Zur Beurteilung der Situation
30. Januar 1954
Informationsdienst Nr. 2095 zur Beurteilung der Situation
Die Stimmung der Bevölkerung in der DDR
Den vorliegenden Berichten zufolge hat es in der Stimmung der Bevölkerung der DDR keine wesentlichen Veränderungen gegeben. Neben positiven Diskussionen wird zum Vorschlag über die Teilnahme Chinas an einer Fünfmächtekonferenz auch negativ diskutiert.1 Ein Fuhrunternehmer aus Finsterwalde, [Bezirk] Cottbus: »China braucht nicht an der Konferenz teilzunehmen, weil dadurch die ›Russen‹ nur die Oberhand gewinnen und die Möglichkeit besteht, dass auch Frankreich von der ›Amerikanischen Linie‹ abspringt.«
Auch verlauten aus mehreren Bezirken Stimmen, die dagegen Stellung nehmen, dass in Presse und Funk die Reden von Außenminister Molotow2 ausführlich behandelt werden, wogegen die Erklärungen der anderen Außenminister nur schwach zur Geltung kommen.3
Feindtätigkeit
Flugblätter wurden nur in den Kreisen Aue und Schwarzenberg in einzelnen Exemplaren festgestellt.
Der »Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen«4 ließ am 30.1.1954 durch den RIAS bekannt geben, dass er für die Dauer der »Grünen Woche« für Besucher aus der DDR eine sogenannte Rechtsberatungsstelle im Hotel am Funkturm eingerichtet hat.5
Ein Gerücht kursiert in Seehausen, [Bezirk] Magdeburg, wonach bei einem erfolglosen Verlauf der Viererkonferenz, und das sei zu erwarten, mehrere neue Preissenkungen kommen werden. Diese Meinung ist dort in allen Bevölkerungsschichten festzustellen.
Stimmen aus Westdeutschland
Aus den positiven Stimmen aus Westdeutschland geht hervor, dass die Viererkonferenz, wenn sie auch nicht alle Fragenkomplexe lösen wird, uns doch bedeutend der Einheit Deutschlands näherbringt. Als Voraussetzung dazu wird auch die Beteiligung Deutscher an dieser Konferenz gefordert. Ein Arbeiter aus Lühnde: »Die Hauptsache ist ja, dass nicht über Deutschland, sondern mit Deutschland verhandelt wird. Ich weiß bestimmt, dass dies die SU als Hauptpunkt unterstreichen wird. Deshalb habe ich auch großes Vertrauen zur SU.«
Nach wie vor kommt bei den uns vorliegenden Stimmen zum Ausdruck, dass ein großer Teil keine Hoffnungen auf Erfolge der Viererkonferenz setzt. Einerseits aus der Meinung heraus, dass alle vier Großmächte keine Einigung wollen. Ein Arbeiter aus Wolfenbüttel: »Auf die Berliner Konferenz hoffe ich nicht, sie wollen ja gar nicht. Sie müssen bloß mal wieder etwas Theater machen, damit sie den Völkern etwas erzählen können und die beiden Welthälften danach sagen können: wir haben es gewollt, aber die anderen sind schuld, wenn die Trennung bestehen bleibt.«
Andererseits kommt Misstrauen gegenüber der SU zum Ausdruck. Ein Arbeiter aus Germersheim: »Der ›Russe‹ will ja keine Verständigung, denn der jetzige Zustand ist ihm recht und er sucht ihn möglichst lange aufrechtzuerhalten und seine Genossen Grotewohl6 und Ulbricht7 unterstützen ihn dabei kräftig. Je mehr die Westmächte nachgeben, desto unverschämter werden die Forderungen, das sieht man ja auch wieder bei der Berliner Konferenz.«
Die Stimmung der Bevölkerung im demokratischen Sektor von Groß-Berlin
