Zur Beurteilung der Situation
2. Mai 1954
Informationsdienst Nr. 2195 zur Beurteilung der Situation
Bericht über die Demonstrationen und Kundgebungen am 1. Mai 1954
Zum Verlauf des 1. Mai [1954] in den Städten
Wie aus den Berichten der Bezirke zu ersehen ist, verliefen die diesjährigen Maifeierlichkeiten fast ausschließlich positiv. Hervorzuheben ist besonders die starke Beteiligung an den Demonstrationen und Kundgebungen. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Beteiligung zum überwiegenden Teil größer oder zumindest auf dem gleichen Stand geblieben. Verschiedentlich wurde zum Ausdruck gebracht, dass man eine solche gewaltige Demonstration bisher noch nicht erlebt habe.
In Zeitz, [Bezirk] Halle, lag die Beteiligung im Vorjahr bei 22 000 Personen. In diesem Jahr beteiligten sich ca. 50 000 Personen. In Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt, beteiligten sich im Vorjahr 15 000 Personen, jetzt 18 000 Personen. Diese Beispiele könnten aus allen Bezirken erweitert werden.
Der Vorsitzende der LDPD des Kreises Zossen, [Bezirk] Potsdam, äußerte: »Ich bin ganz erstaunt darüber, dass Ludwigsfelde eine so hervorragende Mai-Demonstration auf die Beine gebracht hat. Auch unsere Parteifreunde sind der Meinung, dass so eine wirkungsvolle Demonstration noch nie da war.«
Der Stadtrat in Zwickau (CDU) sagte: »Es war heute eine Demonstration der Kraft des Friedens, wie wir sie lange nicht erlebt haben.«
Ein Arbeiter aus Frankfurt/Oder: »Heute sieht man wieder richtig, dass Einigkeit stark macht. Ich freue mich, als früheres SPD-Mitglied über die machtvolle Demonstration gegen den Krieg und Faschismus. Eine solche habe ich in Frankfurt/Oder noch nicht gesehen.«
Aus den Magdeburger Großbetrieben beteiligten sich ca. 85 Prozent bis 90 Prozent der Beschäftigten an der Demonstration. Nur vom Georgi-Dimitroff-Werk demonstrierten nur ca. 35 Prozent der Belegschaft. Der Grund hierfür war, dass ein großer Teil dieses Betriebes durch die Aktivistenfeier am Vortage noch betrunken war.
Durch die mitgeführten Fahnen, Transparente, Bilder und geschmückten Fahrzeuge boten die Demonstrationszüge gegenüber dem Vorjahr ein farbenprächtigeres und lebhafteres Bild. In den Losungen und Karikaturen wurde besonders zum Kampf gegen den EVG,1 gegen Atom- und Wasserstoffwaffen, für Frieden und Einheit aufgerufen. Ein ähnliches Bild boten die Straßenzüge und Plätze. Ein Kraftfahrer aus Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich bin überrascht, dass dieses Jahr so viele Menschen geflaggt haben. Man sieht dadurch, dass die Menschen sich immer offener für Frieden, Einheit und zur Arbeiterklasse bekennen.«
In der Stadt Suhl und Ilmenau, [Bezirk] Suhl, wurde von den Kundgebungsteilnehmern im Festzug ein Sarg, auf welchem die Aufschrift »EVG« stand, mit Beifall aufgenommen.
Allgemein war bei den an der Demonstration beteiligten Personen, eine positive Stimmung festzustellen. Stürmisch wurden teilweise westdeutsche Delegationen und die Kampfgruppen der Betriebe2 begrüßt. Ein parteiloser Arbeiter aus Bernau, [Bezirk] Frankfurt: »Wenn wir das früher auch gekonnt hätten, so mit Transparenten gegen die Arbeiterverräter und Kriegshetzer zu demonstrieren. Heute marschiert die Volkspolizei mit uns.« Besonderes Aufsehen erregte in Stralsund, [Bezirk] Rostock, dass zwei Pfarrer sich an der Demonstration beteiligten. Es war erstmalig, dass Pfarrer an einer solchen Demonstration teilgenommen haben.
