Zur Beurteilung der Situation
30. Januar 1954
Informationsdienst Nr. 2093 zur Beurteilung der Situation
Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft
Industrie und Verkehr
Viermächtekonferenz:1 Gegenüber dem Vortage ergaben sich keine wesentlichen Veränderungen. Die Mehrzahl der Werktätigen verfolgt mit großem Interesse und Spannung die täglichen Veröffentlichungen über den Ablauf der Konferenz. Von einem Teil der Arbeiter und Angestellten wird in den Diskussionen die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass die Außenministerkonferenz zu einer friedlichen Lösung der Deutschlandfrage führen möge. Ein Arbeiter aus dem VEB Fortschritt Werk II Stolpen, [Bezirk] Dresden: »Ich hoffe, dass wir ein günstiges Ergebnis von der Konferenz erhalten. Es ist wichtig, dass im Westen und auch bei uns im Osten ein Pflock zurückgesteckt wird. Es darf aber nicht dazu führen, dass wir hier unsere Errungenschaften aufgeben müssen.«
Von einem beträchtlichen Teil der Werktätigen werden die Erklärungen des Genossen Molotow2 aufmerksam beachtet.3 Man erkennt, dass nur dessen Vorschläge uns ein einheitliches, friedliebendes Deutschland bringen können. Eine Weberin vom Textilwerke »Einheit« Glauchau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Aufgrund der Rede des Außenministers Molotow habe ich erkannt, wie ehrlich es die SU mit uns meint. Ich habe jetzt volles Vertrauen zu dieser Friedensmacht. Ich bin dafür, dass die Atomkraft nur für friedliche Zwecke benutzt wird. Nur seine Vorschläge können uns ein positives Ergebnis in der Deutschlandfrage bringen.«
Gegenüber diesen positiven Stimmen zu den Erklärungen des Genossen Molotow werden von einem Teil diese auch abgelehnt. Dabei treten besonders zwei Richtungen hervor: »Was hat China auf einer Konferenz der Außenminister zu suchen,4 wo über europäische Fragen gesprochen wird?« und »Warum wurde die Deutschlandfrage erst als zweiter Punkt auf die Tagesordnung gesetzt?«5 Ein Wagenmeister vom Bahnhof Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »China hat über die Deutschlandfrage nicht mitzuentscheiden. Sie hatten ja keine Besatzungstruppen mit in Deutschland und haben auch das Potsdamer Abkommen nicht mit unterzeichnet.«6
Von einem weiteren Teil Werktätiger wird die Frage gestellt, warum uns unsere Presse und unser Rundfunk nicht auch vom vollen Wortlaut der Ausführungen der westlichen Außenminister in Kenntnis setzen, da man sich dann selbst überzeugen könnte, wer für den Frieden eintritt. Ein Angestellter vom Isolier- und Kabelwerk Zehdenick, [Bezirk] Potsdam: »Man soll die Reden der anderen Außenminister auch veröffentlichen, dann ist man auch in der Lage, wirklich festzustellen, wer sich aktiv für den Frieden einsetzt. Die Form der Kommentare ist nur einseitig.«
Außer diesen Stimmen gibt es noch einen Teil Arbeiter, Angestellte und Intelligenzler, die eine politische Gleichgültigkeit bzw. eine abwartende Haltung an den Tag legen. Stärker als bei den Arbeitern und Angestellten tritt dies bei der Intelligenz in Erscheinung.7 Ein Kraftfahrer der Wismut-Garage Ronneburg,8 [Bezirk] Gera: »Ich bin Linienfahrer und muss sagen, dass die Kumpel sich im Bus fast überhaupt nicht über politische Probleme unterhalten. Das Hauptthema ist Fußballtoto.« Ein Arbeiter (parteilos) bei der Bau-Union Freiberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich will erst einmal abwarten, was bei der Viererkonferenz herauskommt. Es waren schon viele Konferenzen und Sitzungen gewesen.«
