Zur Beurteilung der Situation
27. Januar 1954
Informationsdienst Nr. 2088 zur Beurteilung der Situation
Die Stimmung in der DDR
Die Stimmung aller Schichten der Bevölkerung der DDR hat sich nicht wesentlich verändert. Das Hauptproblem in der Diskussion ist besonders unter den Kreisen der Umsiedler die Frage der Oder-Neiße-Grenze.1 Die Verbreitung von Gerüchten soll zur Beunruhigung der Bevölkerung führen, um diese vom politischen Tagesgeschehen abzuhalten. In der Ortschaft Lobenstein,2 Kreis Schleiz, wurde das Gerücht verbreitet, dass die Grenzen für den Verkehr geöffnet werden.
Organisierte Feindtätigkeit
Flugblätter wurden in größeren Mengen am 26.1.1954 in Wolmirstedt, Kreis Oschersleben, [Bezirk] Halle,3 auf freiem Felde noch fest in Paketen ca. 800 Stück vorgefunden. Vereinzelte Flugblätter und in Mengen bis zu 100 Stück Hetzschriften in Fahrkartenform von der »KgU«4 und als Stimmzettel vom »Ostbüro der SPD«5 mit dem Hauptinhalt Hetze gegen die SU wurden in den Bezirken Erfurt, Halle, Potsdam, Cottbus und Leipzig verbreitet. Ein Einwohner aus Arnstadt erhielt durch die Post einen mit Matrize abgezogenen Hetzbrief, der sich mit der Wirtschafts- und Finanzlage in der DDR befasst. Die Bevölkerung wird hierin aufgefordert, wertbeständige Waren einzukaufen, da es bald zu einer Währungsreform kommen muss. Dieses Hetzblatt ist mit »Deutsche antibolschewistische Widerstandsbewegung« unterzeichnet. Der Absender ist: [Name], Erkner, Berliner Straße 11.
Antidemokratische Hetzschriften wurden auf Bahnhöfen des Bezirkes Frankfurt/Oder im Bezirk Neubrandenburg und in noch zehn anderen Fällen in Eisenbahnzügen auf Bilder und Plakate geschmiert. Im Fernmeldeamt Brandenburg wurde am 26.1.[1954] unter das Bild des Genossen Molotow,6 das an einer Anschlagtafel hing, eine Hetzschmähung geklebt.
Ein S-Bahnzug gekennzeichnet mit der Richtung Grünau wurde am 25.1.[1954] um 19.00 Uhr in den Westsektor geleitet.7 In diesem Zuge befanden sich 60 Angehörige der Trapo8 und KVP. Diesen gelang es jedoch, auf der Station Sonnenallee auszusteigen und in den demokratischen Sektor zurückzufahren.
Die Stimmung im demokratischen Sektor Berlins
Ein großer Teil der Bevölkerung im demokratischen Sektor verhält sich noch abwartend und skeptisch. Dabei wird oft eine Einigung auf der Konferenz angezweifelt,9 verbreitet ist aber dennoch die Hoffnung, dass die Konferenz eine Lösung des deutschen und besonders des Berliner Problems mit sich bringen möge. Ein Arbeiter aus dem VEB Siemens Plania10 sagte: »Die Reden der Außenminister sind ziemlich scharf11 und es besteht die Möglichkeit, dass durch diesen Ton die Spannungen zwischen den vier Großmächten noch verschärft werden und sich derart verschärfen, dass die Verhandlungen zu einem Kriege führen können.« Bei der Personalausweisausgabe auf dem Polizeirevier 244 entwickelte sich eine Diskussion, die im Wesentlichen positiv verlief. Die Diskutierenden brachten zum Ausdruck, dass sie alle gerne mithelfen wollten, wenn es nur zu einer Einigung komme.
Trotz der sehr verbreiteten Skepsis ist die Bevölkerung zweifellos an den Verhandlungen sehr interessiert. Das geht schon daraus hervor, dass sehr oft die ungenügende bzw. zu späte Information des demokratischen Rundfunks kritisiert wird.12 Der RIAS brachte z. B. am 1. Verhandlungstag die ersten Nachrichten zwei bis drei Stunden früher als der demokratische Rundfunk. Zweifellos schaltet neben den notorischen RIAS-Hörern dadurch manch anderer den RIAS ein und erfährt gleich aus erster Quelle entstellte und gefärbte Berichte. Der demokratische Rundfunk müsste eine schnellere Berichterstattung über die Konferenz dem RIAS-Hören vorbeugen.
