Analyse vom 16. bis einschl. 30. April 1954
4. Mai 1954
Analyse vom 16. bis einschl. 30. April 1954 [Nr. 8/54]
Industrie und Verkehr
Über die Genfer Konferenz nahm die Diskussion in der Berichtszeit etwas zu.1 Der Umfang jedoch blieb gering. Meist sprachen fortschrittliche Kräfte und politisch interessierte Arbeiter zu diesem Thema. Von Intelligenzlern wurden nur einzelne Stimmen bekannt. In den Diskussionen wird in der Mehrzahl eine Entspannung der internationalen Lage erhofft. Weiterhin wird eine friedliche Lösung der Lage in Ost-Asien erwartet. Im Zusammenhang damit wird die Teilnahme Chinas an der Konferenz begrüßt.2 Vereinzelt wird gewünscht, dass auch Beschlüsse zum Verbot der Atom- und Wasserstoffbomben in Genf gefasst werden.3 Ein Arbeiter vom VEB Kaliwerk »Thomas Müntzer«, Kreis Worbis, [Bezirk] Erfurt: »Ich bin der Meinung, dass die Genfer Konferenz die internationale Lage entspannen wird und damit der Frieden erhalten bleibt.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Teerverarbeitungswerk Rostitz, [Bezirk] Leipzig: »In Berlin wurden die Westmächte gezwungen,4 eine neue Konferenz in Genf anzusetzen, um eine internationale Entspannung in Bezug auf die Indochina- und Korea-Frage zu erreichen. Dort können sie gezwungen werden, China anzuerkennen. China aber ist der Garant des Friedens im fernen Osten.« Einige Kollegen im Wirtschaftsbetrieb des Buna-Werkes erwarten von der Konferenz Beschlüsse zum Verbot der Atom- und Wasserstoffbombe. Weiterhin fordern sie, dass endlich mit dem Krieg in Indochina Schluss gemacht wird.
Teilweise wird von Arbeitern, weit mehr aber von Angestellten an einem Erfolg der Konferenz gezweifelt, indem sie Vergleiche mit der Berliner Konferenz ziehen und sagen, dass die Berliner Konferenz ebenfalls nichts gebracht hätte. Ein Angestellter aus dem VEB Phänomen in Zittau, [Bezirk] Dresden: »Was interessiert mich die Genfer Konferenz. Es ist bei der Außenministerkonferenz in Berlin nichts herausgekommen und jetzt wird in Genf dasselbe sein.« Ein Kumpel vom Wismut-Schacht Lichtenberg,5 [Bezirk] Gera: »Die Genfer Konferenz bringt auch nichts Positives. Sie wird ebenso enden, wie die Berliner Außenministerkonferenz.«
Negative Diskussionen wurden nur ganz vereinzelt mit unterschiedlichen Argumenten geführt. Ein Arbeiter aus dem VEB Baumwollspinnerei Karl-Marx-Stadt: »Die werden sich nie einig werden. Der eine will den Kapitalismus und der andere den Kommunismus. Der ›Russe‹ führt große Worte und hat doch nur einmal Angst. Die werden drüben schon wissen, was sie wollen, die verdummen ja nur den ›russischen‹ Außenminister.«
Eine Arbeiterin aus Waltershausen, [Bezirk] Erfurt: »Alle Konferenzen haben keinen Sinn. Solange die da oben sitzen und die Sahne abschöpfen, bleibt für uns sowieso nichts übrig. Man muss einmal die Westsender hören. Die bringen wenigstens die Wahrheit, aber unsere schwindeln.«
Ein Arbeiter vom VEB IFA Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Was nützen uns alle politischen Referate und die Genfer Konferenz, wenn wir kein HO-Fleisch bekommen. Von politischen Worten werden wir nicht satt. Die haben nur alle die große Fresse und wir müssen das bezahlen.«
Ein Ingenieur aus dem VEB Jenapharm, [Bezirk] Gera: »Ohne Krieg geht es nicht ab, eine Auseinandersetzung zwischen den Westmächten, der SU und China kommt. Aber wir in Europa können unbesorgt sein, denn Truman6 hat gesagt, Europa wird in einem kommenden Krieg verschont, da man es ja braucht.«
