ein katholischer Pfarrer am 16.12.1953 ca. 32 Westpakete. Weiterhin schickt er täglich ca. 20 bis 30 Briefe und Karten nach Westdeutschland, um weitere Pakete zu erhalten. (Angeblich sammelt er Adressen, die er nach Westdeutschland schickt.)

Mitglieder der evangelischen Studentengemeinde der Universität Leipzig vertreten die Auffassung, dass mit der Broschüre »Über kommunistische und religiöse Moral«5 von der FDJ der Beweis erbracht wurde, dass Marxisten und Christen nicht zusammenarbeiten können. (Die Broschüre wurde vom Verlag Neues Leben herausgegeben.)6 Einige Theologiestudenten sind daraufhin aus der FDJ ausgetreten.

Über schlechten Rundfunkempfang (Berlin III und Deutschlandsender) werden heftige Diskussionen der Bevölkerung aus Plauen/Karl-Marx-Stadt berichtet.

Organisierte Feindtätigkeit

Flugblätter stärker in Potsdam (17 500) und Suhl (10 000), geringer in Cottbus, Karl-Marx-Stadt, Frankfurt/Oder, Halle und Dresden.

In den Nachtstunden des 22.12.1953 wurde in Brieskow-Finkenheerd/Frankfurt/Oder von einigen Jugendlichen ein SED-Mitglied überfallen und ein FDJ-ler geschlagen.

In der Zeit zwischen dem 1. und dem 10.12.1953 wurden von unbekannten Tätern im VEB Sächsische Rosshaarweberei in Coswig/Dresden von der Unterlagerungstraverse eines Webstuhls vier Schrauben gelockert. Durch rechtzeitiges Erkennen wurde ein Produktionsausfall verhindert. Im selben Betrieb wurden wahrscheinlich im November 1953 durch unbekannte Täter von zwei im Websaal befindlichen Kübelspritzen die Spritzdüsen abgeschnitten. Im Falle eines Brandes wäre hierdurch eine Brandbekämpfung unmöglich gewesen.

In der Zeit zwischen dem 26. und 28.11.1953 wurde durch unbekannte Täter auf dem VEG Großschweidnitz,7 [Kreis] Löbau, [Bezirk] Dresden, in den Kühler eines Traktors Wasser gegossen, wodurch infolge Frosteinwirkung der Motorenblock platzte. Auf der MTS Krangen/Neuruppin/Potsdam wurde vor einigen Tagen versucht, mit einer Eisenstange Pflüge zu beschädigen.

Durch fiktive Warnung [wurde] in Güstrow/Schwerin versucht, Bürger zum Verlassen der DDR zu bewegen. So wurde z. B. eine Frau aus Güstrow von einem Unbekannten angesprochen und ihr gesagt, dass sie vom SfS beobachtet wird und kurz vor der Verhaftung stünde.

Am 3. Feiertag soll in Westberlin in der Nähe des Funkturms eine Tagung der Sekte »Zeugen Jehovas«8 stattfinden.

Der RIAS bezeichnete die polnische Steinkohle als Abraumbrennstoff und erklärte, die Eisenbahner haben deshalb ein Recht darauf, diese Kohle zurückzuweisen und die gleiche Qualität zu fordern, die für Transitkolonnen ausgegeben wird. Außerdem sollten die Lokpersonale [sic!] jetzt einwandfreie, für die Steinkohlenfeuerung hergerichtete Lokomotiven verlangen.

Vermutlich organisierte Feindtätigkeit

In der Nacht vom 21. zum 22.12.1953 wurden bei einem Kleinbauern in Zemitz,9 Kreis Wolgast/Rostock, Mitglied der SED, verschiedene Maschinen und Ackergeräte zerschlagen und ein Wagen in die Jauchegrube geworfen.

Einschätzung der Situation

Bei überwiegender Weihnachtsstimmung ist die Lage wie an den Vortagen.

Anlage (»Beilage«) vom 24.12.1953 zum Informationsdienst Nr. 2055

Zur Stimmung über die Viermächtekonferenz

Die zur Viermächtekonferenz10 bekannt gewordenen Meinungsäußerungen aus der DDR und dem demokratischen Sektor von Berlin sind zum überwiegenden Teil positiv. Am stärksten tritt die Hoffnung auf einen günstigen Verlauf der Konferenz, Abschluss eines Friedensvertrages und Herstellung der Einheit Deutschlands in Erscheinung. In vielen Diskussionen werden die konsequente Friedenspolitik der SU und die ständigen Bemühungen zur Entspannung der internationalen Lage sowie die Lösung der Deutschlandfrage anerkannt.

