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Zur Beurteilung der Situation

26. Juli 1954
Informationsdienst Nr. 2270 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Im Mittelpunkt der Diskussionen über politische Tagesfragen steht der erfolgreiche Abschluss der Genfer Konferenz.1 Darin bringt man zum Ausdruck, dass der Waffenstillstand mit Vietnam ein großer Erfolg des Friedenslagers ist. Weiterhin hat die Genfer Konferenz den Beweis erbracht, dass alle strittigen Fragen durch Verhandlungen gelöst werden können, so auch das Deutschlandproblem. Der Umfang der Diskussionen hat sich gegenüber den Vortagen etwas vergrößert. Jedoch sind die Stimmen im Allgemeinen noch gering. Die meisten Stimmen stammen von Arbeitern, weniger von Angestellten und sind fast alle positiv. Ein Hauer vom Schacht 6 aus Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Der Erfolg der Genfer Konferenz ist vor allem ein Verdienst von Molotow,2 der sich nicht hat beeinflussen lassen und konsequent den Frieden vertrat. Jetzt gilt es dafür zu kämpfen, dass in Kürze nochmals das Deutschlandproblem behandelt wird.«

Ein Kollege aus dem VEB Porzellanfabrik in Kleinfeilsdorf,3 [Bezirk] Suhl: »Als die Konferenz begann, war ich der Meinung, dass diese bald wieder ergebnislos auseinandergehen würde. Jedoch musste ich feststellen, dass auf dem Verhandlungswege etwas erreicht werden kann. Ich hoffe, dass nun endlich auch einmal über Deutschland ein so positives Ergebnis durch Verhandlungen zustande kommt.«

Ein Kollege aus dem VEB Zementwerk Göschwitz, [Bezirk] Gera: »Der Abschluss des Waffenstillstandes in Vietnam ist ein Grund zum Feiern, denn es ist ein Sieg der Friedenskräfte und ein Schlag gegen die imperialistischen Kriegstreiber, vor allem gegen die USA. Ich warte nur auf den Tag, an dem die westdeutschen Arbeiter den amerikahörigen Adenauer4 zum Teufel jagen und sich damit von der Unterdrückung und Abhängigkeit von den USA befreien werden.«

Ein Kollege aus dem VEB Mühlenwerken Fürstenberg, [Bezirk] Potsdam: »Die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens mit Vietnam ist ein entscheidender Sieg des Weltfriedenslagers und von großer Bedeutung für unseren Kampf um den Frieden und die Einheit Deutschlands. Die Zeit wird nicht mehr lange dauern, dass China in die UN aufgenommen wird.5 Den Sieg des Friedenslagers verdanken wir der beharrlichen Politik Molotows.«

Ein Arbeiter aus der Streichgarnspinnerei in Gera: »Ich bin der Meinung, dass die Verhandlungen in Genf ein großer Erfolg waren, aber dies wird sich auf Deutschland nicht auswirken. Westdeutschland geht stur seinen beschrittenen Weg weiter und kann es, weil die Bevölkerung damit einverstanden ist. Wenn sie hier auch sagen, dass die Entwicklung in Westdeutschland zu nichts Gutem führt, so geht es denen drüben doch immer noch besser als den Menschen in der Ostzone.«

Über die Hochwasserkatastrophe6 wird nur noch ganz vereinzelt diskutiert. Ganz selten wurden uns noch Verpflichtungen bzw. Spenden für die Hochwassergeschädigten bekannt. 500 Kolleginnen und Kollegen de VEB Baumwollspinnerei Leipzig fuhren eine Sonderschicht mit dem Ergebnis von DM 2 960. Diesen Betrag stellten sie den Hochwassergeschädigten zur Verfügung. Ein Meister aus dem Kraftwerk des Eilenburger Celluloidwerkes spendete für die Hochwassergeschädigten einen Betrag von DM 20,00. Diesem Beispiel schlossen sich einige andere Kollegen an.

