Zur Beurteilung der Situation
13. August 1954
Informationsdienst Nr. 2286 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Die Diskussionen über politische aktuelle Fragen sind weiterhin gering. Ein großer Teil verhält sich gleichgültig und will »von Politik nichts wissen«. Einige Arbeiter aus dem VEB Pumpen- und Gebläsewerk Leipzig äußerten: »Lasst uns zufrieden mit der Politik. Wir wollen keinen Krieg und sind für die Einheit Deutschlands, aber was sollen wir schon machen.«
Zu Schritt Dr. Johns1 und zur Note der Sowjetregierung2 wurden nur noch einzelne Stimmen bekannt. Sie haben sich in ihrem Inhalt gegenüber den Vortagen nicht geändert.3
Im Vordergrund stehen die Diskussionen über die Streiks in Westdeutschland,4 deren Umfang jedoch ebenfalls gering ist. Überwiegend erklären sich hierzu die Arbeiter solidarisch mit den Streikenden. Ein Teil beweist dies durch finanzielle Unterstützung. Zwei Lkw-Brigaden des Fuhrparks vom VEB Bleichert Leipzig sammelten für die Streikbewegung DM 75,00. In den anderen Abteilungen dieses Betriebes werden ebenfalls Geldsammlungen durchgeführt. Eine Brigade aus dem Kombinat »IV. Parteitag« Gera (sechs Kollegen) erklärten sich mit den streikenden Kollegen in Westdeutschland solidarisch und spendeten 100 DM.
Ein geringer Teil bezieht eine negative Stellung. Darin wird meist eine Unterstützung der Streikenden abgelehnt, mit der Begründung, die Arbeiter in Westdeutschland würden besser leben als hier in der DDR. So lehnten z. B. die Kollegen der Druckerei des Karl-Marx-Werkes Magdeburg eine Spende mit der oben angeführten Begründung ab. Die Schicht eines Steigers aus dem VEB Kaliwerk »Einheit«, Schachtanlage I in Springen, [Bezirk] Suhl, weigerte sich ebenfalls, eine Spende zu geben. Neben dem aufgeführten Argument sagte ein Kollege dieser Schicht: »Gebt erst einmal den Seilbahnern bei uns eine höhere Lohngruppe.« Ähnlich äußerten sich einige Bauarbeiter der Bau-Union Stalinstadt, des VEB Kranbau Eberswalde und der Zentralwerkstatt des Eisenhüttenkombinates »J. W. Stalin«, [Bezirk] Frankfurt/Oder.
In anderen negativen Stellungnahmen betont man, dass in Westdeutschland die Arbeiter streiken dürfen, jedoch in der DDR sei das verboten. Damit soll »bewiesen« werden, dass bei uns keine demokratischen Verhältnisse herrschen.
Einige Arbeiter aus dem Eisenhüttenwerk Thale, [Bezirk] Halle, äußerten, dass man in Westdeutschland streiken könne. Wenn man das in der DDR tut, dann »kommen gleich die Russen mit den Panzern«.
Ein Hauer aus dem Wismut-Objekt I Johann-Georgenstadt:5 »Die dort drüben dürfen wenigstens streiken. Wenn wir hier betrogen werden, müssen wir ruhig sein, sonst fliegen wir noch raus.«
Mangelhafte Beteiligung an der Rechenschaftslegung6
Wie bereits berichtet, nahmen an der bisherigen Rechenschaftslegung in Magdeburg nicht viele Kollegen teil.7 Dazu wird weiter bekannt, dass bei der Rechenschaftslegung in der Pumpenfabrik Salzwedel (Belegschaftsstärke 400 Kollegen, darunter 80 Genossen) nur 25 Kollegen anwesend waren. Diese setzten sich zusammen aus der Werkleitung, BGL und BPO. Der Betriebsleiter vertrat in der Diskussion den Standpunkt, man könne nicht verlangen, dass »sich die Belegschaft, die den ganzen Tag über bei 40 Grad Hitze arbeitet, abends noch zur Versammlung einfindet«.
Einen größeren Umfang nehmen die Diskussionen über betriebliche Dinge ein, wie z. B. Lohnfragen. Meist wird dabei Verärgerung zum Ausdruck gebracht.