Zu den Vorbereitungen zum 1. Mai [1954] wurden erst gegen Ende der Berichtsperiode Beispiele bekannt, worin zu Ehren des 1. Mai [1954] Verpflichtungen in der Produktion übernommen wurden. In verschiedenen Betrieben traten negative Diskussionen zu den Vorschlägen über Prämiierungen und Auszeichnungen auf. Hierbei wurden Tendenzen der Gleichmacherei und der nur fachlichen Bewertung vertreten. Im VEB Zeiss Jena, [Bezirk] Gera, Abteilung Foto, vertraten alle Kollegen die Meinung, dass die Prämien für jeden Arbeiter gleichmäßig verteilt werden müssten. Ein Schlosser aus dem Zementwerk Steudnitz, [Bezirk] Gera: »Zur Aktivistenauszeichnung kommen ja nur Kollegen infrage, die den Parteifritzen hinterherrennen.«
Ein Arbeiter vom Betrieb 11 des »Ernst-Thälmann«-Werkes in Magdeburg:7 »Weil ich politisch nicht tragbar sei, bin ich abgelehnt worden. Wenn der Laden mal umkippt, hänge ich 17 Mann auf.« Ein leitender Intelligenzler aus der Halle C 17 der Buna-Werke: »Ich hoffe, dass es das nächste Mal nicht wieder vorkommt, dass die Aktivisten nach gesellschaftlicher und politischer Arbeit ausgezeichnet werden. Ich kann keine Schreier gebrauchen, wie es die meisten Funktionäre sind. Ich brauche Arbeiter, die etwas tun.«
Produktionsschwierigkeiten traten in der Berichtspierode weiterhin ein. In den Bezirken Schwerin, Dresden, Erfurt, Frankfurt/Oder, Gera und dem Wismutgebiet hatten sie keine wesentlichen Ausmaße, während sie in den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Leipzig und Potsdam etwas größeren Umfang hatten. Einen Schwerpunkt bildeten die Werften im Bezirk Rostock. Die Ursache waren meist Mangel an Materialien, unregelmäßige Materiallieferungen sowie schlechte Qualität (besonders bei Gussteilen).
Im VEB Strumpfwerk »KAMA« in Zwönitz,8 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, mussten 38 Wirkmaschinen stillgelegt werden, da von der VVB ein Kontingent von 7 t Kunstseide gestrichen wurden. 63 Arbeiter wurden beurlaubt.
Im VEB THEWA Langschrauben Jüterbog,9 [Bezirk] Potsdam, fehlen Kant- und Rundeisen, wodurch sechs Maschinen nicht arbeiten können. Wenn in den nächsten Tagen kein Material kommt, müssen 20 Maschinen stillgelegt werden.
In der Peene-Werft [Wolgast] fehlen 230 t Walzmaterialien, wodurch laufend Produktionsstockungen eintreten.
Im »Ernst-Thälmann«-Werk Magdeburg liegen im Betrieb I, in der Härterei sechs Glühöfen still, da die notwendigen Ersatzteile nicht beschafft werden konnten.
Im IFA-Werk Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, bestehen nach wie vor Materialschwierigkeiten.
Das Walzwerk Hettstedt lieferte bis zum 3.5.1954 noch kein Buntmetall für das II. Quartal 1954.
Im VEB EMW Eisenach10 ist die Produktion in der II. Hälfte des Aprils um 20 Prozent zurückgegangen, weil die Materiallieferungen stocken.
Im VEB Wälzlagerfabrik Berlin war der größte Teil von 100 000 gelieferten Kegelrollen aus der Wälzlagerfabrik Bad-Liebenstein,11 [Bezirk] Suhl, Ausschuss.
Im VEB Schuhmann & Co. Leipzig12 konnte wegen zu hoher Ausschussquote der Plan für Monat April nur mit 80 Prozent erfüllt werden.
Im VEB Elektro-Maschinen Oschersleben,13 [Bezirk] Magdeburg, bestehen große Produktionsschwierigkeiten, da die VEB Spritzgusswerke Harzgerode sehr viel Ausschuss liefern.
Handel und Versorgung
Während der Berichtsperiode wurde aus den Bezirken immer wieder über eine ungenügende Versorgung der Bevölkerung mit HO-Fleischwaren berichtet. Zum Beispiel wurden für den Bezirk Karl-Marx-Stadt im Monat April 1/3 des Kontingentes vom Ministerium für Handel und Versorgung gekürzt und für den Monat Mai sollen nur 50 Prozent der bisherigen Mengen geliefert werden.