Im Wismutgebiet7 traten Stimmen zur Wiederwahl von Heuss auf.8 Dies sind Einzelstimmen. So sagte z. B. ein Arbeiter vom Schacht 6 aus Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wir müssen noch viel mehr tun, um die Menschen in Westdeutschland aufzuklären, und besonders muss der Austausch von Delegationen verstärkt werden, damit sie sehen, was wir uns seit 1945 geschaffen haben.«

Ganz vereinzelt wurden uns auch negative Diskussionen zur Wiederwahl von Heuss bekannt. Ein Kollege vom Objekt 9 aus Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Warum heult denn unsere Regierung über die Wiederwahl von Heuss. Die drüben wissen schon, wen sie wählen, da brauchen sie unsere … nicht dazu. Die reden immer bloß von drüben, die sollen sich lieber um unsere Rentner kümmern, denn die leben drüben besser als bei uns. Unsere schreiben immer, sie wollen oder brauchen keinen Krieg, aber warum wird denn unsere Polizei mit Panzern und schweren Geschützen ausgerüstet und darauf ausgebildet.«

Missstimmung besteht in einigen Betrieben wegen verschiedenen betrieblichen Fragen.

Auf dem Schacht 139 in Annaberg,9 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ist zu verzeichnen, dass gewählte Leitungsmitglieder des FDGB, der FDJ und selbst der SED mit auf den Versetzungslisten stehen, ohne dass vorher mit den entsprechenden Organisationen oder Leitungen gesprochen wurde. Unter den betreffenden Leitungsmitgliedern herrscht darüber allgemein Missstimmung. Man vertritt die Auffassung, dass man nicht in irgendwelche Leitungen und Organisationen gewählt werden braucht, wenn man dann kurze Zeit später wieder versetzt wird. Durch die Versetzung ist die Leitung der BGL von 13 auf sieben Personen zusammengeschmolzen. Es kann keine gute Arbeit geleistet werden, wenn innerhalb der Leitungen laufend Veränderungen vorgenommen werden müssen. Oftmals werden auch Kollegen versetzt bzw. entlassen, was man hinterher wieder rückgängig macht. Wobei Meinungen auftreten, dass die zuständigen Stellen gar nicht wissen, was sie wollen. Ein Kollege äußerte sich dazu: »Die müssen doch gar nicht wissen, was sie wollen. Vor drei Monaten werden sechs Mann gekündigt, heute werden wir entlassen und morgen werden wieder welche gesucht. Ich bleibe auf keinen Fall. Als wir erfuhren, dass wir entlassen werden sollten, waren wir froh, dass wir auf Schacht 64 anfangen konnten. Wenn sie Leute brauchen, sollen sie nur sehen, wo sie welche bekommen. Ich lasse mich doch nicht veralbern.« Dieser Meinung schlossen sich noch zwei weitere Kollegen an.

In einer Jugendversammlung des VEB Pumpen- und Gebläsewerkes Leipzig äußerte ein junger Dreher (Kandidat unserer Partei) zu der starken Fluktuation in der Kleindreherei des Betriebes Folgendes: »Der schlechte Maschinenpark, mäßige Verdienstmöglichkeiten, schlechtes Einvernehmen mit den TAN-Bearbeitern,10 Fehler in den Zeichnungen und Konstruktionen schaden unserer Arbeit. Viele Kollegen verlassen aus diesen Gründen nach kurzer Zeit unseren Betrieb. Der Werkleitung, der Partei und der BGL sind diese Dinge alle bekannt, jedoch hat sich bis jetzt noch nichts geändert.«

Durch die Überplanbestände der Kleiderwerke Schwerin und der Blockierung dieser Waren für den Inlandmarkt entstehen diesem Werk finanzielle Schwierigkeiten. Der Wert dieser Waren beträgt 200 000 DM. Für diese Beträge stehen dem Betrieb keine Kredite zur Verfügung. Des Weiteren sind die Umlaufmittel von 156 000 DM für das Planjahr 1954 noch nicht zur Verfügung gestellt. 560 000 DM sind Außenstände für Warenlieferungen. Die Deutsche Notenbank kündigte die Sperrung von der Lohn- und Gehaltssumme an.

