Zur Beurteilung der Situation
23. Januar 1954
Informationsdienst Nr. 2079 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Über die bevorstehende Viermächtekonferenz1 wird weiterhin unter den Werktätigen diskutiert. In der Mehrzahl wird darin zum Ausdruck gebracht, dass sie von der Konferenz die Herstellung der Einheit Deutschlands erhoffen. Ein Teil, besonders aus Kreisen der Angestellten und technischen Intelligenz, will die Einheit im Sinne des Westens.2
Ein Arbeiter des Kalikombinates Heiligenroda, [Bezirk] Suhl: »Ich begrüße die Viermächtekonferenz in Berlin und hoffe nun endlich auf eine friedliche Lösung des deutschen Problems.« Ein Angestellter aus dem Konstruktionsbüro im VEB IKA Suhl: »Ich hoffe, dass die Konferenz die Einheit Deutschlands bringt, aber so, wie es früher gewesen ist, oder unter der Führung Westdeutschlands.«
Die Forderung auf Teilnahme deutscher Vertreter an der Konferenz wird weiterhin von den Arbeitern und Angestellten der Betriebe unterstützt.3 Ein kleiner Teil der Arbeiter und Angestellten steht der Forderung negativ gegenüber, wobei meist gesagt wird, dass man das deutsche Volk doch nicht beachten würde.
Ein Elektriker im Bahnbetriebswerk Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich habe meine Unterschrift für die Rosenbergs4 gegeben und es war umsonst. Zur Außenministerkonferenz gebe ich auch nicht meine Unterschrift, da es jedoch ebenfalls umsonst ist.«5
Ein Markscheider aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es wäre besser, ohne deutsche Vertreter zu verhandeln, da die Uneinigkeit der Vertreter beider Teile Deutschlands die Besatzungsmächte negativ beeinflussen kann.«
Zweifelnde Diskussionen zu einem positiven Ergebnis der Konferenz werden weiterhin von den Arbeitern, Angestellten und der technischen Intelligenz geführt, wobei der Anteil der Angestellten etwas gestiegen ist. Die Hauptargumente hierfür sind, dass die Unterschiede zwischen dem Osten und dem Westen zu groß seien, die Westmächte, besonders die USA, auf ihren Forderungen beharren werden und dass an der Frage der Oder-Neiße-Grenze alles scheitern könne.6
Ein Angestellter vom VEB »7. Oktober« Magdeburg: »Ich bin der Ansicht, dass bei der Konferenz nichts herauskommt, da die zwei Welten, Amerika und SU, grundverschieden sind.«
Ein Arbeiter aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich habe deshalb Zweifel an einem positiven Ergebnis der Konferenz, weil die Imperialisten Zeit benötigen, um den Krieg weiter vorzubereiten und deshalb nicht nachgeben werden.«
Ein Arbeiter aus der Filmfabrik Wolfen,7 [Bezirk] Halle: »An uns soll es nicht liegen, wenn die Konferenz keinen Erfolg hat. Aber wenn Adenauer8 solche provokatorischen Fragen wie die Oder-Neiße-Grenze stellt, dann kann es keinen Erfolg geben.«
Negative Diskussionen sind weiterhin nur in geringem Umfange bekannt geworden. Sie stammen vor allem von Angestellten und der technischen Intelligenz.9
Ein Angestellter vom VEB Porzellanwerk Triptis, [Bezirk] Gera: »Wenn die sich auf der Konferenz nicht einig werden, so liegt das am Russen.«
Ein Techniker im Narag-Werk Schönebeck,10 [Bezirk] Magdeburg: »Die Konferenz wird schon an einem Punkt scheitern und zwar an freien gesamtdeutschen Wahlen. Die Westmächte werden sich niemals von den Russen etwas aufzwingen lassen.«
Ein Arbeiter aus den Framo-Werken in Hainichen,11 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Da könnt Ihr lange warten mit der Einheit. Die Russen müssen dann in verschiedenen Punkten nachgeben, so z. B. in der Frage der Oder-Neiße-Grenze.«
Ein Angestellter aus dem Bahnbetriebswerk Rostock: »Man müsste endlich mit der Hetze gegen den Westen aufhören, denn sonst wird sich Adenauer niemals bereit erklären, mit uns zu verhandeln.«