Unter den Kumpel der Wismut AG3 wurde eine positive Stimmung ausgelöst, da erstmalig sowjetische Genossen mit den Kumpels gemeinsam demonstrierten.
Teilweise war eine gewisse Verärgerung über die Wartezeit vor dem Vorbeimarsch an der Tribüne festzustellen. Vereinzelt wurden auch negative oder feindliche Stimmen bekannt. So wird z. B. aus Dresden berichtet, dass einige Marschblöcke bis zu drei Stunden warten mussten, ehe sie an der Tribüne vorbeimarschieren konnten. Mehrere Personen verließen dabei bereits ihre Gruppen. Besonders stark trat dies bei der Belegschaft des RAW Dresden in Erscheinung, wo sich ca. 50 Prozent vor dem Vorbeimarsch entfernten.
Ein Kollege aus der Produktionsleitung des VEB Dampfkesselbau Meerane, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Diesen Rummel kann man nur im betrunkenen Zustand mitmachen. Es wäre mir nicht möglich, eventuell hinter dem roten Tuch herzumarschieren. Darum die Parole: Saufen, saufen, nur nicht denken!«
Ein Reichsbahnarbeiter aus Frankfurt/Oder: »Den 1. Mai [1954] hat man ganz groß aufgezogen. Die vielen Transparente stechen mir direkt in die Augen. Ich werde sehen, dass ich wegkommen kann, um die Kehle richtig zu ölen. Hier ist mir zu viel Politik.«
Ein Arbeiter aus dem Kraftwerk Finkenheerd, [Bezirk] Frankfurt: »Nicht einmal Fleisch gibt es, wir aber müssen marschieren, hinter Kampfgruppen und an der Seite der Polizei, damit niemand ausrücken kann.«
Ein Zahnarzt aus Hildburgshausen, [Bezirk] Suhl: »Früher waren die Demonstrationen viel freier und nicht so gezwungen wie jetzt. Jetzt müssen die Betriebsleiter der VEB und der Verwaltungen für die Teilnahme an der Kundgebung sorgen, sonst würde nur die Hälfte der Menschen zur Demonstration erscheinen.«
Der CDU-Vorsitzende von Hainichen, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich bin nicht mitmarschiert und demonstriere erst in einem geeinten Deutschland, aber nicht unter den Kommunisten.«
Ein Arbeiter vom Kaliwerk »Glück-Auf« in Sondershausen, [Bezirk] Erfurt: »Mich können sie mal am Arsch lecken, mit ihrem Klimbim. Was hat denn der Staat schon für uns übrig.«
Ein Arbeiter aus dem RAW Potsdam äußerte, als er gefragt wurde, ob er bereit sei, ein Transparent zu tragen: »Das sollen die tun, die die Prämien bekommen haben.«
Eine Frau aus Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt, äußerte über die Kampfgruppen: »Denen gibt man Anzüge aus gutem Schlosseranzugstoff, damit sie wie die technische Nothilfe durch die Straßen latschen können.«
Zum Verlauf des 1. Mai [1954] auf dem Lande
Verschiedentlich ist auch in den ländlichen Gemeinden im Vergleich zum Vorjahr eine größere Beteiligung an der Demonstration sowie eine bessere Ausschmückung zu verzeichnen. Hier treten besonders fortschrittliche Kräfte, Angehörige der LPG, MTS und VEG in Erscheinung. Dazu muss jedoch bemerkt werden, dass die Beteiligung und Ausschmückung gegenüber den Städten wesentlich geringer ist.