Unter den Bleilötern des sächsischen Kunstseidenwerkes Pirna herrscht Unzufriedenheit darüber, dass ihnen im Jahre 1952 die Bleizulage gestrichen wurde, und bisher alle Bemühungen, diese wieder zu bekommen, ergebnislos blieben. Ein Bleilöter äußerte dazu: »Seit zwei Jahren bemühen sich die Arbeiter, ihre Prozente, die ihnen im Jahre 1953 abgezogen wurden, wiederzubekommen. In dieser Angelegenheit haben sie auch nach Berlin geschrieben und die Antwort lautete: dass dies die Arbeitsschutzinspektion im Werk regeln muss.«

Die Arbeiter der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock, machen sich Sorgen, ob sie nach Beendigung des Bauprogramms der Fahrgastschiffe auch noch Arbeit haben. Uns wurde weiter von der Warnow-Werft bekannt, dass die Arbeit der Kampfgruppen sehr schlecht ist.11 Zu den Schulungen erscheinen nur 10 bis 20 Kollegen.

Die Herstellung von Massenbedarfsgütern geht im Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, sehr schleppend vor sich. Dieser Kreis wurde mit 5 140 000 DM beauftragt, während die bisherigen Verpflichtungen nur 2 780 000 DM betragen.

Siehe Anhang über Produktionsschwierigkeiten.

Handel und Versorgung

In einem Bericht aus dem Kreis Apolda, [Bezirk] Erfurt, teilt die LDP mit, dass vom gesamten Einzelhandel darüber Klage geführt wird, dass er seit Wochen fast keine Warenzuteilung erhalten hat. Der Leiter für Planung beim Kreisrat sagte hierzu: »Der Neue Kurs ist tot.12 Man kann es gar nicht laut sagen, alles bekommt die HO und die KG, was übrig bleibt, bekommt der private Handel.« Der stellvertretende Leiter der Abteilung Handel und Versorgung dieses Kreises sagte: »Ich möchte am liebsten aufhören beim Rat des Kreises. Der neue Plan ist unmöglich. Dass der private Sektor gekürzt wird, soll ein Teil des Klassenkampfes sein. Wo bleibt der Neue Kurs. Man soll jetzt bei der Vorbereitung der Wahlen solche Maßnahmen nicht durchführen.« Es handelt sich um den neuen Warenbereitstellungsplan für das II. Halbjahr 1954, der im Kreis Apolda herausgegeben wurde.

Zu den Klagen der Bevölkerung über Mangel an preiswerten Schuhen im Kreis Sonneberg sagen die Verkäufer, dass es an der Warenstreuung liegt und sie sind der Meinung, dass die Streuung bewusst so gesteuert wird, damit im Grenzkreis Unzufriedenheit entsteht.

Im Ferienlager Himmelpfort gibt es keine Kartoffeln. Eine Rücksprache mit dem Kreisrat ergab, dass er darin keine Abänderung schaffen könne (Bezirk Potsdam, Kreis Gransee).

Die HO Zeitz, [Bezirk] Halle, hat für 2,5 Millionen Überplanbestände an Ladenhütern, sodass sie mit der Zurückzahlung der Kredite an die Deutsche Notenbank in Verzug kommt. Dagegen besteht aber bei der HO und Konsumgenossenschaft dieses Kreises großer Mangel an Bettwäsche, Bettfedern, Oberhemden, preiswerten Sommerstoffen und -kleidern.

Schwierigkeiten in der Kartoffelversorgung treten im Kreis Hohenmölsen, [Bezirk] Halle, auf. Ursache ist, dass die Kartoffeln aus anderen Kreisen bezogen werden müssen, da sie im eigenen Kreis noch nicht die nötige Reife haben. Die SED des Kreises hat jetzt Maßnahmen zur ausreichenden Versorgung eingeleitet.

Im Bezirk Neubrandenburg ist die Warenstreuung der Kartoffeln so ungenügend, dass die Kreise Neustrelitz und Templin bis zum 23.7.1954 überhaupt noch keine Frühkartoffeln erhalten haben, worüber große Unzufriedenheit besteht. Hierzu sagte ein Schmied (SED) aus Zastrow, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die sollen uns die Gebiete jenseits der Oder geben, dann haben wir genug Kartoffeln, jetzt wächst da bloß Unkraut.«

Überbestände an großen Mengen Importschlachtfetten hat der VEB Schlachthof Zeitz, sodass die Gefahr des Verderbens besteht. Dort werden die geschlachteten Schweine entspeckt, um die Abnehmer zu zwingen, die Importfette abzunehmen. Überbestände an Öl und Zucker und Mangel an Haferflocken, Graupen und Eierteigwaren hat teilweise der Bezirk Halle zu verzeichnen.