Über die Amnestierung der von sowjetischen Militärgerichten verurteilten Deutschen,12 sind nur vereinzelt Stimmen von Haftentlassenen und aus der Bevölkerung bekannt. Ein ehemaliger Strafgefangener aus Cunnersdorf, [Bezirk] Dresden: »Ich bereue es nicht, in der SU gewesen zu sein. Wir sind dort gut behandelt worden.« Ein ehemaliger Häftling aus Zittau, [Bezirk] Dresden: »Wir bekamen vonseiten der Deutschen und Russen keine Hilfe und Nachricht.« Ein Mechaniker vom Reichsbahnausbesserungswerk Potsdam: »Nun haben sie teilweise ihre acht bis neun Jahre abgesessen, da hat man ihnen ja auch nicht viel geschenkt.«
Missstimmung besteht bei den Kollegen des Leipziger Eisen- und Stahlwerkes, da noch keine genehmigten Baupläne vorhanden sind und deshalb die Bauarbeiten erheblich eingeschränkt werden mussten; im Mähdrescherwerk Weimar, [Bezirk] Erfurt, da Arbeits- und Absatzschwierigkeiten bestehen, wodurch im Februar mit größeren Stockungen gerechnet werden muss; im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld, [Bezirk] Halle, da Lohnforderungen, die bereits am 17.6.[1953] und in der Folgezeit gestellt wurden, noch nicht erfüllt sind; im VEB Stahlbau Kretzschau, [Bezirk] Halle, weil die neuen Lohngruppenerhöhungen im Verhältnis zum VEB Zemag Zeitz geringer sind.13
Schwierigkeiten in der Planerfüllung bestehen im VEB Kirow-Werk Leipzig14 wegen schleppender Lieferung von Drehgestellen, Grobblechen und Getrieben.
Erhöhte Materialschwierigkeiten für Framo-Getriebe bestehen im VEB IFA-Getriebewerk Glauchau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, da der ehemalige Zubringerbetrieb Roßwein,15 der die erforderlichen Rohlinge produziert, jetzt andere Betriebe beliefern muss; weiterhin wurden bisher vom zuständigen Fachministerium keine Materialkontingente für Vorderachsen für den Stalin-Mähdrescher bereitgestellt,16 wodurch die 400 Mähdrescher, die bis zur Ernte 1954 produziert werden sollen, nicht fertiggestellt werden können.
Der Kokseingang im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin«, [Bezirk] Frankfurt/Oder, ist immer noch mangelhaft, wodurch jetzt der Ofen II nicht angeblasen werden kann.
Störung: Am 22.1.1954 brannte im VEB Mähdrescherwerk Erfurt bei einem Kessel ein Rost durch, wodurch ein Schaden von 25 000 DM entstand. Die Ursachen werden noch ermittelt.
Handel und Versorgung
Auch heute wurden wieder nur örtliche Mängel aus der Versorgung gemeldet. Im Kreis Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, fehlen noch 626 t Kohle, damit die Kohlenkarten der Bevölkerung restlos beliefert werden können; für die dem Rat des Kreises unterstellten VEB fehlen noch 771 t Kohle. Bei der HO Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg, lagern 20 t Süßwaren, die zu Verderben drohen, und nicht abgesetzt werden können. Bereits vor drei Monaten ist das zuständige Ministerium darauf hingewiesen worden.
Ernstere Auswirkungen bringt der Mangel an Kartoffeln im Bezirk Schwerin mit sich. Es fehlen noch 1 236 t für die Einkellerung, in der Versorgung der HO-Gaststätten und auch in einigen Werkküchen sind auch Schwierigkeiten aufgetreten. Alle erfassten Kartoffeln (außerdem auch Frischeier) müssen zzt. nach Berlin geliefert werden. Ein Arbeiter aus der MTS-Werkstatt Schwerin sagte dazu: »Wenn unsere Kollegen keine Kartoffeln mehr in der Werkküche bekommen, legen sie die Arbeit nieder.«17
Aus Halle wird berichtet, dass in den Handelsorganen nach Vereinbarungen der Ministerien für Finanzen und für Handel und Versorgung Maßnahmen zu einem verbilligten Ausverkauf von schwer absetzbaren Waren getroffen wurden. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen worden waren, wurde die Aktion von Berlin aus wieder abgestoppt mit dem Vermerk, dass nur die Waren aus der Produktion von 1952 verbilligt verkauft werden sollen. In den Handelsorganen sind darüber Missstimmungen aufgetreten.