Neben diesen abwartenden Stimmen gibt es auch noch einen Teil, der an einem positiven Ausgang der Konferenz zweifelt,9 da, wie man sagt, zu große Widersprüche zwischen der SU und den USA bestehen. Ein Teil gibt die Schuld des Scheiterns der Konferenz den Westmächten, während ein anderer Teil die Schuld der SU zuschreibt. Ein dritter Teil gibt die Schuld beiden (SU und USA). Ein Arbeiter vom Elektrizitätswerk Pasewalk, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die fahren so wieder zurück, wie sie gekommen sind, denn das sieht man schon an den ersten Verhandlungen. Der Russe will so und die anderen so. Man sollte alle großen Herren an dem Baum aufhängen, dann wird auch Ruhe in der ganzen Welt eintreten, eher nicht. Die denken doch nur an Aufrüstung und Krieg.«
Negative bzw. feindliche Diskussionen über die Viermächtekonferenz werden von einem kleineren Teil der Werktätigen geführt.10 Diese Menschen stehen in der Mehrzahl unserer Entwicklung negativ gegenüber bzw. werden durch westliche Argumente beeinflusst. Am stärksten wird die Forderung nach »freien Wahlen« gestellt11 sowie die Revidierung der Oder-Neiße-Grenze gefordert. Die Frage der Oder-Neiße-Grenze tritt besonders dort stark auf, wo Umsiedler konzentriert auftreten. Wie aus vorliegenden Berichten zu erkennen ist, sind die offenen-hetzerischen Diskussionen in den letzten Tagen vermutlich etwas zurückgegangen.
Ein Arbeiter vom VEB Metallgusswerk Leipzig: »Warum gehen die Russen nicht auf freie Wahlen ein? Sie wurden doch von den westlichen Außenministern vorgeschlagen.« Ein Grubenarbeiter vom »Martin-Hoop«-Werk Zwickau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Die Hauptfrage zur Klärung des Deutschlandproblems ist die Oder-Neiße-Grenze. Wir Umsiedler erhalten dadurch die Möglichkeit, in unsere Heimat zurückzukehren. Ich bin nicht für den Kapitalismus aber auch nicht für den Kommunismus. Man müsste so ein Mittelding suchen.« Ein Arbeiter vom Industriewerk Ludwigsfelde, [Bezirk] Potsdam: »Die SU sollte zur Frage der Oder-Neiße-Grenze ruhig etwas nachgeben, sonst kommt es zu keiner Einigung.«
Produktionsschwierigkeiten wurden aus einigen Betrieben bekannt. In diesen Betrieben entstanden dadurch teilweise Störungen, die sich ungünstig auf die Erfüllung der Pläne auswirken. Bei den Arbeitern führten diese zu Verdienstausfall, welches dadurch die Stimmung in den Betrieben negativ beeinflusst.12 Die Ursachen dieser Produktionsschwierigkeiten sind verschiedener Art (Rohstoff- und Materialmangel, schlechtes Material, Kürzung des Planes, Fehlen von Aufträgen und Kohlemangel).
Rohstoffe fehlen in der Tuchfabrik Cottbus und in dem VEB Cottbuser Wolle.
Der Plan 1954 wurde gekürzt in dem VEB Zwickauer Maschinenfabrik, Zweigwerk Crimmitschau, durch Wegfall der Reparationen. Es mussten 100 Arbeiter entlassen werden.13
Material- und Auftragsmangel besteht beim VEB WEMA Rochlitz,14 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt.
Schlechte Qualität von Fertigteilen (Schiffsschrauben) wurden der Mathias-Thesen-Werft Wismar, [Bezirk] Rostock, geliefert. Dadurch entstand der Werft ein Schaden von 20 000 DM.
Kohlenmangel besteht in der Westthüringer Kammgarnspinnerei Mühlhausen, [Bezirk] Erfurt, sowie im IKA Werk Sondershausen,15 [Bezirk] Erfurt.
