Zur Beurteilung der Situation
28. Januar 1954
Informationsdienst Nr. 2089 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft, Industrie und Verkehr
Industrie und Verkehr
Viermächtekonferenz:1 Von einem großen Teil der Werktätigen werden die täglichen Veröffentlichungen in der Presse und im Rundfunk mit wachsender Spannung erwartet, die vom Verlauf der Berliner Konferenz berichten. Aus den bekannt gewordenen Stimmen geht hervor, dass zu den Veröffentlichungen über den Verlauf der Konferenz ein Teil die Ausführungen des Genossen Molotow2 begrüßt, da er auf der Konferenz für eine Entspannung der internationalen Lage und zur friedlichen Lösung der Deutschlandfrage eintritt.3
Ein anderer Teil dagegen bringt zum Ausdruck, dass man außer den Reden und Vorschlägen des sowjetischen Außenministers auch die der westlichen Staaten bei uns in Presse und Rundfunk veröffentlichen müsste.
Ein Angestellter des VEB Textima Großenhain,4 [Bezirk] Dresden: »Die Ausführungen des Genossen Molotow, dass unsere Fragen nicht losgelöst behandelt werden dürfen, sind vollkommen richtig und wir müssen dankbar sein, so einen großen Freund zu besitzen. Wir wollen die Einheit Deutschlands, wollen ein Vaterland in Frieden und Glück, so wie es die Sowjetmenschen uns zeigen.«
Ein Arbeiter des VEB Pels Erfurt:5 »Warum bringen denn unsere Sender und Zeitungen die Reden von Dulles6 und Bidault7 nicht? Gestern Abend hörte ich von Frankfurt,8 dass Dulles es dem Molotow ganz schön gegeben hat.«
Von einem Teil der Werktätigen wird die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass man im Deutschlandproblem zu einer Lösung auf friedlichem Wege kommt. Eine Arbeiterin vom VEB Textima Glauchau,9 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich wünsche und hoffe, dass es endlich zu einer Verständigung bei der Konferenz kommt. Ich wurde im Zweiten Weltkrieg bereits zwei Mal ausgebombt und will nicht noch einmal im Keller sitzen und zitternd um meine neu erworbenen Sachen bangen.«
Bei einem Teil Arbeiter und Angestellten, mehr bei der Intelligenz, wird eine abwartende Haltung zur Außenministerkonferenz eingenommen10 bzw. eine Gleichgültigkeit in politischen Fragen zum Ausdruck gebracht, teilweise unter westlichem Einfluss. Ein Elektriker (parteilos) von der Zentralreparaturwerkstatt Bärenstein, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Eigentlich brauchen sie gar nicht lange zu verhandeln. Es gibt ja nur vier Fragen zu klären, die Gefangenenfrage, die Oder-Neiße-Grenze, den Abzug der Besatzungsmächte und freie Wahlen in ganz Deutschland. Na, erst mal abwarten was aus der Konferenz herauskommt.«
Ein anderer Teil der Arbeiter, Angestellten und Intelligenz zweifelt an einem positiven Ergebnis dieser Konferenz, da man bereits bei Beginn die starken Meinungsverschiedenheiten erkennen konnte. Ein Arbeiter vom Metallverarbeitungsbetrieb Harzgerode,11 [Bezirk] Suhl:12 »Der Beginn der Konferenz zeigt uns, dass es von vornherein zu keiner Einigung kommen wird. Die bestehenden Meinungsverschiedenheiten werden die Konferenz zu keinem Ergebnis kommen lassen.«13
Von einem kleinen Teil werden negative bzw. feindliche Diskussionen über die Viermächtekonferenz geführt. Ihre feindliche Einstellung bringen sie darin zum Ausdruck, indem sie freie Wahlen fordern, Revidierung der Oder-Neiße-Grenze sowie Hetze gegen die SU und DDR betrieben. Dazu einige Beispiele:14
