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Zur Beurteilung der Situation

7. Januar 1954
Informationsdienst Nr. 2063a zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Die Viermächtekonferenz1 steht weiterhin im Mittelpunkt der Diskussionen (siehe Anhang).

Zum Jahr der großen Initiative2 werden aus weiteren Betrieben Verpflichtungen bekannt. Arbeiter vom VEB Guss Torgelow – Werk 7 Ferdinandshof,3 [Bezirk] Neubrandenburg, verpflichteten sich, 10 Tonnen Ofenroste zusätzlich herzustellen. 70 Prozent der Arbeiter der Dübelwerke Loitz, [Bezirk] Neubrandenburg, nahmen am 4.1.1954 den innerbetrieblichen Wettbewerb auf. Ziel ist, Hebung der Arbeitsproduktivität durch Steigerung der Qualität und durch eine bessere Arbeitsorganisation. Glasmacher des VEB Glashütte Tschernitz,4 [Bezirk] Cottbus, wollen im Jahre 1954 1 000 t Wirtschaftsglas über den Plan hinaus herstellen.

Materialmangel wird aus einigen Betrieben gemeldet, der sich auf die Erfüllung der Aufträge negativ auswirkt. Teilweise führen diese Materialschwierigkeiten auch dazu, dass Arbeiter zzt. keine Arbeit haben bzw. andere schlechter bezahlte Arbeit verrichten müssen.

Auf der Volkswerft Stralsund, [Bezirk] Rostock, herrscht Mangel an 8-mm-Blechen. Dadurch ist ein großer Teil der Arbeiter gezwungen, die Arbeitsausfallzeit als Wartestunden einzurechnen, welche sich dann auf ihren Lohn negativ auswirken. Durch diesen Materialmangel können auch die Exportaufträge an die SU nicht pünktlich erfüllt werden.

Im VEB Sachsenwerk Niedersedlitz, [Stadt] Dresden, ist ebenfalls Materialmangel eingetreten, da der Jahresplan 1954 zu spät im Werk eintraf. Dadurch können ca. 200 Arbeiter keine Arbeit erhalten. Im VEB Stern-Radio Rochlitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, bestehen nach wie vor Materialschwierigkeiten. Aus den gleichen Gründen konnte auch der Produktionsplan 1953 nicht erfüllt werden.

Einstellung bzw. Einschränkung des Gasverbrauches in der Industrie wird aus den Bezirken Magdeburg und Erfurt gemeldet. Von der zentralen Energieverteilung Leipzig wurde die Anweisung herausgegeben, dass die gesamte Industrie von Thüringen ab 6.1.1954, 14.00 Uhr, den Gasverbrauch einzustellen hat. Im RFT Funkwerk Erfurt können aus diesem Grunde zzt. 100 Arbeiter ihre Arbeit nicht mehr ausführen.

Das Walzwerk Burg, [Bezirk] Magdeburg, erhält zzt. nur noch 30 000 cbm Gas, während es einen normalen Verbrauch von 90 000 cbm hat, da sämtliche Walzenstraßen auf Gasbeheizung eingestellt sind. Aus diesem Grund kann nur eine Walzenstraße in Betrieb gehalten werden. Das »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg5 erhält statt 80 000 cbm nur 10 000 cbm Gas. Das Karl-Marx-Werk Magdeburg6 musste die Gießerei und Härteöfen stilllegen. Hierdurch müssen 120 Arbeiter mit Nebenarbeiten beschäftigt werden.

Die Versorgung der Krankenhäuser und Haushaltungen ist gesichert.

Eine Störung im Berufsverkehr in Eisleben, [Bezirk] Halle, zeigte sich durch den einsetzenden Frost. So konnten am 6.1.1954 früh vom VEB Kraftverkehr Eisleben 80 Prozent der Fahrzeuge (60 Omnibusse) nicht ausfahren, da durch die Kälteeinwirkungen der Dieselkraftstoff einfror. Dadurch wurde der Berufsverkehr gestört. Der noch vorhandene Dieselkraftstoff gefriert bei minus 5 Grad C[elsius] und der neu gelieferte ebenfalls bei minus 8 Grad C[elsius].

