Analyse vom 1. bis 15. Mai 1954
22. Mai 1954
Analyse vom 1. Mai 1954 bis 15. Mai 1954 [Nr. 9/54]
Der 1. Mai [1954]
Die diesjährigen Maifeierlichkeiten zeigten fast ausschließlich einen guten Verlauf. Hervorzuheben ist besonders die starke Beteiligung an den Demonstrationen und Kundgebungen. Im Vergleich zum Vorjahr war die Beteiligung zum überwiegenden Teil größer oder ist zumindest, wie in Berlin, auf dem gleichen Stand geblieben. Verschiedentlich wurde zum Ausdruck gebracht, dass man solche gewaltigen Demonstrationen noch nicht gesehen hat. Im Bezirk Magdeburg beteiligten sich 1953 – 330 000 Personen und 1954 – 450 000. Im Bezirk Frankfurt betrug die Teilnehmerzahl 1953 – 85 000 und 1954 – 134 000 Personen.
Hier einige Beispiele, wie man über die Demonstration und über die Kundgebungen diskutierte: Der Vorsitzende der LDPD des Kreises Zossen, [Bezirk] Potsdam: »Ich bin ganz erstaunt darüber, dass Ludwigsfelde eine so hervorragende Mai-Demonstration auf die Beine gebracht hat. Auch unsere Parteifreunde sind der Meinung, dass so eine wirkungsvolle Demonstration noch nie da war.« Ein Arbeiter aus Frankfurt/Oder: »Heute sieht man wieder richtig, dass Einigkeit stark macht. Ich freue mich über die machtvolle Demonstration gegen Krieg und Faschismus. Eine solche habe ich in Frankfurt noch nicht gesehen.«
Durch die mitgeführten Fahnen, Transparente, Bilder und geschmückten Wagen und Fahrzeuge boten die Demonstrationszüge gegenüber dem Vorjahr ein farbenprächtigeres Bild. In den Losungen und Karikaturen wurde besonders zum Kampf gegen EVG,1 gegen Atom- und Wasserstoffbomben, für Frieden und Einheit aufgerufen.
Allgemein war bei den an der Demonstration beteiligten Personen eine positive Stimmung festzustellen. Stürmisch wurden teilweise westdeutsche Delegationen und die Kampfgruppen der Betriebe begrüßt.2 Ein parteiloser Hauer aus dem »Martin-Hoop«-Werk in Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »So habe ich mir den 1. Mai [1954] nicht vorgestellt. Ich bin immer gegen Demonstrationen gewesen, aber heute bin ich dafür. So schön war es noch nie. Diese Überzeugung haben auch die Kumpels aus dem Westen.« Eine Arbeiterin aus dem Karl-Marx-Werk in Zwickau,3 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich werde jetzt noch mehr als bisher meine Kraft einsetzen, um unsere friedliche Aufbauarbeit noch schneller voranzubringen.«
In einigen Betrieben zeigten sich teilweise Stimmungen, in denen Verärgerung und Missbilligung über die Auszeichnungen und Prämierungen zum 1. Mai 1954 zum Ausdruck kamen. Zum Teil machten sich auch Tendenzen der Gleichmacherei bemerkbar. Ein Arbeiter aus dem Kalk- und Zementwerk Rüdersdorf, [Bezirk] Frankfurt: »Es wurden zwar allerhand ausgezeichnet und prämiert, aber die höchsten Prämien bekommen die, die auch die höchsten Gehälter haben, nämlich die von der Verwaltung. Es müsste jeder etwas mehr verdienen, dann könnte man das Prämiensystem abschaffen.«
Ein Rohrleger vom VEB Kali-Chemie Berlin: »Hier werden nur die prämiert, die viel Wind machen. Ob sie eine gute Arbeit leisten, spielt keine Rolle. Aber solche Kollegen können nur in einem VEB beschäftigt sein. Im Privatbetrieb wären sie wegen schlechter Arbeit schon lange rausgeflogen.«
8. Mai4 [1954]
Zu Ehren des 8. Mai [1954] wurden in allen Bezirken Kranzniederlegungen und Veranstaltungen durchgeführt. Die Beteiligung der Bevölkerung war meist besser als im Vorjahr. Hierzu einige Beispiele: In Parchim, [Bezirk] Schwerin, nahmen 1954 – 2 100 Personen [teil], gegenüber 1953, wo nur 1 700 Personen sich an den Kranzniederlegungen beteiligten. In Burg, [Bezirk] Magdeburg, beteiligten sich 1954 – 6 000 Personen und 1953 nur 4 500. In Berlin am Treptower Ehrenmahl beteiligten sich ca. 10 000 Personen an der Kranzniederlegung.
