Zur Beurteilung der Situation
7. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2200 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Unter den Werktätigen wird über politische Probleme wenig diskutiert. Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen steht die Genfer Konferenz.1 Die uns bekannt gewordenen Stimmen sind größtenteils positiv. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass durch die Abreise Dulles’2 die Widersprüche im kapitalistischen Lager offen zutage getreten sind.3 Vereinzelt wird die Abreise Dulles’ als Beweis dafür angesehen, dass die USA kein Interesse an Verhandlungen hat. Teilweise wird die Teilnahme Chinas an der Konferenz begrüßt. Verschiedentlich hofft man auf eine Lösung des Deutschlandproblems. Die Diskussionen werden überwiegend von Arbeitern und Angestellten geführt, die Intelligenz ist größtenteils zurückhaltend. Ein Arbeiter aus dem VEB Volltuchwerk Crimmitschau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Stellungnahme der Sowjetunion auf der Genfer Konferenz zeigt,4 dass sie wirklich eine große Kraft darstellt und auch erreicht hat, dass Volkschina innerhalb der Konferenz seine Stimme zu der asiatischen Frage erheben kann. Dulles hat deshalb die Konferenz verlassen, da er seine imperialistischen Ziele nicht erreichen konnte.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Albert-Kuntz-Kombinat Wurzen, [Bezirk] Leipzig: »Der Riss zwischen den Vereinigten Staaten und den Engländern vertieft sich immer mehr. Auch der Engländer erkennt jetzt, dass durch friedliche Verhandlungen mehr erreicht werden kann.«
Pessimistische Stimmen wurden nur in geringem Maße bekannt. Diese sind meist von politisch weniger aufgeklärten Arbeitern. Ein Obermeister aus einem VEB [in] Schwerin: »Der Enderfolg der Konferenz wird genauso ausfallen, wie die Berliner Konferenz, nur dass diesmal die asiatischen Völker teilnahmen.«5 Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB Stahlbau Niesky, [Bezirk] Dresden: »Was wird werden? Die schaffen auch dort nichts, genauso wie in Berlin.«
Mehrere Kollegen des VEB Baumwollspinnerei Erdmannsdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es ist in Berlin nichts zustande gekommen, es wird in Genf auch nichts werden. Da spricht einmal der Chinese, dann ein Koreaner, dann ein Australier und wieder ein Kanadier.6 Von den Verhandlungen oder von einem Teilergebnis hört man aber nichts.«
Negative Stimmen zur Genfer Konferenz wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Chemieingenieur vom Persil-Werk Genthin: »Für Amerika wäre es kein Problem, das Indochina-Problem auszuweiten und Frankreich unter Druck zu setzen. Es fragt sich nur, ob es für Amerika lohnend ist, sich da einzumischen, denn dann könnte es passieren, dass China sich auch einmischt, und einen Landkrieg kurz oder lang gegen China würde Amerika gewinnen. Es würde China mit seiner Luftwaffe ordentlich zerschlagen. Für Deutschland kommt auf der Genfer Konferenz doch nichts heraus. Ostasien hat keinen Einfluss mehr auf uns.«
Ein Arbeiter (parteilos) aus dem VEB Baumwollweberei Hohenstein-Ernstthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »In Genf wird man wieder nicht übereinkommen. Da man ja kein Interesse hat, sich mit solchen zusammenzusetzen, welche nicht gewählt wurden.«
Ein Arbeiter aus dem VEB Kaliwerk »Glückauf« Sondershausen, [Bezirk] Erfurt: »In Genf [wird] nicht mehr herauskommen, wie auf der Berliner Konferenz. Ich glaube gar nichts mehr, denn unsere Zeitungen bauschen alles auf.«
Zum II. Deutschlandtreffen der Freien Deutschen Jugend7 wurden vereinzelt Verpflichtungen übernommen. Im VEB Berliner Hütten- und Halbzeugwerke hat eine Jugendbrigade sich verpflichtet, den Plan drei Tage vorfristig zu erfüllen und die anderen Jugendbrigaden dazu aufgefordert. In den FDJ-Gruppen des RAW Schöneweide wird ein Wettbewerb zur Ausgestaltung des Betriebes zum Deutschlandtreffen durchgeführt. Alle Kollegen des VEB Glühlampen in Oberweißbach, [Bezirk] Suhl, stellen für das II. Deutschlandtreffen einen Stundenlohn zur Verfügung. Eine Jugendbrigade des Betriebes wird eine Sonderschicht fahren.
