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Zur Beurteilung der Situation

4. Januar 1954
Informationsdienst Nr. 2060 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die Übergabe der SAG-Betriebe am 31.12.1953 in die Hände des deutschen Volkes1 wurde von der übergroßen Mehrzahl der Arbeiter, Angestellten und Intelligenz freudig begrüßt, und sie erkannten die große Hilfe der SU an. Verschiedentlich kam es aus diesen Anlässen heraus zu Verpflichtungen. So wurden z. B. im Kirow-Werk Leipzig2 319 Verpflichtungen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität, 600 Verpflichtungen für freiwillige Aufbaustunden in Leipzig, 152 Verpflichtungen zu aktiven Teilnahmen an der Arbeit der Nationalen Front,3 81 Verpflichtungen zur Übernahme von Qualifizierungsverträgen, 16 Kollegen beantragten Aufnahme in die SED und 600 traten der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft bei.4

Einige zweifelnde Stimmen bringen zum Ausdruck, ob jetzt unter deutscher Leitung auch genügend Aufträge und Material vorhanden sein werden. Elektroschweißer vom VEB Polysius Dessau:5 »Ich befürchte sehr stark, dass nach der Übergabe Materialschwierigkeiten eintreten und es an weiteren Aufträgen fehlt. Unsere Werkleitung wird nicht in der Lage sein, das notwendige Material heranzuschaffen.«6

Erfüllung bzw. Übererfüllung des Jahresplanes wurde aus einigen Betrieben berichtet. So z. B. erfüllt VEB Bekleidungswerk Herko Sonneberg, [Bezirk] Suhl, am 29.12.1953 seinen Plan mit 102,5 Prozent. VEB Zellstoffwerk und Papierfabrik Crossen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde am 30.12.1953 mit dem Jahresplan fertig. Die Arbeiter zeigten in den letzten Tagen sehr starkes Interesse am Stand des Planes. Das Braunkohlenwerk Bitterfeld, [Bezirk] Halle, hat den Planrückstand und das Soll bis zum 31.12.1953, 8.00 Uhr, erfüllt. Die Beschäftigten hoffen, dass die Prämie eine befriedigende Verteilung findet.

Unzufriedenheit durch Prämiierung wurde aus dem VEB Waggonbau Bautzen gemeldet. Hier wurde aufgrund der Erfüllung der Reparationsaufträge 1953 bei Weinkühlwagen dem Betrieb eine Prämie von mehreren Tausend DM überreicht. Davon erhielt der Betriebsleiter 1 000 DM Prämie, der Produktionsleiter 900 DM, der Parteisekretär und Vorsitzende der BGL je 500 DM, einige Meister 100 DM. Die Produktionsarbeiter erhielten je 25,00 DM. Dazu wird geäußert: »Diese Prämie hat bei den Kollegen böses Blut gemacht. Haben diese Herren Kollegen dieses Geld so bitter notwendig oder ist ihr Gehalt so niedrig, dass sie auf diese Prämie angewiesen sind?« Dies äußerte ein Arbeiter aus dem Eisenlager.

Stimmung über Außenministerkonferenz7 siehe Anhang.

Handel und Versorgung

Magdeburg berichtet: Alte Bestände an Textilien und Schuhwaren, die bei der DHZ lagern, wurden auf Anweisung von Minister Wach8 auf HO und Konsum aufgeteilt. Dazu ist zu bemerken, dass bei den Handelsorganen bereits hohe Bestände von solchen Waren, die durch ihre Qualität nicht den Wünschen der Bevölkerung entsprachen, lagern und keine Aussicht besteht, diese abzusetzen. Von den Handelsorganen wird Unverständlichkeit geäußert, da im Augenblick um ein verbessertes Warensortiment und Qualitätsware gekämpft wird. Durch diese Aktion entstehen noch höhere Warenbestände, die sich auf den Bankkredit auswirken. Für jeden Warenbestand wird die gleiche Summe Kredit von der deutschen Notenbank verringert, was sich wiederum auf das gesamte Warensortiment auswirkt. Dadurch besteht die Gefahr, dass der private Handel bessere Waren anzubieten in der Lage ist, also HO und Konsum.

Landwirtschaft

Diskussionen über die Viermächtekonferenz treten auch stärker unter der Landbevölkerung in Erscheinung. Hier machen sich die teilweise durchgeführten Aufklärungseinsätze, Versammlungen usw. bemerkbar (Argumentation siehe Anhang).