Im VEB Werkzeugunion in Steinbach-Hallenberg, [Bezirk] Suhl, verlassen in letzter Zeit viele Arbeitskräfte den Betrieb, da sie zu wenig verdienen. Die Mehrzahl der Arbeiter vertritt die Meinung: »Uns ist es egal, ob wir in einem VEB oder in einem Privatbetrieb arbeiten. Für uns ist die Verdienstmöglichkeit entscheidend.«
Eine Jugendbrigade aus dem VEB Bau (K) Halberstadt hat gekündigt, da sie im Kreisbaubetrieb Wernigerode mehr Geld bekommen würden. Sie wollen dort Arbeit aufnehmen.
Ein Arbeiter aus dem VEB Peniger Papierfabrik, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich verdiene im Monat 240 DM und komme trotz Leistungslohn nicht höher. Ich kann mir dabei kein Stück Butter für DM 5,00 leisten. Wenn der Betrieb keine Lohnregelung findet, sehe ich mich veranlasst, die Papierindustrie zu verlassen.«
Verschiedentlich kam es zu größeren Missstimmungen über betriebliche Fragen.
Im Steinbruch des VEB Basaltwerkes in Römhild, [Bezirk] Suhl, mussten die Arbeiter drei Tage auf ihren Lohn warten und am 12.8.[1954] erhielten sie nur einen Teil ausgezahlt. Darüber herrscht eine große Missstimmung und es wird von Arbeitern geäußert, dass sie die Arbeit niederlegen wollen, wenn diese Frage nicht schnellstens geklärt wird.
In der Mathias-Thesen-Werft in Wismar, [Bezirk] Rostock, herrscht unter den Arbeitern eine sehr schlechte Stimmung, da durch den Materialmangel ihr Verdienst sehr gering ist. Ein Teil spricht davon, dass sie die Arbeit kündigen wollen.
Unter den Arbeitern der Schiebebühne im RAW Jena, [Bezirk] Gera, herrscht eine Missstimmung, weil ihnen der Arbeitsschutzinspektor die Arbeitsschutzanzüge nicht ausliefert, mit der Erklärung, er habe von höherer Stelle diese Anweisung erhalten. Die Arbeiter verschmutzen trotz der Schutzkleidung bei ihrer Arbeit sehr.
Im VEB Jenapharm, [Bezirk] Gera, ist ein Teil der Belegschaft darüber empört, dass der BGL-Vorsitzende (SED) durch Beschluss der Parteileitung seiner Funktion enthoben wurde (in Verbindung mit einer Parteistrafe). Die Kollegen vertreten die Ansicht, dass die Partei nicht das Recht habe, einen gewählten BGL-Vorsitzenden von sich aus abzusetzen. Man will deshalb in Zukunft einen Parteilosen als BGL-Vorsitzenden wählen, um einem ähnlichen Fall vorzubeugen.
Durch diktatorisches Verhalten des stellvertretenden Parteisekretärs im Landmaschinenwerk Barth, [Bezirk] Rostock, trauen sich viele Arbeiter des Betriebes nicht mehr, zu irgendeiner Sache ihre Meinung zu äußern. So sagte zum Beispiel der stellvertretende Parteisekretär in einer Diskussion zu einem Genossen, dass er, wenn er noch lange herummeckert, entlassen werden könnte. Hierauf verstummten alle Diskussionen.
Von der Fa. Wömag aus Ludwigslust,8 [Bezirk] Schwerin, werden Dreschsätze hergestellt, die zum Teil Montagefehler aufweisen.
Produktionsstörung: Im VEB Kalk-, Ziegel- und Sandwerk Geithain, [Bezirk] Leipzig, musste am 12.8.[1954] die Ziegelproduktion eingestellt werden, da ein Keilriemen riss, für den kein Ersatz vorhanden ist. Die Produktion kann voraussichtlich erst am 17.8.[1954] wieder aufgenommen werden. Täglicher Produktionsausfall 25 000 Ziegel.