Ein großer Teil der Kollegen der C-Schicht und der Polymerisation des Kunstfaserwerkes »Wilhelm Pieck« Schwarz, [Bezirk] Gera, vertritt die Meinung, dass die Einheit Deutschlands nur durch freie Wahlen nach westdeutschem Muster erreicht werden kann. Brigadier im gleichen Werk: »Die Wahlen in der DDR waren keine demokratischen Wahlen. Die russische Besatzungsmacht bietet keine Gewähr, dass die Wahlen wirklich demokratisch durchgeführt werden. Ich verlange Wahlen unter internationaler Kontrolle und lehne auch eine provisorische Regierung ab.«15
Ein Arbeiter (Umsiedler) vom VEB Eisenhüttenwerk Thale: »In der Frage der Umsiedler ist bestimmt noch nicht das letzte Wort gesprochen worden.«
Ein Arbeiter vom VEB Pels Erfurt:16 »Molotow hat ja in seiner Rede ganz schön auf Deutschland herumgehackt. Da sind wir ja an allem schuld. Er hat nur aufgezählt, was wir in Russland für Schaden angerichtet haben. Was aber die Russen bei uns angerichtet haben, das hat er mit keinem Ton erwähnt.« Ein Arbeiter vom gleichen Werk:17 »Der Russe will bloß Zeit gewinnen, darum schlägt er eine Fünferkonferenz mit China vor. Dies macht er doch nur, damit noch einer auf seiner Seite steht.«18
Ein Signalist vom Wismut-Schacht 13 Aue,19 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Minister fressen sich mit ihrem Anhang auf Kosten Deutschlands voll und dann geht man in drei Wochen wieder so auseinander wie man gekommen ist. Ich lobe mir die Schweiz als reine Demokratie und wünsche mir das Gleiche für den Osten und den Westen.«
Ein Angestellter der Lochkartenstelle der Reichsbahndirektion Schwerin: »Vonseiten der Westmächte wurde Molotow die Forderung gestellt, alle Verhafteten des 17.6.[1953] freizulassen, sowie alle politischen Gefangenen.20 Man wird sich nicht einigen, da Molotow die Teilnahme Chinas an der Konferenz verlangt.«
Zur Arbeitsniederlegung kam es am 26.1.1954 durch 80 bis 100 Zimmerleute am Hochofen VI des Eisenhüttenkombinates »J. W. Stalin«. Die Ursache dazu, dass man ihnen trotz dieser außergewöhnlichen Kälte keine Filzstiefel zur Verfügung gestellt hat.21 Sie fordern Bereitstellung von Filzstiefeln, Normenänderung wegen der zzt. herrschenden Kälte und Zeitlohn für Aufräumungs- und Transportarbeiten. Durch Verhandlungen mit der Werkleitung der Bau-Union wurde eine Einigkeit erzielt und die Arbeit wurde wieder aufgenommen.
Produktionsschwierigkeiten wurden aus einigen Betrieben gemeldet. Die Arbeiter dieser Betriebe sind unzufrieden, da durch diese Störungen in der Produktion ihr Verdienst sinkt.22 Die Ursachen sind verschiedener Art (Arbeitsmangel, Materialmangel, Betriebsstörungen, Kohlemangel und Absatzschwierigkeiten). Arbeitsmangel besteht in der Warnow-Werft Warnemünde und der Neptunwerft in Rostock.
Materialmangel besteht im VEB IFA Horch23 und Audi Kfz-Werk Zwickau, im Kfz-Werk »Ernst Grube« Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, im VEB DEWA Jüterbog,24 [Bezirk] Potsdam, im Gummiwerk Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg, und der Schuhfabrik Eppendorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt.
Durch Betriebsstörungen besteht Materialmangel in den Brikettfabriken »Impuls«, [Kreis] Senftenberg und Haidemühl, [Bezirk] Cottbus (Rohkohle fehlt). Batteriemangel für Elektrolok im Thomas-Müntzer-Schacht, [Bezirk] Gera.25 Kohlemangel im VEB Falkensteiner Gardinenfabrik, [Kreis] Auerbach, und im VEB Maßindustrie Optik Werdau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt. Absatzschwierigkeiten bei den Ölwerken Wittenberge, [Bezirk] Schwerin.
Unzufriedenheit über Prämienzahlung besteht bei den Arbeitern des Kalk- und Zementwerkes Rüdersdorf, [Bezirk] Frankfurt/Oder. Die Kollegen äußern, dass sie der Ansicht sind, dass die Verteilung der Prämien26 nicht gerecht durchgeführt wird, da fast immer die gleichen Personen die Prämien erhalten.