Einstellung der Gasversorgung für die gesamte Industrie wurde aus der Stadt Karl-Marx-Stadt und den Kreisen Meiningen, Ilmenau und Sonneberg, [Bezirk] Suhl, gemeldet. Im VEB Spritzgusswerk Harzgerode, [Bezirk] Halle, besteht Mangel an Ferngas.16
Eine Arbeitsniederlegung führten auf der Baustelle am Troll17 in Cottbus 80 Lehrlinge wegen der zu großen Kälte durch.18 Von der Betriebsleitung wurde angeordnet, für die Zeit der Kälteperiode Fachschulunterricht durchzuführen.
Schlechter Omnibusverkehr besteht im Kreis Annaberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt.19 Durch Fehlen von Ersatzteilen ist ein großer Teil Omnibusse ausgefallen. So mussten die Linie Jöhstadt – Königswalde eingestellt werden und auf anderen Linien Lkw verkehren. Teilweise besteht dadurch starke Unzufriedenheit unter den Werktätigen, da sie oft ein bis drei Stunden Arbeitsausfall haben.20
Handel und Versorgung
Im Bezirk Frankfurt/Oder ist die Belieferung mit Textilien für die Landbevölkerung ungenügend. Dies rief teilweise Missstimmung hervor.21
In Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, lagern seit November 1953 für 70 000 bis 80 000 DM Bohnenkaffee in Säcken sowie eine große Menge Schokoladentafeln. Diese Bestände konnten nicht abgesetzt werden. Diese Überbestände stellen für die HO totes Kapital dar.
100 Angestellte der Konsumgenossenschaft Schwerin unterschrieben eine Resolution, in der gegen den Sonntagsverkauf protestiert wird.
Landwirtschaft
Der Verlauf der Konferenz wird von breiten Kreisen der Landbevölkerung mit Interesse und Spannung verfolgt. Bei großen Teilen der Arbeiter der VEG und MTS und den werktätigen Bauern werden die Vorschläge des Genossen Molotow mit Interesse verfolgt und als günstig für die Erhaltung des Friedens und für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands angesehen. In vielen dieser Stimmen drückt sich das Vertrauen zur SU und zur sowjetischen Diplomatie aus.22 Werktätiger Bauer aus Jerichow, [Bezirk] Magdeburg: »Wenn man die Rede Molotows gelesen hat, so sieht man, dass wir von der SU mehr zu erwarten haben, als von den anderen.« Ein Traktorist der MTS Fahrenholz, [Bezirk] Rostock: »Der Außenminister der SU, Molotow, hat in seiner Stellungnahme klar und deutlich aufgezeigt, dass die SU die Interessen zur Erhaltung des Friedens vertritt.«
Große Teile der Landbevölkerung (alle Schichten) verstehen nicht den Zusammenhang der Deutschlandfrage mit der Frage der Erhaltung des Friedens in der Welt. Weiter äußern sie Befürchtungen, dass die Diskussion der Außenminister über China zu Differenzen oder zum Abbruch der Konferenz führen. Bürgermeisterin aus Kessin, [Bezirk] Rostock: »Bei uns im Dorf können die Bauern nicht verstehen, dass die Deutschlandfrage als zweitrangige Frage behandelt wird, dass man China mit zur Konferenz haben will.«
Schlosser der MTS Zossen, [Bezirk] Potsdam: »Bis jetzt ist die Konferenz gut verlaufen. Ich fürchte aber, mit der Chinafrage gibt es Auseinandersetzungen.« Bäuerin aus Zscherneddel,23 [Kreis] Merseburg, [Bezirk] Halle: »Was geht uns die gelbe Rasse an, die sollen ihre Konferenz in China durchführen.«