Handel und Versorgung
Örtliche Mängel in der Warenbereitstellung
Im Bezirk Schwerin fehlt es teilweise an Nährmitteln, Frischfisch, Fischkonserven, Fleisch- und Wurstwaren und an verschiedenen Industriewaren. Im Bezirk Suhl teilweise an Bohnenkaffee, Zucker, Tee, Bettwäsche und Massenbedarfsartikeln.
Im Bezirk Neubrandenburg teilweise an Brot und Backwaren, Fisch, Fleisch. Im Bezirk Rostock teilweise an Backwaren, die in den Ferienlagern Kreis Ribnitz eine angespannte Lage herbeigeführt haben.
Im Bezirk Halle teilweise an Margarine, im Bezirk Potsdam teilweise an Nährmitteln, Hülsenfrüchten, Käse, Frischfleisch, Fischkonserven. Im Bezirk Dresden an Butter, Margarine auf Marken und in verschiedenen Kreisen an Bohnenkaffee und Zitronen.
Im einigen Kreisen des Bezirkes Magdeburg ist die Fleischversorgung gegenwärtig sehr mangelhaft. Im III. Quartal 1954 wurden bis heute im Schlachthof Magdeburg ca. 300 t = ca. 3 000 Schweine gegenüber dem Plan zu wenig geschlachtet. Die Versorgung der Bevölkerung Magdeburgs wurde bisher durch Vorwegnahme des planmäßigen Importfleisches für das III. Quartal aufrechterhalten. Bis zum heutigen Tage sind bereits ca. 90 Prozent der Quartalsmenge verbraucht.
Im Bezirk Rostock ist die Versorgung mit Fleisch ausreichend, jedoch wird ein großer Teil des Bedarfs durch Gefrierfleisch gedeckt, was unter der Bevölkerung nicht immer Anklang findet. Es wird meist Frischfleisch verlangt.
Die Konsumverkaufsstellen im Kreis Bautzen und Göda, [Bezirk] Dresden, haben seit Anfang dieser Woche keine Butter und Margarine auf Marken erhalten, weil die Transportmittel ohne Benzin sind. Im Kreis Sebnitz, [Bezirk] Dresden, macht sich die schlechte Versorgung durch den Konsum ebenfalls durch den Benzinmangel bemerkbar.
Der Mangel an Brot- und Backwaren in Teterow, [Bezirk] Neubrandenburg, ist durch die Schließung eines Teils der Privatbäckereien wegen Ferien und einiger Kollegen der HO-Bäckereien wegen Urlaub zurückzuführen.
Negative Diskussionen, die durch die oben angeführten Mängel ausgelöst wurden:
Im Bezirk Suhl bringen die Hausfrauen zum Ausdruck: »Die Zeitungen sind vollgeschrieben und es werden laufend Zahlen für die Herstellung von Massenbedarfsartikeln bekannt gegeben. Wenn man aber in die Geschäfte kommt, gibt es nichts.«
Aus dem Bezirk Schwerin kommen Klagen, dass in den Privatgeschäften ein reichhaltiges Warenangebot vorhanden ist, während in den Konsum- und HO-Verkaufsstellen nicht genügend Waren angeboten werden. Eine Hausfrau brachte zum Ausdruck, dass man ja gezwungen sei, den Privatkaufmann zu unterstützen, denn HO und Konsum haben nicht genügend Waren.
In Kreis Bischofswerda sowie im Kreis Kamenz, [Bezirk] Dresden, sind Hamstereinkäufe in Weizenmehl zu verzeichnen.
Landwirtschaft
Politische Tagesfragen werden in der Landbevölkerung durch die Beanspruchung bei der Ernte nach wie vor nur in geringem Umfang diskutiert. Zu den Vortagen ist der Umfang und der Inhalt der Diskussionen der gleiche geblieben. Neu ist, dass zum Schritt Dr. Johns jetzt auch in Kreisen positiv diskutiert wird, die bis dahin negativ bzw. feindlich eingestellt waren, wie z. B. Großbauern und andere negativ eingestellte Personen, was im Bezirk Gera verschiedentlich zu verzeichnen ist.