Mit großem Interesse wird der Verlauf der Außenministerkonferenz von allen Schichten der Bevölkerung verfolgt. Die Stimmung, die in den verschiedensten Diskussionen zum Ausdruck kommt, zeigt, dass ein bedeutender Teil der Bevölkerung die Bemühungen des sowjetischen Außenministers Molotow um Deutschland, um die Erhaltung des Friedens, anerkennt. So äußerte eine Hausfrau: »Am spannendsten verfolge ich die Reden von Molotow. Er ist von allen Vieren der Einzige, der uns wirklich nützen kann, der selbst mit ehrlichem Interesse für unsere Belange eintritt.«
Eine Angestellte: »Ich habe noch nie so interessiert jeden Tag die Zeitung gelesen wie augenblicklich. Die Außenministerkonferenz ist direkt spannend. Es ist köstlich zu lesen, was für Mist Dulles8 baut und wie geschickt Molotow pariert. Dulles kocht sicher vor Wut. Wenn er nicht bald zu seiner Diplomatie ein wenig mehr Talent zeigt, kann er sich einen Sarg kaufen. Es ist doch interessant, wie schnell die USA, England und Frankreich mit der von Molotow vorgeschlagenen Tagesordnung einverstanden waren,9 obwohl Dulles ja zu gerne den ersten Tagesordnungspunkt übergehen möchte, aber wie gesagt Molotow ist eisern.«
Zum anderen gibt es aber einen nicht geringen Teil der Bevölkerung, der sich zweifelnd zu dem positiven Ausgang der Konferenz äußert und durch diese Zweifel sich von den negativen Stimmen beeinflussen lässt. Letztere treten in Diskussionen immer wieder auf, und speziell in der Frage der Teilnahme Chinas an der Konferenz, in negativen Äußerungen zum Verlauf der Konferenz selbst und zu der Veröffentlichung der Reden der Außenminister in der Presse. So äußern sich Teile der Bevölkerung, dass es notwendig ist, den RIAS zu hören, weil in unserer Presse die Reden der westlichen Außenministers nicht in vollem Wortlaut wiedergegeben werden. Unter einem Teil der Eisenbahner von Mahlow wird darüber diskutiert, dass sie überhaupt nicht mehr wissen, was sie glauben sollen. Der RIAS würde wieder anders über die Außenministerkonferenz sprechen, als was in der Presse der DDR steht.
Im Beschaffungsamt des Ministeriums für Post und Fernmeldewesen nimmt man an, dass die Frage der Teilnahme Chinas die Deutschlandfrage in den Hintergrund treten lässt. Ein Hilfsarbeiter sagte: »Das man erst ›freie Wahlen‹ in ganz Deutschlands durchführen müsse.«10
Kollegen aus dem Orchester und dem Chor der Komischen Oper äußerten: »Dass Adenauer11 sich mit Walter Ulbricht doch nicht an einen Tisch setzt.«12
Ein Kollege vom Ministerium für Eisenbahnwesen, Hauptverwaltung Ausbesserungswerke, erklärte: »Dass der Amerikaner doch der sei, welcher zum Zwecke der Verständigung immer wieder nachgibt. Das sehe man daran, dass der Amerikaner über den Tagungsort der Konferenz zugestimmt hat,13 sodass dieselbe überhaupt durchgeführt werden kann.«
Auf einer Parteiaktivtagung der SED-Kreisleitung Lichtenberg am 22.1.1954 wurde außer der im gestrigen Bericht behandelten Frage ausgeführt,14 dass zzt. der größte Teil der SPD-Funktionäre des demokratischen Sektors sich seit dem 22.1.1954 in Westberlin aufhält und den demokratischen Sektor nicht mehr betritt. Ein SPD-Funktionär, wohnhaft Wöderstraße 5015 sowie seine Ehefrau befinden sich auch seit Freitag nicht mehr in ihrer Wohnung.
In dem Lokal »Hajo Bar« in der Nähe Bahnhof Friedrichstraße wird durch den Ansager [Name 1] die Viererkonferenz, unsere Staatseinrichtungen, DEFA, …16 usw. stark ins Lächerliche gezogen und in ironischer Weise darüber Bemerkungen gemacht. Die Viererkonferenz wurde von ihm mit Skatspielen verglichen, was die Anwesenden, in der Hauptsache Westberliner, mit einem Johlen als Beifall quittierten.