Landwirtschaft
Von der Landbevölkerung wird wenig zu politischen Tagesfragen Stellung genommen, meist nur von LPG-Mitgliedern, Arbeitern und Angestellten der VEG und der MTS. Im Vordergrund standen Diskussionen über die Genfer Konferenz und über die amerikanischen Wasserstoffbombenexperimente, zwar nur im geringen Maße, aber überwiegend positiv. Zum Beispiel äußerte der Vorsitzende der LPG Mücheln, [Bezirk] Halle: »Es ist wichtig, dass der 1. Mai [1954] als Hauptaufgabe die Ächtung der radioaktiven Waffen vorsieht, da gerade der Bauer am meisten darunter zu leiden hätte.«
Zur Genfer Konferenz sagte ein Traktorist der MTS Krölpa, [Bezirk] Gera: »Die Konferenz wird hoffentlich zur Entspannung der internationalen Lage beitragen. Wenn auch die Westmächte versuchen werden, die Konferenz zum Scheitern zu bringen, das wird ihnen aber aufgrund von Protesten aus aller Welt nicht gelingen.«
Nur ganz vereinzelt wurden negative Stimmen zur Genfer Konferenz und zu den amerikanischen Atom- und Wasserstoffexperimenten bekannt. Sie stammten meist von Einzelbauern. So z. B. äußerte ein Bauer aus Silberhausen, [Bezirk] Erfurt: »Bischof Dibelius14 vertritt den richtigen Standpunkt der Christen.15 Die Wasserstoffbombe ist eine Waffe, die aber auch im Interesse der Kirche eingesetzt werden kann. Die Experimente der Amerikaner zeigen, dass sie im Besitz der besten Waffen der Welt sind.«
Ein Mittelbauer aus Merkendorf, [Bezirk] Gera: »Die werden sich in Genf ja doch nicht einig. Die ›Russen‹ wollen doch nur ihre Ansichten durchsetzen. Die westlichen Staaten müssen sich alle einigen und die ›Russen‹ unter Druck setzen, damit endlich einmal Schluss wird.«
Die Schwierigkeiten in der Frühjahrsbestellung wurden vielfach überwunden. Die verschiedentlich auftretenden Mängel bestanden meist in der ungenügenden Bereitstellung von Saatgut sowie in der Belieferung mit Düngemitteln. Zum Beispiel fehlt es in allen Kreisen des Bezirkes Magdeburg an genügend Dünger. Darüber äußerte ein Mittelbauer aus Andorf,16 [Bezirk] Magdeburg: »Die BHG sagt immer, es ist nichts da, es kommt aber noch etwas. Wir müssen aber den Dünger zur rechten Zeit haben, dann können wir auch die bestmöglichsten Erträge herausholen. Wir sind an unseren Boden gebunden und von der Witterung abhängig und die Regierung muss dafür sorgen, dass der Dünger rechtzeitig da ist.«
Über den Mangel an Saatgut äußerte ein Landarbeiter aus Garz, [Bezirk] Rostock: »Im Herbst werden alle Kartoffeln erfasst und jetzt fehlt in allen Ecken das Saatgut. Überall wo man mit Bauern zusammenkommt herrscht eine miese Stimmung. Von vielen wird zum Ausdruck gebracht, dass sie bei Nichterfüllung des Solls vielleicht im Herbst eingesperrt werden und dabei trifft sie gar keine Schuld.«
Während der Berichtsperiode wurde aus den Bezirken immer wieder über Futterknappheit berichtet. Das VEG Beuthen17 verfügt z. B. nur noch über 30 Zentner Futter für 1 200 Schweine. Durch den Futtermangel verendete in der LPG Seehausen, [Bezirk] Magdeburg, fast jeden zweiten Tag ein Ferkel und 20 tragende Sauen mussten verkauft werden, obwohl ein Sollrückstand von 700 dz Schweinefleisch zu verzeichnen ist.
Übrige Bevölkerung
Im Vordergrund der politischen Diskussionen standen das Verbot der Atom-Waffe sowie die Genfer Konferenz. In diesen Diskussionen sprachen sich meist Hausfrauen und Angestellte gegen die Anwendung der furchtbaren Massenvernichtungsmittel und gegen die USA aus. Hierzu einige Beispiele: Eine Hausfrau aus Neupoderschau,18 [Bezirk] Leipzig: »Die Amerikaner mit ihrem provokatorischem Verhalten wollen doch nur einen neuen Weltkrieg vom Zaune brechen. Das wird ihnen aber nicht gelingen, denn die ganze Weltöffentlichkeit verurteilt die Experimente mit der Wasserstoffbombe.« Ein Angestellter aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn Dibelius behauptet, es sollen noch mehr Wasserstoffbomben erzeugt werden, denn nur so wäre die Sicherheit Europas gewährleistet, dann muss man das als ein Verbrechen an der Menschheit bezeichnen, denn eine einzige Bombe wäre schon das Verhängnis für ganz Deutschland.«