Ein Großbauer (CDU) aus dem Kreis Schleiz, [Bezirk] Gera, sagte: »Ja, wahrscheinlich müssen wir uns daran gewöhnen, anders zu denken, denn wenn einmal so ein hoher, wie John zu uns kommt, muss es im Westen sehr faul aussehen. Ich glaube, die Wiederaufrüstung und verschiedene andere Sachen brechen dem Adenauer9 das Genick. Ich habe das mit offenen Augen jetzt beim Kirchtag in Leipzig10 verfolgen können.«
Eine Gastwirtin aus Moßbach, [Bezirk] Gera, mit 19 ha. Landwirtschaft sagte: »Ich habe bis jetzt geglaubt, dass es im Westen mit der Besetzung solch wichtiger Posten 100-prozentig in Ordnung geht. Aber ich glaube jetzt, dass es bei denen da drüben noch mehr stinkt, als bei Hitler.«
Die Rechenschaftslegung der Volksabgeordneten über die bereits berichtet wurde, wird auch weiterhin begrüßt und hat teilweise große Erfolge zu verzeichnen, wie z. B. in Thurow, [Bezirk] Schwerin. Die Einwohner der Gemeinde verpflichteten sich, bis zum 17. Oktober [1954] das gesamte Jahressoll in der Ablieferung zu erfüllen. Weiterhin werden die Thurower als erste Gemeinde die Volkswahlen beenden.11
Teilweise verstärkt der Klassengegner auf dem Lande seine Tätigkeit durch feindliche Argumente, wie folgende Beispiele zeigen. Ein Großbauer aus Lebendorf, [Bezirk] Halle, sagte in einer Bauernversammlung: »Wir brauchen keinen sozialistischen Wettbewerb, wir brauchen kein Antreibersystem.« Die Großbauern aus Cörmigk, [Bezirk] Halle, lehnen zum großen Teil den Nachtdrusch ab und sagen: »Nachts soll die LPG dreschen.« Ein Mittelbauer aus dem gleichen Ort sagte: »Ich schäle dann, wenn ich es für notwendig halte und nicht, wenn ihr es wollt.«12
Wirtschaftliche Fragen, die Ernte und einige andere Schwierigkeiten auf dem Lande stehen weiterhin im Mittelpunkt der Diskussionen. Verschiedentlich wird immer wieder [Diskussion] über die Nichteinhaltung der Verträge seitens der MTS, die schlechte Arbeitsorganisation der MTS und den Mangel an Ersatzteilen für landwirtschaftliche Maschinen geführt. Beispiele dafür liegen aus den Bezirken Potsdam, Magdeburg, Cottbus und teilweise aus den Bezirken Dresden und Schwerin vor.
In Draschwitz, [Bezirk] Leipzig, beschweren sich die werktätigen Bauern, dass die MTS Colditz, [Bezirk] Leipzig, die Mähbinder und den Dreschsatz zuerst den Großbauern zur Verfügung stellte und den werktätigen Bauern dadurch Nachteile bei der Ernte entstehen.
Im Kreis Güstrow, [Bezirk] Schwerin, liegen auf dem Bahnhofsgelände große Mengen Kartoffeln im Freien. Desgleichen lagern in Bützow, [Bezirk] Schwerin, 200 t Frühkartoffeln, für die kein Absatz vorhanden ist. Die Bauern sind darüber verärgert und äußern sich wie folgt: »Erst haben uns die Funktionäre gedrückt, schnell und viel Kartoffeln abzuliefern und jetzt ist der Staat nicht in der Lage sie abzusetzen bzw. ordnungsgemäß zu lagern.«
Im Bezirk Frankfurt können die VEAB den Anteil der Kartoffeln und des Gemüses ebenfalls nicht bewältigen. In Frankfurt z. B. lagern 300 t Frühkartoffeln, desgleichen lagern dort Zwiebeln und Kohl bzw. werden wieder an die Erzeuger zurückgeschickt.
Über Arbeitskräftemangel, besonders Schichtfahrer, wird im Bezirk Leipzig und im ÖLB Lübz,13 [Bezirk] Schwerin, Klage geführt.