In Berthelsdorf, [Bezirk] Dresden, wo eine westdeutsche Bauerndelegation anwesend war, äußerten sich einige werktätige Bauern, dass es gut gewesen sei, einigen Bauern aus Westdeutschland diesen Demonstrationszug zu zeigen. Damit hätten sie gesehen, wie es in Wirklichkeit in der DDR aussieht. Mehrere Traktoristen der MTS Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, brachten zum Ausdruck: »Heute ist unser Kampftag. Wir werden der Bevölkerung zeigen, dass wir kampfentschlossen sind.« Ein Melker der LPG »Freundschaft« Schwerin: »Welche geballte Kraft ist die Arbeiterklasse, wenn sie sich einig zeigt in Verbindung mit den werktätigen Bauern. Wir werden dafür sorgen, dass die Junker nie wieder kommen werden.«
Teilweise war festzustellen, dass Bauern am 1. Mai [1954] ihrer Feldarbeit nachgingen. Vereinzelt wurden auch negative bzw. feindliche Äußerungen bekannt. In Goldbach und Burkau, [Bezirk] Dresden, beteiligten sich z. B. an der Demonstration die Bauern nicht. Ein Großbauer aus Schwerin äußerte: »Der 1. Mai [1954] interessiert mich überhaupt nicht, sondern eine freie Wirtschaft.«
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriften des SPD-Ostbüros:4 Suhl 3 800, Magdeburg 2 200, Potsdam 730, Erfurt 620, Dresden 400, Frankfurt 200.
Hetzschriften der NTS:5 Frankfurt 10 000, Potsdam 2 500.
Flugblätter in tschechischer Schrift wurden in Karl-Marx-Stadt 2 780 (Überschrift: »Freies Europa«) und in Dresden 160 gefunden.
Im Bezirk Frankfurt und im Bezirk Dresden wurden je 10 000 Flugblätter älteren Datums aufgefunden.
In Baruth, [Bezirk] Potsdam, wurden von unbekannten Tätern auf dem Demonstrationsplatz 300 Flugblätter kurz vor Eintreffen des Demonstrationszuges verstreut.
In Wriezen, [Bezirk] Frankfurt/Oder, wurden elf Hetzblätter gefunden, die mit Handdruckkästen hergestellt wurden. Inhalt: Hetze gegen 1. Mai [1954].
Im Bezirk Erfurt wurde ein Paket mit 600 gefälschten »Tribünen«6 gefunden.
Am 30.4.1954 wurden auf der Straße von Greiz nach Breitenbach,7 [Bezirk] Gera, von einem unbekannten Motorradfahrer Flugblätter des SPD-Ostbüros geworfen. Bisher wurden 200 sichergestellt.
Antidemokratische Handlungen: In Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, wurden in der Nacht zum 1.5.1954 einige Fahnen von unbekannten Tätern abgerissen. In Rostock wurden am 30.4.1954 einige Fahnen heruntergerissen. In Dresden wurden am 30.4.1954 mehrere Maiplakate abgerissen.
In Rastenberg, [Bezirk] Erfurt, wurden in der Nacht vom 30.4.1954 zum 1.5.1954 von unbekannten Tätern das Rednerpodium zum 1. Mai [1954], welches auf der Tribüne stand, umgestürzt und beschädigt.
In der Nacht vom 29.4.1954 zum 30.4.1954 brachen unbekannte Täter in die Geschäftsstelle der Nationalen Front8 in Görlitz, [Bezirk] Dresden, ein, zerstörten ein Bild von Walter Ulbricht9 und zerrissen einige Plakate.
In Calau, [Bezirk] Cottbus, sollte am 1. Mai [1954] an einem Festwagen die Losung: »EVG muss fallen!« angebracht werden. Anstelle von EVG wurde VEG geschrieben. Das Transparent wurde rechtzeitig beseitigt.
Vermutliche Feindtätigkeit
Am 1.5.1954 brach in Golk, [Bezirk] Dresden, ein Waldbrand zur Zeit der Demonstration aus, wodurch ein Teil der Demonstranten zum Brandort löschen ging.