Vereinzelt tauchen Stimmen auf, die sich gegen den Tagesordnungsvorschlag Außenminister Molotow wenden.13 Diese Stimmen besagen, man müsse in erster Linie und hauptsächlich über das deutsche Problem verhandeln, China habe für uns keine Bedeutung.14
Ein parteiloser Angestellter bei den Deutschen Schifffahrts- und Umschlagsbetrieben sagte, es sei nicht richtig, dass Molotow die internationale Frage vor die deutsche Frage auf dieser Konferenz stelle. Ein Angestellter aus dem Entwurfsbüro der Reichsbahndirektion Berlin: »Für mich ist Molotow erledigt, denn er stellt ja als erste Frage die China-Frage in den Vordergrund und ich habe erwartet, dass er die deutsche Frage in den Vordergrund stellen wird.«
Im VEB Fernheizwerk Berlin O 1715 diskutierten einige Arbeiter, dass der Vorschlag des Außenministers Molotow zur Einberufung einer Fünfmächtekonferenz, woran auch China teilnehmen soll, überflüssig sei. man solle sich erst einmal über Deutschland einig werden.
Ein Eisenbahner sagte, nachdem er das »Neue Deutschland« gelesen hatte, weil nun noch die österreichische Frage auf der Tagesordnung stehe,16 befürchte er, dass die deutsche Frage zu kurz komme. Man solle erst die deutsche Frage klären und dann die anderen.
Bemerkt werden muss, dass zu den ersten Verhandlungsergebnissen, besonders über die Vorschläge Molotows, nur die hier im Bericht wiedergegebenen Stimmen bekannt geworden sind. Deshalb kann darüber noch keine Einschätzung gegeben werden.
Vereinzelt werden Stimmen laut, die die Sicherungsmaßnahmen in den verschiedenen Objekten im Bereich des demokratischen Sektors für überflüssig halten. Über die verstärkte Ausweiskontrolle im Reichsbahnausbesserungswerk Berlin sagte der Brandschutzverantwortliche des Betriebes: »Die stellen sich ja heute mächtig verrückt an, sogar meinen Ausweis haben sie mir aus der Hand genommen und sich genauer angesehen, obwohl sie mich genau kennen.« Ein Feuerwehrangehöriger aus dem gleichen Werk sagte: »Die von der Partei sind ja wie die verrückten im Betrieb rumgerannt. Wir mussten alle Geräte nachprüfen und uns über eine Stunde ins Auto setzen. Die scheinen ja vor einem neuen Volksaufstand eine gewaltige Angst zu haben.«
Heute wurde noch ein positives Beispiel von der Unterschriftensammlung17 bekannt. Am 24.1.[1954] wurden in Köpenick, Mittelheide ca. 100 Häuser mit durchschnittlich je sechs Mietern besucht. Dabei fanden sich überall freiwillige Helfer, die sich verpflichteten, in je ein bis zwei Häusern Unterschriften zu sammeln. Auf ablehnende Haltung sind die Aufklärer kaum gestoßen.18
Stimmen aus Westberlin
Nach bekannt gewordenen Stimmen: In Kreisen der Arbeiter wird von der Außenministerkonferenz erwartet, dass endlich die Zonengrenzen fallen. Neun Jahre sind bereits nach Kriegsende vergangen und da müsste es endlich möglich sein.