Übrige Bevölkerung
Über politische Tagesfragen wird unter der übrigen Bevölkerung nur wenig diskutiert. Zur Volkswahl im Oktober wurden uns nur ganz vereinzelt Diskussionen bekannt. Immer wieder nehmen Mitglieder bürgerlicher Parteien gegen die Aufstellung einer gemeinsamen Kandidatenliste Stellung.14 Ein Angestellter aus Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Mitglied der NDPD: »Eine Blockwahl ist überhaupt keine Wahl, weil man nicht zwischen mehreren Dingen wählen kann. Bei uns wird nur deshalb keine Listenwahl durchgeführt, weil die fortschrittlichen Parteien befürchten, eine Niederlage zu erhalten.«
Ganz vereinzelt werden Diskussionen zur Pressekonferenz mit Dr. John bekannt.15
Eine parteilose Rentnerin aus Großenhain, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt:16 »Also ich bin ja platt, was Dr. John alles über die Pläne von Adenauer gesagt hat. Es ist ja furchtbar mit diesem Kerl, wenn es [sic!] schon alles getan hat, um einen Krieg zu beginnen. Ich meine, man muss etwas beginnen, damit es zu keinem Krieg kommt.«
Ein Ehepaar im Amtsgericht Bitterfeld brachte zum Ausdruck, dass die Rechtsanwälte nicht einverstanden wären mit dem neuen Familiengesetz,17 denn sie haben nicht mehr die großen Einkünfte und es ist recht so, denn diese Menschen waren bis jetzt noch die größten Ausbeuter gewesen, je nach Geldbeutel wurden die Verhandlungen geführt.
Im Kreis Königs Wusterhausen sind die Rentner nicht damit einverstanden, dass die Besucher aus Westberlin oder Westdeutschland eine höhere Lebensmittelkarte bekommen als sie. Einige Rentner äußerten in einem Lebensmittelgeschäft: »Die Besucher aus dem Westen bekommen alle zehn Tage zwei Pfund Fleisch, 600 g Zucker und 300 g Butter, während wir Rentner fast ausschließlich Margarine auf unsere Marken bekommen. Das ist mehr als ungerecht.«
Im Kreis Zossen, [Bezirk] Potsdam, ist in den letzten Wochen wiederholt vorgekommen, dass Rückkehrer bzw. Zuwanderer aus Westdeutschland oder Westberlin schon nach kurzer Zeit wieder das Kreisgebiet verlassen. Bei den bisher bekannten Fällen handelt es sich meist um solche Personen, die finanzielle Hilfe vom Betrieb und Rat des Kreises in Anspruch nahmen. Hierzu folgendes Beispiel.
Ein Arbeiter, der im Gipswerk Sperenberg, [Bezirk] Potsdam, arbeitete, erbat sich Unterstützung vom Werk, diese wurde ihm aus dem Direktorenfonds gewährt. Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass dieser Arbeiter negative Diskussionen in den Gaststätten führte. So äußerte er: »Ich bin nach hier gekommen, um dem 1. BPO-Sekretär das Genick zu brechen und der technische Leiter ist auch nicht mehr lange im Betrieb. Ich bin nicht von ungefähr hier, sondern habe einen bestimmten Auftrag einer Gruppe aus Westdeutschland.« Aufgrund dieser Diskussion wurde er von unserer Partei zur Rechenschaft gezogen. Einige Tage später war er aus dem Kreisgebiet verschwunden.
Die Mitglieder der CDU aus Oberweißbach, [Bezirk] Suhl, verlangen die Verbesserung des Verkehrs nach der Kreisstadt Neuhaus. Sie bringen zum Ausdruck, dass man entweder einen verstärkten Omnibusverkehr zwischen den einzelnen Ortschaften und der Kreisstadt einrichten soll oder eine Strecke der Bergbahn zur Kreisstadt legen.
Organisierte Feindtätigkeit
Hetzschriftenverteilung
SPD-Ostbüro:18 Neubrandenburg 19, Gera 8 000, Karl-Marx-Stadt 131, Erfurt 1 560.
KgU:19 Schwerin 200 000, Neubrandenburg 10 000, Suhl 500.
DGB-Ostbüro: Karl-Marx-Stadt 26.
UFJ:20 Rostock 85.
CDU-Ostbüro: Rostock 500.
NTS:21 Dresden 28.