Eine Angestellte aus dem Hauptlager der RBD Berlin: »Die Kollegen im Büro sind alle mit der Viererkonferenz einverstanden und hoffen endlich auf die Einheit Deutschlands. Auch ich hoffe, dass die Staatsmänner endlich darüber beraten, wie der Friede erhalten werden kann.«

Ein Rangieraufseher vom Bahnhof Grünau: »Die Kollegen setzen große Hoffnung auf die Konferenz der vier Großmächte und erwarten positive Ergebnisse.«

Eine Hausfrau aus Berlin-Weißensee: »Alles ist gespannt, was die Außenministerkonferenz in Berlin bringen wird. Schön wäre es, wenn die Grenzen fallen würden und wir sagen könnten, das ganze Deutschland soll es sein.«

Eine Arbeiterin aus Magdeburg: »Bei einer Einigung der Großmächte könnte viel Gutes geschaffen werden. Alle warten wir auf den Fortfall der Zonengrenzen, ohne noch einmal einen Krieg zu erleben.«

Ein Arbeiter aus Marienberg/Karl-Marx-Stadt: »Verhandlungen müssen geführt werden, auch wenn wenig dabei herausspringt, denn solange verhandelt wird, besteht die Möglichkeit, den Frieden zu erhalten.«

Ein Kollege vom Wagendienst des Bahnhofes Berlin-Lichtenberg: »Hoffentlich kommen die Außenminister zu einer Einigung. Ich habe keine Lust, noch einmal in den Krieg zu ziehen.«

Ein Arbeiter aus Werdau/Karl-Marx-Stadt: »Es wäre zu begrüßen, wenn deutsche Vertreter an der Konferenz in Berlin teilnehmen würden.«

Ein Stahlschmelzer aus dem VEB ABUS Berlin-Lichtenberg: »Ich begrüße die Vorschläge der SU, eine Viererkonferenz in Berlin einzuberufen, damit endlich einmal das deutsche Problem endgültig behandelt wird. Wir wollen im Frieden leben und unser Stahl soll dem Frieden dienen.«

Ein Angestellter aus Berlin-Biesdorf: »Der Ruf nach Frieden ist unter den Völkern schon so stark geworden, dass auch die Separatkonferenz in Bermuda11 diesen Friedenswillen nicht unterdrücken konnte. Dadurch musste man den wiederholten Forderungen der SU nach Verhandlungen zustimmen. In der Hoffnung, dass die Konferenz in Berlin uns den langersehnten Friedensvertrag und die Einheit Deutschlands bringt, wollen wir unser Weihnachtsfest verleben.«

Eine Hausfrau aus Wismar/Rostock: »Hoffentlich sieht der Ami auf der Außenministerkonferenz ein, dass er in Europa nichts zu suchen hat.«

Ein Angestellter der RBD Berlin (SED): »Obwohl die Westmächte alles versuchen, die Viermächtekonferenz unmöglich zu machen, erhoffen wir alle, dass sie endlich etwas Positives für unser Vaterland bringt. Die Vorschläge der SU sind Meilensteine auf dem Weg zur Einheit Deutschlands, die Argumente des Gegners werden damit zerschlagen.«

Ein Arbeiter aus Potsdam: »Die überragende und weitsichtige Politik der SU wird im Rahmen der internationalen Entspannung auch unsere deutsche Frage lösen helfen. Wie es aussieht, kommt es doch diesmal zu Verhandlungen zwischen den Außenministern in Berlin.«

Ein Angestellter aus Genthin/Magdeburg: »Einen großen Erfolg haben die Kräfte des Friedens bei allen Völkern erreicht, dass sie die Westmächte gezwungen haben einer Viererkonferenz zuzustimmen. Erfreulich dabei ist, dass diese Konferenz in Berlin stattfindet. Das deutsche Volk muss jetzt alles daran setzen, damit die Westmächte gezwungen werden, die Vorschläge der SU zur friedlichen Lösung der Deutschlandfrage anzunehmen.«

In zweifelnden Stimmen wird zum Ausdruck gebracht, dass man den Erfolgen der Viermächtekonferenz skeptisch gegenübersteht. Noten wurden schon sehr viel ausgetauscht, der Erfolg blieb jedoch aus. Ähnlich verhielt es sich mit den durchgeführten Konferenzen. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass der Amerikaner sowieso wieder Forderungen stellt, die nicht erfüllt werden können. In direkt negativen Stimmen, die nur wenig in Erscheinung treten, kommt zum überwiegenden Teil eine feindliche Einstellung zur SU und zur Regierung der DDR zum Ausdruck.