Im Allgemeinen wurde in allen Bevölkerungsschichten wenig über den 8. Mai [1954] diskutiert. Der überwiegende Teil der Stimmen war von fortschrittlichen Arbeitern. Darin wurde besonders der Kampf der SU gegen den Faschismus hervorgehoben und anerkannt. Ein Arbeiter aus den Rathenower Optischen Werken, [Bezirk] Potsdam: »Das Vertrauen unserer Bevölkerung zur SU steigt ständig. Das zeigt die große Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 8. Mai [1954]. Ausschlaggebend sind die unablässigen Bemühungen der SU um die Erhaltung des Friedens, vor allem im Kampf gegen die Wasserstoff- und Atombomben, sodass auch die deutsche Bevölkerung immer mehr erkennt, das nur im festen Bündnis mit der SU den amerikanischen Kriegstreibern das Handwerk gelegt werden kann.«
Vereinzelt wurden feindliche Argumente über den 8. Mai [1954] verbreitet. Ein Maschinist (früherer Dampferbesitzer) von der Schiffswerft Fürstenberg, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Wie kann das ein deutscher Feiertag sein? Wer macht ihn denn? Wir bestimmt nicht. Ich habe nicht vergessen, wie die Russen 1945 die Frauen vergewaltigt haben, keine Kultur verstanden und uns von Haus und Hof befreit haben. Heute ist es bald noch schlechter als bei Hitler.« Ein Landarbeiter aus dem VEG Nuhnen, [Bezirk] Frankfurt/Oder: »Uns hat man von vielen Dingen befreit. Nicht einmal den Frieden haben wir nach neun Jahren Kriegsende. Sollen wir noch feiern, dass mit uns politisch gespielt wird? An den Russengräbern werden Kränze niedergelegt, an unsere Soldaten denkt keiner.«
Die Friedensfahrt5
Starkes Interesse zeigt sich an der VII. Radfernfahrt für den Frieden besonders dort, wo die Friedensfahrer durchfuhren. Hauptstoff der Diskussionen war die sportliche Seite der Friedensfahrt und an 1. Stelle die Reifen- und Maschinenschäden der deutschen Fahrer.6 Im Zusammenhang hiermit sprach man oft davon, dass es sich hierbei um Sabotage handeln würde. Über die politische Bedeutung der Friedensfahrt wurde nur ganz selten gesprochen. Ein Arbeiter aus dem IFA-Phänomenwerk Zittau, [Bezirk] Dresden: »Ich kann nicht verstehen, dass unsere Fahrer so eine Pleite erleben müssen. Hier muss doch irgendeine Sabotage vorliegen.« Ein Reichsbahnarbeiter aus Frankfurt/Oder: »Immer wieder haben unsere Pannen, wie überall in unserer Wirtschaft. Entweder ist unser Material schlecht, oder es wird Sabotage geübt.«
Die Genfer Konferenz7
Während der Berichtsperiode stand die Genfer Konferenz im Mittelpunkt der nur im geringen Maße geführten politischen Diskussionen. Meist äußerten sich Arbeiter, weniger Angestellte und in noch geringerem Maße Intelligenzler. Innerhalb der Landwirtschaft und der übrigen Bevölkerung waren die Diskussionen geringer als in der Industrie. Der überwiegende Teil der Meinungen war positiv. Man hoffte auf eine Entspannung der internationalen Lage und im Zusammenhang damit auf Beschlüsse zum Verbot der Atom- und Wasserstoffwaffen. Zum Teil wurde die Teilnahme Chinas an der Konferenz begrüßt.8
Teilweise wurden Zweifel an einem Erfolg der Konferenz geäußert, wobei meist gesagt wurde, dass die Genfer Konferenz ähnlich wie die Berliner Konferenz »erfolglos« verlaufen würde.9 Nur ganz vereinzelt traten feindliche Äußerungen in Erscheinung.
Produktionsschwierigkeiten
In einer Reihe Betriebe traten in der Berichtsperiode weiterhin Produktionsschwierigkeiten auf. Dabei hat sich das Ausmaß nicht wesentlich verändert. Einen Schwerpunkt bilden weiterhin die Werften im Bezirk Rostock. Die Ursachen sind ebenfalls die gleichen geblieben, wie Materialmangel, unregelmäßige Materiallieferungen von den Zubringerbetrieben sowie schlechte Qualität, besonders bei Gussteilen.
Mangel an HO-Fleischwaren
Während der Berichtszeit war die kartenmäßige Belieferung gesichert. Schwierigkeiten ergaben sich in allen Bezirken in der unzureichenden Versorgung der Bevölkerung mit HO-Fleischwaren. Zum Beispiel wurde der Stadt Magdeburg das Bedarfssoll von 100 t auf 36 t herabgesetzt. Im Kreis Greiz, [Bezirk] Gera, wurde das Kontingent um 50 Prozent und im Kreis Torgau, [Bezirk] Leipzig, um 66 Prozent gekürzt.
