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Zur Beurteilung der Situation

29. Januar 1954
Informationsdienst Nr. 2091 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Viermächtekonferenz:1 Von der Mehrzahl der Werktätigen werden die täglichen Veröffentlichungen in Presse und Rundfunk über die ersten Ergebnisse der Konferenz mit großer Spannung und Interesse verfolgt. Ein Teil der Werktätigen hofft auf einen günstigen Verlauf dieser für das deutsche Volk so bedeutenden Konferenz und bringt zum Ausdruck, dass man Schritte einleiten möge, die zu einer friedlichen Regelung der deutschen Frage führen.2 Ein Hilfsarbeiter (parteilos) vom Karl-Marx-Werk II Magdeburg: »Man hat schon oft Konferenzen abgehalten, aber keine wurde so heiß ersehnt wie diese. Wenn der Ami sich hätte von dieser Konferenz drücken können, so hätte er es getan. Ich setze die größte Hoffnung in die sowjetische Delegation und glaube, dass die uns nicht im Stich lassen wird.«

Über die Erklärungen des sowjetischen Außenministers Genossen Molotow3 wird unter den Werktätigen jetzt stärker diskutiert.4 Ein großer Teil begrüßt die Ausführungen des Genossen Molotow auf der Berliner Konferenz und bringt dabei zum Ausdruck, dass nur die SU bestrebt ist, eine Entspannung der internationalen Lage herbeizuführen.5 Ein Hauer vom Wismut-Schacht VI Objekt 02 Oberschlema,6 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Vorschläge Molotows sind ganz konkret. Der Außenminister Molotow ist der richtige Mann, der auch für uns das Beste herausholt. Er wird sich jedenfalls vom Ami nicht übers Ohr hauen lassen.«

Demgegenüber werden auch von einem Teil die Ausführungen des Genossen Molotow abgelehnt. Hier treten besonders zwei Richtungen in Erscheinung: »Was hat China auf der Viermächtekonferenz über die deutsche Frage zu suchen?«7 und: »Warum wurde die Deutschlandfrage nicht als erster Punkt auf die Tagesordnung gesetzt.«8 Ein Arbeiter vom VEB Textima Leisnig, [Bezirk] Leipzig: »Ich kann nicht verstehen, dass man China mit in die Viererkonferenz ziehen will, wo man doch über die deutschen Fragen sprechen will.«

Ein Ingenieur (parteilos) vom Reichsbahnamt Senftenberg, [Bezirk] Cottbus: »Ich bin für die Einheit Deutschlands und für einen Friedensvertrag. Ich bin aber der Meinung, dass die Deutschlandfrage hätte zuerst behandelt werden müssen. Der sowjetische Außenminister schießt aber quer, da er zur Entspannung der internationalen Lage die Hinzuziehung Chinas fordert.«

Weiterhin wurde von einem Teil der Werktätigen geäußert, warum bei uns in Presse und Rundfunk nur die Reden und Diskussionen des Genossen Molotow veröffentlicht werden und nicht auch die der westlichen Außenminister.9 Ein Gütekontrolleur der Schiffbau- und Reparaturwerft Stralsund, [Bezirk] Rostock: »Ich verstehe nicht, dass bei uns die Presse und der Rundfunk die Bevölkerung nur einseitig informieren. Die Rede Molotows wurde voll veröffentlicht, aber die der anderen wird nur in Auszügen wiedergegeben. Man ist gezwungen einen Westsender zu hören.«

Gegenüber den Stimmen, die von der Konferenz einen Erfolg erhoffen, gibt es noch einen Teil Arbeiter, Angestellte und Intelligenzler, die sich zu diesen politischen Fragen abwartend bzw. gleichgültig verhalten. Besonders stark treten diese Stimmen in den Reihen der Intelligenz in Erscheinung.10 Ein Hauer vom Wismut-Schacht VI Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Es ist zwecklos, sich schon heute darüber den Kopf zu zerbrechen. Die Herren machen sowieso was sie wollen. Erst einmal die Ergebnisse abwarten, dann werden wir sehen, wer sich für unser Schicksal einsetzt.«