Als eine Hausmeisterin vom Strausberger Platz 15, die Unterschriften unter die Plakate des Nationalrats der Nationalen Front17 gesammelt hatte, diese in dem neueröffneten Elektrogeschäft im Block Südwest der Stalinallee im Schaufenster auszuhängen beabsichtigte, verwehrte es ihr der Objektleiter, ein Genosse der SED, mit der Bemerkung: »Dass er keine Zirkusplakate in seine Fenster hängt.«
Stimmung aus Westberlin
Nach bekannt gewordenen Stimmen wird über die Außenministerkonferenz folgendermaßen diskutiert:
In Kreisen der Arbeiter wird oft die Hoffnung auf einen positiven Erfolg der Konferenz ausgesprochen. Die Vorschläge des Außenministers Molotow werden teilweise begrüßt, teilweise als Verzögerungstaktik angesehen.18 Ein Arbeiter aus Westberlin: »Ein Erfolg der Konferenz wird nicht ausbleiben. Gegen Molotows Argumente können selbst die Westmächte nicht an, wenn sie nicht den Zorn ihrer Völker heraufbeschwören wollen.«
Ein Arbeiter aus Berlin Siemensstadt: »Ich nahm an, dass die ›Russen‹ auch endlich mal mit einem ehrlichen Willen kämen, aber da ist bis jetzt sehr wenig von zu merken, denn ihre Taktik ist, alles in die Länge zu ziehen.«
Ein Arbeiter aus Westberlin: »Außenminister Molotow soll ja nicht die alte Frage Jalta und Potsdamer Abkommen anschneiden,19 dann sind wir Deutsche erledigt; denn dann fressen die uns alle auf, solche Bedingungen sind darin enthalten.«
Aus Kreisen der Angestellten werden zum Teil die Vorschläge zur Teilnahme Chinas an der Konferenz abgelehnt. Ein Angestellter aus Westberlin: »Leider ist es russische Taktik, andere Fragen, wie China, zu behandeln als die, um die es wirklich geht, nämlich um Deutschlands Schicksal. Einzig und alleine haben die vier Besatzungsmächte über Deutschland zu entscheiden und nicht das kommunistische China.«
Ein Angestellter aus Berlin-Charlottenburg: »Bis jetzt ist das Hauptproblem der Wiedervereinigung ›freie Wahlen‹ überhaupt noch nicht zur Sprache gekommen, weil erst auf die Hinzuziehung der Chinesen auf Wunsch Molotows verhandelt wird.«
Einige Intellektuelle aus Westberlin sind der Auffassung, dass die Viererkonferenz den Zusammenschluss von West- und Ostberlin zugunsten Westdeutschlands bringen wird. Einige Studenten der »Freien Universität« in Westberlin vertreten die Meinung: »Die Konferenz wird einige Resultate bringen. So zum Beispiel, dass in der »Ostzone« dieselben Verhältnisse wie in Westdeutschland eingeführt werden.« Die Studenten würden dann nur so wenig Stipendium bekommen, dass sie ebenfalls nebenbei noch Geld verdienen müssten, um leben zu können. Zur Frage der Teilnahme deutscher Vertreter an der Konferenz brachten sie zum Ausdruck,20 dass Deutsche nicht zur Verhandlung herangezogen werden können, da Deutschland aufgrund der bedingungslosen Kapitulation überhaupt kein Recht auf Forderungen hat.
Einige Mitglieder der CDU sind der Ansicht, dass die Verhandlungen keinesfalls durch irgendwelche Ausflüchte unterbunden werden dürften, da durch Verhandlungen erst die Möglichkeit für die Durchführung weiterer Verhandlungen festgestellt werden kann; d. h., ganz gleich was zunächst herauskommt, erst muss man sich einmal an einen Tisch setzen.
In Kreisen der katholischen Kirche Westberlins lehnt man teilweise die aggressive Einstellung ab, mit dem Hinweis, dass man die Einheit Deutschlands erreichen und den Frieden erhalten muss. Von der Viererkonferenz erwartet man einen Fortschritt zur Einigung Deutschlands, wenn auch nicht die Einheit gleich 100-prozentig zustande kommt.