Landwirtschaft
Die Diskussion zur Viererkonferenz erfasst den größten Teil der Landbevölkerung. Es gibt aber auch Gemeinden, in denen hierüber kaum diskutiert wird. So besonders in den Bezirken Frankfurt/Oder, Potsdam und Karl-Marx-Stadt,18 aber auch in anderen Bezirken. Bestimmend hierfür ist der Einfluss der großbäuerlichen Elemente. Zur Frage der Viererkonferenz äußert sich ein großer Teil der Landarbeiter und Bauernschaft positiv, besonders werktätige Bauern aus den LPG, Kleinbauern und Teile der Mittelbauernschaft sowie Arbeiter und Angestellte der MTS. Gleichzeitig gibt es aber auch eine sehr große Anzahl zweifelnder Stimmen19 unter den zuvor genannten Schichten. Negative Einstellungen unter diesen Schichten sind nur vereinzelt. Stärker jedoch unter großbäuerlichen Elementen. Diese versuchen durch die verschiedensten Gerüchte Klein- und Mittelbauern und werktätige LPG-Bauern sowie Angehörige der MTS zu beeinflussen, was sich in deren Äußerungen widerspiegelt. Überwiegend bei Umsiedlern. Die negativen Hauptargumente20 sind: Beseitigung der Oder-Neiße-Grenze; freie Wirtschaft; Auflösung der LPG am 25.1.1954 und Auffliegen der Konferenz.21
In der Gemeinde Gransee, [Bezirk] Potsdam, äußerte sich ein Großbauer – ehemaliger Offizier bei der SS: »Die Außenministerkonferenz ist ja ein Dreck, wenn sie nicht zum Erfolg führt, dann muss es Krieg geben. Dann wird bestimmt Ordnung werden. Ich bin schon 40 Jahre alt und brauche ja nicht mehr mitmachen.«
In den Gemeinden Steinförde, Krummerow und Kleintennow,22 [Bezirk] Potsdam, kursiert ein Gerücht, dass die oben angeführten Ortschaften zu räumen sind und von der Roten Armee in Beschlag genommen werden. Entstanden ist dieses Gerücht durch Vermessungen, die von Angehörigen der Roten Armee in der Nähe dieser Ortschaften durchgeführt wurden.
Der Vorsitzende der LPG Gorschmitz, [Kreis] Döbeln, [Bezirk] Leipzig, äußerte: »Die Konferenz fliegt sowieso auf und es werde daraufhin zu einem neuen Krieg kommen.«
Einwohner der Gemeinde Gersdorf, [Kreis] Jessen,23 [Bezirk] Cottbus, äußerten: »Zur Einheit Deutschlands gehört auch die Beseitigung der Oder-Neiße-Grenze, auch das muss auf der Konferenz in Berlin behandelt werden.«
In der Gemeinde Schenkendöbern, [Kreis] Guben, [Bezirk] Cottbus, äußerte sich der Sekretär der SED: »Wer soll noch Vertrauen haben zu unserer Regierung. Was geht mich die Viermächtekonferenz in Berlin an. Wir als Umsiedler wollen unsere Heimat wiederhaben. So wie ich denke, denken alle Umsiedler. Mit der Partei will ich nichts mehr zu tun haben und trete aus.«
Ein werktätiger Bauer aus Grünberg, [Kreis] Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg, sagte am 20.1.1954 zu einem LPG-Bauern, ebenfalls in Grünberg wohnhaft: »Am 25.1.1954 gebt Ihr Euer Vieh sowieso heraus. Die SED wird aufgelöst und die Situation ändert sich.«
Die Bauern in Vietgest,24 [Kreis] Güstrow, [Bezirk] Schwerin, erklärten, dass sie jetzt nicht mehr abliefern, sondern warten, welches Ergebnis die Viererkonferenz bringt, denn sie erwarten von der Konferenz, dass sich die vier Großmächte auf die Einführung der freien Wirtschaft einigen.
LPG: Aus der LPG Nustrow, [Kreis] Rostock, traten acht Mitglieder aus mit der Begründung, dass sie einen schlechten Vorstand und auch keine Lust mehr hätten. Im Bezirk Rostock kommen fast aus allen LPG Klagen, dass die Buchführung zu kompliziert sei und man keine Fachkräfte für diese Arbeit habe. Die Patenbetriebe25 haben eine andere Buchführung und können nicht anleiten.
Unzufriedenheit herrscht in der LPG Rottelsdorf,26 [Kreis] Eisleben, [Bezirk] Halle. Hier wurde der Bürgermeister mit folgenden Argumenten angegriffen: »Du bist ein 200-prozentiger, Ihr wollt uns alle nur ausbeuten und wir werden nur noch betrogen, wir sind regelrechte Arbeitssklaven und warum bekommen wir kein Krankengeld, wenn wir krank sind?« Die Mitglieder der LPG haben schon monatelang kein Krankengeld bekommen.
