Zur Beurteilung der Situation
20. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2212 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Handel, Verkehr und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über die Genfer Konferenz,1 die im Mittelpunkt der Diskussion über politische Probleme steht, wurden nur in geringem Umfang Stimmen bekannt. Die Diskussionen nehmen weiterhin ab. Der größte Teil ist positiv. Man hofft auf Beschlüsse zur Entspannung der internationalen Lage, vor allem zum Verbot der Wasserstoffbombe. Im Zusammenhang hiermit wird die Abreise Dulles’2 aus Genf3 als Erfolg des Weltfriedenslagers insbesondere der Friedenspolitik der Sowjetunion angesehen. Man schöpft neue Hoffnungen auf positive Ergebnisse der Konferenz. Ein Arbeiter aus dem VEB Kraftwerk in Breitungen, [Bezirk] Suhl: »Ich bin der Ansicht, dass die Sowjetunion durch ihre konsequenten Friedensvorschläge den USA-Außenminister zum Rückzug gezwungen hat. Über die Proteste der Bevölkerung gegen die Anwendung der Wasserstoffbombe bin ich sehr erfreut. Ich hoffe, dass die Konferenz ebenfalls dazu Beschlüsse fasst.«
Folgende zweifelnde bzw. negative Stimmen wurden bekannt: Eine Arbeiterin (Umsiedler) aus Plauen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Wenn diese Herren auf der Konferenz nur einmal darüber sprechen würden, wie wir in unsere Heimat zurückkommen. Darüber sagt man nie etwas.«
Ein Arbeiter vom VEB RFT in Geithain,4 [Bezirk] Leipzig: »Ich zweifle daran, dass diese Konferenz irgendetwas für den Frieden tun wird. Man hat schon so oft verhandelt und nichts ist dabei herausgekommen.«
Im VEB Waggonbau Görlitz wurde besonders über das Dokument »Über die Lebensfragen der deutschen Nation«5 diskutiert. Die Abteilung Drehgestellbau hat in Verbindung hiermit zu einer großen Verpflichtung zu den Volkskammerwahlen 1954 aufgerufen.6 Die Kollegen selbst wollen einen Satz Drehgestelle außerhalb der Arbeitszeit bauen. Diesem Aufruf hat sich das Technologen-Kollektiv angeschlossen. Es will eine außerplanmäßige Selbstkostensenkung von 40 000 DM erreichen.
Die Diskussionen über wirtschaftliche Fragen befassen sich vor allem mit dem Mangel an HO-Fleischwaren. Darüber traten unter den Werktätigen im VEB Maxhütte Unterwellenborn und im VEB Schott Jena7 negative Diskussionen auf. Hierzu folgendes typisches Beispiel: Ein Glasarbeiter aus dem VEB Schott Jena: »Es gibt keine HO-Ware, weil man schon wieder für das II. Deutschlandtreffen der Jugend spart.«8
Weiterhin wurden negative Diskussionen über betriebliche Dinge ausgelöst, vor allem wegen Prämien- und Lohnfragen. Eine Missstimmung besteht unter der Intelligenz des VEB Maxhütte Unterwellenborn, da die Quartalsprämien niedriger ausgefallen sind als im vorigen Quartal. Der jetzige Quartalsplan wurde jedoch nur mit 104 Prozent erfüllt.
Im Bahnbetriebswerk Schwerin stehen die Vorschläge für die Auszahlung der Prämien zum Tag des Eisenbahners im Mittelpunkt der Diskussion.9 Ein großer Teil der Kollegen vertritt die Meinung, dass jeder Kollege den gleichen Anteil erhalten müsste.