Bei Jessenitz, [Kreis] Hagenow, [Bezirk] Schwerin, brannten am 1.5.1954 12 ha Wald nieder. Der Brand brach bei Beginn der Demonstration aus. Brandursache noch ungeklärt.
Am 1.5.1954 brannten im örtlichen landwirtschaftlichen Betrieb in Plendewitz,10 [Bezirk] Schwerin, zwei Scheunen nieder. Ursache noch nicht geklärt.
Anlage 1 (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2195
Der Verlauf des 1. Mai 1954 im demokratischen Sektor von Berlin
In Berlin war die Beteiligung gegenüber der Demonstration zum Abschluss des IV. Parteitages höher. Dafür werden folgende Beispiele angeführt:
Im Bezirk Prenzlauer Berg beteiligten sich zum IV. Parteitag 12 500, zum 1. Mai 21 100 Demonstranten.
Im Bezirk Lichtenberg beteiligten sich zum IV. Parteitag 17 600, zum 1. Mai 19 000.
Im Bezirk Friedrichshain beteiligten sich zum IV. Parteitag 16 500, zum 1. Mai 21 400.
Im Bezirk Treptow beteiligten sich zum IV. Parteitag 15 000, zum 1. Mai 22 000.
Im Bezirk Pankow beteiligten sich zum IV. Parteitag 12 000, zum 1. Mai 13 500.
Im Bezirk Köpenick beteiligten sich zum IV. Parteitag 20 100, zum 1. Mai 23 450.
Im Bezirk Weißensee beteiligten sich zum IV. Parteitag 8 000, zum 1. Mai 12 500.
Die Beteiligung der Kollegen einiger größerer Betriebe zeigen folgende Beispiele: Vom VEB EAW »J. W. Stalin«11 nahmen von 9 500 Beschäftigten ca. 6 000 teil. Aus dem VEB Signal- und Sicherungstechnik nahmen von 2 400 Beschäftigten 1 500 teil, vom VEB Schering von 1 800 Beschäftigten 550, vom VEB Kali-Chemie von 400 Beschäftigten 200, vom VEB Medizinische Gerätefabrik von 1 358 Beschäftigten ca. 1 000, vom VEB Fortschritt-Werk III12 von 700 Beschäftigten ca. 500, vom VEB Berliner Glühlampenwerk etwa 90 Prozent der Belegschaft. Vom VEB Bau-Union von 1 500 Beschäftigten 1 200, vom VEB Hochbau ca. 75 Prozent. Von der Abteilung technische Gleichrichter (Intelligenz) des VEB EAW »J. W. Stalin« von 48 Beschäftigten nur 14.
Unter den Demonstranten herrschte überall frohe und gute Stimmung. In Sprechchören brachten sie ihre Verbundenheit zur Partei und Regierung zum Ausdruck. In den mitgeführten Transparenten wandten sich die Werktätigen vor allem gegen die Atomwaffen, die EVG und die Wiederherstellung des Militarismus.
Negative Stimmen wurden nur ganz vereinzelt bekannt. Ein Arbeiter aus dem VEB Schultheiß:13 »Sie sollen nur freie Wahlen machen, dann wollen wir mal sehen, ob auch so eine Beteiligung ist.« Ein Lehrer aus dem Bezirk Prenzlauer Berg äußerte sich, dass er als Lehrer am 1. Mai demonstrieren muss, weil er eben als Lehrer nicht anders könne, sonst würde er zu Hause bleiben.
Stockungen während der Demonstration wurden aus den Bezirken Lichtenberg und Prenzlauer Berg bekannt, wodurch viele Teilnehmer sich wieder entfernten. Die Kollegen des VEB Bau-Union Berlin mussten über zwei Stunden am Stellplatz warten. Dadurch demonstrierten von anfangs 1 200 Kollegen an der Tribüne nur noch 300 bis 400 vorbei. Die Kollegen vom VEB Hochbau mussten ca. 1½ Stunden am Stellplatz warten, deshalb gingen viele Kollegen wieder fort.