Im Bezirk Schwerin wird die Verteilung der Kartoffeln unterschiedlich vorgenommen. In Wittenberge z. B. werden an die Haushalte 1 kg und in Perleberg 4 kg abgegeben. Die Bauern, die dort auf den Verkauf der Kartoffeln angewiesen sind, beklagen sich, dass ihnen die VEAB nicht alle Kartoffeln abnimmt und sie gezwungen sind, auf die Bauernmärkte zu fahren und die Kartoffeln selbst zu verkaufen.

Der Kreis Naumburg, [Bezirk] Halle, erhielt 17 t Fett. Davon mussten 10 t zurückgegeben werden, weil sie ranzig waren. Eine neue Zuweisung von Halle erfolgte nicht und die Fleischereien mussten Fett aus eigener Produktion verkaufen.

Die Öl- und Fettwerke Magdeburg erhielten am 21.7.1954 447,75 kg Rostocker Margarine Sorte I, 120 kg Margarine, die überaltert war, und 116 kg Butter aus Bernau, [die] wahrscheinlich schon ein Jahr alt war.

Landwirtschaft

Durch die Beschäftigung mit der Einbringung der Ernte, die die Landbevölkerung infolge des Unwetters stark in Anspruch nimmt, sind die Diskussionen über politische Tagesfragen noch geringer geworden. Die Diskussionen über die Unwetterkatastrophe haben, wie bereits berichtet wurde, stark nachgelassen. Vereinzelt wird über den guten Abschluss der Genfer Konferenz in den LPG und hauptsächlich in den MTS meist positiv gesprochen. Hierzu einige Beispiele:

Ein LPG-Bauer (parteilos) aus Milda, [Kreis] Jena, [Bezirk] Gera: »Da haben sie aber dem Amerikaner die Augen ausgewischt. Dieser Erfolg der Friedenskräfte in Genf ist auch beispielgebend für die weitere Entwicklung in den westlichen Ländern und zeigt dort den Völkern eine Perspektive.« Eine parteilose LPG-Bäuerin aus Milda: »Auf dieser Konferenz ist der Ami entlarvt worden und schwer hereingefallen. Der Unterschied zeigte sich auch während der Unwetterkatastrophe. Die Amis haben nur zugeschaut, die Sowjetsoldaten aber haben aktiv geholfen.«

Der größte Teil der Belegschaft der MTS Güntersberge, [Bezirk] Halle, sagte, dass das Friedenslager doch immer stärker wird und die Kapitalisten nicht machen können, was sie wollten. Wenn die Arbeiter überall zusammenhalten, wird auch kein neuer Krieg kommen.

Der Leiter der VdgB in Sagast, [Bezirk] Potsdam, sagte: »Hoffentlich werden die Abmachungen von den Amerikanern eingehalten. Das Schlimmste ist, dass wieder ein Land in zwei Teile geteilt ist.«

Die wirtschaftlichen Fragen, die damit verbundenen Schwierigkeiten und Mängel stehen im Vordergrund der Diskussionen der Landbevölkerung. Die Diskussionen und Verärgerungen über die Wildschweinplage nehmen z. B. immer größeren Umfang an. Heimgesucht davon werden teilweise die Bezirke Frankfurt, Suhl und Potsdam. Ein Bauer aus dem Kreis Zossen sagte hierzu: »Wenn das so weitergeht, wird die Regierung von uns keine Ernte kriegen. Sollen sie sehen, wie sie selber weiterkommen. Gegen den Regen konnte man nichts machen, die Wildschweinplage kann aber durchaus beseitigt werden.« Im Kreis Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, klagen die Bauern, dass sie ihr Soll bald nicht erfüllen können, wenn keine Abhilfe gegen die Wildschweinplage geschaffen wird. Im Bezirk Suhl machen die Bauern den Vorschlag, die sowjetischen Freunde um den Einsatz einiger Jagdkommandos zu bitten.13

Die LPG Jahna, Kreis Meißen, [Bezirk] Dresden, klagt über die Fuchsplage. Im letzten Vierteljahr wurde der Verlust von 140 Hühnern durch Füchse verursacht.