Weiterhin wurden zum II. Deutschlandtreffen noch folgende Stimmen bekannt: Ein Angestellter (DBD) aus Hildburghausen, [Bezirk] Suhl: »Es ist nicht richtig, von den Werktätigen Geld zu sammeln, um den westdeutschen Jugendlichen die Reise zu bezahlen. Das ist ein Armutszeugnis unserer Regierung.« Ein FDJler, Sohn eines Arztes in Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, weigerte sich, für das Deutschlandtreffen zu sammeln, mit der Bemerkung: »Wer nach Berlin fahren will, soll sein Fahrgeld selbst bezahlen. Ich habe nicht die Absicht, dorthin zu fahren.«
Im Kreis Bützow, [Bezirk] Schwerin, wurde bei der Werbung der Teilnehmer des Öfteren von Jugendlichen die Meinung vertreten, dass sie »wieder nach Westberlin marschieren müssten, um sich niederknüppeln zu lassen«.8
Im Kreis Langensalza, [Bezirk] Erfurt, sollen für die Finanzierung des Treffens 26 000 DM gesammelt werden. Bisher wurden erst 6 000 DM gesammelt.
In einigen Gemeinden des Kreises Wittenberg, [Bezirk] Halle, wollen mehr Jugendliche mitfahren, als im Plan vorgesehen ist.
Ein Jugendlicher aus dem Zellstoffwerk Heidenau, [Bezirk] Dresden: »Ich werde mitfahren und mir Ersatzteile für mein Fahrrad holen. Bei dieser Gelegenheit kann man sich gleich Westberlin ansehen, vielleicht kommen noch einige mit mir mit.«
Über die VII. Internationale Friedensfahrt9 wurden nur einzelne nachstehende Punkte bekannt. Ein Maurerlehrling aus dem EKS,10 [Bezirk] Frankfurt: »Ich hatte volles Vertrauen in die deutsche Mannschaft gesetzt. Hoffentlich finden sie wieder den Anschluss an die Spitze.«
Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB Waggonbau Görlitz, [Bezirk] Dresden: »Die Idioten fahren schon das VII. mal für den Frieden. Wenn die Russen gewinnen, wird man wieder viel Geschrei machen, als wenn wir nichts könnten und uns die Sowjetunion wieder Vorbild ist.«
Verschiedene Arbeiter aus Sayda, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärten, sie könnten nicht verstehen, dass der beste Fahrer der DDR Schur11 laufend Reifenpannen hat. Es müssten entweder Materialfehler vorliegen oder man würde ihm bewusst schlechte Reifen geben.12
Missstimmung wird aus einigen Betrieben bekannt. Im Alfred-Scholz-Werk in Welzow, [Bezirk] Cottbus, wollen die Kollegen den Planrückstand von 2 000 Tonnen Brikett am 8. Mai [1954] verringern. Dies wurde von der Werkleitung damit abgelehnt, dass der 8. Mai [1954] Feiertag sei und deshalb keine Waggonbestellung bei der Reichsbahn erfolge. Darüber sind die Kollegen sehr verärgert.
Im Feuerungsbehälterbau Köthen, [Bezirk] Halle, wurde am 30.4.1954 den Arbeitern verboten, während der Arbeitszeit Alkohol zu trinken. Trotzdem hat man diese Anordnung in der Verwaltung nicht befolgt. Darüber sind die Arbeiter verbittert. Einige äußerten: »Warum wird in der Verwaltung eine Ausnahme gemacht? Die dürfen trinken, uns wird es verboten. Das ist wie zu Hitlers Zeiten, die Bonzen dürfen sich alles erlauben und wir können nur arbeiten.«
Im Rohrwerk des Stahl- und Walzwerkes Riesa ist ein großer Teil der Arbeiter darüber unzufrieden, dass am 8. Mai [1954] gearbeitet werden soll, um Planrückstände aufzuholen. Ein Ofenmann (SED) sagte: »Wenn am 8. Mai [1954] gearbeitet wird, trete ich aus der Partei aus.«
Im VEB Schleifmaschinenbau Berlin sollte am 21.4.1954 eine erweiterte Werkleitungssitzung mit Vertretern der HV Werkzeugmaschinenbau stattfinden, um Maßnahmen zum Aufholen der Planrückstände zu besprechen. Von der HV erschien jedoch niemand. Die Kollegen im Betrieb diskutieren darüber heftig und betrachten diese Handlungsweise als eine Missachtung ihrer Bereitwilligkeit zur Erfüllung des Planes.