Handel und Versorgung
Im Bezirk Rostock stieg der Umsatz am 25.1.1954 in solchem Maße, wie bisher noch nicht zu verzeichnen gewesen war.27 Diskussionen mit den Käufern ergaben, dass viele glauben, dass nach der Konferenz eine Währungsreform in der DDR stattfindet.
Landwirtschaft
Die Veröffentlichungen über die bisherigen Verhandlungen der Außenminister werden von großen Teilen der Landbevölkerung mit Interesse verfolgt. Man hofft auf entscheidende Schritte zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, auf die Teilnahme einer gesamt-deutschen Delegation an der Konferenz28 sowie auf weitere Entspannung der internationalen Situation. Solche Stimmen finden sich vor allem unter den Landarbeitern und werktätigen Bauern.29 Ein Arbeiter der MTS Moisall, [Kreis] Güstrow, [Bezirk] Schwerin: »Die Annahme der Tagesordnung die von Molotow vorgeschlagen wurde,30 ist als ein großer Erfolg anzusehen und ich hoffe, dass auch eine gesamtdeutsche Delegation gehört wird.«
Ein großer Teil der Stimmen zweifelte an einem positiven Ausgang der Konferenz.31 Viele verhalten sich passiv und bringen der Konferenz kein Interesse entgegen. Bei den zweifelnden Stimmen spielt das Argument der »unüberbrückbaren Gegensätze« zwischen der SU und den Westmächten eine große Rolle. Ein Instrukteur der Dorfgemeinschaft Arendsee,32 [Bezirk] Magdeburg: »Aus der Konferenz wird nichts, dafür sind die Gegensätze zwischen Ost und West viel zu groß.«
Die negativen und feindlichen Stimmen finden sich vor allem unter den Großbauern, aber auch unter einem Teil Mittelbauern sowie Angehörigen der bürgerlichen Parteien. Bei den negativen Stimmen geht es meist um Revidierung der Oder-Neiße-Grenze, um sogenannte freie Wahlen, freie Wirtschaft und in letzter Zeit fordert man, dass die Äußerungen der westlichen Außenminister ebenfalls in unseren Zeitungen gebracht werden sollen.33
Großbauer aus Severin, [Bezirk] Schwerin: »Die Unterschriftensammlung hat doch keinen Zweck.34 Uns fragt man doch nicht, wir wollen freie Wahlen.«
Ein ehemaliger Umsiedler und ehemalige Großbrauer aus Moltenow, [Kreis] Bützow, [Bezirk] Schwerin: »Ich gebe meine Unterschrift nicht, erst will ich nach Ostpreußen zurück.«
Ein Kleinbauer – Mitglied der DBD – aus Bresinchen,35 [Kreis] Guben, [Bezirk] Cottbus: »Ich stelle mir die Einheit Deutschlands so vor: Bei uns leben etwa ein Drittel der deutschen Menschen und drüben die anderen zwei Drittel. Es müsste doch so sein, dass die Mehrheit bestimmt und die Bundesregierung die Regierung über ganz Deutschland wird.«
Ein Gemeindearbeiter aus Hamma,36 [Bezirk] Erfurt, – Mitglied der SED – äußerte bei einer Diskussion über die Außenministerkonferenz: »Der 17. Juni [1953] hat uns einen schweren Knacks versetzt. Dadurch wurde bewiesen, dass es mit uns abwärtsgeht. Ich leiste keine politische Arbeit mehr, ich gebe höchstens das Parteidokument ab.«
Stimmung der übrigen Bevölkerung
Viermächtekonferenz: Wie aus vorliegenden Berichten zu ersehen ist, werden die täglichen Veröffentlichungen über die Ergebnisse der Viermächtekonferenz mit wachsendem Interesse verfolgt. Eine Einschätzung, wie die einzelnen Schichten der Bevölkerung auf die gemachten Vorschläge der Außenminister reagieren, kann aufgrund der nur gering bekannt gewordenen Meinungsäußerungen und fehlenden Einschätzungen der Bezirke nicht gegeben werden. Aus einzelnen Stimmen ist ersichtlich, dass ein Teil der Bevölkerung die Ausführungen des Genossen Molotow und dessen Vorschläge begrüßt.37 So sagte z. B. ein Arbeiter aus Pößneck, [Bezirk] Gera: »Lediglich Molotow hat in seinen Ausführungen die reale Linie aufgezeigt. Die Westmächte haben dadurch bereits am ersten Tag eine bittere Pille schlucken müssen.« Ein Friseur aus Stadtlengsfeld, [Bezirk] Suhl: »Nur auf der Grundlage der Beschlüsse von Jalta und Potsdam kann die Einheit Deutschlands erreicht werden.«38