Eine schlechte Stimmung besteht unter den Kollegen des Bahnbetriebswerkes Rostock sowie der Bahnmeisterei Schwerin. Es wird besonders über zu geringe Entlohnung diskutiert. Ein Angestellter vom Bahnhof Ribnitz, [Bezirk] Schwerin,10 sagte dazu: »Die Bezahlung bei der Reichsbahn ist schlechter als in allen anderen Betrieben. Es müssten täglich 20 bis 30 Arbeiter von den größeren Bahnhöfen nach Westdeutschland gehen, dann würde die Regierung endlich etwas unternehmen.«11
Im VEB Fortschritt, Werk II Berlin bemängeln die Kolleginnen die neuen Kleidermodelle, die sie nähen müssen. Nach ihrer Meinung sind diese geschmacklos. Die Kolleginnen würden niemals solche Kleider kaufen. Es fehlen schlichte und einfache Modelle.12
Verschiedene negative Äußerungen wurden bekannt, in denen sich der Einfluss der westlichen Hetzsender zeigt. Ein parteiloser Kraftfahrer aus Lauchhammer, [Bezirk] Cottbus: »So wie es jetzt bei uns ist, kann es nicht bleiben. Wir brauchen nur den Ausschuss betrachten, der im Werk gemacht wird. Noch schlimmer ist die Normen-Treiberei. Die Arbeiter machen keine frohen Gesichter, sie haben das Lachen verlernt. Bei dieser Wirtschafterei wird sich das jetzige System höchstens noch 2 bis 3 Jahre halten.«
Ein Kollege von der Siebanlage der Großkokerei Lauchhammer: »Was ist schon der 1. Mai. Das ist nicht der Kampftag der Arbeiter. Der Kampftag der Arbeiter ist der 17. Juni. Denn da hat der Arbeiter wirklich gekämpft. Früher beim Kapitalisten bekam ich zum 1. Mai 130 DM Prämie, aber jetzt gibt es so etwas nicht. Jetzt werden höchstens die Normen gesteigert.«
Produktionsstörungen: Im VEB Spinnstoffwerk »Otto Buchwitz« [Glauchau], [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, entstand am Generator 1 der Energie-Abteilung des Werkes ein Regler-Schaden, wodurch ein Produktionsausfall von ca. 6 bis 8 Tonnen Zellwolle (16 000 [DM]) entstand.
Im Eisenhüttenwerk Thale, [Bezirk] Halle, brach am 19.5.1954 die Unterwalze in der Blockstraße. Dadurch entstand ein Produktionsausfall von 200 Tonnen Eisen.
Am 18.5.1954 entgleiste ein beladener Güterzug, der von der Grube »John Schehr«, [Bezirk] Cottbus, zum Bahnhof Schwarzkollm fuhr. Ursache: schadhafter Oberbau und Schienenbruch, Schaden: ca. 250 000 DM.
Handel und Versorgung
Unter anderem mangelt es an HO-Fleischwaren im gesamten Bezirk Gera, im Kreis Zeitz, [Bezirk] Halle, sowie im Bezirk Dresden. Negative Diskussionen wurden darüber aus Freital, Görlitz und Dresden bekannt. Zum Beispiel sagte eine Hausfrau aus Görlitz: »Es ist eine Schande, dass es keine Wurst und Butter mehr gibt. Es wird höchste Zeit, dass ein 17. Juni kommt. Wenn nur die Großbetriebe bald anfangen würden. Mein Mann, der in der LOWA13 arbeitet, sagte, lange lassen wir uns das nicht mehr gefallen.«
Verschiedentlich wird über eine mangelhafte Warenbereitstellung geklagt. Zum Beispiel gibt es in einigen Kreisen des Bezirkes Rostock keine FDJ-Bekleidung. Im Kreis Neuhaus, [Bezirk] Suhl, fehlt es an Ersatzteilen für Motorräder und außerdem kommen zu wenige Motorräder auf den Markt.
Im Bezirk Cottbus mangelt es an Hülsenfrüchten.
Der Konsumverkaufsstelle in Pösigk, Kreis Köthen, [Bezirk] Halle, wurde Butter (im Fass) geliefert. Davon konnte nur ein Teil verwendet werden, die übrige war ranzig und grünfleckig.
Im Kreis Nauen, [Bezirk] Potsdam, wechseln zurzeit viele Bäckergesellen von ihrem Beruf zur Industrie über. Dadurch wird die Brotversorgung, besonders in den Landgemeinden, stark gefährdet.
Landwirtschaft
Nach wie vor wird unter der Landbevölkerung wenig über politische Tagesfragen gesprochen. Meist wird nur in den Kreisen des sozialistischen Sektors dazu Stellung genommen. Für die Einstellung eines großen Teiles der Bauern ist folgendes Beispiel charakteristisch: Ein Bauer aus Rochsburg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärte: »Für politische Sachen interessiere ich mich nicht. Ich will meine Ruhe haben und nach Möglichkeit meinen Verpflichtungen nachkommen.«
Die gering bekannt gewordenen Stimmen zur Genfer Konferenz sind positiv. Ein Traktorist der MTS Adorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es zeigt sich der Einfluss der Friedenskräfte auch im kapitalistischen Lager, das beweisen die Widersprüche bei der Genfer Konferenz.«
Im Mittelpunkt des Interesses stehen wirtschaftliche und persönliche Belange, deshalb wird mehr über diese Fragen gesprochen. Des Öfteren ist die ungenügende Futtermittelzuteilung Gegenstand der Diskussionen. Ein Bauer aus Wiederau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich habe große Sorge mit Futtermitteln. Insbesondere mit Soja-Schrot, was mich hindert, so zu wirtschaften, um dem Staat einigermaßen mit Fleisch und Milch zu beliefern.«
Die Düngemittelbelieferung (Stickstoff und Phosphorsäure) durch das Kreiskontor Perleberg, [Bezirk] Schwerin, ist sehr mangelhaft, dadurch ist die Kartoffelernte gefährdet.