Versch[iedener] Art: Neubrandenburg 10 300, Potsdam 10 000, Dresden 60.
»Der Tag«22: Frankfurt 2 00 [sic!], Potsdam 2 000.
In Trebsen, Kreis Grimma, [Bezirk] Leipzig, wurden 17 selbstgefertigte Hetzzettel mit der Parole »Weg mit Ulbricht«23 gefunden.
Die Hetzschriften wurden in den meisten Fällen sichergestellt und gelangten nicht in die Hände der Bevölkerung.
Bei den Hetzschriften des SPD-Ostbüros handelte es sich vorwiegend um Hetzschriften älteren Datums, teilweise alte Stimmzettel.24 Die KgU versendet zzt. in größerem Umfang noch Hetzschriften, die sich gegen das Ergebnis der Volksbefragung richten.25
Antidemokratische Tätigkeit: An einen Güterwagen in der Trockenkammer des RAW Potsdam wurde eine Hetzlosung gegen den Genossen Walter Ulbricht angeschmiert. Im VEB Elektrowärme Sörnewitz, Kreis Meißen, [Bezirk] Dresden, wurde wiederum eine Hetzlosung faschistischen Inhalts mit einem Hakenkreuz angeschmiert.
Diversion: Im VEB Preßpappenwerk Porschendorf,26 Kreis Sebnitz, [Bezirk] Dresden, wurden einige Loren der Kohlentransportseilbahn ausgehangen. Dabei ist eine der Loren auf einen Schuppen des Betriebes gestürzt.
Vermutliche Feindtätigkeit
In der Gemeinde Frehne konnte ein Mähdrescher der MTS Gerdshagen, Kreis Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, nicht in Betrieb genommen werden, da vermutlich der Treibstoff unbrauchbar gemacht worden war.
Auf der Koppel des VEG Leppin, Kreis Strasburg, [Bezirk] Neubrandenburg, wurde auf Anordnung des Wirtschaftsleiters Natriumsalpeter gestreut, ohne davon die für die Viehzucht verantwortlichen Kollegen zu verständigen. Deshalb wurde später Vieh auf die Weide getrieben und es traten Vergiftungen ein. Bisher mussten 31 Milchkühe und eine Färse notgeschlachtet werden.
Anlage 1 vom 13. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2286
Produktionsschwierigkeiten wegen Materialmangel
Im VEB Fichtel und Sachs,27 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fehlt es an Rohmaterial. Dadurch kann die benötigte Anzahl von Kupplungen für das EMW-Werk Eisenach28 nicht hergestellt werden.
In der Neptunwerft Rostock fehlt es an Material für die Herstellung von Vorderkabelteilen für den Motorroller »Pitty«.29 Der Zulieferbetrieb, Industriewerk Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam, hat bisher noch kein Material geliefert.
In der Peene-Werft Wolgast, [Bezirk] Rostock, bestehen Materialschwierigkeiten. Es fehlen Gläser für Oberlichter und Bullaugen, Lüfterschieber, Lüfterrosetten, Tiefenanzeiger und Anderes.
Beim VEB Kraftverkehr Stralsund, [Bezirk] Rostock, fehlt es an Bereifung für Lkw (Decken der Größe 7,25 × 20) sowie an Ersatzteilen für ungarische Omnibusse.
Im VEB Bleichert Leipzig30 besteht ein Mangel an Getrieben und Blechen verschiedener Stärke. Dadurch können zwei Abteilungen ihren Produktionsplan schon seit vier Monaten nicht mehr termingemäß erfüllen.
Im RAW Engelsdorf, [Kreis] Leipzig, besteht ein Engpass an 40er-Winkeleisen für den Tenderbau.31
Im VEB Ofenbau Großenhain, [Bezirk] Dresden, fehlen Gussteile für den Herd- und Ofenbau. Aufgrund des unbrauchbaren Materials kann der Betrieb seinen Plan nicht erfüllen.
Der VEB Waggonbau Niesky, [Bezirk] Dresden, hat aufgrund mangelnder Lieferungen vonseiten des Berliner Bremsenwerkes und des Kirow-Werkes Leipzig32 sehr ernste finanzielle Schwierigkeiten. Zum Beispiel fehlen Geldmittel für die Lohnzahlung.