Marschblock aus Westberlin: Aus den Westberliner Bezirken versammelten sich Unter den Linden etwa 8 000 Demonstranten. Ihre Losungen richteten sich hauptsächlich gegen die EVG und die Kriegspolitik Adenauers.14 Die Stimmung unter den Westberliner Kollegen war gut. Beim Vorbeimarsch an der Ehrentribüne jubelten sie begeistert den Vertretern der Regierung und der Partei zu.
Zum Verlauf des 1. Mai [1954] aus Westberlin
Ein Teil der Teilnehmer an der Kundgebung auf dem Platz der Republik entfernte sich vorzeitig und begab sich in den demokratischen Sektor. Aus diesem Grunde wurde der Übergang vom Brandenburger Tor bis zum Potsdamer Platz von der Stupo abgesperrt.15
Über Demonstrationen, die durch die Stupo auseinandergeschlagen wurden, sind nachstehende Beispiele bekannt.
Auf dem Gelände des RAW Tempelhof trafen sich 400 Belegschaftsangehörige, um zum Marx-Engels-Platz zu marschieren. Als der Zug das Gelände verließ, wurde er von Stupos auseinandergeknüppelt und sämtliche Fahnen und Transparente wurden beschlagnahmt. Ferner wurden einige wahllose Verhaftungen vorgenommen. Die Teilnehmer waren darüber empört und zogen in losen Gruppen zum Marx-Engels-Platz.
Neuköllner Bürger trafen sich vor dem Betrieb SGN Karl-Marx-Straße und gingen in losen Gruppen zum Hermann-Platz. Hier formierten sie sich zu einem Demonstrationszug (ca. 500 Teilnehmer). Voran trugen sie eine rote und eine schwarz-rot-goldene Fahne sowie ein Transparent mit der Aufschrift: »Für 15-prozentige Lohnerhöhung« und »Es lebe der 1. Mai.« Am Südstern wurden sie von der Stupo auseinandergetrieben. Kurz darauf setzte sich vom Südstern ein DGB-Zug (ca. 100 Teilnehmer) in Bewegung, wo sich die Geschlagenen einreihten. Am Halleschen Tor bildete sich ein Sprechchor und rief: »Wir protestieren gegen EVG und Krieg und marschieren nicht zum Platz der Republik.« Daraufhin verließ ein großer Teil den Demonstrationszug.
Vom AEW Turbine Tiergarten16 zogen ca. 150 Demonstranten von der Berlichingenstraße bis zur Meuselstraße.17 Sie führten zwei Transparente mit, die sich gegen die Lohnsenkung richteten. Dieser Zug wurde von der Stupo aufgelöst und es wurden drei Verhaftungen vorgenommen.
Weiterhin wurden von der Stupo von mehreren Bahnhöfen und Dienstgebäuden rote Fahnen und Transparente, in denen für die deutsche Verständigung und die Herstellung der Einheit aufgerufen wird, abgerissen. Auf einem Bahnhof sollte eine Eisenbahnerin festgenommen werden, weil sie eine rote Nelke trug.
Mittels der S-Bahn wurden von Westberlin Hetzschriften in größerer Anzahl in den demokratischen Sektor eingeschleust. Sie sind in deutscher und russischer Schrift geschrieben.
Anlage 2 vom 1. Mai 1954 zum Informationsdienst Nr. 2195
Berichterstattung zum 1. Mai 1954
Die Beteiligung an den Demonstrationen und Kundgebungen zum 1. Mai 1954 hat sich im Vergleich zum Vorjahre verbessert. Auch war die Ausschmückung der Häuser besser als im Vorjahre, nur in den Dörfern hätte es besser sein können.