Über Ersatzteilmangel klagen die MTS Roggendorf, [Bezirk] Schwerin, für Mähdrescher, Gerstedt, Sandersleben über Bindetücher, Kupplungen für Zapfwellenbinder. Diese MTS hat eine Verbesserung an Mähdreschern gemacht, womit die Streu vom Stroh getrennt wird.

Der Gemeinde Mesendorf, [Bezirk] Potsdam, wurden von der MTS Pritzwalk vier defekte Mähdrescher zur Verfügung gestellt, worüber große Verärgerung entstand und die werktätigen Bauern sagen: »Wie soll man zur MTS Vertrauen haben, wenn ihre Hilfe so aussieht. Dafür erhalten sie noch Prämien. Mit solcher Arbeit wird aber der Staat nur geschädigt.«

In der MTS Stralow,14 [Bezirk] Rostock, sind Schwierigkeiten in der fachlichen Ausbildung von Freundschaftsfahrern für das Zwei-Schichtsystem aufgetreten, weil keine Fachlehrer aufzutreiben sind.

Der Bezirk Dresden klagt über großen Mangel an Arbeitskräften bei den LPG, VEB, MTS und Einzelbauern. Ein Großbauer aus Geißmannsdorf, Kreis Bischofswerda, äußerte hierzu: »Die Nazis haben es verstanden, Arbeitskräfte aufs Land zu bringen, aber unsere Regierung ist dazu nicht imstande.«

In der Gemeinde Wüstenroda,15 [Bezirk] Erfurt, sind die Bauern darüber aufgebracht, dass die Grenzpolizei einfach Land für Baracken beschlagnahmt und Baustoffe darauf gefahren hat, ohne die Besitzer davon in Kenntnis zu setzen.

In den Gemeinden Berka, [Bezirk] Erfurt, u. a. werden Schwarzbrot und andere Lebensmittel zum Verfüttern aufgekauft.

Aus Salzwedel, [Bezirk] Magdeburg, wird bekannt, dass in verschiedenen LPG laufend Ferkel eingehen, sobald sie vom Mutterschwein abgenommen und mit Grünfutter und Magermilch gefüttert werden. In der LPG Stappenbeck, [Bezirk] Magdeburg, ist in diesem Zusammenhang bereits der Melker verhaftet worden. Der Zustand änderte sich aber nicht, trotzdem man nacheinander drei andere Personen einsetzte, die von Schweinepflege keine Ahnung hatten. Rat und Partei des Kreises haben von dem katastrophalen Zustand Kenntnis, unternehmen aber nichts.

Übrige Bevölkerung

Über politische Tagesfragen wird im Allgemeinen wenig diskutiert. Im Vordergrund steht hierbei der erfolgreiche Abschluss der Genfer Konferenz. Neben der Freude des Abschlusses des Waffenstillstandes in Indochina, was als ein Erfolg des Weltfriedenslagers und insbesondere des Genossen Molotow gewertet wird, äußert man oftmals, dass auch über Deutschland verhandelt werden müsste. Ein großer Teil der Stimmen stammen von Angestellten der staatlichen Verwaltungen, weniger von Hausfrauen und Rentnern: Eine Angestellte beim Rat des Kreises in Bergen, [Bezirk] Rostock: »Der Waffenstillstand in Indochina zeigt, dass die amerikanischen Imperialisten und ihre Handlanger durch den Druck des Weltfriedenslagers gezwungen sind, dem demokratischen Indochina Zugeständnisse zu machen.« Sie sagt weiter, »dass es nun nicht so schwer sein kann, die Einheit Deutschlands zu erringen, wenn sich alle Deutschen einig sind und für den Frieden kämpfen.«

Eine Hausfrau aus Wildau, [Bezirk] Potsdam, äußerte: »Ich kann es noch gar nicht begreifen, dass es den Friedenskräften gelungen ist, dass augenblicklich kein Krieg auf unserer Erde stattfindet. Molotow ist doch wirklich zäh, der hat solange darum gekämpft, bis die anderen Mächte nachgeben mussten. Wenn jetzt die Menschen noch nicht begreifen, wer es ehrlich mit dem Frieden meint, der tut mir leid.«