Der VEB Holzverarbeitungswerk Rehna, [Bezirk] Schwerin, wird von der DHZ Schwerin mangelhaft mit Material beliefert. Im VEB Maschinenstrickerei Schwerin33 bestehen Schwierigkeiten in der Garnversorgung. Der VEB Elde-Süßwaren Parchim, [Bezirk] Schwerin, hat Schwierigkeiten in der Belieferung von Sirup für die Bonbonherstellung.
Anlage 2 vom 13. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2286
Auswertung der Westsendungen
Von Zeit zu Zeit versucht der RIAS mit Sendungen über unzulängliche Sicherungen bei der Reichsbahn die Bevölkerung der DDR zu beunruhigen. Er meldet jetzt z. B., dass 70 Prozent aller Brücken und 90 Prozent aller Weichen betriebsgefährdend seien, für unbefahrbar erklärt werden müssten oder nur mit Schrittgeschwindigkeit befahren werden dürften. Gleichzeitig hetzt der Sender gegen unser ZK, was die Erhöhung der Zahl der Langsamfahrstrecken nicht erlaube.
Ursache der Schäden und Mängel seien Materialschwierigkeiten. Der gleiche Mangel beeinträchtige auch die Arbeit der Reichsbahnausbesserungswerke, sodass die 27 RAW ihre Produktionspläne hätten nicht erfüllen können. Die Hetze beschäftigt sich dann mit einzelnen Arbeitsvorgängen bei den RAW, immer mit dem Ziel, die Lage der Reichsbahn als sehr schlecht hinzustellen.
RIAS verbreitet weiter eine Meldung des »Untersuchungsausschusses der freiheitlichen Juristen«, wonach bei der Reichsbahn »Normenerhöhungen auf kaltem Wege« vorgenommen würden. Dies geschähe durch »Kürzung des Prozentsatzes für die Verlustzeiten und den Wegfall von Zuschlagzeiten, z. B. Streichung der Waschzeiten«. Die Eisenbahner werden aufgefordert, auf die Gewährung der Waschzeiten zu bestehen, da sie ein Recht darauf haben.
Die Aufhebung der Befehle der SMAD und der SKK bezeichnet der RIAS als von geringer Bedeutung, »weil der Geist dieser Befehle in den entsprechenden Gesetzen und Verfassungsbestimmungen des SED-Staates fortlebt«.34
Der Sender »Freies Berlin« benutzt die Annahme des amerikanischen Hilfsangebotes für die Hochwassergeschädigten35 zur Verleumdung unserer Regierung. Diese würde jetzt die amerikanische Spende mit den Spenden der SU und der Volksdemokratien zusammen ausgeben, um die amerikanische Hilfe zu verschleiern.
Sender »Freies Berlin« meldet, dass bei den erfolgten Kündigungen in den umgewandelten DHZ nur Mitglieder bürgerlicher Parteien betroffen wurden.
Anlage 3 vom 13. August 1954 zum Informationsdienst Nr. 2286
Pressekonferenz mit Dr. John
Die bis jetzt bekannt gewordenen westlichen Pressestimmen (RIAS, Südwestfunk, Londoner Rundfunk36 und Westberliner Zeitungen) zur Pressekonferenz mit Dr. John vertreten ziemlich einheitlich die Meinung, dass die Ausführungen Dr. Otto Johns auf der Pressekonferenz Ausdruck der Meinung und des Willens der Regierungen der SU und der DDR waren.
RIAS: »Aber alles, was Dr. John sagte, ließ ihn zumindest als widerspruchslosen Schüler tagespolitischer Forderungen des Ostens erscheinen.« »Telegraf«: »Seine Erklärungen weisen kommunistische Stilistik auf.«
In einzelnen Fällen wird dabei die Pressekonferenz verglichen mit der Pressekonferenz von Paulus,37 der ebenfalls nach den westlichen Pressestimmen der Weltöffentlichkeit vorgeführt wurde, um die Linie der SU und der DDR zu proklamieren.38 Im Zusammenhang damit steht die heutige Mitteilung in der Westpresse, dass Dr. John zu einem Besuch bei Paulus in Dresden weilte.39
Über die Bedeutung der Pressekonferenz gehen die Stimmung [sic!] in etwas Enttäuschung über, da sie keine Sensation gebracht habe.