Ein Arbeiter aus Berlin-Britz: »Morgen kommen nun die großen Vier zusammen. Wir wünschen, dass sie uns die freien Wahlen und die Einheit Deutschlands schaffen werden. Dann werden wir ganz Deutschland wieder aufbauen. Es sind acht Jahre verstrichen nach dem Krieg und noch kein Frieden. Ich erinnere mich an einen Spruch, den ich nach dem Zusammenbruch las. Wir sind gekommen, Hitler zu vernichten, doch das deutsche Volk soll leben!19 Wir freuten uns, dass diese braune Pest vernichtet war, gedenken an alle, die im Konzentrationslager umkamen. Wollen nun leben, dies können wir nur, wenn Deutschland wieder eins ist.«
Ein Arbeiter: »Auf das eine bin ich gespannt, was nun werden wird. Die Großmächte sind zusammengekommen, um eine Regelung zu finden. Es wird auch die höchste Zeit, denn lange hat es gedauert, dass sich wieder ein Volk zusammenfinden wird, dass jeder fahren kann, wohin er will.«
Ein Arbeiter aus Berlin-Wilmersdorf: »Hoffentlich kommt die Viererkonferenz zu wirklichen fruchtbaren Ergebnissen und bereitet dem ganzen unschönen Zauber der Teilung Deutschlands endlich das verdiente Ende, es wäre wirklich an der Zeit, neun Jahre nach dem Kriege.«
Unter den Angestellten wird oft darüber gesprochen, dass man sich nicht viel von der Konferenz erhoffen sollte, da die »Russen« wahrscheinlich nicht nachgeben werden.
Ein Angestellter aus Berlin-Charlottenburg: »Wir hier in Berlin geben uns keinerlei trügerischen Hoffnungen hin. Glauben doch sogar viele Berliner, dass nur ein großes politisches Theater vor unseren Augen abgerollt wird. Hoffen wir, dass man sich während dieser Konferenz näherkommt und gegenseitig Vertrauen fasst.«
Ein Angestellter aus Berlin-Charlottenburg: »Alle Beteiligten haben das Beste im Auge und im Laufe der Verhandlungen schallt uns von links das übliche ›njet‹ entgegen. Es ist doch erbärmlich, wenn Menschen in ihrem Machthunger sich über alles hinwegsetzen, aber vielleicht spielen sie diesmal eine andere Walze, wir werden es ja erleben.«
Ein Angestellter aus Berlin-Lankwitz: »Im Osten wird ein großer Reklamerummel veranstaltet. Die tun gerade so, als ob es ihren Bemühungen zu verdanken sei, dass es zu einer Konferenz gekommen ist. Obwohl wir eigentlich nicht zu viel erhoffen sollten, um späteren Enttäuschungen die Basis zu entziehen, wollen wir wünschen, dass es wenigstens zu kleineren Erleichterungen kommen möge.«
Von Geschäftsleuten wird auf ihre schlechte wirtschaftliche Lage in Westberlin hingewiesen.20 Sie haben keine großen Hoffnungen auf ein positives Ergebnis der Konferenz.
Ein Schneidermeister aus Westberlin trat gegen provokatorische Äußerungen von Jugendlichen beim Vorbeifahren der Wagen vom Außenminister Molotow auf und sagte zu den Provokateuren, dass sie damit genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir alle wollen, nämlich den Frieden. Heute macht er in seinem Geschäft aufgrund der Politik des Westens alles alleine, weil keine Arbeit vorhanden ist, er wünscht so schnell wie möglich die Einheit Deutschlands, damit wieder für alle ausreichend Arbeit da ist.
Ein Geschäftsmann aus Berlin-Schmargendorf: »Wir dürfen nicht allzu viel Hoffnungen auf diese Konferenz setzen, wir können zufrieden sein, wenn wenigstens ein Anfang zu erkennen ist, der unsere Hoffnungen nicht zum Erlöschen bringt. Die wirtschaftliche Struktur der insularen Verhältnisse in Berlin ist leider unverändert schlecht.«
In Kreisen der Erwerbslosen herrscht eine schlechte Stimmung über den Westberliner Magistrat. Man begrüßt die Vorschläge der SU, die gegen die Remilitarisierung sind.21
Eine Frau im Arbeitsamt Neukölln: »Ihr wartet wohl auf das Ergebnis der Viererkonferenz. Na wartet nur, bald geht es uns wieder besser und zwar, wenn die Amis und auch hier ihr vom Arbeitsamt verschwindet.« Ein Mann zu ihr: »Kommen sie und verbrennen sie sich nicht hier die Schnauze. Es nützt alles nichts, sie bringen doch kein Verständnis für uns auf.«
Auf dem Arbeitsamt Charlottenburg sprach sich der größte Teil der Arbeitslosen gegen die militärischen Stützpunkte in Westdeutschland sowie die Atomkanonen22 aus, während sie die sowjetischen Forderungen auf Entmilitarisierung begrüßen. Sie sind fast alle gegen Adenauer.23 Sie erwarten keinen guten Ausgang der Konferenz, da die USA die Forderung der SU – Hinzuziehen Chinas – nicht billigen wollen.