Eine Rentnerin aus Frankfurt/Oder: »Ich verstehe nicht viel von Politik, aber dass es keinen Krieg mehr in Vietnam und Korea gibt, das freut mich. Wenn der Amerikaner noch gezwungen wird, aus Deutschland abzuziehen, so wäre dieser Erfolg vollständig.«

In einigen Kreisen des Bezirkes Magdeburg wurden Sachspenden ohne jegliche Kontrolle unter den vom Hochwasser Geschädigten verteilt. So erhielten z. B. Bauern aus dem Kreis Wolmirstedt größere Spenden, die sich geweigert hatten, ihre gefährdeten Felder abzuernten. Hier fehlte vollkommen die Überprüfung vonseiten des Rates des Bezirkes.

Angsteinkäufe infolge Gerüchten, dass die Lebensmittelversorgung wegen der Hochwasserkatastrophe gefährdet sei und eine Lebensmittelrationierung erfolge, wurden verschiedentlich in den Bezirken Frankfurt und Cottbus an Mehl und im Kreis Salzwedel, [Bezirk] Magdeburg, besonders an Fleisch getätigt. So haben z. B. Mittelbauern aus der Gemeinde Klein-Gaglow, [Bezirk] Cottbus, sehr viel Brot aufgekauft, um damit ihr Vieh zu füttern, obwohl sie noch im Besitz von Futtergetreide sind.

Vom Kreissekretariat der Nationalen Front16 Bad Salzungen, [Bezirk] Suhl, wurden für den 21.7.[1954] 50 Aussprachen angesetzt, die von Kreistagsabgeordneten durchgeführt werden sollten. Davon wurden nur in fünf Gemeinden die Versammlungen gut vorbereitet. Zu diesen Versammlungen erschienen jedoch die Kreistagsabgeordneten nicht, sodass sie ausfallen mussten.

Auf einem Ausspracheabend der Ärzte in Stralsund, [Bezirk] Rostock, wurde bemängelt, dass den Kindern der Intelligenzler der Weg zur weiteren Ausbildung erschwert werden würde, weshalb sie sich in Westdeutschland ausbilden lassen müssten. Zum Beispiel würden die Kinder der Ärzte nur zu Oberschulen oder Universitäten zugelassen, die höhere Noten aufweisen als die Kinder der Arbeiter und Bauern. Weiterhin wurde bemängelt, dass junge Ärzte, die aus Süddeutschland kommen, einen Einzelvertrag erhalten und somit mehr verdienen als die alten und erfahrenen Ärzte.

Verärgerung über leerstehende Urlaubsheime in Binz auf Rügen besteht unter dort anwesenden Urlaubern. Dazu äußerten von Binz zurückgekehrte Urlauber aus dem Kreis Bischofswerda, [Bezirk] Dresden: »Das Kurhaus, das ehemalige Seeschloß und das Walter-Ulbricht-Heim z. B. stehen fast leer. Dieser Zustand verärgert die Urlauber sehr, da Seeplätze nur im geringen Maße erhältlich sind.«

Große Unzufriedenheit und Ablehnung gegen die Regierung besteht unter der Bevölkerung in Wolfmannshausen, [Bezirk] Suhl, da zu den Volkskammerwahlen 1950 das damalige Mitglied des CDU-Landesvorstandes Rutsch17 versprochen hatte, für den Umbau des Dorfes 3 bis 4 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der schlechten Wohnverhältnisse erhebt jetzt der CDU-Bürgermeister erneut mit Unterstützung der Bevölkerung diese Forderung.

In einigen Gemeinden des Bezirkes Leipzig interessieren sich Pfarrer stark für die Beteiligung der Bevölkerung an der Volksbefragung.18 So verlangte z. B. der Pfarrer aus Audenhain19 von den Bürgermeistern der Gemeinde Gräfendorf und Wildenhain, Kreis Eilenburg, Auskunft, wieviele Einwohner an der Volksbefragung teilgenommen haben. Ein anderer Pfarrer erkundigte sich in der Gemeinde Wildenhain, wieviele Einwohner bei der Volkszählung 194620 vorhanden waren und wieviele es jetzt sind.