Im VEB Siemens-Plania13 wurden am 1. Mai [1954] ca. 600 Kollegen prämiert bzw. ausgezeichnet. In den letzten Tagen des Monats April erschien in der »BZ Am Abend«14 eine Mitteilung, wonach 3 000 Arbeiter und Angestellte des Betriebes mit Geldprämien ausgezeichnet werden. Die Kollegen des Betriebes waren empört über die Mitteilung der »BZ« und brachten zum Ausdruck, dass die Nachrichtenübermittlung wahrheitsgemäß erfolgen muss, da man sonst der Zeitung nie mehr glauben würde.
Produktionsschwierigkeiten wurden aus mehreren Betrieben bekannt, die Ursachen hierfür sind Materialmangel, minderwertiges Material, Auftragsmangel, Absatzschwierigkeiten und Energiekürzungen. Die Beispiele hierzu werden im Anhang aufgeführt.
Produktionsstörungen: Am 5.5.1954 brannte im Eisenhüttenwerk Thale, [Bezirk] Halle, der Antriebsmotor der Walzenstraße 5 durch, wodurch die Walzen Nr. 16 und 18 ausgefallen sind. Die Walze Nr. 18 hat einen 700-Mio.-Auftrag für die UdSSR. Ein Ersatzmotor ist nicht vorhanden, sodass die Produktion für einige Tage stillliegt. Der Produktionsausfall innerhalb 24 Stunden beträgt 150 Tonnen Spezialblech.
Im »Martin Hoop«-[Steinkohlen-]Werk IV in Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, kam am 6.5.1954 die Förderung zum Stillstand, da die Gestellführungsschiene verbogen wurde. Beim Aufholen von zwei vollen Kohlenhunte schwankte ein Hunt und rief dadurch den Schaden hervor.15 Produktionsausfall ca. 150 Tonnen.
In der Betriebsberufsschule des VEB Yachtwerft Berlin werden im Geschichtsunterricht feindliche Theorien von einem Diplom-Gewerbe-Lehrer gelehrt. So erklärte er z. B., dass ein Krieg unvermeidlich sei. Weiterhin vertritt er malthusianistische Theorien.16
Handel und Versorgung
In einigen Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt bestehen Schwierigkeiten in der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit HO-Fleischwaren. In den Kreisen Annaberg (Annaberg-Buchholz) und Auerbach mangelt es besonders an Rindfleisch. Diese Mängel treten auch noch in anderen Bezirken auf und es kommt verschiedentlich zu Äußerungen wie z. B.: »Da reden sie immer von neuem Kurs,17 aber in der HO da bekommt man nicht einmal ein Stückchen Fleisch. Wenn es keine Fleischwaren gibt, kann auch keine Preissenkung erfolgen.«
Im Kreis Jüterbog, [Bezirk] Potsdam, bestehen Schwierigkeiten im Verkauf von HO-Süßwaren, besonders von Schokoladenerzeugnissen, da sie der Bevölkerung zu teuer sind. Dazu äußerten mehrere Hausfrauen: »Die Schokolade ist wohl gut, aber wir können uns keine leisten, da wir das Geld für Lebensmittel nötiger brauchen, die Schokolade müsste billiger werden.«
Landwirtschaft
Nach wie vor wird wenig über politische Tagesfragen gesprochen. Meist nur in den Kreisen des sozialistischen Sektors. Größtenteils zeigen die Einzelbauern wenig Interesse dafür. Folgende Äußerung ist dafür typisch: Ein Bauer aus Tuchen, [Bezirk] Frankfurt: »Wir haben schon genug wirtschaftliche Sorgen, da werden wir uns nicht noch durch die Politik welche machen.«
Über die Genfer Konferenz wurden wenig Stimmen bekannt, überwiegend positiv. Größtenteils wird zur Abreise Dulles’ Stellung genommen und die Widersprüche zwischen den Westmächten werden als günstig angesehen. Ein Agronom aus Delitzsch, [Bezirk] Leipzig: »Die Abreise des Dulles von Genf zeigt immer mehr die Zwiespältigkeit der Westmächte untereinander. Das ist für uns ein gewaltiger Pluspunkt, da die Westmächte nicht mehr geschlossen gegen das Weltfriedenslager auftreten können.«