Außer diesen abwartenden Stimmen gibt es auch noch Stimmen, die an einem Erfolg dieser Konferenz zweifeln. Man bringt dabei zum Ausdruck, dass die Meinungsverschiedenheiten zwischen diesen Staaten zu groß sind. Während ein Teil die Schuld des Scheiterns der Konferenz den Westmächten zuschreibt, gibt ein anderer Teil der SU die Schuld bzw. allen zusammen. Ein Arbeiter vom VEB Metallgusswerk Leipzig: »Auf dieser Konferenz wird wohl kaum etwas Nutzbringendes für uns Deutsche herauskommen, da die Westmächte andere Ziele verfolgen, die uns nichts nützen. Diese Kräfte wollen ja kein demokratisches Deutschland, wie es von der SU gefordert wird.«

Ein Angestellter (SED) vom VEB Waggonbau Bautzen, [Bezirk] Dresden: »Die gehen so wie sie gekommen sind wieder auseinander. Die Westmächte wollen freie Wahlen11 und Molotow will China zur Konferenz zugelassen haben.«

Von einem kleinen Teil der Arbeiter, Angestellten und Intelligenz werden negative bzw. feindliche Diskussionen über die Viermächtekonferenz geführt.12 Dies sind zum größten Teil Menschen, die unserer Entwicklung feindlich gegenüberstehen oder mit dieser bzw. jener Maßnahme unserer Regierung nicht einverstanden sind, oder durch westliche Argumente beeinflusst wurden. Am stärksten wird die Forderung nach »freien Wahlen« erhoben und die Revidierung der Oder-Neiße-Grenze verlangt. Diskussionen über die Oder-Neiße-Grenze treten besonders dort stark in Erscheinung, wo ein größerer Teil Umsiedler, besonders aus Schlesien, konzentriert ist. Weiterhin wird noch die Hetze gegen die SU und DDR betrieben.13 So wird z. B. besonders im »Karl-Liebknecht«-Werk Magdeburg über [das] Problem »freie Wahlen« diskutiert. Dabei wird verschiedentlich zum Ausdruck gebracht: »Lasst nur erst freie Wahlen kommen, dann werden wir weitersehen.« Ein Sachbearbeiter (CDU) der Sicherheitsinspektion im gleichen Werk: »Freie Wahlen werden in Deutschland alles entscheiden. Die KPD und SED würden bei diesen Wahlen insgesamt nur 10 Prozent Stimmen erhalten. Alles andere wird sich dann von selbst ergeben.«

Im RAW Salbke, [Bezirk] Magdeburg, wird von einem Teil dahingehend diskutiert, dass bevor »freie gesamtdeutsche Wahlen« stattfinden, die SPD erst wieder bei uns zugelassen werden muss.

Ein Arbeiter von der Wismut, mechanische Abteilung Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Warum ist Genosse Molotow bei seiner Rede vom Potsdamer Abkommen14 nicht konkret auf die Frage der Oder-Neiße-Grenze eingegangen?«

Ein Angestellter des Reichsbahnamtes Aschersleben, [Bezirk] Halle: »Die Viererkonferenz wird scheitern, dann setzt eine Massenflucht ein und anschließend gibt es einen neuen 17.6.[1953]. Diesmal werden die Eisenbahner unseren westdeutschen Kollegen nicht in den Rücken fallen, sondern mit zum Gelingen beitragen.«15

Produktionsschwierigkeiten wurden aus einigen Betrieben gemeldet. Dadurch entstanden teilweise Störungen in der Produktion, die zu Verdienstausfall bei den dort beschäftigten Arbeitern führten, welches wiederum die Stimmung in diesen Betrieben negativ beeinflusste. Die Ursachen dieser Produktionsschwierigkeiten sind verschiedener Art (Mangel an Rohstoffen und Material, falsch erteilte Aufträge, Gas- und Kohlenmangel).

In den VEB Hydrierwerk Zeitz, [Bezirk] Halle, mangelt es an Material. In den VEB Zigarettenfabriken Dresden16 fehlen die Tabakrohstoffe. Dem VEB Waggonbau Görlitz, [Bezirk] Dresden, wurde ein Auftrag über 50 Speisewagen erteilt, später wurden nur drei davon benötigt. Dadurch liegen 6 Millionen DM fest.