Organisierte Feindtätigkeit

Hetzschriftenverteilung

SPD-Ostbüro:21 Potsdam 130, Frankfurt/Oder 900, Gera 1 500, Karl-Marx-Stadt 5 000.

DGB-Ostbüro: Gera 2 000.

UFJ:22 Potsdam 28.

KgU:23 Suhl 8 000, Potsdam 120.

NTS:24 Potsdam 1 000, Halle 250, Karl-Marx-Stadt 7.

Versch[iedener] Art: Potsdam 2 500, Rostock einige.

CDU-Ostbüro: Potsdam 5 000.

Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.

Antidemokratische Tätigkeit: Auf der Warnow-Werft Warnemünde, [Stadt] Rostock, wurde eine Hetzlosung festgestellt. In Saupsdorf, Kreis Sebnitz, [Bezirk] Dresden, wurde ein Schaukasten der FDJ entfernt und zertrümmert. Im Fischkombinat Schwaan, [Bezirk] Schwerin, wurden Hakenkreuze in der Toilette angeschmiert.

Vermutliche Feindtätigkeit

In Ershausen, Kreis Heiligenstadt, [Bezirk] Erfurt, wurden auf dem Friedhof sämtliche Holzkreuze umgehauen. Die Bevölkerung ist darüber sehr empört. Ermittlungen wurden eingeleitet.

Anlage 1 vom 26. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2270

Produktionsschwierigkeiten treten in verschiedenen Betrieben wegen Material- und Arbeitskräftemangel auf

Im Schacht 306 Annaberg,25 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, besteht Mangel an Bohröl. So konnte es passieren, dass am 21. und 22.7.1954 die Bohrer ohne Öl bohren mussten.

Im Schacht 66 in Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, werden Klagen über die Materialversorgung geführt, da zu verzeichnen ist, dass besonders das Revier I oft Material hortet und die anderen Reviere nichts haben. Es handelt sich hierbei um Bohrstangen.

Im VEB Feinoptik Görlitz, [Bezirk] Dresden, konnte der Produktionsplan für das I. Halbjahr 1954 nicht erfüllt werden, da ca. 5 000 Verschlüsse für Objektive nicht angeliefert wurden. Größere Engpässe bestehen zurzeit an den Poliermitteln Ceroxid.

Im VEB Walzengießerei Coswig, [Bezirk] Dresden, entstehen laufend Schwierigkeiten durch die verspätete Anlieferung von Ferolegierungen und Nickel durch die DHZ Metallurgie Berlin. Um Produktionsausfälle zu vermeiden, musste dieses Material schon oft von anderen Gießereien ausgeliehen werden.

Im VEB Planeta, [Kreis] Radebeul, [Bezirk] Dresden, fehlen 84 Arbeitskräfte, um die Planerfüllung zu gewährleisten. Dieser Arbeitskräftemangel ist auch in den Zubringerbetrieben, wie Emailleguss Radebeul, Eisengießerei Coswig, zu verzeichnen, sodass der VEB Planeta die benötigten Gussteile oftmals mit einer Terminüberschreitung von drei bis vier Monaten geliefert erhält. Infolgedessen ist der Betrieb mit vier Maschinen zu je 80 000 DM und 15 Maschinen zu je 25 000 DM im Rückstand. Bei diesen Maschinen handelt es sich um Exportaufträge.

Im VEB Stern-Radio Sonneberg, [Bezirk] Suhl, fehlen für 1 000 Radiogeräte die Röhren, welche vom VEB Röhrenwerk Erfurt26 geliefert werden.

Im VEB IKA Sonneberg27 fehlt es an Automatenstahl, Messingblech, Messingbändern und Kupferlitze.

Im VEB Feinmechanik Sonneberg fehlt es an Messingblech, Rundmessing und Automatenstahl. Wenn dieses Material nicht in Kürze geliefert wird, ist mit einem Stillstand der Produktion zu rechnen.

Im VEB Dachpappenwerk Wasungen, [Bezirk] Suhl, fehlt es an Rohprodukten.

Im VEB Gubener Wolle, [Bezirk] Cottbus, stehen aufgrund mangelhafter Materialanlieferungen 70 bis 80 Stühle still und die Betriebsleitung sah sich gezwungen, das Ein-Stuhlsystem28 zu propagieren. Der gleiche Zustand ist in einigen Forster Betrieben zu verzeichnen.