Im Allgemeinen macht man sich innerhalb der Westberliner Bevölkerung weniger Gedanken über die politischen Probleme der Konferenz.24 Man spricht mehr über die Äußerlichkeiten wie z. B. mit welchem Wagen die Außenminister fahren u. Ä.
Von DGB-Angestellten macht man sich darüber Gedanken, was wird, wenn die Konferenz positiv ausfällt. Man ist der Meinung, dass man in solchem Falle die Forderung der Arbeiter auf Enteignung der Fabriken und Gutsbesitzer nicht öffentlich negieren darf.
Eine Pressekonferenz vonseiten der Amerikaner wurde gleich nach Schluss der ersten Sitzung der Außenministerkonferenz durchgeführt, auf der etwa 500 Journalisten, darunter viele Amerikaner, anwesend waren. Als man verzerrt über die Rede Molotows berichtete, wurden Protestrufe laut.25 Fast einstimmig wurde eine weitere Berichterstattung abgelehnt. Vonseiten der Westjournalisten wurden wiederholt Fragen an Ostjournalisten gestellt, ob die chinesische Delegation26 schon eingetroffen sei.27
Auf einer Versammlung der sogenannten Ostgeschädigten28 am 24.1.1954 im Funkturm Kasino wurde geäußert: »Der Senat hat für uns Geschädigte auch nicht mehr übrig als Vertröstungen. Ich begrüße die Viererkonferenz zur Schaffung eines einheitlichen Deutschlands und hoffe, dass wir Geschädigten unseren Besitz und unser Eigentum wieder zurückerhalten.«
Zum Vorschlag der SU, mit China eine Fünferkonferenz29 durchzuführen, wird aus der Westberliner Bevölkerung bekannt, dass man sich fragt: »Was geht uns China an, und was hat China mit Deutschland zu tun.«30
In einer Diskussionsgruppe, die sich am heutigen Tage an der Potsdamer Straße, Ecke Goebenstraße aufhielt, versuchte ein ca. 40-jähriger Mann den übrigen Straßenpassanten, die sich dort aufhielten, klarzumachen, dass der SU ihr einziges Ziel auf dieser Konferenz sei, Frankreich aus der Einheitsfront des Westens herauszubrechen, um damit die Einheit des Westens zu beseitigen. Der Köder für Frankreich sei Indochina. Der Privatbesuch von Bidault31 bei Molotow müsste jedem zu denken geben.32
Anlässlich der drei Schweigeminuten33 ereignete sich in Neukölln folgender Vorfall: Die Passanten blieben auf der Straße stehen, die Straßenbahn fuhr jedoch weiter. Daraufhin zwang ein Stummpolizist34 den Straßenbahnschaffner zum Halten. Auf die Frage des Stummpolizisten, weshalb er weiterfahre, antwortete der Straßenbahnfahrer: »Ich habe keine Uhr.« Durch das Gejohle und die Bemerkungen der Arbeitslosen war die Stummpolizei gezwungen, die Straßenbahn bis zur nächsten Haltestelle weiterfahren zu lassen.
Die Anfahrt der Außenminister zur Konferenz.35 Um 14.45 Uhr passierte Eden36 den Potsdamer Platz. Kurz darauf um 14.45 Uhr Außenminister Molotow. Während dieser Zeit benahmen sich drei Amerikaner gegen die Stummpolizei renitent37 und machten diese lächerlich. Einzelne Stummpolizisten waren im Besitz von Kleinkameras und fotografierten damit Zuschauer und Straßenpassanten. Die Stummpolizei ist sehr aufgeregt.