Nur ganz vereinzelt werden negative Diskussionen darüber geführt. Ein Bauer aus Wiederau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Warum bringt unsere Presse nicht die Ausführungen der westlichen Außenminister auf der Genfer Konferenz, bloß immer die von den östlichen Ministern. Das sieht gerade so aus, als will man uns abhalten, sich die wirkliche Meinung und den Stand zu erforschen.«
Ein Großbauer aus Wellmitz, [Bezirk] Frankfurt: »Kriege hat es schon immer gegeben und es wird sie weiter geben. Wir können keinen neuen Krieg verhindern. Auch die Genfer Konferenz nicht. Überhaupt alle Konferenzen ändern daran nichts. Deshalb wird diese Konferenz zu keiner Einigung führen.«
Vorwiegend werden Gespräche über wirtschaftliche Probleme geführt. Meist werden die Diskussionen durch bestehende Mängel ausgelöst, wie z. B. durch die unzureichende Futtergrundlage oder die ungenügende Düngemittelzuteilung. Ein Bauer aus Jecha, [Bezirk] Erfurt, äußerte zu der Futterknappheit: »Unsere Tiere haben Hunger und wir getrauen uns schon gar nicht mehr in den Stall zu gehen. Es gibt nirgends Stroh zu kaufen und wenn man Glück hat, kostet der Zentner 20,00 DM, das ist zu teuer.«
Im BHG-Bereich Wittgendorf, [Bezirk] Halle, ist eine schlechte Stimmung unter den Bauern zu verzeichnen, da die Belieferung von Kleie sehr ungenügend ist. Die BHG benötigt 1 000 Ztr. Kleie, um den Bedarf zu decken.
Einem Angestellten der VEAB im Bezirk Dresden wurde vom Staatssekretariat für Aufkauf und Erfassung erklärt, dass sich die Futtermittellieferung aus Bulgarien verzögert habe, weil die dazu benötigten Säcke nicht rechtzeitig nach dort geschickt wurden. Dazu äußerte ein Bauer, aus dem Kreis Großenhain, dem diese Erklärung bekannt wurde: »Wenn ich das in einer Bauernversammlung den Bauern erzähle, lachen sie mich aus, oder werfen mich aus der Versammlung.«
Im Kreis Riesa, [Bezirk] Dresden, sind Bauern darüber ungehalten, dass ihnen Kälber erst ab 50 kg abgenommen werden.18 Sie sind der Meinung, dass das möglich ist, wenn genügend Futtergrundlage vorhanden ist, jetzt aber müssten 45 kg genügen. Die VEAB Riesa gab neun Kälber zurück, die nur 46 bis 48 kg wogen. Dazu äußerte der Leiter: »Das Sollgewicht müsste auf 45 kg herabgesetzt werden, sonst besteht die Gefahr, dass die Bauern ihre Kälber notschlachten und das Fleisch würde der Versorgung der Bevölkerung verloren gehen.«
Zu der ungenügenden Düngemittelzuteilung äußerte ein Bauer aus Leukersdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Man hat mir schon immer versprochen, dass ich mehr Düngemittel bekommen soll, da es bis jetzt noch nicht der Fall ist, fällt es mir gar nicht ein, Kartoffeln auszulegen.«
Im Bezirk Potsdam ergeben sich verschiedentlich bei der Bereitstellung von Saatkartoffeln noch Schwierigkeiten. So z. B. fehlen im Kreis Neuruppin noch ca. 2 000 dz.
Allgemein ist zu verzeichnen, dass sich die großbäuerlichen Elemente in ihren Äußerungen zurückhalten. Nur ganz vereinzelt treten sie durch negative Diskussionen hervor. Ein Großbauer aus Elster, [Bezirk] Cottbus: »Die LPG können nur Schulden machen, denn die Arbeit der MTS ist schlecht. Als es diese Einrichtungen noch nicht gab, wurde viel besser gearbeitet.«
Der Vorsitzende der LPG Luttow, [Bezirk] Schwerin (seine Frau Tochter eines Großbauern), verkehrt ausschließlich nur mit großbäuerlichen Elementen. Im Vorjahr verkaufte er an diese Getreide und dieses Jahr verkaufte er Weideland, das selbst von der LPG dringend benötigt wird. In der LPG Sprossen, [Bezirk] Halle, hetzt ein Mitglied (großbäuerlicher Herkunft) gegen den Vorsitzenden und zum anderen hält er Bauern von dem Eintritt in die LPG ab.