Durch Warenstau ist die Süßwarenfabrik Wittenberge, [Bezirk] Schwerin, nicht in der Lage alle vorhandenen Arbeiter zu beschäftigen. So wurden bereits 20 Arbeiter entlassen und in der nächsten Zeit müssen 30 weitere Arbeiter entlassen werden. Die Ursache ist darin zu sehen, dass noch ein großer Posten Süßwaren aus der Produktion des letzten Quartals 1953, der vorläufig nicht im Handel unterzubringen ist, in der Süßwarenfabrik lagert. Die neue Produktionsauflage für das Werk wurde heruntergesetzt.

Starkes Ansteigen der Krankenziffer wurde aus dem Edelstahlwerk Döhlen,7 [Bezirk] Dresden, gemeldet. Die Krankenziffer beträgt 17,5 Prozent zur gesamten Belegschaft. Bei Außenarbeiten liegt die Krankenziffer bei 21 Prozent. Dadurch besteht die Gefahr, dass die tägliche Produktionserfüllung nicht mehr 100-prozentig gewährleistet ist.

Handel und Versorgung

1 040 t Einkellerungskartoffeln fehlen noch im Kreis Nauen, [Bezirk] Potsdam. Im Ziegelkombinat Zehdenick, [Bezirk] Potsdam, fehlen Kartoffeln für die Werksküche zum Teil auch Einkellerungskartoffeln für die Belegschaft.

Überfüllt mit Freibankfleisch8 (pestverdächtige Schweine) sind die Schlachthöfe Nauen und Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam. Da sich keine Abnehmer finden, besteht die Gefahr des Verderbens.

Landwirtschaft

Über die Viermächtekonferenz halten die Diskussionen unter der Landbevölkerung weiterhin an. Wesentliche Veränderungen gegenüber den Vortagen sind nicht zu verzeichnen (siehe Anhang).

Zum Jahr der großen Initiative wird aus Cottbus berichtet, dass verschiedentlich Bauern Selbstverpflichtungen übernehmen. In der Gemeinde Werben, [Bezirk] Cottbus, wurde z. B. ein Kampfplan erarbeitet, wonach die Kartoffelerträge um 15 Prozent und die Gemüseerträge um 25 Prozent gesteigert werden sollen. Durch einen 25-prozentigen Zwischenfruchtanbau wird es möglich sein, die Jahresmilchleistung zu erhöhen.

Auf der Kreisbauernkonferenz (VdgB) in Seelow, [Bezirk] Frankfurt/Oder, wurden von den Delegierten acht feindliche Elemente, darunter drei Großbauern, aus der VdgB ausgeschlossen. Zu Ehren des IV. Deutschen Bauerntages9 wurden Selbstverpflichtungen abgegeben, wonach folgende landwirtschaftliche Produkte über das Soll geliefert werden: 280 Schweine, 25 Rinder, 1 450 kg Schweinefleisch, 7 150 kg Rindfleisch, 35 330 kg Milch, 2 100 kg Kartoffeln, 152 kg Geflügel und 250 kg Ölsaaten. Weiterhin wurden 41 gesellschaftliche Verpflichtungen abgegeben.

Zu einer LPG (Typ III)10 schlossen sich 32 Landarbeiter in Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg, zusammen. 300 ha Land stehen ihnen zur Verfügung.

Der LPG in Olbernhau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, fehlen (durch die schlechte Kartoffelernte) Futtermittel für die Mast von 100 Schweinen. Dadurch ist die finanzielle Lage in der LPG infrage gestellt.

Gegen den Anbauplan 1954 sprachen sich Bauern in einer öffentlichen Gemeindevertretersitzung in Dolgzin,11 [Bezirk] Frankfurt/Oder, aus. Der erhöhte Kartoffelanbau wird mit der Begründung abgelehnt, dass sie keine Kartoffeln fürs Vieh haben, aber für die Aussaat schon gar nicht.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Über die Viermächtekonferenz halten die Diskussionen weiterhin an. Änderungen in der Argumentation gegenüber den Vortagen sind nicht zu verzeichnen (siehe Anhang).

Über das Einreiseverbot in das Wismutgebiet12 ist im Kreis Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, eine gewisse Missstimmung zu verzeichnen. Einige Personen aus Crottendorf haben z. B. schon an unseren Präsidenten geschrieben. Sie erhielten den Bescheid, dass diese Angelegenheit bearbeitet wird. Einige Tage später wurde ihnen aus Karl-Marx-Stadt mitgeteilt, dass der Antrag auf Einreise in das Sperrgebiet abgelehnt ist. Dadurch sind solche Diskussionen zu verzeichnen, die besagen, dass die Regierung hilft, die untergeordneten Dienststellen dies jedoch ignorieren.