Im Eisenhüttenkombinat »J. W. Stalin« besteht Koksmangel (durch eintretenden Frost) und im Kraftwerk »Ernst Thälmann« Leipzig sowie im Gaswerk »Max Reimann« Leipzig mangelt es an Kohlen. Im Kombinat Böhlen,17 [Bezirk] Leipzig, besteht Kohlenmangel. Dadurch ist das Werk nicht in der Lage, an die Schwerpunktbetriebe von Gera Ferngas zu liefern. Im VEB Getriebewerke Leipzig besteht mangelnde Gaszufuhr.

Nichtaufnahme der Arbeit: Am 28.1.1954 wurde in verschiedenen Abteilungen der Bau-Union Frankfurt/Oder die Arbeit nicht aufgenommen.18 Sie begründeten dies damit, dass über 20 Grad Kälte sind und sie deshalb nicht arbeiten können. Sie forderten einen 60-prozentigen Lohnausgleich, der ihnen laut Kollektivvertrag zustehe und wollten nach Hause gehen. Dies betrifft drei Brigaden mit insgesamt 15 Kollegen. Zehn Kollegen haben nach zwei Stunden die Arbeit wieder aufgenommen, fünf sind nach Hause gegangen.

Handel und Versorgung

Ein am 24.1.1954 in Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, eintreffender Waggon mit 11 700 kg Makkaroni aus der Volksrepublik Bulgarien war völlig verdorben. Die Sendung war mit Käfern und Maden durchsetzt. Der Einkaufspreis der Sendung betrug 23 000 DM.

Landwirtschaft

Breite Kreise der Landbevölkerung blicken mit Hoffnung und Erwartungen auf die Außenministerkonferenz. Die Spannung über die bisherigen Ergebnisse der Verhandlungen hat zugenommen. Die Ausführungen des sowjetischen Außenministers Genossen Molotow werden insbesondere von vielen Landarbeitern und werktätigen Bauern mit Interesse verfolgt und als positiv für die Erhaltung des Friedens in Europa sowie für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands empfunden. Ein Genossenschaftsbauer aus Telz, [Bezirk] Potsdam: »Der sowjetische Außenminister ist der beste Diplomat, er hält sich konkret an die Beschlüsse von Jalta und Potsdam.19 Er zeigt den Vertretern der kapitalistischen Staaten genau auf, welche Abmachungen sie in den früheren Konferenzen getroffen haben, die nötig sind, wenn der Frieden in Europa gesichert werden soll. Er zeigt ihnen auf, welche Fehler sie heute begehen. Die Annahme der Tagesordnung nach dem Vorschlag des Genossen Molotow hat die Hoffnungen großer Teile der Landbevölkerung gestärkt.«

Trotz der positiven Reaktion auf die Vorschläge des Genossen Molotow bezüglich der Tagesordnung gibt es einen großen Teil, der nicht versteht, warum die Probleme der internationalen Entspannung als erster Punkt der Tagesordnung stehen.20 Man vertritt die Meinung, dass die Deutschlandfrage der erste Tagesordnungspunkt sein müsste.21 Weiterhin tritt auf dem Lande die fälschliche Meinung auf, dass der Genosse Molotow den Vorschlag gemacht hätte, dass die Volksrepublik China über das Deutschlandproblem mit beraten solle. Teile der Landbevölkerung verstehen nicht, warum die Reden der Außenminister von USA, England und Frankreich bei uns nicht gedruckt bzw. übertragen werden.22 Nachtwächter der Gemeinde Brahmenau, [Bezirk] Gera: »Wir freuen uns, dass sich die vier Großmächte zusammengesetzt haben und endgültig das Deutschlandproblem einmal lösen. Verstehen können wir nicht, dass die Rede des Außenministers Molotow übertragen wird und die anderen Reden nicht übertragen werden, denn wir wollen auch mal wissen, was diese über das Deutschlandproblem berichten.«

Große Teile der Landbevölkerung verhalten sich nach wie vor passiv, abwartend, uninteressiert oder zweifeln am positiven Resultat. Unter den Neubauern und Umsiedlern macht sich eine Reihe Gedanken, was nach der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands werden wird und bringt die Furcht zum Ausdruck, dass dann die demokratischen Errungenschaften auf dem Lande wieder rückgängig gemacht werden.23 So wandte sich eine Zahl von Neubauern und Neusiedlern an die Nationale Front24 von Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt/Oder, mit folgender Frage: »Was wird aus unseren Siedlungen nach der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands? Werden die früheren Barone wieder ihre früheren Besitztümer erhalten?«