Wildschweinplage: Im Kreis Belzig, [Bezirk] Potsdam, richten Wildschweine größere Schäden an. Kartoffeln, die am Tage gesetzt werden, sind oft am anderen Tag wieder ausgewühlt.
Übrige Bevölkerung
In der übrigen Bevölkerung herrscht dieselbe Stimmung, wie an den Vortagen. Über politische Tagesfragen wird nur wenig diskutiert. Im Mittelpunkt dieser Diskussionen steht die Genfer Konferenz, zu der meist positiv Stellung genommen wird. Nach wie vor kommt die Hoffnung auf einen guten Ausgang und eine Entspannung der internationalen Lage zum Ausdruck. Diese Hoffnung wird durch die Uneinigkeit im kapitalistischen Lager bestärkt, worin eine Schwäche der aggressiven USA erblickt wird. Ebenso durch die Tatsache, dass Volkschina daran teilnimmt und die Konferenz trotz der Abreise Dulles’ ihren Fortgang nimmt. Ein Einwohner aus Frankfurt/Oder sagte: »Wenn der Außenminister auch abgereist ist, so zeigt sich doch, dass der Konferenzablauf dadurch nicht behindert wird. Es ist jetzt sogar zu erhoffen, dass die internationale Lage tatsächlich entspannt wird. Teilweise wurde ja auch schon China halb offiziell anerkannt.«
Vereinzelt wurden negative bzw. pessimistische Stimmen bekannt. Ein Angestellter vom Rat des Bezirkes Frankfurt/Oder: »Obwohl einzelne westliche Regierungen eine Entspannung wünschen, kann es nicht dazu kommen, weil Amerika diese Entspannung nicht will. Die USA wird alles versuchen, um einen Krieg zu entfesseln, ehe sie auf dem friedlichen Verhandlungswege die strittigen Fragen klärt. Dagegen kann man halt nichts machen.«
Ein Angestellter eines HO-Geschäftes in Bitterfeld, [Bezirk] Halle: »Wenn der Amerikaner auch abgehauen ist, am Ende bestimmt er doch das Geschehen, denn seine Stützpunkte, welche er um die SU gelegt hat, lässt er sich nicht wieder nehmen. Möge der Osten jetzt einige Erfolge haben, siegen werden die Amerikaner.«
Im Gegensatz zu den politischen Tagesfragen ist unter der übrigen Bevölkerung ein größeres Interesse für wirtschaftliche Fragen vorhanden, die meist persönliche Belange oder örtliche Probleme betreffen. Zum Beispiel wird jetzt öfter über die teilweise mangelhafte Versorgung gesprochen, wie folgende Beispiele zeigen. Ein Einwohner aus Lindow, [Bezirk] Potsdam: »Der Mangel an HO-Fleischwaren ist darauf zurückzuführen, dass man jetzt alles für das II. Deutschlandtreffen lagert. Lieber sollte man so ein Treffen, wo ja doch nur herumposiert wird, nicht durchführen und der Bevölkerung die Waren zur Verfügung stellen.« Ein Einwohner aus Velten, [Bezirk] Potsdam: »Das Fleisch und die Wurst brauchen sie für das II. Deutschlandtreffen in Berlin. Dann sollen sie kein Treffen machen, wir bekämen dann mehr in der HO zu kaufen, denn meine Frau kommt mit den Marken allein nicht aus.«
Beim Einkauf wird von Hausfrauen im Bezirk Prenzlauer Berg [Berlin] über die ungenügende Verteilung von Butter diskutiert. Dabei wird zum Ausdruck gebracht, dass die Butter ja sowieso nur für die Versorgung der Teilnehmer am Deutschlandtreffen gespeichert wird.
Die KVP-Werbung stößt oftmals auf Unverständnis und löst negative Diskussionen aus.19 Wie z. B. im Bezirk Rostock. In der Rohrlegerei der [Volks-]Werft Stralsund ereignete sich Folgendes: »Der VP-Werber wollte einem Bewerber zur individuellen Aussprache abholen. Bei seinem Weggang rief man ihm hinterher, endlich haut der Rekrutenwerber Kesselring20 ab.«
Arbeiter der Bau-Union Küste Stralsund, [Bezirk] Rostock, führten folgende Diskussionen: »In der sowjetischen Gefangenschaft mussten wir unterschreiben, dass wir nie mehr eine Waffe in die Hand nehmen werden, gegen einen Staat, der gegen Deutschland Krieg führt.« In der Oberschule Sanitz, [Bezirk] Rostock, äußerte ein Jugendfreund: »Wenn jetzt auch noch die FDJ anfängt zu werben, dann trete ich aus dem Verband aus.«
Die Studenten der Universität Greifswald, [Bezirk] Rostock, klagen über die schlechten Wohnverhältnisse, denen sie ausgesetzt sind. Ein Student sagte, dass er lieber in Vietnam kämpfen würde, als in dem Stinkstall zu wohnen. Gemeint ist damit das Studentenheim Nordischer Hof in Greifswald.