Ein erheblicher Teil der Landbevölkerung verhält sich passiv und uninteressiert, die Aufklärungsarbeit auf dem Lande ist noch schwach.24 Eine Reihe aus allen Schichten der Landbevölkerung zweifelt an dem Erfolg der Konferenz,25 zweifelt an der Notwendigkeit der Unterschriftensammlung und erkennt nicht die Rolle der SU als Helfer des deutschen Volkes. Werktätiger Bauer aus Lübbenow, [Kreis] Strasburg, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Unterschriften helfen uns ja auch nicht. Der will nicht nachgeben und die anderen auch nicht. Was soll uns der Kommunismus bringen? … Die vier Mächte sind sich einig, uns Deutsche auszusaugen.« LPG-Bauer – Mitglied der SED – aus Rübenau, [Kreis] Marienberg, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich glaube nicht, dass es zu einer Einigung kommen wird, denn die amerikanischen Imperialisten streben nach Weltherrschaft und der Kommunismus auch.«
Unter den Umsiedlern auf dem Lande wird noch immer über eine Revidierung der Oder-Neiße-Grenze diskutiert. Unter den negativen und feindlichen Stimmen herrschen die Argumente »freie Wirtschaft«, »freie Wahlen« vor.26 Bauer aus Renzow, [Bezirk] Schwerin: »Sollen sie uns die freie Wirtschaft geben, dann liefern wir unsere Ware gegen Bargeldzahlung ab.«
Vorsitzender der BHG Paschwitz, [Kreis] Eilenburg, [Bezirk] Leipzig: »Warum machen sie bei uns keine freien Wahlen? Weil sie keine Leute hinter sich haben. Es heißt nur aufzupassen, wenn es nach der Viererkonferenz anders kommt, damit man gleich einen Posten erwischt.« Kleinbauer aus Falkenberg, [Bezirk] Cottbus: »Die Außenminister können beschließen was sie wollen. Die Hauptsache ist, sie beschließen endlich, dass die Russen verschwinden, damit wir hier andere Verhältnisse bekommen.«
Die feindlichen und negativen Stimmen kommen aus Großbauernkreisen, einem Teil der Mittelbauern, aber auch aus Teilen der Kleinbauern und Landarbeiter.27 Die negativen Stimmen nehmen im Verhältnis zur gesamten Landbevölkerung einen geringen Teil ein. Es ist zu verzeichnen, dass in letzter Zeit viele Großbauern mit ihrer Meinung nicht herauskommen, im Stillen jedoch oft eine Veränderung der Verhältnisse in der DDR erhoffen.
Aus den Bezirken Rostock und Erfurt wird gemeldet, dass es vereinzelte Bestrebungen gibt, die Ablieferung zu hintertreiben.28 Ein Landwirt – Mitglied der CDU – aus Lauterbach, [Kreis] Eisenach, [Bezirk] Erfurt: »Wir wollen erst mal die Viererkonferenz abwarten, vielleicht brauchen wir dann keine Sollablieferung.«
Mittelbauer aus Zarnewanz, [Bezirk] Rostock: »Die Roten haben uns den gesamten Viehbestand genommen. Wenn wir Bauern uns einig wären und nichts abliefern würden, dann könnte die Regierung nichts machen. Der 17. Juni [1953] war der geeignetste Tag. Hätten wir damals gut aufgepasst und die Bauern und die Landbevölkerung hätten losgelegt, dann wäre es uns ein Leichtes gewesen, die Regierung zu stürzen.«29
Es gibt viele bestätigte Beispiele, wo vor allem Großbauern die Ablieferung hintertreiben. Aus dem Kreis Wittenberg, [Bezirk] Halle, ist bekannt geworden, dass geflüchtete Großbauern an ihre ehemaligen Landarbeiter, jetzt LPG-Mitglieder, geschrieben haben, dass sie in einigen Wochen zurückkommen und dass deshalb ihr Inventar, was jetzt im Besitz der LPG ist, nicht verkauft werden soll.
