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Zur Beurteilung der Situation

23. Januar 1954
Informationsdienst Nr. 2080 zur Beurteilung der Situation

Aus vorliegendem Material ergibt sich nachfolgend aufgezeigtes Stimmungsbild vom demokratischen Sektor von Groß-Berlin:

Bei den Arbeitern der Berliner Betriebe steht im Mittelpunkt der Interessen die bevorstehende Viermächtekonferenz.1 In der Mehrzahl der Stimmen der Arbeiter kommt eine gespannte, jedoch zurückhaltende Haltung in ihren Diskussionen über die Konferenz zum Ausdruck. Die Bauarbeiter des Bauabschnittes A Nord und A Süd in der Stalinallee nehmen im Allgemeinen eine abwartende Haltung ein. Die Diskussionen in den verschiedenen Brigaden verlaufen negativ. In der Brigade »Priebe« A Süd wird darüber gesprochen, dass die Normen wieder willkürlich erhöht werden sollen. Auch zur Viermächtekonferenz verhalten sich die Arbeiter abwartend. Nach Ihrer Meinung kann nicht viel bei der Konferenz herauskommen. Diskussionen über die Oder-Neiße-Grenze treten ebenfalls auf.

Die positiven Kräfte unter den Arbeitern, die sich für einen Erfolg der Viermächtekonferenz aussprechen, und die Linie unserer Partei vertreten, treten stärker als die negativen und feindlichen Kräfte in Erscheinung. Im VEB Derunapht Berlin-Lichtenberg2 wurde eine Belegschaftsversammlung über die Viermächtekonferenz durchgeführt, welche einen positiven Verlauf nahm. Es beteiligten sich an dieser Versammlung alle Belegschaftsangehörigen und nahmen positiv dazu Stellung.

Die negativen Kräfte sind verhältnismäßig kleine Gruppen, die jedoch teilweise starken Einfluss ausüben. Sie versuchen örtlich vorhandene Differenzen und Schwierigkeiten z. B. in der Lohn- und Normenfrage auszunutzen, um eine Missstimmung unter den Arbeitern zu erzeugen und es gelingt diesen negativen Kräften, die Zweifelnden bei Diskussionen über soziale Probleme in Betrieben oft auf ihre Seite zu ziehen. Dabei verbinden sie ihre Diskussionen mit den Forderungen, wie »freie Wahlen«, eine neue Regierung, da die jetzige nicht vom Volke gewählt ist, Lohnforderungen usw. Ein Arbeiter vom VEB Kühlautomat Berlin-Johannisthal: »Die Regierung ist nicht vom Volke gewählt, darum muss die Außenministerkonferenz freie Wahlen bringen.« Hier zeigt sich besonders der starke Einfluss der westlichen Propaganda, deren Argumente von negativen Elementen verstärkt unter die Arbeiter verbreitet wird und bei bestehender Unzufriedenheit auch einen gewissen Eindruck hinterlässt.

Die SPD versucht, in den Betrieben, wo sie stark vertreten ist, wie z. B. in Versorgungsbetrieben (Elektrizitäts- Gas- Wasserwerke usw.), ihre Positionen zu halten und ihren Einfluss auszudehnen. Im VEB Kabelwerk Oberschöneweide Abteilung Presse und Stanzwerk wurden bei der Diskussion über die Viererkonferenz mit SPD-Genossen Stimmen laut, die äußerten, dass der 17. Juni wiederkommt, jedoch etwas anders.

Der größte Teil der Angestellten der Betriebe zeigt Zurückhaltung in der Meinungsäußerung und fügt sich den von uns getroffenen Maßnahmen, vielfach nur, um keine Nachteile zu erhalten bzw. die Arbeitsstelle nicht zu verlieren. Dies zeigt sich z. B. an der Teilnahme zur Demonstration zum 35. Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht,3 wo bei verschiedenen Betrieben mehr Angestellte als Arbeiter teilnahmen. Ein kleiner Teil der Angestellten äußert sich negativ zur Viermächtekonferenz.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Wie aus vorliegendem Material zu ersehen ist, steht die bevorstehende Viermächtekonferenz im Mittelpunkt des Interesses der Bevölkerung Berlins. Ein großer Teil der Bevölkerung erwartet einen erfolgreichen Verlauf der Konferenz, sowie Entspannung der gegenwärtigen Lage. So sagt z. B. eine Hausfrau aus Weißensee: »Wollen wir hoffen, dass die Viererkonferenz am 25. Januar [1954] in Berlin mit Erfolg gekrönt sein werde. Wenn Vernunft und guter Wille auf beiden Seiten vorherrschen, glaube ich doch, dass der Friede und die Einheit zustande kommt.«