Die im Kreis Aschersleben, [Bezirk] Halle, entstandene Bewegung unter den Müttern und Frauen, die in Heften Unterschriften gegen die Wasserstoffbombenversuche der amerikanischen Kriegstreiber sammeln,21 hat auch den Kreis Sangerhausen und den Saalkreis erfasst. Die Mutter, Frauen und Mädchen gehen von Tür zu Tür und sammeln in Heften Unterschriften. Mitarbeiter im Vermessungsdienst Halle führten in ihrem Wohnbezirk eine Aufklärung über die Wasserstoffbombenversuche der USA durch und gaben 20 schriftliche Stellungnahmen aus den Haushalten gegen die Wasserstoffbombenversuche und für den Frieden in Korea und Vietnam beim Bezirksausschuss der Nationalen Front ab.22
Aus Kreisen der Kirche wird nachstehend bekannt. Dibelius23 äußerte sich in seiner Predigt am 5.5.1954 um 20.00 Uhr im Dom Stendal folgendermaßen: »In Westdeutschland scheint die Sonne über die Kirchen und in Ostdeutschland scheinen dunkle Wolken über sie. Wer die materialistische Weltanschauung vertritt, ist kein Christ und denen wird es genauso ergehen, wie es Görig24 ergangen ist. Die Kirche ist nicht nur für den Arbeiter da, sondern auch für die Kapitalisten. Die Amerikaner sind diejenigen, welche unter dem Schutz der Kirche stehen.«
In der Union-Gaststätte in Halle wurde folgendes Gespräch geführt: »Der christliche Glaube ist doch mächtiger, als die marxistische Lehre. In der Kirche demonstrieren die Menschen freiwillig und hier ist es ein Muss. Es ist unsere Pflicht, die christliche Jugend vor dieser Seuche zu bewahren. Unsere Geistlichkeit führt die Sache mit großer Geschicklichkeit aus.«
Im Kreis Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, äußern wiederholt Schüler der Oberschule den Wunsch, die Schule nicht bis zum Ende zu besuchen, sondern lieber dafür beruflich tätig zu sein. Es wird vermutet, dass diese Wünsche auf Beeinflussung von Westberlin herrühren, da sich besonders solche Schüler mit derartigen Gedanken tragen, die verwandtschaftliche Verbindungen nach Westberlin haben. Zum Beispiel der Sohn einer Genossin war während der Osterfeiertage im demokratischen Sektor Berlins. Es waren auch Westberliner Verwandte dort zugegen. Diese haben versucht, dem Schüler einzureden, dass der Besuch der Oberschule doch keinen Sinn hätte und er sollte lieber Geld verdienen; das Abitur würde später bei einer Einheit Deutschlands doch nicht anerkannt werden. Außerdem müsste er ja doch gleich zur KVP, denn die Dienstpflicht wäre in der DDR schon beschlossen.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriften des SPD-Ostbüros:25 Suhl 7 500, Erfurt 1 000, Karl-Marx-Stadt 1 080, Neubrandenburg 1 100, Frankfurt 3 000, Gera 120, Potsdam [8]0.26
Hetzschriften des CDU-Ostbüros: Potsdam 60.
Hetzschriften des NTS:27 Karl-Marx-Stadt 13 100, Frankfurt 10 000, Gera 4 225, Suhl 1 000, Erfurt 2 100.
Hetzschriften in tschechischer Schrift: Karl-Marx-Stadt 880.
Hetzschriften des FDP-Ostbüros: Berlin 30 000.
Hetzschriften der KgU:28 Erfurt 50.
Am 4. bis 5.5.1954 wurden im Bezirk Cottbus 8 000 Hetzschriften aufgefunden. Herausgeber unbekannt. Im Bezirk Dresden ca. 100 Hetzschriften vom Ostbüro der SPD, NTS und KgU. Im Bezirk Karl-Marx-Stadt 840 Hetzschriften vom Ostbüro der LDPD29 und FDP.