In den Kreisen Neuhaus und Sonneberg, [Bezirk] Suhl, mangelt es an Ferkeln. Darüber äußerte der Vorsitzende der LPG Gebersdorf, [Kreis] Neuhaus: »Ich verstehe nicht, dass man laufend neue LPG gründet, obwohl nicht genügend Ferkel vorhanden sind, um die bestehenden zu beliefern. Unsere LPG wartet seit einem halben Jahr auf eine Ferkelzuteilung, dadurch ist unser Finanzplan gefährdet.« (Dieser Mangel besteht in mehreren LPG in diesem Kreis.)
Über die Arbeit des Rates des Kreises Perleberg, [Bezirk] Schwerin, wird vonseiten der Bauern Klage geführt. Die Abteilung Erfassung und Aufkauf wird von vielen »Bauernfänger« genannt. Und zwar deshalb, weil diese Abteilung erst Neubauern bei der Übernahme von Wirtschaften erklärt, dass Sollrückstände vom Vorgänger gestrichen werden. Nachdem sie aber eine gewisse Zeit gewirtschaftet haben, werden sie aufgefordert, Sollrückstände abzuliefern (sogar für das Jahr 1952).
Im Kreis Perleberg, [Bezirk] Schwerin, wurde der Ministerratsbeschluss vom 4.2.1954 über die Wiederaufforstung,14 in Angriff genommen. Es wurde aber bis jetzt die finanzielle Frage nicht geklärt. Die Bauernbank lehnt eine Finanzierung ab und die BHG können sie nicht übernehmen, weil es sich um langfristige Kredite handelt. Die Arbeitskräfte werden wieder abwandern, wenn die Lohnfrage nicht bald geklärt wird. (Es wurde noch kein Geld für Löhne zur Verfügung gestellt.)
In verschiedenen Gemeinden des Kreises Schwerin sind Industriearbeiter aus Sachsen für Landarbeiten eingesetzt. In der Gemeinde Pampow wurden diese von einer Brigadierin (in der Gemeinde ansässig) aufgefordert, am 17.5.195415 nicht zu arbeiten. Dies wurde damit begründet, dass die Industriearbeiter angeblich im Monat nur 70,00 […].16
In einer Versammlung der VdgB in Strelln, [Bezirk] Leipzig, äußerte sich ein Bauer, als die Frage der Werbung für die Zeitung »Der freie Bauer«17 stand: »Wir sind doch keine freien Bauern. Ich selbst habe das Wurstblatt abbestellt. Da steht ja doch nur etwas für die LPG drin.«
Übrige Bevölkerung
In den wenigen Diskussionen über die politischen Tagesfragen unter der Bevölkerung ist festzustellen, dass jetzt auch der Genfer Konferenz weniger Beachtung geschenkt wird. Eine positive Einstellung hierzu ist in der Mehrzahl bei den Angestellten zu verzeichnen. So erklärte z. B. ein Postangestellter aus Langensalza, [Bezirk] Erfurt: »Im Gegensatz zur Berliner Konferenz ist jetzt in Genf Volkschina vertreten und redet hier ein gewichtiges Wort.18 Volkschina lässt sich von den Vertretern der westlichen Länder nicht über die Ohren hauen, sondern legt den Standpunkt des chinesischen Volkes in Asien überzeugend klar dar. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Einfluss Amerikas auf die europäischen Länder immer mehr verschwindet.«
In den bürgerlichen Kreisen dagegen wird oft eine abfällige bzw. feindliche Haltung zur Genfer Konferenz eingenommen. Hierzu einige Beispiele:
Ein Steuerberater aus Weimar, [Bezirk] Erfurt, äußert sich wie folgt: »Die Genfer Konferenz ist bedeutungslos. Ich hoffe und warte schon lange auf den Tag, wo es uns wieder besser geht und wir unsere Freiheit wiederkriegen. Wir sind doch nicht souverän unter den Russen. Da lachen ja die Hühner.19 Wir brauchen freie Wahlen und ein einheitliches Deutschland. Ich warte weiter.«