Neben solchen hoffnungsvollen Stimmen, die aus allen Schichten der Bevölkerung bekannt werden, gibt es eine Reihe Diskussionen, wo die ständigen Bemühungen und Hilfe der SU hervorgehoben werden. Meist handelt es sich hier um fortschrittlich eingestellte Personen. So äußert sich z. B. ein Rentner: »Die Forderungen Molotows4 würden von einer so großen Zahl Menschen getragen, dass sie anerkannt werden müssen.5 Auch das deutsche Volk stellt die Forderungen immer stärker, nicht nur in der DDR, auch in Westdeutschland.«

In annähernd gleicher Stärke wie die hoffnungsvollen Stimmen treten zweifelnde Meinungsäußerungen in Erscheinung, worin sich der westliche Einfluss stark bemerkbar macht. Das Argument, dass sich die vier Großmächte bisher noch nie einig wurden, wird am häufigsten gebraucht. Stark sind auch solche Meinungen vertreten, wonach die Gegensätze der beiden Lager zu groß sind, um sich einigen zu können, oder dass der Amerikaner gar kein Interesse hat, den Frieden zu erhalten. So äußerte ein Arbeiter aus Berlin N 113:6 »Ich bin ja gespannt, was die Konferenz uns bringen wird. Eine Einigung unter den bestehenden Gegensätzen kann man nicht erwarten, da die Gegensätze zu groß sind.«

Neben solchen Äußerungen die z. T. auch von fortschrittlichen Kräften zum Ausdruck gebracht werden, gibt es eine Anzahl Menschen, die nicht ihre eigene Meinung äußern bzw. Diskussionen mit dem Argument, »wir wollen erst die Konferenz abwarten«, aus dem Wege gehen. So äußerte ein Arbeiter aus Berlin-Pankow: »Man muss abwarten, erst wenn die Konferenz vorbei ist, wissen wir woran wir sind.« Solche und ähnliche Äußerungen wurden aus allen Schichten der Bevölkerung bekannt.

Charakteristisch für einen Teil der Berliner Bevölkerung ist eine gewisse schwankende Haltung. Auftretende Mängel oder Anordnungen, die sich dem Anschein nach gegen ihre Interessen richten, haben, wie an verschiedenen Beispielen zu ersehen ist, negative Äußerungen zur Folge. So sprachen z. B. Straßenpassanten negativ, als sowjetische Panzer am 22.1.[1954] durch die Schönhauser Allee fuhren. »Brauchen die Russen Panzer zum verhandeln – wer will denn wieder hinter Panzer kriechen.« Über die Schließung des Bahnhofes unter den Linden7 sind gleichfalls negative Diskussionen zu verzeichnen. Zum Beispiel »Ist das die Freiheit, wollen wir so die Einheit herstellen.«

Nicht zu unterschätzen sind eine Reihe feindlicher Argumente und Gerüchte, womit unter der Berliner Bevölkerung teilweise leicht Einfluss zu gewinnen ist, dadurch die ständige westliche Propaganda ein gewisser Nährboden dafür geschaffen wurde. So wird z. B. in der Mühlenstraße von der Bevölkerung diskutiert, dass die westlichen Alliierten bereit sind, Zugeständnisse zu machen, es aber wieder an dem guten Willen der SU fehlt, dass diese Konzessionen und Zugeständnisse verwirklicht werden.

In der Straßenbahn unterhielten sich einige Leute, wobei diese zum Ausdruck brachten, dass man abwarten müsste, ob es nicht bald so ähnlich wie am 17.6.1953 wird.

Weiterhin solche Aussprüche wie z. B.: »Was soll denn schon werden, die Amerikaner gehen doch nicht auf den Leim der Russen ein.«

Ein Inhaber eines Zigarettenladens in Berlin-Oberschöneweide: »Berlin wird eine freie Stadt, ähnlich wie die Freistadt Hamburg.«

Eine Hausfrau aus Berlin N 113:8 »Kann dies die Wahrheit sein, dass nach der Konferenz der demokratische Sektor in den Westsektor einverleibt wird.«

Zwei Rohrleger auf der Baustelle in Berlin Köpenick: »Das Potsdamer Abkommen kann nicht die Grundlage der Verhandlungen sein,9 denn danach haben wir gehungert.«

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Wesentliche Veränderungen in der Stimmung der Bevölkerung wurden aus den Bezirken nicht berichtet.

Feindtätigkeit

Im Bezirk Halle, Kreis Querfurt, wurden 350 Hetzschriften (Grußbotschaft Adenauers an die Sowjetzone) gefunden.

Ganz vereinzelte Flugblattfunde (KgU,10 NTS,11 SPD) wurden aus allen übrigen Bezirken berichtet.

Unüberprüfte Mitteilung

Die Sitzung der drei westlichen Außenminister in Berlin-Frohnau12 ist in den frühen Nachmittagsstunden beendet worden. Auf ihrer ersten Sitzung haben die drei Außenminister der Westmächte beschlossen, dem Außenminister Molotow vorzuschlagen, die erste gemeinsame Sitzung der Außenminister der vier Mächte am Montag, den 25.1.1954 um 15.00 Uhr im Kontrollratsgebäude abzuhalten.

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