Demgegenüber gibt es Beispiele von Meinungsäußerungen, die sich gegen die Teilnahme Chinas an der Konferenz aussprechen. Der Besitzer einer Reparaturwerkstatt in Lichtenstein, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich möchte bloß wissen, wie man darauf kommt, dass China mit über Deutschland entscheiden soll.39 Ich bin grundsätzlich dagegen. Wenn jedes Land mit über Deutschland entscheiden soll, kann ich auch meine Großmutter mit hinschicken.«
In den bekannt gewordenen negativen bzw. feindlichen Äußerungen kommen meist Hetze gegen die SU und DDR zum Ausdruck. Nachfolgend einige Beispiele:
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In einer Mitgliederversammlung der LDP-Stadtgruppe Schulze-Delitzsch im Kreis Prenzlauer Berg Berlin kam es über die Viererkonferenz zu heftigen Diskussionen. Fast alle 20 Anwesenden sprachen sich für »freie Wahlen« aus.
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In der Gemeinde Heida,40 [Bezirk] Suhl, ist ein großer Teil der Bevölkerung der Meinung, dass »freie Wahlen« stattfinden müssten.
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Ein Viehhändler aus Sternberg, [Bezirk] Schwerin: »Der Russe spricht zwar vom Frieden, hat aber kein Interesse am Frieden. Es geht auf dieser Konferenz nicht um Deutschland, sondern um die Weltherrschaft und diese kann nur über einen neuen Krieg entschieden werden.«
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Der Vorsitzende der LDP-Ortsgruppe Fraureuth, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Russen sind gezwungen, die Ostzone aufzugeben. Die Regierung Pieck,41 Grotewohl42 und Ulbricht43 wird beiseitegeschafft, wie Berija44 beiseitegeschafft wurde.«
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In der Klasse 2b der 6. Oberschule in Cottbus wurde von den Schülern die drei Minuten Gedenkpause durchgeführt.45
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Aus der SPD Berlin-Bohnsdorf46 sind von 173 Mitgliedern 23 ausgetreten. Es handelt sich hauptsächlich um Geschäftsleute, die befürchten, beim neuen Kurs Schwierigkeiten zu haben wegen ihrer Zugehörigkeit zur SPD.47
Organisierte Feindtätigkeit
In den Bezirken Erfurt, Dresden, Potsdam, Karl-Marx-Stadt, Rostock, Cottbus, Schwerin und Leipzig ist nur vereinzelt Flugblatttätigkeit und Zustellung von Hetzschriften zu verzeichnen. (Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen,48 Ostbüro der SPD,49 NTS,50 gefälschte Einheiten, zum Teil angefertigte Schmierzettel). In allen anderen Bezirken wurde keine Flugblatttätigkeit festgestellt.
Im VEB Waggonbau Bautzen, [Bezirk] Dresden, ist ein starkes Anwachsen der »Jungen Gemeinde« zu verzeichnen.
In Görlitz wurden FDJ-Funktionäre bedroht und als Arbeiterverräter beschimpft.
Im Metallgusswerk Leipzig wurde ein Pendelposten der Nachtschicht mit Eisenstäben beworfen.
In Altenburg, [Bezirk] Leipzig, traten erstmalig gefälschte Lebensmittelmarken auf.
Überfall: In Potsdam-Stadtmitte wurde ein Offizier der KVP von mehreren Personen am 25.1.1954 niedergeschlagen.
Brand: Am 27.1.1954 brannte der Dachstuhl der Pestalozzi-Schule in Torgelow, [Kreis] Ueckermünde, [Bezirk] Neubrandenburg, nieder.
Einschätzung der Situation
Das Interesse an der Konferenz ist in allen Kreisen der Bevölkerung sehr groß. Zur Rede Molotows ist der Umfang der Diskussionen noch nicht stark genug für eine Einschätzung. Es zeigt sich aber, dass über die Bedeutung der Frage China oft Unklarheit besteht. Auch die Forderung einer Veröffentlichung der Reden der westlichen Außenminister tritt stärker in Erscheinung.