Anlage 2 vom 26. Juli 1954 zum Informationsdienst Nr. 2270

Auswertung der Westsendungen

Landwirtschaft

RIAS hetzt in einer Sendung über die Einbringung der Ernte gegen den Minister für Land- und Forstwirtschaft, Paul Scholz.29 Es heißt, dass die Witterungsschwierigkeiten anerkannt werden müssten aber, »wenn in unserer Landwirtschaft Initiative zugelassen« wäre, würden diese überwunden, so aber könnte bei uns keine richtige Ernte durchgeführt werden.

RIAS wendet sich gegen die gemachten Ausführungen über

  • Schicht […]30 könnte nach RIAS nicht durchgeführt werden, da Bulldogs31 fehlten,

  • Arbeitskräftebeschaffung,

  • Kampfplan des VEG Köllitsch; die Maßnahmen im Kampfplan werden verächtlich gemacht.

Die Ausführungen des RIAS hetzen dann weiter gegen unsere Regierung, die in diesem Jahr »Abstand nimmt von der unsinnigen Forderung des Nachtdruschs«.32

Über die Erfassung der Ernte hetzt der RIAS, dass die eingesetzten Kommissionen nicht in der Lage sind, den voraussichtlichen Ernteertrag zu bestimmen, da keinerlei Fachleute in diesen Kommissionen seien. Es heißt u. a., dass, wenn die Voraussagen nicht stimmen und der Ertrag niedriger ausfällt, »der Prozess wegen Sabotage« folgt. Durch diese Maßnahmen würden die Menschen zur Unwahrhaftigkeit erzogen.

Die Bauern werden aufgefordert, ihrem Bürgermeister immer wieder die entstandenen Schwierigkeiten aufgrund der Witterung vor Augen zu führen, damit das Getreidesoll vermindert wird. Sie sollen vor allem »trotz schlechter Ernte genügend Futtergetreide und Saatgut behalten, wenn nicht wieder eine Lage eintreten soll wie im Frühjahr 1953«.33

Zur Beschaffung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft verbreitet der RIAS die Meldung, dass das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft »Einberufungen« angekündigt habe.

Die VP könne infolge des Hochwassers nicht eingesetzt werden. Auf Anweisung des Zentralrates der FDJ müssten sämtliche hauptamtlichen Funktionäre in den Landeinsatz gehen. Es wird dabei die Zahl von »26 000 zusätzlichen Arbeitskräften« genannt.

Einzelmeldungen

Zur Lebensmittelversorgung verbreitet der RIAS eine Meldung über Mangel an Fleisch, Fett, Kartoffeln, um die Bevölkerung zu beunruhigen. Kartoffeln müssten durch Austauschprodukte gedeckt werden und Fleisch würde durch Fisch, Eier und Zucker ersetzt.

Über die Republikflucht gibt der RIAS Zahlen an, um zu beweisen, dass die Flucht derartig groß sei, dass die Bevölkerungszahl der DDR Ende 1954 »nur noch 16,5 Mio.« betragen würde.34

Zur Verleumdung unserer Regierung verbreitete der RIAS mehrfach die Meldungen, dass Arbeiter gegen den Abzug von Stundenlöhnen für die Hochwassergeschädigten protestierten. Als Beispiel wird u. a. das Kunstfaserwerk »Wilhelm Pieck« in Schwarza genannt, wo drei Arbeiter wegen ihres Protestes entlassen worden seien.

RIAS meldet, dass im Bezirk Leipzig die Funktionäre der FDJ vom SfS überprüft würden, da sich einige FDJler während des Kirchentages35 mit den Angehörigen der Jungen Gemeinde zusammengetan hätten.

Der »Telegraf-Wochenspiegel« meldet, dass viele Angehörige der VP-Grenzbereitschaft in Potsdam-Eiche nach dem »Tag der Volkspolizei«36 in Arrest gekommen wären, da sie nach dem Genuss von Alkohol gegen die DDR gehetzt hätten. Die Zeitung will damit eine Differenz zwischen unserer Regierung und der VP beweisen.37

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