Ein gefälschtes Schreiben erhielt der Rat des Kreises Anklam, [Bezirk] Neubrandenburg. Absender: DHZ Feinmechanik/Optik Niederlassung Stralsund. Inhalt: Anforderung einer Aufstellung der LPG und VEG des Kreises Anklam.
Ein gefälschtes Telegramm erhielt ein Bauer aus Döschnitz, [Bezirk] Gera. Inhalt: Aufgrund seiner guten Leistung in der Landwirtschaft soll er als Delegierter am Staatsakt der Regierung in Berlin am 8.5.1954 teilnehmen – gezeichnet: Neu30 – stellvertretender Minister.
Drohbriefe erhielt der Vorsitzende und der Buchhalter der LPG in Kleinprießnitz, [Bezirk] Gera: Inhalt: Sie werden beschuldigt der Verhaftung der Großbäuerin in der LPG Lägen und man droht ihnen mit Mord.
In der LPG Gerbstedt, [Bezirk] Halle, wurde die Verantwortliche für die Hühnerfarm (Tochter eines Großbauern) verhaftet. Sie hat vier an der Hühnerpest verendete Hühner im Stall gelassen, sodass sich die Hühnerpest verbreitete und 1 200 Hühner verendeten.
Antidemokratische Schmierereien und Handlungen: Im Zellstoffwerk Pirna, [Bezirk] Dresden, wurde erneut ein Plakat mit dem Bildnis des Genossen Walter Ulbricht31 beschädigt.
In Brütz, [Bezirk] Potsdam, wurde über dem Torweg eines Bauern die Losung: »Schmeißt die Russen raus« angebracht (Täter unbekannt).
In Coswig, [Bezirk] Halle, wurde ein Funktionär unserer Partei von zwei Personen tätlich angegriffen und ihm das Parteiabzeichen abgerissen (Festnahme erfolgte).
Am 3. Mai [1954] entstand im Rheinsberger Forst, Kreis Neuruppin, ein Brand. An der Brandstelle wurde ein Pappkarton mit 1 000 Hetzschriften »Es gibt nur einen deutschen Staat« (Ostbüro der CDU) gefunden sowie der Rest einer Papphülle (vermutlich der Rest eines Brandsatzes).
Am 7.5.1954 erschien in der Westpresse »Die Neue Zeitung« folgende Notiz mit der Überschrift: »Neue Ballonaktion für Osteuropa«.32
Nürnberg (AP). – »Von heute an sollen 20 000 Ballone mit insgesamt 111 000 Bibelauszügen und -auslegungen von der bayrisch-tschechischen Grenze nach den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang geschickt werden. Dies gab der amerikanische Vertreter des Internationalen Rates christlicher Kirchen,33 Billy James Hargis,34 am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Nürnberg bekannt. Bereits im vergangenen Sommer waren 10 000 Ballone hinter den eisernen Vorhang geschickt worden.«
Zur Störung der Vorbereitungsarbeiten zum II. Deutschlandtreffen und zur Erzeugung von Missstimmung unter der Berliner Bevölkerung beginnt der Gegner mit gefälschten Briefen an Wohnungsinhaber, diese aufgrund angeblicher »Prüfungsergebnisse« aufzufordern, zum II. Deutschlandtreffen wie in einem Fall gleich für35 Jugendfreunde Quartiere zur Verfügung zu stellen. In der Wochenausgabe »Der Tag«36 Nr. 17 versucht der Gegner die Jugendlichen mit dem Argument, dass viele Teilnehmer am II. Deutschlandtreffen ihre Fahrkarte nach Berlin »teuer« bezahlen müssen, weil die VP die Gelegenheit benutze, um in großem Maße »Rekruten« zu verpflichten, von der Beteiligung am II. Deutschlandtreffen abzuhalten.
Einschätzung der Situation
Über politische Fragen wird verhältnismäßig wenig gesprochen. Von der Genfer Konferenz erhofft sich der größte Teil der politisch interessierten Menschen eine Entspannung der internationalen Lage. In vielen Bevölkerungskreisen findet diese Konferenz jedoch noch nicht die notwendige Beachtung.
Auf dem Lande wird immer noch viel über Futtermangel geklagt.