Anlage 1 vom 28.1.1954 zum Informationsdienst Nr. 2089
Anhang: Stimmen aus Westberlin
Bei der Anfahrt der sowjetischen Delegation Potsdamer Straße/Pallasstraße am 25.1.1954 versuchten einige Halbstarke zu provozieren, sie riefen, als sich die sowjetische Delegation näherte: »Molotow Du Hund, raus mit dem Iwan, Molotow, Du Spion, zieh die schwarzen Vorhänge weg, wir wollen Dich sehen.« Die Stummpolizei51 schritt nicht dagegen ein. Die Westberliner Bevölkerung reagierte auf diese sichtbare Provokation nur mit Kopfschütteln ohne sich zu äußern. Als die Halbstarken diese Reaktion sahen, verstummten sie. Es wird behauptet, dass vermutlich mehrere Gruppen von Halbstarken an den Anfahrtsstraßen darauf warteten, dass die Bevölkerung ihnen zustimme, sie hatten aber keinen Erfolg.
Am 27.1.1954 stellte ein Bildreporter sein Stativ auf und hielt eine kurze Ansprache vor ca. 30 Personen. Er sagte: »In fünf Minuten kommt der Außenminister Dulles vorbei, nehmt bitte die Hüte ab und winkt ihm zu.« Zwei Personen winkten mit dem Hut, die anderen verhielten sich passiv.
Ein Justizwachtmeister erklärte am 26.1.1954: »Es sieht danach aus, als ob der Ami Berlin aufgeben will, was uns dann blüht, kann sich jeder ausrechnen. Berlin kostet Adenauer52 zu viel Geld. Um uns kümmert sich dann kein Mensch mehr.«
Ein Hilfswachtmeister äußerte: »Ich bin erschüttert, dass Molotow nur mit den alten Vor-schlägen kommt.«
Ein Polizeihauptwachtmeister auf einem Revier äußerte: »Da kommt ja nichts bei heraus. Es kostet nur Geld und der Erfolg ist gleich Null. Es sieht doch so aus, als würde Molotow die anderen noch sitzen lassen.«
Eine [Stumm]polizistin äußerte:53 »Wer weiß, was über uns verhandelt wird, nachher sagt der Ami, es lohnt sich nicht mehr in Berlin zu bleiben und gibt es auf. Dann kommt jeder Stupo für ein paar Jahre nach Sibirien.«
Ein Polizeihauptwachtmeister äußerte: »Man kann doch diesmal nicht wieder so Knall und Fall auseinandergehen ohne dass irgendein Erfolg dabei herausgekommen ist. Die Teilung Deutschlands wird ja trotzdem noch eine Weile fortbestehen. Meines Erachtens sind die Schwierigkeiten einer Einigung doch ganz erheblich.«
Ein älterer Angehöriger der West-BVG erklärte: »Hoffentlich passiert hier im Westen den Russen nichts, denn die sind morgen hier und wir können den Ranzen schnüren.«
In Westberlin wird zum Teil die Meinung vertreten, dass die Konferenz keinen Erfolg habe. Die [sic!] Bildung einer gesamtdeutschen Regierung, deren Vorbedingungen »freie Wahlen« wären, würde man von sowjetischer Seite nicht zustimmen. Ebenfalls würde man westlicherseits unbedingt an dem EVG-Vertrag54 festhalten, der wiederum im Osten nicht akzeptiert wird. Man nimmt an, dass sowjetischerseits nach dem Tode Stalins55 in einigen Fragen mehr Entgegenkommen gezeigt würde, hält aber die politische Kluft für zu tief, um eine generelle Lösung der Streitfragen zu finden. Für Berlin glaubt man, dass sich bezüglich der Sektorengrenzen verkehrsmäßig Vorteile ergeben, die aber im Verhältnis zur Konferenz belanglos sind.
In den letzten Tagen wird in Westberlin beobachtet, dass vonseiten der SPD und CDU bei Zusammenkünften von mehreren Menschen auf der Straße und in Lokalen Diskussionen entwickelt werden, die zu einer wüsten Hetze gegen die SU und Volkschina ausarten.