Im Bezirk Erfurt nahmen 95 000 Teilnehmer, im Bezirk Schwerin 180 000, im Bezirk Cottbus 136 000, im Bezirk Leipzig 608 800, in der Bezirkshauptstadt Karl-Marx-Stadt 200 000 und in Berlin 250 000 an der Demonstration und Kundgebung teil.
Die Stimmung der Teilnehmer war während der Demonstration gut. Jedoch trat vereinzelt wieder Unzufriedenheit über die lange Wartezeit in Erscheinung. Dadurch setzten sich teilweise Demonstranten schon vor der Tribüne ab. Ein Arbeiter aus Karl-Marx-Stadt: »Das ist wieder mal ein 1. Mai, wie ich ihn in meinem Leben noch nicht erlebt habe. Ja, das müsste mal der Westen sehen, da würden aber Adenauer und Konsorten laufen.« Eine FDJlerin aus Karl-Marx-Stadt: »Die Demonstration ist seit Langem eine der besten, da kann man nur sagen, dass die Arbeiterklasse steht.«
Starken Beifall fanden in Berlin die Volkstanzgruppen, besonders das Staatliche Volkskunstensemble, deren Mitglieder Seidenbanner trugen, die ihnen anlässlich ihres Auftretens in der Volksrepublik China als Freundschaftsgeschenk übergeben wurden.
In Auerbach kam es während der Demonstration zu einem Verkehrsunfall, welcher durch einen Verkehrspolizisten des VP-Amtes Wismut hervorgerufen wurde. Von den Demonstranten wurden verschiedentlich Pfui-Rufe laut.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriften des SPD-Ostbüros: Erfurt 1 870, Gera 500, Potsdam 710, Halle 425, Neubrandenburg 120.
Hetzschriften der NTS: Potsdam 2 618, Neubrandenburg 5.
Hetzschriften der KgU:18 Potsdam 50.
Hetzschriften des CDU-Ostbüros: Neubrandenburg 400.
Im Bezirk Cottbus wurden 6 000 Flugblätter und im Bezirk Rostock 40 000 Flugblätter in tschechischer Schrift sichergestellt. Inhalt und Herausgeber unbekannt.
Während der Kundgebung wurden in Berlin auf dem Marx-Engels-Platz sehr viele Flugblätter geworfen, wovon die Kundgebungsteilnehmer keine Notiz nahmen.
Antidemokratische Schmierereien: Im Bezirk Neubrandenburg wurden verschiedentlich Hetzlosungen zum 1. Mai 1954 angeschmiert.
Antidemokratische Handlungen: Im Bezirk Neubrandenburg wurden einige Fahnen heruntergerissen. In Gera wurde das Bild des Parteifeindes Zaisser19 im Demonstrationszug mitgeführt. Im Bezirk Potsdam wurden Fahnen heruntergerissen und Schaukästen zerstört.
Terror: Am 30.4.1954 wurde ein Angehöriger der VP in Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, von einem Jugendlichen tätlich angegriffen. Täter festgenommen.
Am 30.4.1954 wurde ein Genosse der Kreisleitung Neuruppin, [Bezirk] Potsdam, in der Gemeinde Lüchfeld hinterrücks niedergeschlagen.
Ein Jugendlicher aus Spremberg schlug den 1. Sekretär der DSF und riss Fahnen herunter. Täter festgenommen.
Westberlin
Am Platz der Republik waren ca. 60 000 Menschen anwesend. Sie verhielten sich ziemlich interesselos gegenüber den Reden von Kaiser20 und der anderen. Der Demonstrationszug machte einen ziemlich aufgelösten Eindruck. Die Redner hetzten gegen das sowjetische Ehrenmal,21 gegen die DDR und hoben immer wieder den 17. Juni [1953] als Ausdruck für das »Nicht mehr Bestehen der DDR« hervor. Außerdem propagierte man eine angebliche Lohnsenkung der DDR. Ferner wurden »Freie Wahlen« nach westlichem Muster gefordert. Etwa 2 000 bis 3 000 Stupo (uniformiert) waren anwesend.