Unter den negativen und feindlichen Stimmen, die vor allem bei den Großbauern, einem Teil Mittelbauern aber auch anderen Schichten der Landbevölkerung zu finden sind, herrschen die Argumente, wie Revision der Oder-Neiße-Grenze (unter ehemaligen Umsiedlern), Einverleibung der DDR in die Bundesrepublik, »freie Wirtschaft« vor. Neubauer – Mitglied der SED – aus Heßberg, [Bezirk] Suhl: »Die Amerikaner müssen sich auf der Viererkonferenz durchsetzen. Ich begrüße es, wenn die DDR in die Bundesrepublik mit einverleibt wird.«

Arbeiterin aus einem Gartenbaubetrieb in Waltershausen, [Bezirk] Erfurt: »Früher, zur Zeit der Junker, ist es mir besser gegangen. Ich bin froh, wenn die Junker wieder da sind.«

Großbauer aus Quelitz, [Bezirk] Schwerin:25 »Die Viererkonferenz soll den Russen nur dazu dienen, die ganze Welt zu bolschewisieren.«

Betriebsleiter des Kreisforstwirtschaftsbetriebes Eberswalde: »Das Potsdamer Abkommen kann nicht verantworten, dass die Deutschen auf so kleinem Raum zusammengedrängt werden. Ich sehe keine Gefahr durch den EVG-Vertrag für Deutschland.«26

Werktätiger Bauer aus Beseritz, [Kreis] Anklam, [Bezirk] Neubrandenburg: »In unserer Regierung sind die größten Verbrecher. Ich bin gegen die Konferenz und gebe meine Unterschrift nicht.«27

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Viermächtekonferenz: Aus vorliegenden Berichten ist ersichtlich, dass der Konferenzverlauf mit einer gewissen Spannung erwartet wird. Teilweise ist festzustellen, dass durch die Einigung in der Tagesordnung die Hoffnung auf einen positiven Verlauf der Konferenz gestärkt wird. So sagte ein Angestellter vom Rat des Kreises Prenzlau, [Bezirk] Neubrandenburg: »Ich bin sehr erfreut, dass in der Tagesordnung Klarheit erzielt wurde. Ich verspreche mir auch weitere Erfolge von dieser Konferenz.« Solche und ähnliche Meinungsäußerungen werden aus allen Schichten der Bevölkerung bekannt.

Neben solchen zuversichtlichen und hoffnungsvollen Stimmen gibt es eine nicht geringe Anzahl von Personen, die die Fähigkeiten des Genossen Molotow als Diplomat hervorheben und dessen Ausführungen und Vorschläge, die [die] Entspannung der internationalen Lage zum Inhalt haben, begrüßen. Meist handelt es sich bei solchen Meinungsäußerungen um fortschrittlich eingestellte Menschen. Ein Zigarrenarbeiter aus Lutter, [Bezirk] Erfurt: »Ich verspreche mir von der Viererkonferenz einen Erfolg, denn der Außenminister Molotow ist ein Mann, der sich nicht so schnell unterkriegen lässt. Er wurde schon mit Hitler fertig und wird auch jetzt mit den Außenministern der Westmächte fertig werden.«

Ein Berufsschullehrer aus Guben, [Bezirk] Cottbus: »Die Erklärung des Außenministers Molotow hat uns erneut gezeigt, dass die SU ihr Hauptinteresse auf die Erhaltung des Friedens legt. Ich bin der Meinung, dass zur Entspannung der internationalen Lage des Fernostproblems28 dieser Vorschlag ein wichtiger Beitrag zur Lösung dieser Frage ist. Die Hinzuziehung der Volksrepublik China ist deshalb unbedingt erforderlich. Mit der Lösung dieser Frage und des Deutschlandproblems wird die Erhaltung des Weltfriedens gesichert sein.«

