Zur Beurteilung der Situation
21. Januar 1954
Informationsdienst Nr. 2076 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Wesentliche Veränderungen in der Stimmung der Bevölkerung wurden aus den Bezirken nicht berichtet.
Feindtätigkeit
Am 21.1.1954 wurde von unbekannten Personen im VPKA Zeulenroda, [Bezirk] Gera, viermal telefonisch angerufen, wobei geäußert wurde: »Passt auf, am 17.6.[1953] war Polterabend, die Hochzeit kommt jetzt.« Weiterhin: »In Berlin ist Großfeuer, die ganze DDR steht in Flammen.«
Gerücht: Im Bezirk Leipzig wird unter Umsiedlern das Gerücht verbreitet, dass in Westdeutschland ein Hochamt für Landmannschaften der Ostzone errichtet werden soll, wo Forderungen zur Revision der Oder-Neiße-Friedensgrenze an die vier Westmächte erarbeitet werden.1
Hetzschriften:
In größeren Mengen wurden Hetzschriften (Sozialdemokrat)2 durch Ballons im Kreis Torgau, [Bezirk] Leipzig, eingeschleust.
Im Bezirk Frankfurt größere Mengen der NTS3 und »Freiheitsrat«4 (Hetze gegen die SU und Walter Ulbricht5 – langsam arbeiten.) Im Kreis Gräfenhainichen, [Bezirk] Halle, wurden sechs verschiedene Auflagen, die bereits bekannt sind gebündelt aufgefunden (FDP). Ähnlich im Kreis Bitterfeld, [Bezirk] Halle. In jedem Bündel waren außer den Hetzschriften 10 bis 15 beschriftete Postkarten mit unverfänglichem Inhalt, adressiert an Berlin-Charlottenburg.
Eine größere Postwurfsendung (KgU)6 wird aus dem Bezirk Halle berichtet. Inhalt: Funktionäre werden zum Kampf gegen die DDR und SU aufgefordert. Aufgabeort Halle/Saale. Vereinzelt wurden Fahrkarten (Hetze gegen Funktionäre der Partei und Regierung) in Berlin gefunden.
Westberlin
Von einem Hauptagenten des sogenannten Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen7 wird bekannt, dass während der Konferenz nichts gegen die DDR unternommen werden soll. Sobald man aber merkt, dass die Außenminister sich nicht einig werden, wird es in beiden Teilen Deutschlands losgehen.8
Jugendliche aus Flüchtlingslagern, als Stör- bzw. Diskussionsgruppen vom »Komitee 17. Juni« organisiert,9 wurden am 17.1.1954 zu Dreiergruppen an die Sektorengrenze geschickt (Generalprobe), um mit den Demonstranten zur L. L. Feier zu diskutieren.10 Die Gegenargumente mussten von den Jugendlichen zur Auswertung gesammelt werden.
Am 13.1.1954 fand im Flüchtlingslager Düppel11 eine Versammlung, von SPD-Funktionären organisiert statt. Als Sprecher traten drei Amerikaner auf. Nach einer gewissen Einleitung gingen sie dazu über, den Flüchtlingen klarzumachen, dass sie mit den Amerikanern eine gemeinsame Abwehrfront bilden müssen. 60 Personen die sich bereiterklärten, erhielten einen Fragebogen, den sie persönlich in der Clayallee abzugeben haben.12
Anlage vom 21.1.1954 zum Informationsdienst Nr. 2076
Stimmung der Intelligenz zur Berliner Konferenz
Die vorliegenden Stimmen aus den Kreisen der Intelligenz besagen, dass noch viele zweifelnde und passive Stellungnahmen vorhanden sind. Das Hauptargument sind die Gegensätze zwischen der SU und den Westmächten, die als unüberbrückbar hingestellt werden. Neben vielen Hoffnungsmeinungen treten auch direkt feindliche Stimmen hervor, wie kategorische Verweigerung von Unterschriften.13 Im demokratischen Sektor von Berlin sind die Stimmen zweifelnder als in der Republik. Die zwischen Geistesschaffenden von Ost und West jetzt in Berlin aufgenommenen Verbindungen wirken sich positiv aus.14
Charakteristische Beispiele:
Ein Lehrer aus Karl-Marx-Stadt: »Unsere Forderung zur Konferenz heißt Vertreter aus beiden Teilen Deutschlands. Diese Forderung entspricht den Lebensinteressen unserer Nation.«
Ein bildender Künstler aus dem demokratischen Sektor: »Von uns wurden 16 Westberliner bildende Künstler angesprochen. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass dieses Unternehmen positiver als erwartet auslief. Die Mehrzahl stimmte zu, wobei es auch eine Reihe Bedenken gab.«
Ein technischer Wissenschaftler aus dem demokratischen Sektor: »Jetzt weiß ich wirklich nicht was los ist. Spricht man viel vom Frieden, sieht’s sehr brenzlich aus. Ich habe in Bezug auf die Konferenz wenig Hoffnungen.«
Ein Wissenschaftler aus dem demokratischen Sektor von Berlin: »Man kann nur hoffen, dass es zur Einigung kommen möchte. Ich bin nur ratlos, wie das vonstattengehen soll. Die Wirtschaftssysteme sind doch zu verschieden.«
Ein Intelligenzler aus Dresden: »Wer wird wohl in Berlin den meisten Erfolg haben? Geht die Sache wieder auf unseren Buckel aus, oder wird allen Gefahren zum Trotz eine für uns gute Lösung dieser Probleme entspringen? An Vernunft wollen wir gar nicht denken, dazu sind die Politiker nicht fähig, sie handeln nach Prinzipien, die ihnen durch gewisse Richtschnürchen vorgeschrieben sind.«
Ein Intelligenzler aus Köthen/Anhalt: »Vielleicht kommt es zur Einheit Deutschlands. Wir wollen beten, dass die Viererkonferenz den Friedensschluss unserem Volke bringt.«
Ein Intelligenzler aus Halle: »Ich steure mit gespitzten Ohren der Berliner Konferenz entgegen. Das Rätselraten klingt aus allen Reden heraus und die Zeitungen überschlagen sich vor Schmähungen der Amerikaner. Wenn jetzt schon so toll gehetzt wird, was soll erst während der Verhandlung werden?«