In der Landwirtschaft macht sich eine gewisse Futtermittelknappheit bemerkbar. Schon seit mehreren Tagen liegen Meldungen darüber vor.30 Heute wird gemeldet, dass im Bezirk Cottbus über zu geringe Futteranbauflächen entsprechend des Anbauplanes geklagt wird. Im Bezirk Potsdam führte die Futtermittelknappheit in vielen Gemeinden dazu, dass die Bauern ihr Schlachtvieh mit Untergewicht abliefern.
Stimmung der übrigen Bevölkerung
Viermächtekonferenz: Mit einer gewissen Spannung wird der tägliche Konferenzverlauf von einem großen Teil, aus allen Schichten der Bevölkerung, erwartet. Die Hoffnung, dass auf dieser Konferenz entscheidende Schritte zur Herstellung der Einheit Deutschlands unternommen und die vier Außenminister sich einig werden, wird immer wieder zum Ausdruck gebracht. So sagte z. B. eine Hausfrau aus Erfurt: »Über die Tagesordnung sind sie sich ja einig geworden. Ich interessiere mich sonst nicht für Politik, aber diese Konferenz lässt uns doch hoffen.«
Ein nicht geringer Teil der Bevölkerung, meist fortschrittlich eingestellte Personen, hebt die Fähigkeiten des Genossen Molotow hervor. In diesen Stimmen kommt auch das Vertrauen zu dem sowjetischen Diplomaten und seinen Vorschlägen zum Ausdruck. Eine Verkäuferin aus dem Konsum Neustrelitz, [Bezirk] Neubrandenburg: »Die Erhaltung des Friedens hängt von allen Völkern ab. Der Vorschlag des sowjetischen Außenministers, eine Fünferkonferenz unter Hinzuziehung Chinas einzuberufen, ist deshalb wichtig.«
Neben solchen positiven und hoffnungsvollen Stimmen gibt es eine nicht geringe Anzahl Meinungsäußerungen, die an einem positiven Ergebnis der Konferenz bzw. an einer Einigung der vier Außenminister zweifeln. Meist sind es Personen aus kirchlichen und kleinbürgerlichen Kreisen, die diese Meinung vertreten, zum Teil sind es auch Personen, die positiv zur gegenwärtigen Entwicklung in der DDR stehen, wie nachfolgend aufgeführtes Beispiel zeigt: Ein Angestellter aus Frankfurt/Oder: »Bereits vor der Viererkonferenz hatten die Westmächte eine Separatbesprechung, wo sie ihr gemeinsames Vorgehen festgelegt haben. Wenn die Vorschläge Molotows noch so gut sind, sie gehen nicht darauf ein. Ich glaube an keine Einigung.«
In nachfolgend aufgeführten Beispielen (jedes wirft ein bestimmtes Problem auf) macht sich der Einfluss der westlichen Hetzsender stark bemerkbar:31
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Ein Buchhalter aus Goldberg, [Bezirk] Schwerin: »Ich bin der Meinung, dass aufgrund der Vorschläge von Dulles32 freie Wahlen durchgeführt werden müssten.«33
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Ein Maurermeister aus Rostock: »Ich kann nicht verstehen, warum Molotow erst die Chinafrage aufwirft, anstatt erst die Deutschlandfrage zu behandeln.«34
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Ein Zahnarzt aus Sondershausen, [Bezirk] Erfurt: »In unserem Sender hört man nur immer Auszüge über Molotow, nichts aber über die anderen Regierungen, sodass man sich kein genaues Bild machen kann.«35
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Ein Arbeiter aus Liebenwerda, [Bezirk] Cottbus (Umsiedler): »Warum lässt man nicht die Oder-Neiße-Grenze wegfallen, damit wäre doch schon ein Problem gelöst.«36
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Ein Uhrmachermeister aus Sonneberg, [Bezirk] Suhl: »Die Außenminister sollen abreisen, dann wird auch die Einheit zustande kommen. Eine Einheit wie in Westdeutschland.«
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Ein Kraftfahrer aus Grevesmühlen, [Bezirk] Rostock: »Molotow klammert sich in seinen Ausführungen an die Abkommen von Jalta und Potsdam,37 worauf sich die Westmächte nicht einlassen.«
Solche und ähnliche Beispiele werden aus allen Schichten der Bevölkerung bekannt, meist jedoch aus kirchlichen und bürgerlichen Kreisen sowie unter Angestellten und Umsiedlern.38 Die gleichen Argumente werden auch von feindlichen Elementen anders angewandt, dafür ein Beispiel: Ein Bäckermeister aus Gohlis, [Bezirk] Dresden: »Man darf den Chinesen nicht die Möglichkeit geben, an der Konferenz teilzunehmen, denn dies bedeutet eine große Gefahr. Die ›gelbe Gefahr‹ ist nach wie vor für Europa vorhanden.« Solche Argumente wurden jedoch nur in geringem Maße bekannt. Stimmen, die in einer direkt aggressiven, feindlichen Form gegen die DDR und SU hetzen, sind wie aus den letzten Tagesberichten zu ersehen ist, dem Anschein nach zurückgegangen.