Die Tochter eines Geschäftsinhabers aus Weimar, [Bezirk] Erfurt, machte folgende Äußerung: »Ich erwarte nichts von der Konferenz. Wir haben schon so viele Jahre auf alles Mögliche gehofft und gar nichts ist passiert. Lediglich der Russe und die SED haben ihre Position gestärkt. Wer bei uns nicht mitmacht, der ist unwichtig, aber wehe dem, der dagegen ist, dem gnade Gott.«
Über den Mangel an HO-Fleisch- und -Wurstwaren wurde aus dem Bezirk Dresden berichtet. Besonders negative Diskussionen führt man darüber in Görlitz. Eine Kundin im HO-Warenhaus Görlitz: »Naja, die mögen nur so weitermachen wie im vergangenen Jahr. Da muss erst wieder ein neuer 17. Juni [1953] kommen, dann gibt es wieder alles.« Eine andere Kundin: »Da muss nun wieder in Berlin dem Ausland etwas vorgemacht werden. Wir können ja ruhig acht Wochen Brot mit Marmelade essen. Und alles, wo wir einen neuen Kurs haben.«20
Unzufriedenheit und negative Stimmen wurden auch in den Städten Dresden und Freital festgestellt. In Gesprächen aus verschiedenen Straßenbahnlinien Dresdens kam u. a. zum Ausdruck, dass es jetzt schon wieder ein paar Tage kein Stückchen Fleisch und Wurst in der HO zu kaufen gibt. Es soll wohl erst wieder ein 17.6.[1953] kommen, dann wird es bestimmt anders. Wo bleibt denn der neue Kurs? Wir können doch nicht immer Eier kaufen. Wo sollen wir denn das Geld hernehmen. In Dresden in dem HO-Fleisch- und Wurstgeschäft gibt es nur Fischkonserven zu kaufen, und woanders ist es ebenso. Nirgends gibt es Bockwurst. Die schaffen wohl alles nach Berlin?
Aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt wurde berichtet, wie teilweise in bürgerlichen Kreisen zum Fleischmangel Stellung genommen wird. Ein Gastwirt in Rochsburg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte: »Die Gäste fragen mich nach Bockwürsten, die ich nicht liefern kann, weil die HO meinen Vertrag gekündigt hat. Man fängt wahrscheinlich mit der alten Politik wieder an. Der neue Kurs ist zu Ende und die Kunden behaupten, dass bis zum 17. Juni [1954] Fleisch- und Wurstwaren gesperrt wären.«
Ein Zahnarzt sagte in einer Unterhaltung mit einem Schneidermeister aus Lunzenau, Kreis Rochlitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Folgendes: Z.: »Es scheint, als gehe die DDR einer gewaltigen Wirtschaftskrise entgegen.« Sch.: »Das kommt davon, wenn man verspricht, was man nicht halten kann.«
Im Bezirk Gera wird die Stimmung ebenfalls durch den Mangel an HO-Fleischwaren negativ beeinflusst. Ähnlich ist es weiterhin im Kreis Zeitz, [Bezirk] Halle.
In Berlin-Buchholz ist die Bevölkerung der Meinung, wenn man das Deutschlandtreffen durchführt, dürfen die Einsparungen nicht so kurzfristig vorgenommen werden. Die Bevölkerung wäre noch einverstanden, wenn zum Ausgleich größere Mengen von Frischfleisch oder Räucherwaren geliefert würden.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverbreitung
NTS:21 Potsdam 4 700, Halle, Karl-Marx-Stadt und Rostock einige Exemplare, Erfurt 5 000, Dresden 500.
SPD:22 Potsdam 8 720, Halle 180, Rostock einige, Dresden 750.
CDU: Potsdam 5 900, Dresden einige.
KgU:23 Potsdam 300, Halle, Rostock, Gera und Dresden einige.
In tschechischer Sprache: Potsdam einige, Halle 1 200, Karl-Marx-Stadt 60, Gera 120, Suhl 100, Erfurt 25, Dresden 100.
In polnischer Sprache: Potsdam einige.
Weiße Tauben: Halle 100.
Verschiedene Hetzschriften: Cottbus 9 000.