In den Diskussionen, die von der Bevölkerung darüber geführt werden, kommt größtenteils zum Ausdruck, dass der Grund dafür in dem bevorstehenden II. Deutschlandtreffen gesucht wird.10 So erklärte ein Arbeiter aus Potsdam: »Es gibt bei uns kaum Fleisch und Wurst. Man muss schon mit trocken Brot zur Arbeit gehen. Das ist bloß wegen dem Deutschlandtreffen, weil sie dafür jetzt schon alles speichern.« Eine Hausfrau aus Cottbus: »Der Mangel an HO-Fleisch ist darauf zurückzuführen, dass man alles für das Deutschlandtreffen lagert. Da soll man so ein Treffen nicht durchführen und lieber der Bevölkerung die Waren zur Verfügung stellen.«
Vereinzelt wurden Äußerungen bekannt, die auf einen neuen 17. Juni [1953] hinweisen. Zum Beispiel sagte ein Arbeiter aus dem Kreis Potsdam: »Ein Jahr ging es gut, nun kommt wahrscheinlich bald wieder ein neuer 17. Juni.« Die Argumente lassen erkennen, dass die Bevölkerung ungenügend über die HO-Fleischwarenverknappung aufgeklärt worden ist.
Landwirtschaft
Die Schwierigkeiten in der Futtermittelbeschaffung und in der Düngemittelzuteilung hielten in dieser Berichtsperiode weiterhin, ähnlich wie im April, an. So z. B. geben in der LPG Wiesendorf, [Kreis] Cottbus, durch die Futterknappheit die Kühe täglich nur noch 25 l Milch.
Bei der Düngemittelzuteilung wird immer wieder bemängelt, dass sie nicht nur unzureichend, sondern auch oft zu spät erfolgt. So z. B. erklärte ein Bauer aus Hagenow, [Bezirk] Schwerin: »In Zukunft muss unbedingt erreicht werden, dass bis spätestens 15. März die Düngemittel vollständig geliefert werden, besonders Phosphor und Stickstoff. Jetzt erfolgt die Belieferung mitunter erst zur Ernte oder überhaupt nicht.«
Republikflucht
Nach den Feststellungen der VP ist im April ein geringer Rückgang der Republikflucht gegenüber dem Monat März zu verzeichnen. Dagegen ist die Zahl der Rückkehrer und Zuzüge in der gleichen Zeit etwas gestiegen.
März: Flüchtlinge 13 299, Rückkehr und Zuzug 5 052.
April: Flüchtlinge 12 711, Rückkehr und Zuzug: 5 541.
Zu beachten ist, dass sich unter den 121 im April geflüchteten Angehörigen der Intelligenz allein 65 Ingenieure befinden.
II. Deutschlandtreffen
Unter den fortschrittlichen Jugendlichen standen die Vorbereitungen zum II. Deutschlandtreffen im Vordergrund. Im Allgemeinen ist die Stimmung der Jugendlichen, die am II. Deutschlandtreffen teilnehmen werden, gut. Jedoch ist die Begeisterung nicht so groß wie zu den II. Weltfestspielen.11 Die uns bekannt gewordenen positiven Stimmen sind größtenteils von organisierten Jugendlichen. Die übrige Bevölkerung zeigt kein besonders großes Interesse.
Ein Traktorist von der MTS Frankfurt/Oder: »Das Deutschlandtreffen hat eine große Bedeutung für den Frieden und die Einheit Deutschlands. Viele Jugendliche aus Westdeutschland werden daran teilnehmen. Das beweist die Bildung eines Ausschusses Westdeutscher Jugendlicher in Düsseldorf für das Deutschlandtreffen.«12 Ein Jugendlicher vom VEB Märkische Ölwerke Wittenberge, [Bezirk] Schwerin: »Ich begrüße besonders, dass die Jugend aus Westdeutschland an diesem großen Treffen teilnimmt. Dadurch haben sie die Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, was bei uns für die Jugend getan wird und dass die Jugend in der DDR den Willen hat, die Einheit Deutschlands herzustellen bzw. dafür zu kämpfen.«
Die im verhältnismäßig geringen Umfang bekannt gewordenen negativen Stimmen drücken zum Teil Interesselosigkeit aus und verschiedentlich zeigt sich eine feindliche Beeinflussung. Interesselosigkeit zeigt sich besonders an den Ober- und Hochschulen. Ein Jugendlicher aus Frankfurt/Oder: »Wegen mir können zehn Deutschlandtreffen durchgeführt werden. Das interessiert mich nicht, ich fahre ja doch nicht mit.« In der Universität Greifswald, [Bezirk] Rostock, begründen Studenten ihre Nichtbeteiligung damit, dass sie dadurch in ihren Prüfungen gestört werden, wenn ihnen Stunden ausfallen. Von 200 Jugendlichen an der Oberschule Barby, [Bezirk] Magdeburg, trugen sich bis jetzt erst 35 in die Teilnehmerlisten ein.