Einzelbeispiele, wie sich Erfolge der LPG auf die Einzelbauern auswirken, werden aus den Bezirken Potsdam und Leipzig berichtet. So hat sich z. B. die LPG in Stölln, [Bezirk] Potsdam, um zwei Mitglieder (werktätige Bauern), die ihre Wirtschaften in tadellosem Zustand hatten, verstärkt. In Wiesenena,9 [Bezirk] Leipzig, äußerte ein Bauer, dass er mit seinem gesamten Vieh und Land der LPG beitreten möchte.

Zu Ehren des IV. Deutschen Bauerntages10 verpflichteten sich: Die LPG in Lauter, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, 500 kg Fleisch und 600 l Milch dem freien Aufkauf zur Verfügung zu stellen. Weiterhin sollen neun Mastschweine über den Plan gehalten werden. Die LPG in Carlsfeld, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, verpflichtete sich, 15 000 Eier dem freien Aufkauf zur Verfügung zu stellen und ihre Mastverträge von 16 auf 40 zu erhöhen.

Über die bisher noch nicht geklärte Zahlung von SVK-Beiträgen und Leistungen der SVK ist eine gewisse Missstimmung unter den Mitgliedern der LPG »Florian Geyer« (Typ III)11 in Clodra,12 [Bezirk] Gera, zu verzeichnen. Vom Ministerium für Arbeit, Abteilung Sozialwesen, erhielten sie den Bescheid, dass sie noch etwas warten mögen. Inzwischen sind aber schon fünf Monate vergangen.

Verstärkte Austritte aus der VdgB wurden im Kreis Torgau, [Bezirk] Leipzig, besonders im MTS-Bereich Zwethau, festgestellt. In der Gemeinde Arzberg sind z. B. im 4. Quartal 1953 29 Personen ausgetreten.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Die bevorstehende Außenministerkonferenz in Berlin ist unter der Bevölkerung Hauptdiskussionsstoff (siehe Anhang).

Durchgeführte Aussprachen der Nationalen Front mit westdeutschen Besuchern zeigten im Bezirk Leipzig gute Erfolge. In Beucha z. B. waren sämtliche im Ort anwesenden Westdeutschen zu einer Aussprache erschienen. Übereinstimmend wurde erklärt, dass sie überrascht seien von den tatsächlichen Verhältnissen in der DDR.

Über das Verbot der Einreise (5-km-Zone) von westdeutschen Besuchern wird in den Grenzkreisen noch sehr häufig diskutiert.13 So erklärte z. B. eine Angestellte aus Schrampe, [Bezirk] Magdeburg: »Man müsste auch für das Sperrgebiet Erleichterungen schaffen, damit unsere Verwandten aus Westdeutschland uns auch einmal besuchen könnten.«

Organisierte Feindtätigkeit

Flugblätter und Postwurfsendungen wurden in stärkerem Maße im Bezirk Potsdam und geringer in den Bezirken Dresden, Karl-Marx-Stadt, Halle, Gera und Suhl aufgefunden. Der Inhalt ist Hetze gegen die SU und DDR.

Überfall: Am 1.1.1954 gegen Abend wurde ein Mitarbeiter des SfS Beeskow, [Bezirk] Frankfurt/Oder, von vier Jugendlichen überfallen und geschlagen. Die vier Jugendlichen wurden festgenommen.

Beschmieren einer Losung: Im Schulungsraum des »Ernst-Thälmann«-Werkes Magdeburg,14 Betrieb 13, wurde an der Wandtafel eine Losung: »35 Jahre KPD – 35 Jahre Kampf für die Interessen des deutschen Volkes« mit Kreide umgeschrieben auf: »35 Jahre KZ – 35 Jahre Not, Hunger des deutschen Volkes«.

In der Nacht vom 1. zum 2.1.1954 wurde in der Gemeinde Moisall, [Bezirk] Schwerin, an der Milchrampe ein Holzkreuz mit Holzkasten aufgestellt. Das Holzkreuz war beschrieben mit: »Ruhe sanft. Hier ruht die LPG Moisall, geboren Oktober 1952, erkrankt Juni 1953, gestorben 30.12.1953, beerdigt 2.1.1954. Tief betrauert von der Kreisgemeindeverwaltung, beweint von allen Rentnern.«

Vermutlich organisierte Feindtätigkeit

Vergiftung: In der LPG Behrenwalde, [Bezirk] Rostock, erkrankten drei Läuferschweine. Die Untersuchung stellte Vergiftung fest. Dieses Gift wurde im Stall und Umgebung nicht gefunden. Es wird vorsätzliche Vergiftung vermutet.