In der Gemeinde Altpetzen,27 [Kreis Bad] Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, klagen die Bauern über Futtermittelknappheit; da auf alle Anträge hin bisher noch kein Futter zur Verfügung gestellt wurde und es vom Rat des Kreises nur bei Versprechungen blieb, stellt ein Bauer den Antrag, die Preise für den freien Aufkauf zu senken und dafür die Sollpreise zu erhöhen.
Stimmung der übrigen Bevölkerung
Neben den zweifellos zahlreicheren positiven Beispielen treten in der übrigen Bevölkerung im Verhältnis zu den Werktätigen in der Industrie mehr zweifelnde und negative Stimmen zur Viererkonferenz auf. Hierbei geht man davon aus, dass die vier Mächte von ihrem einmal eingenommenen Standpunkt nicht abweichen werden und es dadurch aufgrund der vorhandenen Gegensätze zu keiner Einigung kommen könne. Ein Teil der Umsiedler sieht die Konferenz scheitern an der Frage der Oder-Neiße-Grenze,28 da die SU hier keine Zugeständnisse machen werde. Ein größer werdender Teil rechnet auf eine Lösung dieser Frage im westlichen Sinne und erwartet von der Konferenz die Möglichkeit zur Rückkehr in die alten Gebiete.
Ein Umsiedler im Kreis Bitterfeld, [Bezirk] Halle: »Ich bin der Meinung, dass die Westmächte auf die Vorschläge der SU nicht eingehen werden. In der Frage Schlesien sowie aller Ostgebiete wird keine Einigkeit erzielt werden und so gibt es noch mehrere Fragen. Ich selbst kann meine Heimatscholle nicht vergessen und möchte lieber heute als morgen zu Hause sein.«
Eine Putzfrau aus Reddelich, [Kreis Bad] Doberan, [Bezirk] Rostock: »Wenn die doch Erfolg haben wollten auf der Berliner Konferenz, damit wir endlich einen Friedensvertrag bekommen und alle wieder in unsere Heimat zurückkönnen.«
Aus den Kreisen des Kleinbürgertums kommen neben positiven Beispielen in stärkerem Maße zweifelnde Stimmen. Ein parteiloser Einzelhändler in Ziegenrück brachte zum Ausdruck, dass die Vertreter der vier Mächte wohl genauso auseinandergehen werden, wie sie gekommen sind.
Eine parteilose Geschäftsinhaberin in Penzlin, [Kreis] Waren, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich wünsche, dass die Konferenz eine Einigung bringt, glaube aber nicht, dass es dazu kommen wird. Hoffentlich kommt der alte Kurs bei uns nicht wieder, denn ich möchte doch gerne mein Geschäft behalten.29 Sonst ist mir egal, ob der Kommunismus oder Kapitalismus herrscht.«
Bei den Stimmen der Intelligenz sind positive Beispiele der Einstellung zur Viererkonferenz vorhanden, jedoch überwiegen die abwartenden und am Erfolg zweifelnden Stimmen. Ein Zahnarzt aus Frankfurt/Oder: »Wie das alles mal werden soll, wenn wir die langersehnte Einheit Deutschlands haben, darauf bin ich neugierig. An ein Regime unter östlicher Orientierung glaube ich nicht, aber ein Regime westlicher Orientierung wird uns bestimmt auch nicht mehr gefallen, denn diese Zeiten haben sich für uns bereits überlebt.«
Des Öfteren erscheinen negative Stimmen aus Lehrerkreisen, wobei Unglaube an die Kraft und Stärke des Friedenslagers zum Ausdruck kommt. Ein Lehrer aus Hohen Luckow, [Kreis Bad] Doberan, [Bezirk] Rostock: »Wenn ich ein Urteil über die Stimmung der Bevölkerung zur Viererkonferenz abgeben soll, so muss ich sagen, dass 95 Prozent dafür sind, dass es freie Wahlen geben soll, denn mit einer provisorischen Regierung sind sie nicht zufrieden. Diese 95 Prozent stimmen bei den Wahlen alle für den Westen.«
Von den bürgerlichen Parteien tritt die NDPD aktiver hervor. Insbesondere bei der Sammlung von Unterschriften. CDU-Mitglieder verhalten sich im Allgemeinen abwartend. Ein Mitglied der CDU, ein Bauunternehmer in Neustrelitz: »Es wäre Zeit, dass Deutschland wieder ein einheitlicher Staat würde und dass wir endlich einen Friedensvertrag bekommen. Doch müsse man abwarten und sich nicht zu viel von der Konferenz versprechen, weil große Gegensätze zwischen den Konferenzpartnern bestehen.«