Stromabschaltungen, worüber die Bevölkerung zum Teil negativ diskutiert, werden aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt berichtet.
Organisierte Feindtätigkeit
Nur vereinzelte Flugblätter wurden in den Bezirken Halle, Neubrandenburg, Potsdam, Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt gefunden (Ostbüro der SPD,39 Stimmzettel,40 NTS41).42 Im Kreis Eisenberg, [Bezirk] Gera, treten vereinzelt gefälschte Lebensmittelmarken auf.
Brand: Am 28.1.1954 gegen 22.45 Uhr brach im VEB Schuhkombinat Großharthau, [Kreis] Bischofswerda, [Bezirk] Dresden, ein Großbrand aus. Das Verwaltungsgebäude brannte vermutlich durch Brandstiftung nieder.
Einschätzung der Situation
Bei den feindlichen Elementen ist festzustellen, dass sie sich augenblicklich bewusst etwas zurückhalten. Sonst ist die Lage gegenüber dem Vortage nicht wesentlich verändert.
Anlage (o. D.) zum Informationsdienst Nr. 2093
Stimmen aus Westberlin
Bei Diskussionen über eine Konferenz der fünf Großmächte am Arbeitsamt Kochstraße und am Potsdamer Platz wurde zum Ausdruck gebracht: »Wenn die westlichen Außenminister in der Chinafrage zustimmen, dann haben die Westmächte das Prestige verloren und die SU geht als Sieger aus der Konferenz hervor.«
In einer Funktionärssitzung der SPD Berlin-Wedding am 28.1.1954 im Lokal Brandt, Utrechter Straße,43 erklärte das SPD-Mitglied [Name]: »Einzelne unpolitische Organisationen versuchten die Konferenz unmöglich zu machen. Die Sozialdemokratie als Partei hat sich aber dagegen entschieden zur Wehr gesetzt. Wir werden nicht dulden, dass sich das Schicksal Deutschlands an einigen Radaubrüdern zerschlägt. Wir freuen uns, dass die Konferenz stattfindet und werden dafür sein, dass sie ungestört verläuft. Wir wollen den Frieden und die Einheit Deutschlands, daran wird uns auch ein Adenauer44 nicht hindern können.45 Wir wehren uns gegen alle Feinde der Einheit Deutschlands und gegen die Partei der Spalter. Genauso wie uns die Einheit Deutschlands am Herzen liegt, so kämpfen wir um die Einheit unserer Partei. Die Klingelhöfer46 und seine Grüppchen mögen sich gesagt sein lassen, dass mit ihren Briefen die Einheit der Partei nicht zerstört werden kann. Noch stützen wir uns auf Marx,47 Engels48 und Bebel.49 Wir Arbeiter in der Partei werden unser Emblem nicht ändern und das Wort Genosse ist Verpflichtung.«