Inhalt:
- –
Hetze gegen IV. Parteitag24
- –
Hetze gegen die Viermächtekonferenz
- –
Hetze gegen das Deutschlandtreffen
- –
Hetze für »Freie Wahlen«
- –
Hetze gegen die Regierung der DDR
- –
Hetze gegen die Grenzpolizei.
Die KgU versucht Hetzbriefe in Görltz,25 Kreis Riesa, zu verbreiten, in denen durch Verleumdung eines FDGB-Funktionärs bei der Bevölkerung der Eindruck erweckt werden soll, als handelt es sich bei den FDGB-Funktionären um Bonzen, die sich auf Kosten der Arbeiter ein schönes Leben machen.
Am 18.5.1954 wurden im EMW Eisenach,26 [Bezirk] Erfurt, an die Wände folgende Hetzparolen angemalt: »Auch dieses System ist Ausbeutung, ganz raffiniert.« »Am 29. Mai 1954 wiederholt sich ein neuer 17. Juni [1953]!«
In Wriezen, [Bezirk] Frankfurt/Oder, wurden durch unbekannte Täter aus der Losung eines Transparentes »Es lebe der FDGB« die Buchstaben FDGB entfernt und dafür EVG eingesetzt.27
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 8.5.1954 brach in der Möbelfabrik Heinz Gerke Karl-Marx-Stadt28 (Treuhandbetrieb) ein Großbrand aus und griff auf das angrenzende Konsum-Lager über. Der Schaden beträgt ca. 500 000 DM. Als Ursache wurde nach vorläufiger Ermittlung Nichtbeachtung der Brandschutzvorschriften festgestellt.
Einschätzung der Situation
Die Diskussionen über politische Fragen wie die Genfer Konferenz gehen weiter zurück, sind aber überwiegend positiv.
Öfter stehen Schwierigkeiten in der Industrie, Produktion, der Landwirtschaft und der Versorgung mit im Vordergrund der Diskussionen.
Im Allgemeinen ist die Stimmung unter den Jugendlichen zum II. Deutschlandtreffen gut. Jedoch zeigt sich nicht so eine große Begeisterung wie zu den Weltfestspielen.29 Die Bevölkerung nimmt auch nicht so viel Anteil daran.
Negative Stimmen zum II. Deutschlandtreffen sind in ihrem Umfang verhältnismäßig gering.
Anlage 1 vom 20. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2212
Landwirtschaft
Nachfolgend einige Beispiele über bestehende Mängel und Schwierigkeiten im sozialistischen Sektor in der Landwirtschaft. Immer wieder wird von den MTS über Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Ersatzteilen geklagt. So zum Beispiel benötigt die MTS Breitungen, [Bezirk] Suhl, Ersatzteile für Traktoren. Vom Bezirkskontor »Für landwirtschaftlichen Bedarf« Meiningen wurde die Lieferung dieser Teile für August/September zugesagt.
Verschiedentlich wird über eine ungenügende Unterstützung der MTS und LPG seitens der Partei und den unteren Regierungsstellen geklagt. Zum Beispiel im Kreis Schwerin kümmert sich die Kreisleitung der Partei ungenügend um die Politabteilungen und um die Betriebsparteiorganisationen. Dadurch bleibt bei verschiedenen MTS die politische Arbeit zurück. Im gleichen Kreis fehlt es bei einigen LPG an qualifizierten Buchhaltern, sodass die ordnungsgemäße Buchführung Schwierigkeiten macht. In dieser Angelegenheit erhalten sie keine Hilfe vom Rat des Kreises.
Der LPG Raitzhain, [Bezirk] Gera, fehlen 30 Ztr. Saatkartoffeln, dadurch mussten Flächen unbebaut bleiben, weil es für andere Kulturen mit der Aussaat zu spät war.
Die LPG in den Gemeinden Primank, Steinbeck und Spornitz, [Bezirk] Schwerin, benötigen dringend Mastschweine, damit ihr Ablieferungssoll an tierischen Produkten gewährleistet ist.
In der LPG »Clement Gottwald« in Niederndodeleben, [Bezirk] Magdeburg, herrscht ein Futtermangel. Die Pferde sind dermaßen abgemagert, dass sie nur noch für leichte Arbeiten eingesetzt werden können.
Der Leiter der örtlichen landwirtschaftlichen Betriebe in Werder,30 [Bezirk] Schwerin, gab an Großbauern Dünger ab, sodass dadurch der Dünger nicht für alle Felder ausreichte. Er kümmert sich wenig um die Wirtschaft und lehnt Neuerermethoden [ab].