Ein Stupo21 äußerte Folgendes: »Wenn die Konferenz im demokratischen Sektor stattfindet, würde ein zweiter 17.6.[1953] [auf]22 fruchtbaren Boden fallen und die drei westlichen Außenminister könnten die wahren Meinungen der ›Ostberliner‹ sehen.«
Drei Stupo in der Potsdamer Straße sagten: »Wir wünschen und hoffen, dass diese Konferenz zum …23 ausfällt und wir alle in Deutschland dorthin gehen können, wo es uns gefällt, denn wir sind ja nun einmal Deutsche und bleiben es.«
Eine Diskussionsrunde …24 äußerte: »Die Konferenz wird durch Molotow platzen.« Gegenteilige Meinungen waren nicht zu hören.
Im Lokal »Berliner Kindl-Stübl« Neue Potsdamer Straße verkehren Personen, die am Kragenaufschlag Stecknadeln mit weißem und grünem Kopf tragen. Im Abschnitt Potsdamer Platz bis Bülowstraße sind zahlreiche Personen mit gelbem Stecknadelkopf eingesetzt, während auf dem Abschnitt Bülowstraße25 bis zum Kontrollratsgebäude Personen mit weißem Stecknadelkopf sich befinden.
Durchfahrt der sowjetischen Delegation
Um 14.50 Uhr passierte sie den Potsdamer Platz. In der Nähe des Potsdamer Platzes in der Potsdamer Straße befinden sich ca. 400 Personen, Beifalls- oder Missfallensbekundungen erfolgten nicht. An der Potsdamer Straße – Ecke Kurfürstenstraße machte eine Gruppe Notstandsarbeiter bei der Anfahrt der sowjetischen Delegation folgende Äußerungen: »Molotow schlägt annehmbare Sachen vor. Wir wollen feste und ständige Arbeit haben. Der Schreiber-Senat26 kümmert sich nicht um uns und es ist auch nicht viel von ihm zu erwarten.«
Anlage vom 30.1.1954 zum Informationsdienst Nr. 2095
Stimmung zur Viermächtekonferenz
Betriebe
Von einem beträchtlichen Teil der Werktätigen werden die Erklärungen des Genossen Molotow aufmerksam beachtet. Man erkennt, dass nur seine Vorschläge uns ein einheitliches, friedliebendes Deutschland bringen können. Kollege [Name 2] von der mechanischen Abteilung des Wismut-Schachtes 15 Oberschlema,27 [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich kann die Erklärung Molotows nur begrüßen. Aufgrund seiner Initiative ist bereits schon ein großer Schritt vorwärts und ein Erfolg auf der Konferenz erzielt worden.« Ein parteiloser Arbeiter aus dem VEB Steinkohlenwerk Freital, [Bezirk] Dresden: »Hast Du schon die Rede von Molotow gehört. Mensch, das war eine feine Sache, der hat es aber den anderen wieder einmal richtig unter die Nase gerieben. Man sieht, dass es die SU ehrlich mit uns meint.«
Gegenüber diesen positiven Stimmen zu den Erklärungen des Genossen Molotow werden von einem Teil diese auch abgelehnt. Dabei treten besonders zwei Richtungen hervor: »Was hat China auf einer Konferenz der Außenminister zu suchen, wo über europäische Fragen gesprochen wird« und: »Warum wurde die Deutschlandfrage erst als zweiter Punkt auf die Tagesordnung gesetzt?« Der Arbeiter [Name 3] aus dem Elektrostahlgusswerk Leipzig: »Ich denke, die verhandeln über die Deutschlandfrage? Dabei fangen sie von China an, was geht uns überhaupt China an?«
Der Ingenieur [Name 4] vom VEB Jenapharm, [Bezirk] Gera: »Sie werden sich nie einigen, weil Molotow den Chinamann mit hinzuziehen will.«
Ein Wagenmeister vom Bahnhof Aue, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »China hat über die Deutschlandfrage nicht mitzuentscheiden. Sie hatten ja keine Besatzungstruppen mit in Deutschland und haben auch das Potsdamer Abkommen nicht mitunterzeichnet.«