Der Wunsch, Öffnung der ehemaligen Grenzübergänge Teistungen und Arenshausen, steht noch immer im Mittelpunkt der Diskussion der Bevölkerung in den Grenzkreisen des Bezirkes Erfurt.13

Ereignisse von besonderer Bedeutung

In der Zeit vom 27.12.1953 bis 30.12.1953 trafen vier Transporte mit ehemaligen abgeurteilten Kriegsverbrechern aus der SU ein.14 Insgesamt sind 4 227 Personen zurückgekehrt, davon verbleiben in der DDR 1 507, nach Westdeutschland fuhren weiter 2 476, im demokratischen Sektor von Groß-Berlin blieben 133 und nach Westberlin gingen 111. Beim ersten Transport waren ca. 75 Prozent der Rückkehrer feindliche Elemente, die in der Zeit von 1945 bis 1951 durch die Sicherheitsorgane der DDR oder befreundeten Dienststellen wegen Verbrechen gegen die Kontrollratsdirektive 38 oder Artikel 6 der Verfassung abgeurteilt [wurden].15 Bei diesen Personen war festzustellen, dass die Mehrzahl in ihrer Einstellung sich nicht geändert hat. Bei den anderen (abgeurteilte Kriegsverbrecher) war eine bessere Haltung zu erkennen.

Organisierte Feindtätigkeit

Flugblätter und Postwurfsendungen wurden verstärkt in Groß-Berlin (4 050 Stück) und vereinzelt in den Bezirken Rostock, Potsdam, Cottbus, Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt verbreitet. Der Inhalt ist der gleiche wie bisher (Hetze gegen die SU und DDR). In Berlin wurden 50 Briefe, die als Neujahrsbotschaft des Genossen Wilhelm Pieck16 getarnt waren, verbreitet. Sie enthielten übelste Hetze gegen die SU und DDR.

Überfälle: Am 1.1.1954 wurde ein Schmiedelehrling von der LPG Stolzenhain,17 [Bezirk] Frankfurt/Oder, von drei Personen niedergeschlagen, dabei äußerte man: »Schlagt den Kommunisten tot, schmeißt alle Kommunisten aus Stolzenhain raus«. Zwei Personen konnten festgenommen werden, die dritte Person wurde republikflüchtig.

Vermutlich organisierte Feindtätigkeit

Brand: Am 5.1.1954 brannte bei einer Großbäuerin in Zollchow, [Bezirk] Neubrandenburg, eine Scheune nieder. Schaden: 25 000 DM. Ursache unbekannt.

Stimmen aus Westberlin

Die Angestellten im Rathaus Wilmersdorf sind beunruhigt, da alle ehemaligen Wehrmachtsangehörigen, die zwölf Jahre gedient haben, registriert werden. Diese sollen demnächst in den Verwaltungsapparat eingesetzt werden. Ein Teil der jetzigen Angestellten müsste dann entlassen werden.

Einschätzung der Situation

Die Lage hat sich gegenüber den Vortagen nicht verändert.

Anlage vom 7.1.1954 zum Informationsdienst Nr. 2063

Anhang zur Stimmung über die bevorstehende Viererkonferenz

In den Meinungsäußerungen zur Viermächtekonferenz in Berlin sind gegenüber den Vortagen keine Änderungen eingetreten. Die Mehrzahl der bekannt gewordenen Stimmen haben positiven Inhalt. Die ständigen Bemühungen der SU, Teilnahme deutscher Vertreter aus Ost und West,18 besonders aber die Hoffnung auf Entspannung der internationalen Lage und Herstellung der Einheit Deutschlands sind Hauptdiskussionspunkte. Eine Angestellte aus Bansin, [Bezirk] Rostock: »Die SU hat bis jetzt alles versucht, um die Deutschlandfrage friedlich zu lösen. Wenn doch die Westmächte endlich auf die Vorschläge zur Herstellung der Einheit Deutschlands eingehen würden. Bei der Entwicklung in Westdeutschland kann einem angst und bange werden.«

In einer öffentlichen Mitgliederversammlung der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft im VEB Schuhfabrik Calau wurde eine Entschließung, worin der SU für die ständige uneigennützige Hilfe gedankt wird, einstimmig angenommen.