Verteilung von Hetzschriften. Die Verteilung von Hetzschriften fand heute in den Vormittagsstunden in der unmittelbaren Umgebung des U- und S-Bahnhofes Gesundbrunnen (französischer Sektor) an Straßenpassanten statt. Die Annahme dieser Hetzschriften wurde den Straßenpassanten förmlich aufgezwungen,38 da viele kein Interesse zeigten diese anzunehmen und zum Teil nach Annahme wieder wegwarfen. Diese Hetzschriften in Broschüren-Form haben als Umschlagdeckel eine Nachahmung der Bildungshefte der SED.39 Der Titel lautet: »Wie hält man eine Lektion« Der Inhalt dieser Hetzschriften besteht jedoch aus Vorträgen des Westberliner Hetzkabaretts »Nürnberger Trichter«.
Stimmen aus Westdeutschland
Aus den vorhandenen Stimmen geht hervor, dass der größte Teil der westdeutschen Bevölkerung die baldige Wiedervereinigung Deutschlands wünscht und aus diesem Grunde hoffnungsvoll die Außenministerkonferenz erwartet. Neben vielen skeptischen Einstellungen zum Verlauf der Konferenz treten aber auch immer wieder und aus allen Schichten positive Meinungen hervor. Bei gutem Willen aller Großmächte seien alle Probleme zu lösen. Arbeiter und Hausfrauen erhoffen sich durch eine Wiedervereinigung vor allem auch eine wirtschaftliche Besserstellung.40
Eine Hausfrau aus München: »Im Übrigen warten wir jetzt auf das Ergebnis der augenblicklichen großen Besprechungen in Berlin. Hoffentlich bringen sie die Einheit und endlich Frieden, dann werden wir ja nach erheblicher Verbesserung unserer Lebenslage doch hoffentlich einmal nach Gotha kommen.«
Ein Arbeiter aus Coburg: »Wie man sich langläufig die Zustände im Paradies vorstellt. Seien wir zufrieden, wenn nur ein Bruchteil dessen im Jahre 1954 Tatsache werde. Dass hierbei der Gedanke an die Wiedervereinigung unter tragbaren Voraussetzungen im Vordergrund steht, ist außer allen Zweifel. Die Aussichten hierfür sind so günstig und ungünstig wie eh und je. Wir haben gelernt, dass in unseren Zeitläufen alles möglich ist, warum also nicht auch die Wiedervereinigung, auch wenn sie noch so utopisch erscheint.«
Ein Angestellter aus Bad Honnef: »Es scheint doch jetzt eine Möglichkeit zu kommen, dass Ost und West wieder zusammenkommen. Ich kümmere mich nicht um Politik, aber ich meine, ein Weg müsse gefunden werden, der gangbar ist. Die Amerikaner und Engländer haben uns doch auch ausgebeutet und uns diesen Zustand geschaffen. Es will mir nicht einleuchten, dass wir, die nie wieder Krieg wollen, jetzt Soldaten einziehen sollen.«41
Ein Angestellter aus Westdeutschland: »Ich bin gleich ihnen der Hoffnung, ja fest der Überzeugung, dass die Berliner Konferenz trotz aller entgegenstehenden Schwierigkeiten zu einem positiven Ergebnis kommen wird, weil es ja einfach zwangsläufig erforderlich ist und sich Menschen auf die Dauer nicht gegen naturnotwendige Entwicklungen stemmen können.«
Die zweifelnden und negativen Stimmen gehen vor allem davon aus, dass die Gegensätze zwischen der SU und den Westmächten zu groß seien, um überwunden werden zu können. Auch kommt antisowjetische Einstellung zum Ausdruck.