In der CDU in Weimar treten Zerfallserscheinungen auf, wegen Überalterung der Mitgliedschaft. Etwa 55 bis 60 Prozent der Mitglieder zahlen nur noch Beiträge und verhalten sich im Übrigen passiv. Die Stimmung zur Viermächtekonferenz ist so, dass eine Änderung der Verhältnisse in Deutschland, und zwar über Nacht, erwartet wird. Dabei wird der Standpunkt einer Einheit Deutschlands im westlichen Sinne vertreten. Aufgrund dieser Stimmung wurde am 13. und 14.1.1954 in Weimar eine Konferenz der Kreissekretäre der CDU des Bezirkes Erfurt durchgeführt, auf der der Volkskammerabgeordnete Bach30 ein längeres Referat hielt. Nach der Diskussion wurde beschlossen einen »parteiamtlichen Standpunkt«31 zu beziehen, indem es heißt: »Von einer sofortigen Schaffung der Einheit Deutschlands kann nicht die Rede sein, das Höchste, das man von der Konferenz erwarten kann, ist eine Entspannung der internationalen Gesamtsituation als Nährboden weiterer Verhandlungen, die neben anderen Erfolgen auch die Streitfragen in der deutschen Frage lösen könne.«
Zu den Haftentlassungen liegen größtenteils positive Stimmen vor. Ein kleiner Teil der Bevölkerung betrachtet jedoch diese Maßnahme als Bluff und Schachzug zur Viererkonferenz. Ein anderer Teil verbreitet die Meinung, dass die Haftentlassungen nur aufgrund des Druckes der Westmächte erfolgt seien. Ein Angestellter der Deutschen Notenbank Colditz, [Bezirk] Leipzig: »Die Entlassungen sind eine Mache bzw. ein Bluff in Anbetracht der bevorstehenden Außenministerkonferenz.« Die SU bzw. die DDR wollen nur den Eindruck schinden, und vor den Großmächten glänzen. Ein Menschenleben würde sowieso nichts gelten, das sei durch die harten Urteile 1946/47 bewiesen worden.32 Die Häftlinge seien vor ihrer Entlassung geschult worden.
Organisierte Feindtätigkeit
Flugblatttätigkeit geringer in den Bezirken Erfurt, Dresden, Karl-Marx-Stadt, stärker in den Bezirken Leipzig, Cottbus, Potsdam und Schwerin. Bei den im Bezirk Schwerin gefundenen handelt es sich um 3 000 Stück einer neuen Art. Unter der Losung: »Zwei Schritte zur gemeinsamen Freiheit und Wiedervereinigung Deutschlands« befindet sich ein Bild, das zwei Arbeiter darstellt, die sich symbolhaft über die Zonengrenzen hinweg die Hände reichen. Jeder von ihnen trägt eine Fahne, auf der einen steht geschrieben: »6. September 1953 – keine Kommunisten mehr im Bundestag«,33 auf der anderen: »17. Juni 1953 – Aufstand gegen die Knechtschaft«.
In den Straßen von Kühlungsborn, [Bezirk] Rostock, wurden Zettel mit Totenköpfen gefunden.
Am Eingangstor des Jugendwerkhofes Römhild,34 [Kreis] Meiningen, [Bezirk] Suhl, wurde zum wiederholten Male ein selbst geschriebenes Hetzblatt, das sich gegen die Regierung der DDR richtete, angebracht.
Terror: Aus den Kreisen Brandenburg, Neuruppin und Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, und einigen anderen Orten des Bezirkes Potsdam wurde bekannt, dass in den letzten Tagen Genossen und andere fortschrittliche Bürger von Jugendlichen terrorisiert werden. Zum Beispiel wurden bei einem Genossen in Babelsberg wiederholt Fensterscheiben eingeschlagen. In Königs Wusterhausen wurde beim sowjetischen Kommandanten das Badezimmerfenster eingeschlagen,35 als er sich gerade im Badezimmer befand. In Neuruppin wurde ein Jugendlicher, der bereits zweimal Arbeiter aus einem VEB niedergeschlagen hatte, verhaftet.
In Kossa,36 [Kreis] Eilenburg, [Bezirk] Leipzig, sind Kräfte am Werk, die Jugendliche zu Schlägereien mit Volkspolizisten zu verleiten suchen.