Der Buchhalter [Name 5] vom Wismut-Schacht 277 in Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Ich bin nicht einverstanden, dass auf dem ersten Tagesordnungspunkt der Viererkonferenz die Hinzuziehung Chinas steht, was mit dem Deutschlandproblem gar nichts zu tun hat.«
Außer diesen Stimmen ist noch ein Teil Arbeiter und Angestellte, die die Frage der ›freien Wahlen‹ in der Rede des Außenministers Molotow vermissen. Der Arbeiter [Name 6] vom VEB Metallgusswerk Leipzig: »Warum gehen die Russen nicht auf die ›freien Wahlen‹ ein, welche von den westlichen Außenministern vorgeschlagen werden, dann bekommen nämlich die Kommunisten kein einziges Mandat, darüber werden wir uns in 14 Tagen wiedersprechen.«
Der Baumeister [Name 7] aus Leipzig sagte: »Der Außenminister Molotow hat zu wenig von der Abrüstung gesprochen. Ich bin zwar der Meinung, dass wohl die Westmächte Stützpunkte in anderen Ländern haben, aber die SU hat ebenfalls solche Stützpunkte in verschiedenen Ländern.«
Der Schlosser [Name 8] von der Schiffbau- und Reparaturwerft Stralsund, [Bezirk] Rostock: »Es ist richtig, dass Dulles China abgelehnt hat. Was geht uns China an? Erst sollen sie mal über Deutschland verhandeln.«
Die zustimmende Einstellung eines großen Teiles der Arbeiter zur Rede des Außenministers Genossen Molotow wird an folgenden Beispielen noch bewiesen: Die Weberin [Name 9] vom Textilwerk »Einheit« in Glauchau, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt: »Aufgrund der Rede des Außenministers Molotow habe ich erkannt, wie ehrlich es die SU meint. Ich habe jetzt volles Vertrauen zu dieser Friedensmacht.«
Der Arbeiter [Name 10] aus dem »August-Bebel«-Werk in Suhl: »Die Rede Molotows, das ist das, was wir für Deutschland brauchen. Mit seinen konkreten Ausführungen waren die Wünsche des deutschen Volkes klar dargelegt. Die anderen Außenminister dagegen faseln etwas zusammen, woraus man nichts entnehmen kann.«
Landwirtschaft
Große Teile der Landarbeiter in volkseigenen Gütern und MTS, Genossenschaftsbauern und werktätige Einzelbauern verfolgen den Verlauf der Viererkonferenz und besonders die Vorschläge des Genossen Molotow mit großem Interesse. In vielen Stimmen drückt sich das Vertrauen zur SU, zur sowjetischen Diplomatie aus. Ein werktätiger Bauer aus Jerichow, [Bezirk] Magdeburg, sagte: »Wenn man die Rede Molotows gelesen hat, so sieht man, dass wir von der SU mehr zu erwarten haben als von den anderen.«
Ein Landarbeiter sagte Folgendes: »Die Vorschläge Molotows sind zu begrüßen und werden durch die friedliebende Bevölkerung auch der kapitalistischen Länder Unterstützung finden. Jetzt gibt es kein Ausweichen mehr.«
Der Traktorist [Name 11] von der MTS Fahrenholz, [Bezirk] Rostock, sagte: »Der Außenminister der SU, Molotow, hat in seiner Stellungnahme klar und deutlich aufgezeigt, dass die SU die Interessen zur Erhaltung des Friedens vertritt.«
Ein Teil der Landbevölkerung (aller Schichten) versteht nicht den unmittelbaren Zusammenhang einer Fünfmächtekonferenz mit der Lösung der Deutschlandfrage im Interesse der Erhaltung des Friedens. Von diesen Kreisen werden Befürchtungen gehegt, dass die Diskussion über China zu Differenzen oder zum Abbruch der Konferenz führen kann. So sagte ein Kleinbauer [Name 12] aus Wüstermarke,28 [Kreis] Luckau, [Bezirk] Cottbus: »Was hat China denn mit Deutschland zu tun? Es soll lieber mit Deutschland verhandelt werden. Deutschland war eine Großmacht und muss auch wieder eine werden.«