Ein Arbeiter aus Passau: »Zwar wird ja in den nächsten Tagen wieder über die Zusammenführung des geteilten Deutschlands verhandelt werden, doch ich glaube nicht, dass dabei eine Einigung erzielt wird, da jeder über Gesamtdeutschland seine eigenen Ansichten hat.«
Ein Arbeiter aus Wiesbaden: »Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, einmal wenigstens mit euch allen zusammenzutreffen. Jetzt scheint ja wieder ein Hoffnungsstrahl aufzuglimmen mit der Viererkonferenz in Berlin. Ob da allerdings was Positives dabei herauskommt, bezweifle ich sehr stark. Adenauer42 will nicht, da er seinen Thron schwanken sieht. Grotewohl43 will teilnehmen.«
Ein Arbeiter aus Pfettrach: »Nun wir werden ja sehen, was in Berlin in der nächsten Zeit zusammengebraut wird. Wir wollen nichts anderes als ein geeintes Deutschland. Die Zonengrenzen müssen weg, denn die ›dawei, dawei‹ haben kein Recht auf die Ostzone. Das würde ein Freudentanz, wenn die Grenzen fallen würden. Aber vorerst dürfen wir uns doch keinen Illusionen hingeben.«
Anlage 1 vom 27.1.1954 zum Informationsdienst Nr. 2088
Betr.: Durchführung der drei Schweigeminuten in den Betrieben des demokratischen Sektors von Berlin und in der DDR
Im VEB WEM Wälzlagerfabrik Lichtenberg44 stellte ein Arbeiter aus der Abteilung Werkzeugbau am 25.1.1954 gegen 8.00 Uhr die Frage: »Machen wir drei Gedenkminuten oder nicht?« Um 9.30 Uhr trat angeblich wegen einem Defekt Stromausfall ein, dadurch konnte diese Abteilung vorübergehend nicht arbeiten.
Im RAW Schöneweide führten zwei Arbeiter an der Schiebebühne die Schweigeminuten durch. Der eine davon forderte die übrigen Arbeiter auf, das Gleiche zu tun, die jedoch außer einem diesem Verlangen nicht nachkamen. Ein Arbeiter wurde entlassen und vom SfS vernommen.
Im Transformatorenwerk Oberschöneweide wurde am 25.1.1954 um 9.30 Uhr im Konstruktionsbüro das Licht gelöscht und die Arbeit von den dort beschäftigten 20 Personen eingestellt. Eine Person wurde verhaftet, da bereits ein Vorgang in der Verwaltung Groß-Berlin vorhanden ist. Eine zweite Person wurde vom Staatssekretariat für Staatssicherheit vernommen.
Die BHZ Spirituosen Treptow erhielt am 25.1.1954 einen falschen Anruf, in dem mitgeteilt wurde, dass die Arbeitsruhe durchgeführt werden soll. Die Arbeitsruhe wurde nicht durchgeführt.
Im VEB Venus Trikotagenwerk Lübbenau,45 [Bezirk] Cottbus, wurden am 25.1.1954, 9.30 Uhr, unter Vortäuschung einer Frühstückspause von ca. 20 Frauen drei Gedenkminuten durchgeführt.
Ein Arbeiter im Sauerstoffwerk Bützow, [Bezirk] Schwerin, äußerte, ob in der DDR auch die drei Schweigeminuten durchgeführt werden. Desgleichen wurden in den Schiefergruben Lehesten und dem Zweigwerk Schmiedebach,46 [Bezirk] Gera, Diskussionen über die Durchführung der drei Schweigeminuten geführt. Zur Ausführung kam es in diesen Fällen nicht.
In der DHZ Rathenow wurde am 25.1.1954 die Arbeit 15 Minuten lang unterbrochen.
Anlage 2 vom 27.1.1954 zum Informationsdienst Nr. 2088
Nachtrag:
Im VEB Textilveredlungswerk Reichenbach und in der Dreherei des VEB Netzschkauer Maschinenfabrik,47 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurden die sogenannten Schweigeminuten durchgeführt. Allerdings kam dies dadurch zustande, dass die Parteisekretäre eine Anweisung der Kreisleitung der Partei falsch verstanden hatten.48 Die Anweisung lautet, dass die Schweigeminuten nicht durchgeführt werden. Im zuerst genannten Betrieb beteiligten sich ca. 400 Arbeiter an der Arbeitsruhe, nachdem in einer Belegschaftsversammlung mit einem Kurzreferat auf die Bedeutung der Konferenz hingewiesen wurde. In dem anderen Betrieb beteiligten sich zehn Kollegen aus der Dreherei an der Arbeitsruhe.
Im Kreis Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, wurden in drei Gemeinden die Kirchenglocken aus Anlass des Beginns der Außenministerkonferenz geläutet. Ursache: Desinformation.
In einer Gemeinde im Kreis Fürstenwalde hat ein Lehrer seine Klasse drei Minuten lang schweigen lassen.
Drei Minuten Schweigepause wurden in der 9. Klasse der Oberschule Berlin-Weißensee sowie in der 6. Klasse der 10. Schule und »Wilhelm Pieck«-Schule Berlin durchgeführt.