In Berlin-Tempelhof, Umgebung Germania-Straße treten in den letzten Tagen verstärkt Faschisten auf und versuchen, die Bevölkerung mit den Parolen: »Die Russen fahren unter den Linden mit den Panzern auf« und »Die Pankower Kommunistenschweine müssen abtreten« aufwiegeln.56
Ein Münchener Reporter bedauerte, dass die Reden Molotows nur teilweise und entstellt von westdeutschen Zeitungen wiedergegeben werden.
Ein Münchener und ein Frankfurter Reporter äußerten ihr Missfallen über die inszenierten Schauermärchen über die russischen Journalisten und wünschten oft, mit diesen Kollegen einen Gedankenaustausch führen zu können. Sie lobten die einwandfreie Berichterstattung der sowjetischen Kollegen.
Anlage 2 vom 27.1.1954 zum Informationsdienst Nr. 2089
Betr.: Durchführung der drei Schweigeminuten in den Betrieben des demokratischen Sektors von Berlin und in der DDR
Berlin:
Im VEB WEM Wälzlagerfabrik Lichtenberg57 stellte ein Arbeiter aus der Abteilung Werkzeugbau am 25.1.1954 gegen 8.00 Uhr die Frage: »Machen wir drei Gedenkminuten oder nicht?« Um 9.30 Uhr trat angeblich wegen einem Defekt Stromausfall ein, dadurch konnte diese Abteilung vorübergehend nicht arbeiten.
Im RAW Schöneweide führten zwei Arbeiter an der Schiebebühne die Schweigeminuten durch. Der eine davon forderte die übrigen Arbeiter auf, das Gleiche zu tun, die jedoch außer einem diesem Verlangen nicht nachkamen. Ein Arbeiter wurde entlassen und vom SfS vernommen.
Im Transformatorenwerk Oberschöneweide wurde am 25.1.1954 um 9.30 Uhr im Konstruktionsbüro das Licht gelöscht und die Arbeit von den dort beschäftigten 20 Personen eingestellt. Eine Person wurde verhaftet, da bereits ein Vorgang in der Verwaltung Groß-Berlin vorhanden ist. Eine zweite Person wurde vom Staatssekretariat für Staatssicherheit vernommen.
Die BHZ Spirituosen Treptow erhielt am 25.1.1954 einen falschen Anruf, in dem mitgeteilt wurde, dass die Arbeitsruhe durchgeführt werden soll. Die Arbeitsruhe wurde nicht durchgeführt.
Drei Minuten Schweigepause wurden in der 9. Klasse der Oberschule Berlin-Weißensee, sowie in der 6. Klasse der 10. Schule und »Wilhelm Pieck«-Schule Berlin durchgeführt.
Cottbus:
Im VEB Venus Trikotagenwerk Lübbenau,58 [Bezirk] Cottbus, wurden am 25.1.1954, 9.30 Uhr, unter Vortäuschung einer Frühstückspause von ca. 20 Frauen drei »Gedenkminuten« durchgeführt.
Potsdam:
In der DHZ Rathenow wurde am 25.1.1954 die Arbeit 15 Minuten lang unterbrochen.
Frankfurt/Oder:
Im Kreis Fürstenwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, wurden in drei Gemeinden die Kirchenglocken aus Anlass des Beginns der Außenministerkonferenz geläutet. Ursache: Desinformation.
In einer Gemeinde im Kreis Fürstenwalde hat ein Lehrer seine Klasse drei Minuten lang schweigen lassen.
Karl-Marx-Stadt:
Im VEB Textilveredlungswerk Reichenbach und in der Dreherei des VEB Netzschkauer Maschinenfabrik, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurden die sogenannten Schweigeminuten durchgeführt. Allerdings kam dies dadurch zustande, dass die Parteisekretäre eine Anweisung der Kreisleitung der Partei falsch verstanden hatten. Die Anweisung lautet, dass die Schweigeminuten nicht durchgeführt werden. Im zuerst genannten Betrieb beteiligten sich ca. 400 Arbeiter an der Arbeitsruhe, nachdem in einer Belegschaftsversammlung mit einem Kurzreferent auf die Bedeutung der Konferenz hingewiesen wurde. In dem anderen Betrieb beteiligten sich zehn Kollegen aus der Dreherei an der Arbeitsruhe.