Anlage 2 vom 20. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2212
Anhang über Produktionsschwierigkeiten
Produktionsschwierigkeiten traten in mehreren Betrieben besonders wegen Materialmangel, ferner wegen Ausschuss, Absatzschwierigkeiten und Auftragsmangel auf. Da hierdurch meist Arbeitszeit verloren geht und damit der Lohn der Arbeiter geringer wird, rufen diese Schwierigkeiten negative Diskussionen hervor.
In der Roßlauer Schiffswerft mangelt an schon einige Monate an Material. Die Arbeiter sind darüber missgestimmt, weil ihr Verdienst geringer ist. Täglich werden Arbeiter auf eigenen Wunsch entlassen (Bezirk Halle).
In der Kinderwagen-Industrie im Kreise Zeitz, [Bezirk] Halle, bestehen Schwierigkeiten in der Beschaffung von Rädern und Schieberohr. Die Absatzpläne können dadurch bis zu 20 Prozent erfüllt werden.
In der Schuhfabrik »Banner des Friedens«, Kreis Weißenfels, [Bezirk] Halle, besteht ein Planrückstand von 2 000 Paar Schuhen, da das Leder ungeeignet ist und 11 Prozent der Belegschaft krank sind.
Im VEB Schumann & Co, Werk Leutzsch in Leipzig31 wurde in einer Besprechung von einem Arbeiter der Abteilung Spritzguss bemängelt, dass er laut Plan 70 Tonnen gießen muss, jedoch nur 40 Tonnen Rohmaterial erhält.
Von Vertretern des VEB Werk für Apparaturen und Wärmegeräte und des Staatlichen Komitees für Materialversorgung Berlin wurde festgestellt, dass 1 000 Tonnen Herdguss für die Planerfüllung fehlen. Bei der Plankommission soll eine Herabsetzung der Planauflage beantragt werden.
Im VEB »7. Oktober« Berlin-Weißensee32 wurde der 1. Quartalsplan nicht erfüllt. Der 2. Quartalsplan sowie die Planrückstände können ebenfalls nicht erfüllt werden, da die angelieferten Gussteile zu hohe Ausschussquoten haben.
Im VEB Märkische Ölwerke Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, bestehen Absatzschwierigkeiten, da im Moment ein Margarinestau vorhanden ist.
Im VEB Maschinen- und Gerätebau Berlin sind die vorhandenen Aufträge so gering, dass nur noch für einen Monat Arbeit vorhanden ist.
Tätigkeit der Westsender
Der RIAS versucht laufend durch seine Propaganda die Jugend zu beeinflussen mit dem Ziel, die FDJ-Arbeit lahmzulegen.
In einer Sendung vom 16. Mai 1954 wendet er sich deshalb besonders an die Jugend auf dem Lande. Durch erlogene Beispiele über angebliche »Misserfolge« der FDJ im Bezirk Cottbus will RIAS der Jugend in anderen Bezirken ein Beispiel geben, wie sich durch Passivität die FDJ-Arbeit im Interesse unserer Gegner unmöglich machen soll [sic!].
Die Sendung richtet sich deshalb gegen das Lesen der »Jungen Welt«,33 gegen die Bildung von arbeitsfähigen Leitungen in den FDJ-Organisationen auf dem Lande, gegen Beteiligung am Wettbewerb, gegen die Einführung neuer Aufbaumethoden, gegen Beteiligung an Versammlungen und Schulungsabenden und gegen die Kontrollposten der FDJ.
Weiterhin ist der RIAS bestrebt, die Jugendlichen vom Eintritt in die KVP abzuhalten. Dabei argumentiert er mit Verleumdungen der KVP, welche die Jugendlichen als »Argumente« benutzen sollen, wenn sie die Werbung ablehnen.34
In einer anderen Sendung des RIAS wird versucht, die KVP und die Grenzpolizei zu zersetzen. Dabei will der Gegner besonders die Soldaten in Gegensatz zu den Offizieren bringen. Die Grenzpolizisten versucht man mit Argumenten, wie: »in Westberlin hätten sie keine Feinde, sondern Freunde« zu beeinflussen mit dem Ziel, dass die Kontrolltätigkeit an der Sektorengrenze gegenüber den Gegnern nicht mehr so wirkungsvoll ausgeübt wird.
Weitere Hetze richtet sich gegen den FDGB, dabei argumentiert der RIAS mit der nicht ausreichenden Zahl von Ferienplätzen.