Die Bürgermeisterin [Name 13] aus Kessin, [Bezirk] Rostock, sagte: »Bei uns im Dorf können die Bauern nicht verstehen, dass die Deutschlandfrage als zweitrangige Frage behandelt wird, dass man China mit zur Konferenz haben will, denn die Frage der Einheit Deutschlands steht doch im Vordergrund.«
Übrige Bevölkerung
Von einem großen Teil auch der übrigen Bevölkerung werden die Vorschläge des sowjetischen Außenministers Molotow begrüßt. Es wird erkannt, dass diese Vorschläge der Erhaltung des Friedens dienen und im Interesse aller Deutschen liegen. Durch die klar formulierten eindeutigen Vorschläge werden die Westmächte zur offenen Stellungnahme gezwungen. Der parteilose Heizer [Name 14] aus Wismar: »Die Rede des sowjetischen Außenministers Molotow über die Einberufung einer Fünferkonferenz hat die Westmächte in die Enge getrieben. Mit der Nichtanerkennung von China steht Amerika ganz alleine da.« Der Angestellte [Name 15] aus Ilmenau: »Die Rede Molotows zeigt ganz deutlich, dass die kapitalistischen Länder jetzt Farbe bekennen müssen und dass sie gegen die SU und die Volksdemokratien nichts mehr ausrichten können.«
Nicht gering ist die Zahl derer, die die Notwendigkeit einer Fünfmächtekonferenz bzw. den Zusammenhang der internationalen Lage mit dem Deutschlandproblem nicht begreifen und in diesem Vorschlag Molotows ein Hemmnis für die Konferenz sehen. Die Hausfrau [Name 16] aus Dornreichenbach, [Kreis] Wurzen: »Jetzt will Molotow einen Chinesen dazu haben. Wir haben doch nicht mit den Chinesen zu verhandeln, denn es geht doch um die Deutschlandfrage. Wir werden es erleben, dass dadurch nichts herauskommt.«
Daneben gibt es Stimmen, die offensichtlich Westsender hören. Die Einheit im westlichen Sinne fordern und den Standpunkt der Außenminister der Westmächte vertreten. Ein Buchhalter aus Goldberg, [Bezirk] Schwerin: »Ich bin der Meinung, dass aufgrund der Vorschläge von Dulles ›freie Wahlen‹ durchgeführt werden müssten.«
Auf einem Kohlenplatz in der Schudomastraße29 sagten einige Kunden: »Wir sind begeistert von der Rede Molotows und hoffen, dass die Einheit kommt.« Einige Bewohner aus dem Bezirk Kreuzberg sagten: »Die Ausführungen von Außenminister Molotow wären geeignet, um auch nun von den drei Westmächten geeignete Vorschläge für friedliche Verhandlungen zu machen.«
Der Vorschlag auf Teilnahme Chinas an der Konferenz der Außenminister wird von der Westberliner Bevölkerung teilweise nicht verstanden. Eine Hausfrau aus Berlin-Wittenau: »Um wieder einen Grund zum Neinsagen zu haben, stellen die ›Russen‹ unmögliche Forderungen, indem ›Rot-China‹ bei der Viererkonferenz in Berlin teilnehmen soll. Ich möchte wissen, was die hier wollen.«
Eine Hausfrau aus Berlin-Reinickendorf: »Wir Berliner sind neugierig, ob die Friedensschreier uns den Friedensvertrag schenken. Die wollen jetzt auch noch den Chinesen am Konferenztisch haben. Was hat wohl China mit Deutschlands zu tun?«
Bei Diskussionen über eine Konferenz der fünf Großmächte am Arbeitsamt Kochstraße und am Potsdamer Platz wurde zum Ausdruck gebracht: »Wenn die westlichen Außenminister in der Chinafrage zustimmen, dann haben die Westmächte das Prestige verloren und die SU geht als Sieger aus der Konferenz hervor.«