Ein Angestellter der RBD Berlin: »Die Konferenzen haben bisher nichts Positives gebracht, so wird auch bei der Berliner Konferenz nicht viel herauskommen.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Ostglas Bischofswerda/Dresden: »Die Erfolge der Außenministerkonferenz zweifle ich noch an. In den bisherigen Zusammenkünften sind sie auch zu keiner Einigung gekommen.«

Ein Angestellter aus Weißenfels/Halle: »Die geplante Viererkonferenz bleibt im Ergebnis abzuwarten. Ich sehe jedenfalls noch keine Spur von einer Entspannung der Lage. Bei diesem bisherigen unfruchtbaren Notenwechsel, der inzwischen ermüdend wirkt und gleichgültig macht, konnte ich bisher nur feststellen, dass dabei lange Jahre vergangen sind und die Zerrissenheit Deutschlands sich als konstant erwiesen hat. Die große Gefahr ist, dass man sich von Jahr zu Jahr mehr an diesen Zustand gewöhnt hat.«

Ein Angestellter aus dem Stahlwerk Gröditz/Dresden: »Ich stehe der Konferenz skeptisch gegenüber. Der Ami kommt wieder mit Forderungen, die die SU nie annehmen kann.«

Ein Angestellter der Reichsbahn Berlin, Ostbahnhof: »Nach den bisherigen Erfahrungen kommt nie eine Verständigung zustande, denn der Ami wird die Vorwände finden, um eine Einigung zu verhindern.«

Ein Brigadier des VEB »Heinrich Rau« Wildau/Potsdam: »Ich glaube nicht, dass uns die Viererkonferenz einen Erfolg bringen wird, denn die vier werden sich doch nicht auf friedlichem Weg einig.«

Ein Arbeiter aus Markranstädt/Leipzig: »Ich habe nicht viel Hoffnung auf eine Einigung. Der Grund meiner Hoffnungslosigkeit ist die grenzenlose Hetze, die von uns Deutschen zwischen Ost und West getrieben wird. Wenn man den Rundfunk hört und die Zeitung liest, kann man es bald als Hass bezeichnen, und das soll zum Guten führen? Die Politik machen ja bloß die Großen und wir sind immer die Opfer.«

Ein Angehöriger der Feuerwehr des VEB »Heinrich Rau« Wildau/Potsdam: »Es wird den Russen nicht gelingen, dem Ami seine Forderungen aufzuzwingen, denn der Ami führt sich genauso stark wie der Russe.«

Ein Meister aus dem VEB Textilwerk Zittau/Dresden: »Jetzt ist es soweit, dass der Russe nachgeben muss, denn er [hat] keine Rohstoffe mehr. Der Russe kann jetzt die freien Wahlen nicht mehr aufschieben. Er weiß auch, dass er bei den freien Wahlen durchfallen wird.«

In Westberlin wird die Viermächtekonferenz vom größten Teil begrüßt, jedoch sind die Meinungen sehr unterschiedlich. Nur ein Teil erkennt, dass die Initiative zur Verständigung von der SU ausgeht. Ein großer Teil hofft auf eine friedliche Lösung der Deutschlandfrage. Vielfach zweifelt man an einer erfolgreichen Verhandlung, da der Amerikaner nicht daran interessiert sei. Ein Eisenbahner aus Westberlin äußerte dazu: »Es wird Zeit, dass endlich die vier Großmächte zu einer Einigung kommen, denn letzten Endes haben wir als Deutsche den Erfolg davon. Gerade bei uns in Neukölln ist die amerikanische Unkultur ziemlich fortgeschritten, sodass abends das Betreten der Straßen mit Gefahr verbunden ist.«

Ein Eisenbahner, ehemals in der UGO,12 jetzt im FDGB organisiert, sagte: »Ich habe schon beim UGO-Streik13 festgestellt, dass die Politik der westlichen Herren nicht die richtige ist. Ich begrüße die Zusammenkunft zum Vierertreffen und glaube, weil die Zusammenkunft in Westberlin stattfinden soll, an ein volles Gelingen.«