Die Arbeiter in den RAW bei der Eisenbahn versucht RIAS durch Lügen über »Terror« und Nichteinhalten von Versprechungen gegen die leitenden Funktionäre der Eisenbahn aufzuhetzen.
Anlage 3 vom 20. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2212
Die Vorbereitungen zum II. Deutschlandtreffen der FDJ
Im Allgemeinen ist die Stimmung der Jugendlichen, die am II. Deutschlandtreffen teilnehmen, gut. Jedoch ist die Begeisterung nicht so groß wie zu den III. Weltfestspielen. Die übrige Bevölkerung zeigt kein besonders großes Interesse. Eine gewisse Interesselosigkeit zeigt sich unter anderem bei einem Teil der Jugendlichen im Kreis Altenburg, [Bezirk] Leipzig. (Bei einem Soll von 3 000 haben sich erst 800 Jugendliche bereit erklärt.) Ähnlich verhält es sich bei einem großen Teil der Jugendlichen in Berlin. Das ist zum Teil auf die vernachlässigte FDJ-Arbeit der Berliner Betriebe und auch auf die ungenügende Vorbereitungsarbeit der FDJ-Bezirksleitung zurückzuführen. Erst in den letzten Tagen wurden in einigen Betrieben Komitees gebildet, die sich mit der Vorbereitung befassen und zum anderen wird erst jetzt die Werbung durch Sprechchöre der FDJ und der Jungen Pioniere aktiv durchgeführt.
Die Quartierbeschaffung in Berlin ist fast abgeschlossen. Im Bezirk Mitte bemüht man sich, statt den dicht an der Sektorengrenze gelegenen 14 Quartieren andere Unterkunftsmöglichkeiten zu schaffen.
Die Ermittlung des Teilnehmersolls ist in den Kreisen und Städten ziemlich unterschiedlich. Es kommt vor, dass das Teilnehmersoll überfüllt wird, wie z. B. in den Kreisen Nauen, Rathenow, [Bezirk] Potsdam, Hildburghausen, Schmalkalden, [Bezirk] Suhl, sowie in den chemischen Leuna-Werken »Walter Ulbricht«, wo die FDJ-Kreisleitung den Auftrag erhielt, 1 000 Jugendliche zu werben und sich 1 500 Jugendliche gemeldet haben.
Besonders in den ländlichen Gebieten geht die Eintragung in die Teilnehmerlisten nur schleppend voran. So haben sich beispielweise in den Kreisen Sternberg 40 Prozent, Ludwigslust 25 Prozent, Lübz 30 Prozent (Bezirk Schwerin) und Belzig, Jüterbog und Neuruppin ca. 50 Prozent (Bezirk Potsdam) erst eingetragen. Größtenteils ist dies auf die schlechte Arbeit der FDJ-Kreisleitungen zurückzuführen. Sie haben nicht rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen für die Werbeaktion eingeleitet und mitunter besteht auch eine schlechte Zusammenarbeit mit den Parteien und Massenorganisationen, z. B. fand in Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, eine Blocksitzung statt, zu der nicht ein Vertreter der FDJ erschien.
Eine verantwortungslose Arbeit zeigt sich bei den FDJ-Funktionären im Wismutgebiet.35 Zum Beispiel wurde in Auerbach ein Genosse als stellvertretender Leiter des Kreisbüros eingesetzt, dessen Frau nach Westberlin einkaufen fährt, und als Marschblockleiter wurde ein Genosse eingesetzt, dessen Bruder in der englischen Luftwaffe tätig ist. Des Weiteren wurden in Aue zwei Genossen für die Marschblockleitung vorgeschlagen, die einen sehr schlechten Ruf haben und einen unmoralischen Lebenswandel führen und deshalb nicht das Vertrauen der FDJler besitzen.
Verschiedentlich tritt in Erscheinung, dass Jugendliche eine Teilnahme ablehnen, mit der Begründung, dass es nicht genug zu essen gibt, oder dass die Jugendlichen nach Westberlin geschickt würden, und dass es da zu Zusammenstößen kommen kann.36 Zum Teil wird auch zum Ausdruck gebracht, dass die Teilnehmergebühren von DM 15,00 DM hoch sind. So z. B. erklärten die Jugendlichen der MTS Karstädt, [Bezirk] Schwerin: »…, dass sie nicht noch einmal in Berlin hungern wollen, wie es das letzte Mal der Fall war, wo sie einige Tage keine Verpflegung erhalten haben«. Im Kreis Ludwigslust wollen viele Jugendliche nicht mitfahren, da ihnen die Teilnehmergebühren zu hoch sind, da sie mit der S-Bahn nur 0,50 DM bezahlen brauchen und verpflegen wollen sie sich selbst.