Einschätzung der Situation

In allen Bevölkerungskreisen steht die Außenministerkonferenz im Mittelpunkt der politischen Gespräche. Der überwiegende Teil hofft auf einen erfolgreichen Verlauf und unterstützt die Bemühungen der SU und der Regierung der DDR sowie die Forderung zur Teilnahme deutscher Vertreter.15 Teilweise wird aufgrund der Politik der Westmächte und des Misserfolgs früherer Konferenzen16 am Erfolg der Konferenz gezweifelt. Direkt negative Diskussionen werden in unverhältnismäßig geringem Umfange geführt.

Anlage vom 4.1.1954 zum Informationsdienst Nr. 2060

Anhang zur Stimmung über die bevorstehende Viermächtekonferenz

Die in der Mehrzahl positiven Meinungsäußerungen zur Viermächtekonferenz in Berlin halten weiterhin an. Die Hoffnung auf eine Verständigung, Abschluss eines Friedensvertrages und Herstellung der Einheit Deutschlands ist Hauptdiskussionspunkt. In diesem Zusammenhang werden die ständigen Bemühungen der SU zur Lösung der deutschen Frage auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens17 immer wieder hervorgehoben. Weiterhin wird der Vorschlag von Genossen Walter Ulbricht,18 Deutsche aus Ost und West zur Viermächtekonferenz einzuladen, positiv aufgenommen, was unter anderem in der Unterschriftensammlung zum Ausdruck kommt.19 Teilweise wird eine Notwendigkeit, den Kampf um die Einheit Deutschlands zu verstärken, auch von parteilosen Personen erkannt. Positiv spiegeln sich die durchgeführten Aufklärungseinsätze [durch] fortschrittliche Elemente in den Betrieben und unter der Bevölkerung wider.

Ein Fördermann aus Freital, [Bezirk] Dresden: »Nur den ständigen Bemühungen der SU sowie unserer Regierung haben wir es zu verdanken, dass nun endlich die Viererkonferenz stattfindet. Ich unterstütze dieselbe mit ganzer Kraft und hoffe, dass nun nach acht Jahren endlich eine Klärung in der deutschen Frage zustande kommt.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Apparatebau Teterow,20 [Bezirk] Neubrandenburg: »Mit Sehnsucht erwarte ich den Tag, wo die vier Großmächte zusammentreten und über Deutschland verhandeln. Der Wunsch aller meiner Kollegen ist, dass es der SU gelingt, Deutschland wieder zu seinem Recht, wie es im Potsdamer Abkommen vereinbart wurde, zu verhelfen.«

Ein Mittelbauer aus Buchheim, [Bezirk] Leipzig: »Wir wünschen alle, dass es endlich zu einer Einigung Deutschlands kommt. Wir sehen, dass die SU alles versucht, um eine Einigung herbeizuführen. Ich kann bloß nicht verstehen, wo da drüben der Haken hängt.«

Ein Traktorist aus Wittstock, [Bezirk] Potsdam: »Es ist nur zu begrüßen, wenn die Westmächte sich endlich bereiterklären nach Berlin zu kommen, um über die deutsche Frage zu verhandeln. Man sieht aber jetzt schon, dass man alles versucht, diese Konferenz zu stören und unmöglich zu machen. Es liegt jetzt an uns, Deutsche aus Ost und West müssen dafür kämpfen, dass die Einheit Deutschlands herbeigeführt wird.«

Ein Kumpel aus dem Steinkohlenwerk Freital, [Bezirk] Dresden: »Ich bin ja gespannt, was die Viermächtekonferenz uns bringen wird. Wir wünschen weiter nichts als eine gute Verständigung.«

Eine Hausfrau aus Dresden: »Ich glaube an die Viererkonferenz und erwarte, dass sie eine große Entspannung bringt, sowie dass es endlich zu einer Einigung kommt.«

Arbeiter aus dem Teerverarbeitungswerk Rositz, [Bezirk] Leipzig: »Der Ausgang der Berliner Konferenz darf uns als Deutsche nicht gleichgültig sein. Die Annäherung der Westmächte zeigt uns,21 dass wir einem Friedensvertrag näherkommen. An uns liegt es nun, den Vorschlag unserer Regierung zu unterstützen und zur Forderung zu erheben, dass eine deutsche Delegation an dieser Außenministerkonferenz teilnimmt.«