Teilweise werden aus allen Schichten der Bevölkerung Zweifel an einer Einigung der vier Außenminister zum Ausdruck gebracht. Außer den an den Vortagen aufgezeigten Argumenten (Gegensätze sind zu groß – wurden sich noch nie einig) treten andere in Erscheinung, wie nachfolgendes Beispiel zeigt: Eine Hausfrau aus Schönbrunn, [Bezirk] Erfurt:29 »An eine Einigung der vier Außenminister glaube ich nicht, obwohl die Erklärung des Außenministers Molotow klar den Weg zum Frieden zeigt, finden die anderen Außenminister immer wieder einen Punkt, um diese Vorschläge abzulehnen.« Wie dieses Beispiel zeigt, sind es zum Teil fortschrittliche Menschen, die an einem positiven Ausgang der Konferenz zweifeln. Neben diesen gibt es aber auch eine Anzahl Personen, die die Schuldfrage bei den Vertretern der UdSSR suchen.

Verschiedentlich werden solche Argumente aufgeworfen, wie z. B.: »Was geht uns China an? Warum wird die Deutschlandfrage nicht als erster Tagesordnungspunkt behandelt? Warum kommen die Vertreter der SU immer wieder mit dem Potsdamer Abkommen, was von den Westmächten nicht mehr anerkannt wird? Warum werden nicht die Reden der westlichen Außenminister in unserer Presse veröffentlicht?« Hier macht sich besonders der Einfluss des RIAS stark bemerkbar. Meist werden solche Äußerungen aus bürgerlichen Kreisen und von Angestellten bekannt.30 Diese Argumente, besonders aber die Forderung nach »freien Wahlen«, werden auch von solchen Elementen angewandt, die eine feindliche Einstellung zur DDR und SU zeigen.

Ein Müllermeister aus Karrenzin, [Bezirk] Schwerin: »Die Frage China als gleichberechtigte Großmacht wird von Molotow zu stark in den Vordergrund gerückt. Was geht uns China an? … Die Regierung der DDR ist keine rechtmäßige Vertretung des deutschen Volkes, da bei uns noch gar keine Wahlen durchgeführt wurden.«

Ein Zahnarzt aus Stendal, [Bezirk] Magdeburg: »Bei uns macht man zu große Unterschiede. Aus diesem Grunde würde ich begrüßen, wenn die USA erreichen würden, eine ›freie Wahl‹ in Deutschland durchzuführen.«

Organisierte Feindtätigkeit

Im Kreis Sangerhausen, [Bezirk] Halle, wurden ca. 400 Flugblätter der KgU31 und vereinzelte Hetzschriften des Ostbüros der SPD32 gefunden. Nur einzelne Flugblätter wurden in den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Neubrandenburg, Erfurt, Dresden, Leipzig und Potsdam gefunden. Von allen anderen Bezirken wurden keine Flugblattfunde gemeldet. Vereinzelte Schmierereien, besonders auf Plakaten in den Personenwagen der Reichsbahn, sind zu verzeichnen.

Am 26.1.1954 wurde im Werk Blankenburg, [Bezirk] Halle, ein spitzes Eisen im vorbereiteten Rohstoff zur Papierherstellung gefunden. Bei Nichtbeachtung hätte das Eisen alle Messer der Holländermaschine33 zerschlagen.34

Vermutliche Feindtätigkeit

In der Nacht vom 25. zum 26.1.1954 wurden auf dem VEB Vieh- und Schlachthof Berlin die Traktoren bei 10 Grad Kälte im Freien stehen gelassen. Die Maschinen waren nicht einsatzfähig und es trat eine Stockung der Frischfleischanlieferung ein.

Zur Beunruhigung der Bevölkerung werden die verschiedensten Mittel angewendet.35 Zum Beispiel in Wallrode, [Kreis] Worbis, [Bezirk] Erfurt, wurde ein Einbruch bei der Sekretärin des Bürgermeisters verübt und ein Zettel mit folgendem Inhalt hinterlassen: »Wer es hält mit der Lins-lei ist nicht lange frei – Wir scheißen auf das neue Leben. Das ist die erste Warnung.« (Linsel ist der LPG-Vorsitzende im Ort.)

Brände: Am 21.1.1954 gegen 24.00 Uhr wurde [im] Walzwerk Allstedt, [Kreis] Sangerhausen, [Bezirk] Halle, eine vorsätzliche Brandstiftung im Leergutlagerraum festgestellt. Der Betriebsschutz konnte das gelegte Feuer löschen.