In der Nacht zum 22.1.1954 drangen Rowdys in den Clubraum des VEAB in Zinnowitz, [Bezirk] Rostock, ein, randalierten dort und bedrohten den Nachtwächter.
Im »Albert Kuntz«-Kombinat in Wurzen, [Bezirk] Leipzig, wurden Losungen: »Der ›Tag X‹ kommt wieder«37 angeschmiert.
Im RAW Cottbus wurden in der Toilette angeschmierte Losungen: »Auf zur Revolution im RAW« und an einigen Maschinen Schnecken-Zeichen, das Zeichen zum Langsamarbeiten, festgestellt.
Am 19.1.1954 sammelten FDJ-Mitglieder in der Zuckerfabrik Görlitz,38 [Bezirk] Dresden, Unterschriften für die Forderung auf Freilassung eines inhaftierten Provokateurs vom 17. Juni.39
In einer Einwohnerversammlung der Nationalen Front40 in Zwickau-West, an der ca. 2 300 Personen teilnahmen, trat ein Intelligenzler (Mitglied unserer Partei) provokatorisch auf. Als der Referent die Forderung »Deutsche an einen Tisch« aussprach, rief er dazwischen, ob er (der Referent) seine Füße auch mit darunter stecke, sie wären zwar etwas dreckig, aber das schade ja nichts, denn die anderen hätten ja auch dreckige.
In der 1. Plauener Baumwollweberei41 wurde am 19.1.1954 der Kettenbaum eines Webstuhles zerschnitten.
Die Maxhütte in Unterwellenborn, [Bezirk] Gera, erhielt am 20.1.1954 ein Schreiben vom Edelstahlwerk Döhlen,42 indem eine Delegation zu einem Erfahrungsaustausch am 22.1.1954 nach Görlitz eingeladen wurde. Überprüfungen ergaben, dass es sich um eine Fälschung handelt.
Im Kreis Köthen, [Bezirk] Halle, erhielten in den letzten Tagen öfters Betriebsparteisekretäre fingierte telefonische Anrufe.43 So wurde z. B. der Parteisekretär der Solvay-Werke in Osternienburg angerufen und zur Kreisleitung bestellt. Es stellte sich jedoch als Fälschung heraus.
Der Genosse Kulturleiter vom Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb Hangelsberg, [Kreis] Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, erhielt einen Drohbrief, indem unter anderem auch mit einem zweiten 17. Juni gedroht wurde. In diesem Kreis sind ähnliche Drohbriefe an mehrere Funktionäre gesandt worden.
Vermutliche Feindtätigkeit
Im RFT-Funkwerk Erfurt setzte am 22.1.1954 in den frühen Morgenstunden ein neuaufgestellter Heizkessel aus, weil er auf Anweisung des Hauptmechanikers des Werkes am Abend zuvor angeheizt wurde, trotz dem der Monteur der Herstellerfirma darauf hinwies, dass der Ofen noch nicht angeheizt werden dürfe.
Im Kombinat Böhlen,44 [Bezirk] Leipzig, wurde kürzlich eine Turbine, die aus Deutschthal45 zum Auswuchten angeliefert wurde, unbearbeitet wieder zurückgeschickt, obwohl die Reparatur möglich gewesen wäre. Ferner wurde eine Welle, die von einem Leipziger VEB zur dringenden Reparatur angeliefert worden war, 14 Tage lang liegen gelassen. Es wird Sabotage vermutet.
In Neschwitz, [Kreis] Bautzen, [Bezirk] Dresden, führte eine Einwohnerin im Auftrage eines Pfarrers eine Unterschriftensammlung für eine Bittschrift an den Präsidenten Wilhelm Pieck46 durch. Darin wird der Präsident gebeten, gleich dem Beispiel der SU, eine Amnestie für »politische Gefangene« zu erlassen. Die Liste wurde von der VP vorläufig eingezogen.
Einschätzung der Situation
In der Stimmung zur Viermächtekonferenz machen sich stärker werdende Zweifel an einem erfolgreichen Verlauf der Verhandlungen bei Angestellten in den Betrieben und besonders in kleinbürgerlichen Kreisen bemerkbar.
Diskussionen zur Oder-Neiße-Grenze werden stärker unter den Umsiedlern, wobei der Teil, welcher eine Revision erhofft, zunimmt.
Die Feindtätigkeit, besonders im Zusammenhang mit der Konferenz, tritt stärker in Erscheinung.