Eine Arbeiterin im VEB Feuerungsbau Greiz,19 [Bezirk] Gera: »Ich begrüße die Forderung, Teilnahme deutscher Vertreter an der Viermächtekonferenz. Ich bin der Meinung, dass nicht fremde Mächte allein über Deutschland verhandeln können.« Ein Arbeiter aus dem VEB Dampfhammerwerk Großenhain, [Bezirk] Dresden: »Wir erwarten, dass an der Berliner Konferenz deutsche Vertreter teilnehmen, um über die wichtigsten Fragen zur Herstellung der Einheit unseres Vaterlandes mitzuberaten.«

Arbeiter vom VEB ABUS Gießereimaschinenfabrik Berlin-Lichtenberg: »Ich erwarte, dass man auf der Konferenz endlich einmal über das Schicksal des deutschen Volkes eine Einigung erzielt und ich hoffe, dass wir endlich einmal einen Friedensvertrag nach acht Jahren erhalten.«

Mittelbauer aus Görsdorf, [Bezirk] Cottbus: »Ich begrüße die Viererkonferenz und werde auch meinen Teil dazu beitragen, dass die Lebenslage der Bevölkerung verbessert und die Einheit Deutschlands erreicht wird. Ich hoffe, dass im Jahre 1954 der Wunsch des deutschen Volkes nach Einheit in Erfüllung geht.«

Friseurmeister aus Lobenstein, [Bezirk] Gera: »Endlich ist es soweit, dass die Westmächte teilnehmen müssen, dadurch sind wir einen großen Schritt weitergekommen. Wir wollen hoffen, dass sie sich in der Frage Deutschlands einig werden.«

Zweifelnde Stimmen, die in geringer Anzahl in Erscheinung treten, haben meist zum Inhalt, dass schon sehr viele solche Konferenzen durchgeführt wurden, ein Erfolg aber noch nie zu verzeichnen war. Bei den nur wenig bekannt gewordenen negativen Meinungsäußerungen handelt es sich meist um Elemente, die eine feindliche Einstellung zur Regierung der DDR und SU haben. Brigadier im Stahlwerk Gröditz, [Bezirk] Dresden: »In meiner Brigade hat zwar jeder seine Unterschrift gegeben, aber ich glaube, dass dies bei den Westmächten nicht beachtet wird. Ich zweifle an einem Erfolg.«

Werktätiger Bauer aus Eichenberg, [Bezirk] Suhl: »Diese Konferenz ist eine gute Sache, wenn sich die Teilnehmer einigen. Aber ich glaube nicht, dass aus dieser Konferenz viel herauskommen wird. Es hat schon viele Konferenzen gegeben, die aber alle bisher ohne Erfolg geblieben sind.«20

Gastwirt aus Bicking,21 [Bezirk] Cottbus: »Es wäre wünschenswert, wenn dieses Jahr die Einheit Deutschlands zustande käme. Es wird aber genauso werden, wie es bisher war, die drüben verlangen die Rückgabe der Ostgebiete und die hier machen nicht mit. Deshalb glaube ich an keinen Erfolg.«

Arbeiter der Großkokerei Mathias Rakosi Lauchhammer: »Ich bin der Meinung, dass keine richtige Lösung der Deutschlandfrage zustande kommt, da die SU immer die Termine verschiebt. Sie windet sich wie ein Regenwurm, weil die Herstellung der Einheit Deutschlands das Ende ihres Einflusses auf die DDR und Europa bedeuten würde.«

Neubauer aus Mierendorf,22 [Bezirk] Schwerin: »Ich will die Einheit Deutschlands, aber so wie der Westen, unter Einbeziehung der Ostgebiete, damit wir wieder nach Hause kommen können.«

Angestellter aus Putbus, [Bezirk] Rostock: »Für die Einheit Deutschlands gibt es nur eine Möglichkeit und das sind gesamtdeutsche freie Wahlen.23 Das Volk wird sich schon für das System entscheiden, welches es haben will.«

Hauptbuchhalter beim VEB Rosodont Waldheim, [Bezirk] Leipzig: »Ich gebe meine Unterschrift nicht für die Teilnahme gesamtdeutscher Vertreter an der Konferenz. Wir haben den Krieg verloren und haben kein Recht an der Konferenz teilzunehmen.«

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