Die Meinung zur Genfer Konferenz unter der übrigen Bevölkerung war meist positiv. Darin wurde die Teilnahme Chinas an der Konferenz begrüßt. Eine Hausfrau aus Mellenbach, [Bezirk] Suhl: »Ich sehe es als einen Erfolg an, dass die Konferenz in Genf überhaupt zustande kam und vor allem, dass China daran teilnimmt. Das ist ein großer Sieg des Friedenslagers.«
Ein geringer Teil äußerte sich skeptisch und bezweifelte den Erfolg der Konferenz. Zum Beispiel eine Hausfrau aus Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt: »Von Berlin habe ich allerhand erwartet. Jedoch nach dem Ausgang dieser Konferenz gibt es fast keine Hoffnung mehr auf ein friedliches Übereinkommen zwischen den Ost- und West-Staaten, jeder versucht eben sein Geschäft zu machen.«
Im Mittelpunkt der Diskussionen der übrigen Bevölkerung standen wirtschaftliche Fragen, wobei die schlechte Fleischversorgung auf HO-Basis einen größeren Rahmen einnimmt. Dabei herrscht Unzufriedenheit, weil die Menschen nicht verstehen, dass nicht genug Fleisch zur Verfügung steht. Eine Hausfrau aus Frankfurt/Oder äußerte sich: »Warum ist die vorhandene Ware schnell vergriffen? Es gab doch schon früher Jugendtreffen, da hat man nichts gemerkt, dass vorher das Fleisch aus dem Verkauf gezogen wurde.19 Im neuen Kurs müsste das anders aussehen.«20
Im HO-Warenhaus in Leipzig brachten einige Kunden zum Ausdruck: »Wir können es nicht verstehen, dass es gerade nach dem VI. Parteitag der SED21 zu solchen Schwierigkeiten in der Fleischversorgung kommen kann.«
Ein Lkw-Fahrer aus Angermünde, [Bezirk] Frankfurt: »Wir Fahrer sind oft lange unterwegs und die Bockwurst war immer eine gute Zusatznahrung. Der neue Kurs müsste eigentlich anders aussehen, nach den Worten unserer Regierung. Auf eine falsche Planung gebe ich nichts, denn so oft kann man sich gar nicht verplanen. Wir haben eben zu wenig oder man will uns die großen Mengen Fleischkonserven andrehen. Die müssten doch eigentlich aus dem vergangenen Jahr gelernt haben.«
Feindtätigkeit
Die Verbreitung von Flugblättern und Hetzschriften hat sich in der 2. Aprilhälfte etwas verstärkt. Gegenüber 577 000 Flugblättern und Hetzschriften in der 1. Aprilhälfte stieg die Anzahl auf 609 000 Flugblätter und Hetzschriften an. Schwerpunkte waren Berlin (150 000), Potsdam (108 000), Frankfurt (82 000), Dresden (48 000), Cottbus (63 000). Diese Hetzschriften wurden meist mit Ballons, teilweise noch gebündelt eingeschleust und durch Suchkommandos sofort sichergestellt.
In den meisten Fällen handelt es sich um Hetzschriften des Ostbüros der SPD,22 NTS,23 KgU,24 UFJ25 und des Ostbüros der CDU. Zum großen Teil richtet sich der Inhalt dieser Hetzschriften gegen die Vier-Mächte-Konferenz und gegen die Ausführungen des Genossen Molotow.26 Demgegenüber werden »Freie Wahlen« nach dem Eden-Plan propagiert27 sowie auch Hetzschriften zum 1. Mai [1954].
Vom Ostbüro der SPD und KgU wurden in der Berichtsperiode Hetzschriften herausgegeben, die sich besonders gegen den 1. Mai [1954] als Kampftag der Werktätigen richteten.
Von der SPD, KgU und UFJ wird zur »Langsamarbeit« in unseren Betrieben aufgefordert sowie Anleitung gegeben, wie unsere Wirtschaft geschädigt werden kann.
Vom UFJ wird in den Hetzschriften besonders gegen die fortschrittliche Entwicklung auf dem Lande (LPG) gehetzt. Ähnlich ist es auf dem Gebiete der Eisenbahn.
Von der KgU wurde offen zu Sabotage und zu Diversionshandlungen aufgerufen. Neben diesen aufgeführten Hetzschriften werden immer noch Auflagen aus dem Jahre 1953 von den Agentenzentralen28 eingeschleust.
Antidemokratische Handlungen und Schmierereien wie Zerstörung von Transparenten und Fahnen sowie Anschmieren von Hakenkreuzen29 und Hetzparolen wurden vereinzelt aus fast allen Bezirken berichtet. Terrorfälle wurden insgesamt acht bekannt. Diese richteten sich gegen zwei Funktionäre der SED, drei Vorsitzende der LPG und einen Funktionär der FDJ, einen Angehörigen der KVP und einen Angehörigen der VP.
Diversionshandlungen wurden in 13 Fällen bekannt. Vier Fälle in der Landwirtschaft und neun Fälle in der Industrie. Vorsätzliche Brandstiftungen: Davon wurden vier Fälle in der Landwirtschaft bekannt.