Die Verbreitung feindlicher Hetzschriften mit Ballons hält weiterhin in starkem Umfang an.
Anlage vom 7. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2200
Anhang über Produktionsschwierigkeiten
Im Kfz-Werk Horch in Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, bestehen große Schwierigkeiten in der Anlieferung von Material, wie Vorderachsen, Achsengehäuse, Achswellen, Anlasser, Rahmenbleche, Fahrerhäuser und Ähnliches. Die bisherige Produktionszahl von 20 Motoren pro Tag musste auf zehn Stück reduziert werden. Seit 5.5.1954 musste die Montage zeitweilig eingestellt werden. Für ca. 100 Fahrzeuge fehlen nur noch die Anlasser. Für weitere 100 Fahrzeuge nur noch Getriebe.
Im VEB Nähmaschinenwerk Wittenberge konnte der Plan für April bei Kleinteilen nicht erfüllt werden, da es an Rohteilen und Arbeitskräften fehlt.
Auf der Baustelle Mestlin, [Bezirk] Schwerin, sind keine Ziegel vorhanden, sodass die Arbeiter mit Nebenarbeiten beschäftigt werden.
In dem VEB Möbelfabrik in Laucha, [Bezirk] Halle, wo hochwertige Exportschlafzimmer hergestellt werden, mangelt es an Kaltleim. Dadurch konnte im I. Quartal der Produktionsplan nur mit 70 Prozent erfüllt werden. Von den benötigten 40 Zentnern Kaltleim hat der Betrieb bisher nur 11 Zentner erhalten. Nach Mitteilung durch die DHZ; kann die nächste Teillieferung erst im Juli erfolgen.
In der Schuhfabrik »Gesundheitsschuh« Weißenfels,37 [Bezirk] Halle, mangelt es an Oberleder, Stanzeisen und Matrizen. Dadurch treten große Stillstandszeiten auf.
Im VEB Maschinenfabrik Motor, Kreis Weißenfels, bestehen durch die Lieferung von schlechtem Leder Schwierigkeiten in der Erfüllung von Regierungsaufträgen. Die Kollegen der Zuschneiderei und Stepperei mussten tageweise nach Hause geschickt werden. Der Planrückstand beträgt zurzeit 5 000 Paar Schuhe (Exportaufträge für die Sowjetarmee).
Wie bereits gemeldet, besteht im Karl-Marx-Werk Babelsberg,38 [Stadt] Potsdam, ein Mangel an Aufträgen. Darüber sind besonders die Arbeiter in der Abteilung Lokmontage verärgert, da sie viele Stillstandszeiten haben.
Im VEB Feintechnik in Eisfeld, [Bezirk] Suhl, lagern ca. 7 Millionen Rasierklingen. Das Institut des zentralen Einkaufs der Großhandelskontore für Haushaltswaren in Berlin hat die Abnahme hinausgezögert. Für den VEB besteht die Gefahr, dass kein Lohn mehr ausgezahlt werden kann. Der Bezirksrat und das zuständige Ministerium sind davon unterrichtet, haben jedoch bisher nicht geantwortet.
Auf den Werften des Bezirkes Rostock bestehen weiterhin große Schwierigkeiten in der Materialanlieferung. So können z. B. für die Mathias-Thesen-Werft in Wismar über 1 000 t Walzmaterial für das II. Quartal 1954 nicht geliefert werden. Des Weiteren fehlen mehrere 100 t aus dem I. Quartal. Der größte Teil der Lehrlinge der Werft ist schon seit einigen Wochen ohne Beschäftigung. Darüber sind die Lehrlinge sehr unzufrieden. Es kursiert das Gerücht, dass die Schwierigkeiten in der Arbeit bewusst herbeigeführt werden, um möglichst viele Jugendliche für die VP-Werbung zu gewinnen.
Das Hermann-Matern-Werk in Roßwein,39 [Bezirk] Leipzig, erhielt vom Energieverteiler Roßwein die Anweisung, eine 30-prozentige Einsparung des Energiekontingents vorzunehmen. Dadurch ist die Erfüllung des Planes gefährdet. Außerdem werden die von der Belegschaft eingeleiteten Wettbewerbe zur Aufholung der Planrückstände hinfällig. Eine Rücksprache mit dem Energiebezirk Ost, Dresden, ergab lediglich, dass dem Werkleiter mitgeteilt wurde, bei Nichtdurchführung dieser Anordnung habe der Werkleiter mit Bestrafung zur rechnen.