»Telegraf«: »Die von der Pankower Propagandazentrale40 mit einem Massenaufgebot von Journalisten aufgezogene Vorstellung des abgängigen Chefs des Bonner Verfassungsschutzamtes Dr. John im Rahmen einer Pressekonferenz brachte nicht die erwartete Sensation.«41 Sender »Freies Berlin«: »Es gab keine Sensationen und John berichtete nichts Sensationelles.«
Mehrfach beschäftigt man sich mit dem Verhalten bzw. dem Zustand Dr. Johns unter dem Gesichtspunkt, ob er seine Ausführungen völlig freien Willens gemacht habe oder ob er dazu gezwungen wurde. Diese Frage gipfelt in der indirekten Andeutung, dass Dr. John sich bereits früher mit »kommunistischen Gedanken« beschäftigt haben muss bzw. schon länger Verbindung zum Osten hatte.
Londoner Rundfunk: »Es wäre müßig, zu fragen, welche Erlebnisse, welche Depressionen und sonstige Gemütszustände und Beeinflussungen Dr. John so einseitig gemacht haben« (im Bezug auf sein Übertreten in die DDR). »… Denn gerade die Kommentare einflussreicher englischer Zeitungen und Journalisten zum Falle John beweisen doch, dass Dr. John z. B. in England durchaus nicht ungehört geblieben wäre.«
Der Abend: »Kein Wort der Kritik an der Sowjetzone und der SED. Wie John das gemacht hat, das kann man nicht in 22 Tagen lernen …«42
Südwestfunk: »John hat jedes Mal etwas behauptet und jemals etwas beweisen können, … dass der Verdacht auftritt, John sei schon seit langer Zeit ein markanter Stein im kommunistischen Spiel gewesen.«
Die Ausführungen Dr. Johns über die EVG43 stehen im Mittelpunkt der Beachtung durch die Westpresse. Dabei benutzen auch hier wieder einzelne Organe die Gelegenheit zur Hetze, dass John nur für die SU und die DDR gesprochen habe. Gleichzeitig fordern aber auch einige Stimmen die Überprüfung der Angaben Dr. Johns über Geheimabkommen im EVG bzw. deren Bekanntgabe durch die beteiligte Regierung.44
Der Zeitpunkt der Ausführungen Dr. Johns auf der Pressekonferenz, der Besuch der Labour-Delegation in Moskau45 und die Diskussionen über die Ratifizierung der EVG in Frankreich46 werden in engem Zusammenhang gebracht, ohne dass in dem vorliegenden Material größere Ausführungen darüber ersichtlich sind. (Weitere Auswertungen folgen.) Die SU wird vereinzelt beschuldigt, das »gut arrangiert« zu haben.
RIAS: »Genau an dem Punkt, der zur Stunde mehr denn je der Schwerpunkt aller Moskauer Bemühungen ist, trat John öffentlich in Erscheinung. Der Kreml macht sich Sorgen um die drängenden Termine für die Entscheidung über die EVG. Er unternimmt alles, Frankreich in letzter Minute zu beunruhigen.«
Südwestfunk: »Es muss auf den merkwürdigen Zufall hingewiesen werden, der John vor die Presse treten ließ, gerade nachdem in Moskau die Spitzen der Regierung sich mit der nach China reisenden britisch[en] Labourdelegation bei einem Bankett trafen und aussprachen.«
Zwei Tage nach der Pressekonferenz mit der Stellungnahme Dr. Johns über sein Verhältnis zu den Staaten des Friedenslagers und des Kriegslagers veröffentlichen die Westberliner Zeitungen eine angebliche »Denkschrift des ehemaligen Abwehrchefs«, die in dem Panzerschrank Dr. Johns gefunden worden sei.47 Die Denkschrift stelle angeblich eine Warnung Dr. Johns über »ungeheuerliche kommunistische Bestrebungen nach der Bolschewisierung Deutschlands und der Welt« an die Bundesregierung dar.