Im Kreis Perleberg, [Bezirk] Schwerin, wurden Diskussionen geführt, wie z. B.: »Wir wollen wohl wieder nach Westberlin und uns niederknüppeln lassen!?« Einige FDJler vom Reifenwerk Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt, erklärten, dass sie nicht mitfahren wollten, da sie einen Marsch nach dem Westen befürchten.
Vereinzelt zeigt sich eine negative Beeinflussung der Jugendlichen durch die Kirche, besonders durch die »Junge Gemeinde«, und zwar kommt es vor, dass sich Jugendliche in die Teilnehmerlisten eingetragen haben und nach einer gewissen Zeit lassen sie sich wieder streichen. Das war z. B. bei 80 Jugendlichen im Lehrkombinat »Blaue Fahne« Neugersdorf, [Bezirk] Dresden, der Fall. Oder in der Oberschule Bernau, [Bezirk] Frankfurt, erklärten sich dadurch nur acht Jugendliche zur Teilnahme bereit. In der Gemeinde Öttersdorf bei Gera hat sich nicht ein Jugendlicher in die Teilnehmerlisten eingetragen.
Im Kreis Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, plant die »Junge Gemeinde«, während der Zeit des Deutschlandtreffens Veranstaltungen durchzuführen. Sie verschickten bereits Einladungen an alle konfirmierten Jugendlichen.
Verschiedentlich wurden die Sammlungen für das II. Deutschlandtreffen sehr schlecht organisiert und dadurch ist das Ergebnis des Öfteren sehr ungenügend. In allen Kreisen des Bezirkes Magdeburg, außer dem Kreis Havelberg, ist das Sammlerergebnis ein schlechtes und zwar wurde das Soll bis jetzt mit 28 Prozent erfüllt. In Johanngeorgenstadt beträgt das Soll 110 000 DM und bis jetzt wurden 19 800 DM gesammelt. In Luckenwalde beträgt das Soll 36 000 DM und gesammelt wurden bis jetzt 6 000 DM.
Am 15.5.1954 betrug der Teilnehmerbestand z. B. in Dresden 97 Prozent, Wismut 78,8 Prozent, Gera 70 Prozent, Erfurt nahezu 100 Prozent, Potsdam 87,9 Prozent, Schwerin 63 Prozent, Rostock 75 Prozent, Neubrandenburg 54 Prozent, Cottbus 86,4 Prozent und im Bezirk Magdeburg 80 Prozent.
Im Bezirk Halle haben bis jetzt sieben Kreisleitungen, im Bezirk Leipzig neun Kreisleitungen und im Bezirk Suhl sechs Kreisleitungen ihr Soll erfüllt. Im Bezirk Karl-Marx-Stadt betrug das Werbesoll 46 000 und 61 000 Jugendliche haben sich eingetragen. Im Bezirk Frankfurt betrug das Soll 11 000 und gemeldet haben sich 12 000 Jugendliche.
Feindtätigkeit
In Weesenstein, Kreis Pirna, [Bezirk] Dresden, wurden anlässlich einer Jugendversammlung an den Rädern von fünf Funktionären die Muttern abgedreht, sodass die Funktionäre auf dem Nachhauseweg gestürzt wären, wenn der Vorfall nicht noch rechtzeitig bemerkt worden wäre. Der Schaden wurde verhindert. In Burkhardtswalde, ebenfalls Kreis Pirna, [Bezirk] Dresden, wurden dem auf einem Plakat für das II. Deutschlandtreffen abgebildeten FDJler ein Hakenkreuz aufgeklebt.
In mehreren Orten des Kreises Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin, wurden Plakate, die auf das II. Deutschlandtreffen hinweisen, abgerissen.
Die FDJ-Gruppe in der Gemeinde Dechow, [Bezirk] Schwerin, erhielt einen fingierten Brief, in dem sie aufgefordert wurde, an einer Tagung in der FDJ-Kreisleitung Güstrow teilzunehmen.
Der Jugendinstrukteur von der MTS Wolfshagen, [Kreis] Perleberg, [Bezirk] Schwerin, erhielt in letzter Zeit öfters fingierte Anrufe, wo ihm mitgeteilt wurde, dass er zur Bezirksleitung nach Schwerin kommen sollte.