Des Öfteren lehnen Jugendliche die Teilnahme am II. Deutschlandtreffen ab, weil sie befürchten, nach Westberlin geschickt zu werden, und dass es dort zu Auseinandersetzungen kommen kann.13 Ein Jugendlicher von der Mathias-Thesen-Werft Rostock: »Wozu sollen wir zum Deutschlandtreffen fahren? Nachher werden wir wieder nach Westberlin geschickt und es gibt wieder Prügel.« Ein Jugendlicher aus Steinach,14 [Bezirk] Leipzig: »Es ist besser, man fährt nicht mit nach Berlin, denn dort gibt es bestimmt Reibereien zwischen dem Osten und dem Westen.«
Stand der Werbung für die Teilnahme am 15.5.1954: Dresden 97 Prozent, Wismut15 78,8 Prozent, Gera 70 Prozent, Erfurt nahezu 100 Prozent, Potsdam 87,9 Prozent, Schwerin 63 Prozent, Rostock 75 Prozent, Neubrandenburg 54 Prozent, Cottbus 86,4 Prozent und Magdeburg 80 Prozent. Im Bezirk Halle haben bisher sieben Kreisleitungen, im Bezirk Leipzig neun Kreisleitungen und im Bezirk Suhl sechs Kreisleitungen ihr Soll erfüllt. Im Bezirk Karl-Marx-Stadt betrug das Werbesoll 46 000 und 61 000 Jugendliche haben sich eingetragen. Im Bezirk Frankfurt betrug das Soll 11 000 und gemeldet haben sich 12 000 Jugendliche.
Die Quartierbeschaffung in Berlin ist fast abgeschlossen. In einigen Bezirken in Berlin bemüht man sich, statt den dicht an der Sektorengrenze gelegenen Quartieren, andere Unterkunftsmöglichkeiten zu schaffen.
Feindtätigkeit
Die Verbreitung der Hetzschriften hat sich in der 1. Maihälfte bedeutend verstärkt. Gegenüber der II. Aprilhälfte stieg die Anzahl von 609 000 auf 1 008 000 Flugblätter und Hetzschriften an. Schwerpunkte waren Potsdam 152 550, Neubrandenburg 146 300, Karl-Marx-Stadt 149 500, Erfurt 120 600, Gera 128 900 und Berlin 66 500. In den meisten Fällen handelt es sich um Hetzschriften der NTS,16 SPD-Ostbüro,17 KgU,18 UFJ19 und des CDU-Ostbüros.
Der Inhalt richtete sich zum größten Teil gegen die Viermächtekonferenz, gegen die Vorschläge des Genossen Molotow20,21 gegen den 1. Mai [1954], den IV. Parteitag, das Deutschlandtreffen, Aufforderung zum Langsamarbeiten und Propaganda zum Eden-Plan.22 Von UFJ, SPD und KgU kommt die Aufforderung zur Sabotage, Diversion und Anleitungen zur Schädigung unserer Wirtschaft. [Der] UFJ richtet seine Hetze besonders gegen die fortschrittliche Entwicklung auf dem Lande, wie LPG und MTS und gegen die Eisenbahn. Die KgU ruft offen zur Sabotage und Diversion auf.
Neben dem aufgezählten Material werden immer noch Hetzschriften aus dem Jahre 1953 durch die Agentenzentralen eingeschleust.
Antidemokratische Handlungen, wie Zerstörung von Transparenten und Fahnen sowie das Anschmieren von Hakenkreuzen und Hetzparolen, wurden vereinzelt aus fast allen Bezirken berichtet.
Terrorakte wurden insgesamt in zehn Fällen verübt. Sie richteten sich gegen zwei LPG-Vorsitzende, zwei Funktionäre der FDJ, zwei Funktionäre der SED, einen Bürgermeister, einen Funktionär der DSF, einen Volkspolizisten und einen Sowjetsoldaten.
Diversionshandlungen: insgesamt zwölf. Davon in der Landwirtschaft fünf und in der Industrie sieben.
Vorsätzliche Brandstiftungen wurden aus der Landwirtschaft in zwei Fällen berichtet, aus der Industrie keine. Vermutlich vorsätzliche Brandstiftungen: neun Waldbrände, zwei Scheunenbrände. In der Industrie ein Brand.