Im VEG Pesterwitz,36 [Kreis] Freital, [Bezirk] Dresden, ist am 27.1.1954, gegen 20.10 Uhr durch Brandstiftung eine Feldscheune abgebrannt.

In der Zentralschule Warin, [Kreis] Sternberg, [Bezirk] Schwerin, wurde eine dreifache Brandstiftung durch Kinder verursacht. Der Brand konnte sofort gelöscht werden.

Am 27.1.1954 brach in Sonneberg, [Kreis] Pasewalk,37 [Bezirk] Neubrandenburg, ein Scheunenbrand, vermutlich durch Brandstiftung, aus.

Einschätzung der Situation

In allen Kreisen der Bevölkerung herrscht großes Interesse am Verlauf der Konferenz. Ein großer Teil der Werktätigen begrüßt und unterstützt die Vorschläge Molotows. Ein Teil der Bevölkerung, besonders auf dem Lande, zweifelt an einem positiven Ergebnis der Konferenz. Viele zeigen Unverständnis für die Behandlung der Frage Chinas und dass die Deutschlandfrage nicht an erster Stelle steht. Bei einem Teil der Bevölkerung, besonders auf dem Land und in kleinbürgerlichen Kreisen, zeigt sich eine passive, teils auch interesselose Haltung.

Feindliche Diskussionen werden in kleinem Umfang geführt mit den Forderungen für »freie Wahl«, Revision der Oder-Neiße-Grenze und Einheit Deutschlands unter westlicher Herrschaft.38 Der Einfluss des RIAS zeigt sich nicht nur in den feindlichen Forderungen, sondern auch in den Diskussionen über China, über die SU und auch oft dort, wo die volle Veröffentlichung der Reden von Dulles,39 Bidault40 und Eden41 verlangt wird.

Anlage vom 29.1.1954 zum Informationsdienst Nr. 2091

Stimmen aus Westberlin

Ein Polizeioffizier aus Spandau – Mitglied der SPD – erklärte:42 »Bei uns in der Partei hat man sich die Eröffnung der Konferenz anders vorgestellt. Die Bevölkerung sollte viel mehr in Erscheinung treten. Auch hat man dabei an Delegationen aus dem Osten gedacht, natürlich nicht aus Pankow.43 Jetzt vertröstet man uns und sagt: ›Wenn die Deutschlandfrage zur Sprache kommt, dann werden wir in Erscheinung treten.‹« Weiter erklärte er: »Ich von meiner Seite bin ganz zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Konferenz, dass Molotow gegen die Militaristen von Bonn auftrat ist nur zu begrüßen. Wenn man gedenkt bei der Debatte zur Deutschlandfrage etwas durch Krawalle gewisser Kreise zu erreichen, so wird das wohl wenig nützen, am wenigsten uns Deutschen.«

Auf den Arbeitsämtern in der Ronck- und Charlottenstraße44 treten Diskussionsredner auf, welche versuchen, die Erwerbslosen gegen die DDR und SU aufzuhetzen. Unter diesen Diskussionsrednern befinden sich Personen, welche das Abzeichen des Stahlhelms45 tragen. Die Erwerbslosen verhalten sich zum größten Teil den Argumenten der Diskussionsredner gegenüber ablehnend und sagen, wenn sie Krieg wollen, sollen sie zur Fremdenlegion gehen.

Der Zahnarzt [Name] [aus] Schmargendorf ist der Meinung, dass die Zustände in Westberlin gegenüber den Ärzten vonseiten der VAB46 (Versicherungsanstalt Berlin) und der Steuer katastrophal sind. Wenn er an seine Kollegen im Ostsektor denkt, dann wünscht er sich, dass die Verhältnisse des Ostsektors auch bald in Westberlin eintreten. »Wenn wir die Wahl hätten, würden wir Ärzte uns zum größten Teil für den Ostsektor entscheiden.«

Westdeutschland: ein Monteur aus Ludwigshausen, Westdeutschland, sagte: »Es ist eine Kulturschande, dass die ganze Pfalz von den Amis als Festung ausgebaut wird, während die Sowjets den Frieden anbieten, baut man Kasernen und Flugplätze und in jeder Stadt Luftschutzkeller.« Er und seine Kollegen begrüßen die Viererkonferenz und verlangen, dass die Arbeiter beider Seiten Sitz und Stimmen erhalten.

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