Von einem fortschrittlichen Pfarrer wird die Konferenz begrüßt und erklärt, »dass die Amerikaner nach wie vor bei ihrem ›Nein‹ bleiben werden. Sie werden den Sowjetvertretern irgendwelche Bedingungen stellen, die selbstverständlich von ihnen abgelehnt werden müssen. Damit haben die Amerikaner wie üblich eine Handhabe, zu erklären, dass die SU gegen eine Verständigung sei.«

Von einem kleinen Fabrikanten wird der Vorschlag zur Außenministerkonferenz begrüßt und erklärt, dass es endlich der SU gelungen sei, den Amerikaner dazu zu zwingen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Den Franzosen und Engländer müsse man ebenfalls lobend erwähnen, denn sie haben mit dazu beigetragen.

Eine Hausfrau aus Berlin-Tegel äußerte: »Es wird nun höchste Zeit, dass man sich über die Zusammenlegung von Ost- und Westdeutschland einig wird. Wenn wir auch nicht hungern müssen, so bleibt es doch für jeden Deutschen ein bedrückendes Gefühl, wenn Deutschland in zwei Teile gespalten ist. An Krieg glaubt heute niemand mehr, weil es nicht mehr Sieger noch Besiegte geben kann. Ein Krieg würde beiden Seiten nur zum Nachteil gereichen oder auch sie würden sich gegenseitig zugrunde richten. Die Welt wünscht den Frieden und er wird kommen.«

Ein Teil behauptet, die Konferenz sei der Initiative der Westmächte zu verdanken. Viele zweifeln auch deshalb am Erfolg der Verhandlungen, weil sie nicht von dem ehrlichen Friedenswillen und der Verständigungsbereitschaft der SU überzeugt sind.

Ein Handwerksmeister erklärte z. B., dass in Gesprächen mit seinen meist in freien Berufen oder als leitende Angestellte tätigen Kunden das Zustandekommen einer Außenministerkonferenz begrüßt wurde. Die Kunden haben aber gleichzeitig ihre Bedenken darüber geäußert, dass die Sowjetdelegierten auf die Vorschläge der Westmächte doch nicht eingehen werden und es deshalb auf der Konferenz zu keinem Erfolg kommen wird.

Von einer Angestellten wird erklärt: »Glauben Sie wirklich, dass es zu einer Einigung kommt? Ich nicht. Es wird wieder ein Theater werden wie immer. Beide Partner meinen es ehrlich, jeder will das arme Deutschland retten und befreien, natürlich nach eigenem Muster. Auf das Östliche verzichten wir gern. Bei einer freien Wahl, zu der es wohl nie kommt, würde eure Seite pleite machen.«

Ein Arbeiter aus Berlin-Tempelhof äußerte: »Wenn bloß bald eine Einheit würde, aber ich glaube nicht mehr an eine Einigung mit dem Osten. Die geben doch nichts auf. Wenn man bedenkt, dass jetzt auf einmal die ganzen HO-Läden verschwinden sollen und das alles frei wie im Westen sein soll, daran glaube ich nicht.«

Von einem Arbeiter wurde erklärt: »Nun kommt wohl das Vierertreffen endlich zustande, dass die Westmächte schon immer herbeigesehnt haben. Aber die SU hat ihre Teilnahme immer abgelehnt. Wir sind ja sehr überrascht, über die plötzliche Zusage der SU. Hoffentlich machen die Sowjets nicht wieder einen Zurückzieher [sic!] und sagen ›Njet‹.«

Einige Westberliner Zeitungsreporter vertraten die Ansicht, dass die Außenministerkonferenz mit dem gleichen Ergebnis enden werde, wie die vorangegangenen. Sie meinen, dass die Amerikaner die EVG14 so oder so verwirklichen werden. Sie »befürchten«, dass die Frage Berlins zugunsten der SU entschieden werden könnte und zwar deshalb, weil die Inkraftsetzung des EVG-Vertrages bzw. des sogenannten Deutschlandvertrages15 automatisch einen separaten Friedensvertrag zwischen der SU und DDR zur Folge haben würde. Eine Verbindung zwischen Westberlin und Westdeutschland, wie sie zzt. besteht, würde dann nicht mehr bestehen, und Westberlin würde in die DDR eingegliedert werden.

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