Ein Arbeiter aus Potsdam: »Walter22 Ulbricht hat gesagt, dass Deutsche aus Ost und West an der Konferenz teilnehmen sollen. Dies ist auch meine Meinung, denn ohne Deutsche kann man über Deutschland nicht verhandeln. Wenn wir uns alle zusammenschließen, werden wir mit Unterstützung der friedliebenden Völker die Westmächte zwingen, auf friedlichem Wege einen Frieden zu schließen.«

Wie aus dem Bezirk Dresden berichtet [wird], zeigt die Unterschriftensammlung mit der Forderung der Teilnahme einer deutschen Delegation gute Erfolge. In der Gemeinde Sohland z. B. wurden von 5 000 Wahlberechtigten, 5 056 [sic!] Unterschriften abgegeben.23 Trotz dieser positiven Stimmung werden oft Zweifel an dem Erfolg der Viermächtekonferenz geäußert. Hauptargument: »Es wurden schon sehr viele solche Konferenzen durchgeführt, zu einer Einigung kam es bisher jedoch nicht.«

Teilweise treten solche Diskussionen in Erscheinung die besagen, dass die letzte Note der SU (Termin 25.1.1954) eine Verzögerungspolitik sei.24 Solche und andere negative Diskussionen treten jedoch verhältnismäßig nur gering in Erscheinung.

Ein Angestellter aus Rothemühl, [Bezirk] Neubrandenburg: »Meine Ansicht ist, dass es auf der Viermächtekonferenz in Berlin zu keiner Einigung kommt. Den Grund sehe ich darin, dass die Machenschaften des USA-Imperialismus eher auf Ablehnung hindeuten, als den friedlichen Weg zu gehen.«

Ein Bauer aus Ueckermünde, [Bezirk] Neubrandenburg: »Zu einer Einigung wird es in Berlin nicht kommen. Die Außenminister sind sich noch nie einig gewesen. Wenn auch von den Westmächten zugesagt wird, dann halten sie doch nicht die Beschlüsse ein. Die Potsdamer Beschlüsse wurden ja auch nicht von den Westmächten durchgeführt.«

Zur Unterschriftensammlung mit der Forderung Teilnahme einer deutschen Delegation, äußerte ein Kleinbauer aus Ulbersdorf, [Bezirk] Dresden: »Unterschreiben will ich schon, aber ob es etwas nützen wird, glaube ich kaum. Die machen doch was sie wollen. Das hat man bei den Rosenbergs25 gesehen, wer hat da nicht alles dagegen protestiert.«

Buchhalter von der Volkswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock: »Die Berliner Konferenz ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sie werden sich wieder nicht einig. Erst wird wochenlang verhandelt, und am Ende alles wieder vertagt. Der Ami wird den Russen keine Konzession geben, dazu hat er viel zu viel Geld nach Westdeutschland hineingepumpt.«

Ein Arbeiter aus dem VEB Zeiss Jena,26 [Bezirk] Gera, Südwerk, Abteilung Gießerei: »In meiner Abteilung wird sehr viel darüber diskutiert, dass die SU an der Einheit Deutschlands nicht interessiert sei. Zum Ausdruck kommt dies in der Verschiebung der Konferenz vom 4.1. auf den 25.1.1954.«

Von U-Bahnarbeitern wurde im Bezirk Berlin-Mitte über die letzte Note der SU dahingehend diskutiert, dass dies ein Hinausschieben der Konferenz sei. 8½ Jahre hätte die SU Zeit gehabt sich auf eine derartige Konferenz vorzubereiten. Es erscheine so, dass die SU keine Verhandlungen wolle.

Ein Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin: »Wir sind doch für das friedliche Nebeneinanderbestehen der beiden Lager. Demzufolge ist es doch normal, wenn die einen den westlichen Teil Deutschlands haben und die anderen den östlichen, weshalb da verhandeln.«

Elektriker aus Weißbach, [Bezirk] Gera: »Aus der Viererkonferenz wird ja sowieso nichts. Über die Geschehnisse wird der Rundfunk der DDR sowieso nichts bringen. Vor allem aber werden die drei westlichen Großmächte dafür Sorge tragen, dass der Russe mit seinen Ansichten und Forderungen nicht durchkommt.«

Ein Hauswirt aus Neustrelitz: »Adenauer,27 Krupp28 usw. sind auch für das Zustandekommen der Viererkonferenz sowie für einen Friedensvertrag. Doch der Russe ist gar nicht bestrebt für einen Friedensvertrag.«29

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